HUGENOTTEN 65. Jahrgang Nr. 4 / 2001 106 Titelbild: Die historische Brandkiste der Evangelisch-reformierten Gemeinde Neu-Isenburg, in der Pasteur Abraham de Champ Renaud beim Brand des Pfarrhauses im Mai 1741 die Kirchenbücher gerettet hat (vgl. hierzu den Text auf S. 135ff.). Inhaltsverzeichnis Auf den Spuren eines Hugenotten in Böhmen von Vladimir Benda und Angelika Hirsch .................................................................. S. 107 Von der „Kolonie“ zur „Französischen Kolonie“ von Ursula Fuhrich-Grubert........................................................................................S. 113 Raubmord an einem Hugenottennachkommen 1819 in Berlin von Wolfgang Krüger.................................................................................................... S. 124 Neue Bücher und Aufsätze .......................................................................................... S. 128 Buchvorstellung ............................................................................................................. S. 133 Hugenottische Forschungsstätten (8): Ev.-ref.Gemeinde Neu-Isenburg von von Matthias Loesch..................................................................................................... S. 135 Haus zum Löwen – Stadtmuseum Neu-Isenburg von von Wolfgang Kuhn....................................................................................................... S. 140 Das 2. Hugenottenfest in Bad Karlshafen lockte tausende Besucher ................. S. 143 Anschriften der Verfasser Dr. Vladimir Benda, Zadni jiviny, Ruzyne 587, CZ-16100 Praha 6, Tschechische Republik Dr. Ursula Fuhrich-Grubert, Albrechtstr. 100, 12103 Berlin Angelika Hirsch, Peter-Jordan-Str.95-97, A-1180 Wien Wolfgang Krüger, Grashof 5, 29229 Celle Wolfgang Kuhn, c/ o Stadtmuseum Neu-Isenburg, Löwengasse 23, 63263 Neu-Isenburg Matthias Loesch, c/o Ev.-ref.Gemeinde, Marktplatz 8, 63263 Neu-Isenburg Dieser Dieser Ausgabe von HUGENOTTEN ist eine Ergänzung zum Mitgliederverzeichnis beigefügt. Die Zeitschrift HUGENOTTEN (DER DEUTSCHE HUGENOTT) wird herausgegeben von der Deutschen Hugenotten- Gesellschaft e. V., Hafenplatz 9a, 34385 Bad Karlshafen. Tel. 05672- 1433. Fax: 05672- 925072. E- mail: Refce@t- online. de. HUGENOTTEN erscheint als Mitgliederzeitschrift vierteljährlich. Der Bezugspreis ist im Mitgliedsbeitrag von derzeit DM 60,– enthalten. Einzelheft 8,00 DM, Auflage: 1500. Schriftleitung: Andreas Flick, Hannoversche Str. 61, 29221 Celle (presserechtlich verantwortlich). Für den Inhalt der einzelnen Beiträge sind die Autoren verantwortlich. ISSN 0340- 3718. Konto: Kasseler Sparkasse (BLZ 520 503 53) Nr. 118 060 521 107 Auf den Spuren eines Hugenotten in Böhmen Zum 300. Jahrestag der Ausweisung der Protestanten aus Orange von Vladimír Benda (Prag) und Angelika Hirsch (Wien) Grab von Ami Magnet in Drobovice. 108 Auf dem evangelischen Friedhof im ostböhmischen Dorf Drobovice bei Cáslav steht seit 150 Jahren ein Grabstein mit einer für die rein tschechi-sche Gegend untypischen deutschen Inschrift. Auch der Name des Verstor-benen – Amadeus Magniet – sowie sein Geburtsort Genf klingen fremd. Wer wurde hier begraben und wie fand er den Weg in diese entlegene Ge-gend? Friedhofsbesucher halten ihn wohl für einen Offizier der napoleoni-schen Armee. Auch für seine Nachfahren löste sich das Rätsel seiner Ab-stammung und Vergangenheit nur sehr langsam. Obwohl bereits seine En-kelin vor etwa hundert Jahren versucht hatte, sein bewegtes Leben zu be-schreiben (1, vgl. Nummer der Quellen), hielt ihn die Familie bis vor kurzem für einen Schweizer. Erst langwierige Nachforschungen in Genf, Berlin und Orange während der letzten zwei Jahrzehnte konnten Licht in sein Leben sowie in das seiner Familie bringen. Eine Inschrift voller Rätsel Vergleichen wir die Angaben auf dem Grabstein mit den uns bekannten Fakten, können wir mehrere Unstimmigkeiten bemerken. Zwar ist die In-schrift auf Deutsch, doch war der Verstorbene kein Deutscher, seine Mut-tersprache war Französisch. Als Offizier der österreichischen Armee und später als Gutsverwalter im Dienst der fürstlichen Familie Auersperg ver-fügte er zwar über gute Deutschkenntnisse, doch der einzige von ihm er-haltene Brief an seine böhmische Verlobte verrät seine orthographischen und stilistischen Unsicherheiten. Trotzdem war Deutsch die einzige Spra-che, in der er sich mit seiner Tschechisch sprechenden Verlobten und spä-teren Frau verständigen konnte. Es stimmt, dass er in Genf zur Welt kam, aber der aus dem Genfer Stadtar-chiv (5) stammende Taufschein gibt das Jahr 1782 als Geburtsjahr an und nicht 1785, wie auf dem Grabstein steht. Vielleicht wollte der pensionierte Soldat auf seine deutlich jüngere Braut, eine Müllerstochter, die er 1822 mit Bewilligung der Behörden heiratete, einen besseren Eindruck machen. Diese amtliche Zustimmung beinhaltete eine Bedingung, die für das damals fast rein katholische Böhmen typisch war: Die zukünftigen Kinder durften nicht der „helvetischen“ Religion des Vaters, sondern mussten der landesüblichen katholischen Religion seiner Braut angehören. Diese harte Entscheidung begleitete ihn noch nach seinem Tode und trennte ihn von seiner Frau und seinen Kindern, die auf anderen – katholischen – Friedhöfen ihre letzte Ruhe fanden. Auch sein Name trägt die Zeichen der Anpassung an die veränderten Ver-hältnisse. In der Genfer Kirche St. Germain wurde er auf Ami Jean Mathieu getauft, während seines Militärdienstes legte er sich jedoch den geläufigeren Namen Amadeus zu. Auch sein Familienname spiegelt eine 109 ähnlich Entwicklung wider: Noch sein im Jahre 1703 aus Orange in Süd-frankreich vertriebener Urgroßvater Jacques trug den einfachen Namen Magnet. Erst dessen 1720 in Genf geborener Sohn Frédéric wurde in das Geburtsregister von St. Pierre als Magniet eingetragen und diese „verschö-nerte“ Form bevorzugte die Familie bis 1899, als der letzte männliche Nachkomme, Clemens, verstarb. Über den Ursprung der Familie Dass die Familie nicht Schweizer, sondern protestantisch- französischen Ursprungs war, wissen die heute lebenden Nachfahren erst seit relativ kurzer Zeit. Nach einem Besuch des Hugenotten- Museums in Berlin Ende der 80er Jahre bekam der Verfasser vom Consistorium der französischen Kirche auf seine Anfrage eine viel versprechende Antwort. Das Ehepaar Magnet, Jacques und Jeanne, geborene Garagnon, lebte zwischen 1704 – 1718 in Berlin, die ersten sechs Kinder des Paares kamen hier zur Welt (4). Jacques und Jeanne zählten zu denjenigen Hugenotten, die nach der Besatzung von Orange durch Louis XIV. diese Stadt verlassen mußten und über die Schweiz schließlich im Herbst 1704 nach Brandenburg kamen. Beide Eltern werden nicht nur in dem klassischen Werk von Bernard (2), sondern auch in dem kürzlich erschienenen Buch von Felix (3) erwähnt, der den Weg dieser Hugenotten minutiös nachvollzieht. In Berlin versuchte Jacques eine Existenz als Strumpf- und Seidenwirker aufzubauen. Als seine Frau im Jahre 1718 zu ihren Verwandten nach Genf umzog, stellte er jedoch an den Vorstand der Stiftung Maison d´Orange einen Antrag, ihm wegen Arbeitsmangels die Übersiedlung nach Genf zu gestatten (6). Er wurde von dieser Stiftung unterstützt, obwohl er höchstwahrscheinlich – im Unterschied zu seiner Frau – kein gebürtiger Orangeois war. In den Geburtseintragungen seiner in Berlin geborenen Kinder gibt er sich zwar in einigen Fällen (vorsichtshalber?) als Orangeois aus, doch bei anderen Kindern findet sich in der Spalte „Geburtsort des Vaters“ das Städtchen Dieulefit in der Dauphiné*, das etwa 80 km nördlich von Orange liegt. In Genf kamen weitere drei Kinder zur Welt. Jacques starb hier im Jahre 1736 und auch die beiden folgenden Generationen blieben in dieser Stadt als Natifs der Stadt Geneve. Sein Sohn Frédéric wurde Uhrmacher, ebenso wie sein Enkel Frédéric- Elie, der sich um 1782 erfolglos um die Aufnahme in den Genfer Bürgerstand bewarb (5). * Die protestantischen Matrikeln der meisten Ortschaften dieser Gegend gelten als verschollen, so auch die von Dieulefit. Einzig die Matrikeln in Orange sind erhalten. 110 In die Fremde Ami war wahrscheinlich der einzige Sohn von Frédéric- Elie, nachweisbar ist noch seine Schwester Marie, die den Genfer Bürger François Nicole heiratete (5). Wir wissen nicht, warum Ami, der wahrscheinlich auch eine Uhrmacherlehre absolviert hatte, in den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts Genf verließ und 1805, kurz nach der Schlacht bei Austerlitz, der österreichischen Armee beitrat. Genf war zu jener Zeit bekanntlich als Département Léman an Frankreich angegliedert und die jungen Männer unterlagen der Wehrpflicht im französischen Heer. Obwohl das Edikt von Fontainebleau zu dieser Zeit bereits aufgehoben und die Ausübung der protestantischen Religion erlaubt war, wurden die Protestanten in ihren Bürgerrechten den Katholiken erst 1830 gleichgestellt. So war es sicherlich die in der Familie verwurzelte Abneigung gegen das katholische Frankreich, die Ami bewog, nach dem Tod seiner Mutter nach Österreich zu fliehen und Soldat zu werden. Zu dieser Zeit wurden Offiziere dringend benötigt und so machte er bei den Rosenbergschen Chevauxlegers eine schnelle Karriere. Nach nur vier Jahren wurde er – obwohl nichtadeliger Herkunft – bereits zum Offizier befördert, 1813 in der Völkerschlacht bei Leipzig, wo er verwundet wurde, war er schon Oberleutnant (7). Im Schematismus der österreichischen Armee können wir später sein Wirken in mehreren berittenen Einheiten verfolgen. Das Kriegsende erreichte ihn in Böhmen und er entschied sich, dort zu bleiben. Zunächst trat er in den Dienst seines Freundes Giles de Trazegnies, ebenfalls ein Offizier französischer Abstammung, der in Ost-böhmen mehrere Güter gekauft hatte. Nach einigen Jahren (1830) gab aber der Marquis die Landwirtschaft auf und Ami, finanziell gestärkt durch die Mitgift seiner jungen Frau, versuchte eines der Güter (Kluky, in der Nähe von Cáslav) weiterzuführen. Nach einigen erfolglosen Jahren fiel je-doch auch dieser Hof an die benachbarten Besitzungen der Familie Au-ersperg und Ami trat als Beamter in ihre Dienste. Die neue Besitzerin, die früh verwitwete Prinzessin Gabriele geb. Lobkowicz (1793– 1863), unter-stützte nicht nur den gesellschaftlich versierten Franzosen, sondern auch seine drei Töchter und seinen technisch begabten Sohn Clemens. Die bei-den Jüngsten waren ja zur Zeit des plötzlichen Todes ihres Vaters im Jahr 1852 noch unverheiratet und hilfsbedürftig. Clemens wurde später Ober-Inspektor der österreichisch- ungarischen Staatseisenbahn. Spurensuche Heute leben noch mehr als dreißig Nachfahren von Ami in Böhmen, Ös-terreich, Brasilien und Kanada. Sie stammen von seinen drei Töchtern Anna, Ottilie und Viktoria ab, da der einzige Sohn unverheiratet blieb. Ei- 111 nige von ihnen widmen sich intensiv der Familienforschung. In das Schick-sal der Familie in Genf brachten die sich im Stadtarchiv von Genf (5) be-findlichen Dokumente Licht. So sind die Nachlässe von Jacques und Jeanne Magnet erhalten, auch ihr Wohnhaus in der Genfer Altstadt, das sogar noch existiert, wird darin erwähnt. Der Weg der Familie von Orange in die Schweiz und weiter nach Berlin wird durch die von Prof. Felix angeführten Listen und Protokolle belegt, die Dokumente im Archiv des Consistoriums der französischen Kirche in Berlin wiederum brachten Aufklärung über die Berliner Jahre und den Weg zurück in die Schweiz. Im Verlauf dieser Suche gelang es den Verfassern sogar, die wahrscheinliche Herkunftsge-gend der Magnets ausfindig zu machen und zu besuchen. Es handelt sich um die hügelige Landschaft der Dauphiné, wo sich nördlich von Dieulefit das Dorf Francillon- sur- Roubion be-findet, laut Auskunft der lokalen genealogischen Gesellschaft (8) der Stammort der Familie. Unweit des Dorfes liegt ein allein ste-hender befestigter Hof, der bis vor kurzem noch Magnet hieß, heute jedoch als Domaine de Quinson bezeichnet wird. Von hier aus haben sich wahrschein-lich die Mitglieder der Familie in die anderen Orte der Dauphiné bis in das Fürstentum Orange verbreitet. Dort fanden sie auch Zuflucht nach der Auf-hebung des Edikts von Nantes im Jahre 1685 und diese Stadt mussten sie kaum zwanzig Jahre später als Glaubensflüchtlinge verlassen. Zu den berühmtesten Trägern dieses Namens gehört Pastor David Magnet (gestorben 1721) aus der in Condorcet ansässigen Linie, der spätere Prediger und Pfarrer der französischen Gemeinde in Zürich (3). Viele von den aus Frankreich vertriebenen Hugenotten legten einen weiten Weg zurück. Nur wenige kamen nach Böhmen, wie der Hugenotte Ami Magnet. Quellen: 1) Rösler, Jenny: Und als der Grossvater die Grossmutter nahm… (Handschrift), Gratzen 1911. 2) Bernard, A.: Liste des Orangeois expulsés en 1703 et refugiés en Prusse, Orange, 1892. Ami Magnet 112 3) Felix, Fred W.: Die Ausweisung der Protestanten aus dem Fürstentum Orange 1703 und 1711– 1713 (= Geschichtsblätter der Deutschen Hugenotten-Gesellschaft, Bd. 36), Bad Karlshafen 2000. 4) Archiv des Consistoriums der französischen Kirche zu Berlin. 5) Archives d’Etat de Genève. 6) Archiv der Stiftung Maison d’Orange, Berlin. 7) Archiv des Heeresmuseums (k. k. Kriegsarchiv), Wien. 8) Société Généalogique Drôme-Ardèche, Nyons. Fred W. Felix Die Ausweisung der Protestanten aus dem Fürstentum Orange 1703 und 1711– 13 (Geschichtsblätter der DHG, Bd. 33) Bad Karlshafen 2000, 164 Seiten ISBN 3-930481-13-8, 14,90 Euro 1703 verbot Ludwig XIV. im südfranzösischen Fürstentum Orange die protestantische Kirche. Alle, die ihren reformierten Glauben trotzdem bewahren wollten, mussten ihre Heimat verlassen. In dieser sowohl für Genealogen (Namenslisten!) als auch Historiker interessanten Arbeit wird von dem Schicksal der Orangeois berichtet, von denen viele in Brandenburg- Preußen Aufnahme gefunden hatten. Verlag der Deutschen Hugenotten- Gesellschaft Hafenplatz 9a ? 34385 Bad Karlshafen Fon 05672- 1433 ? Fax 05672- 925072 E- mail deutsche. hugenotten. ges.@ t- online. de 113 Von der „Kolonie“ zur „Französischen Kolonie“ 1 von Ursula Fuhrich- Grubert Die Kolonie (1875–1877, 1880–1882) Einen Einen Kirchenzettel gab es in der Französischen Kirche oder französisch-reformierten Gemeinde zu Berlin bereits seit Mitte des 18. Jahrhunderts, 2 zunächst in französischer Sprache. 3 Herausgegeben vom Consistoire (dem Presbyterium/Kirchenvorstand oder Consistorium) besagter Ge-meinde erschien er später wöchentlich und in deutscher Sprache unter dem Titel Französische Kirche in Berlin. Namen der Prediger, welche die Gottesdienste in den Kirchen halten. In ihm waren gottesdienstliche Veran-staltungen wie andere bedeutsame innergemeindliche Mitteilungen, etwa Berichte über Ältestenwahlen oder Taufen, Trauungen sowie Beerdigungen abgedruckt. Gewöhnlich ein Oktavblatt stark, erhielten ihn die Gemeinde-glieder gegen eine geringe Gebühr einmal pro Woche zugesandt. 4 Über Ereignisse in und Initiativen aus der Gemeinde unterrichtete der Kir-chenzettel allerdings kaum. So erfuhren weite Kreise der Französischen Kirche wenig oder gar nichts über „Angelegenheiten allgemeinen Interes-ses“ 5 wie etwa die Aktivitäten der Gemeindeleitung in Bezug auf die Wohlfahrtseinrichtungen oder die Gemeindeverfassung. Um diesem Zu-stand abzuhelfen und gleichzeitig „die zerstreuten Gemeindeglieder aus ihrer Isolierung zu vereintem Streben wieder zusammenzuführen“ 6 grün-dete der Gymnasiallehrer Eduard Muret 7 auf Initiative des Gemeindever-eins Réunion 8 das Blatt Die Kolonie. Organ für die äusseren und inneren Angelegenheiten der französisch- reformirten Gemeinden. Muret gehörte zu diesem Zeitpunkt dem Vorstand des Vereins, der aus einer engagierten Laiengruppe der Berliner französisch- reformierten Kir-chengemeinde hervorgegangen war, als Bibliothekar an. 9 Nach einer Pro-benummer im Dezember 1874 begann er im Januar 1875 mit der regel-mäßigen Publikation des Blattes. Einmal im Monat, vier DIN- A4- Seiten stark, sollte Die Kolonie zunächst bis Dezember 1877 zum Preis von 75 Pf. pro Quartal erscheinen. Im Prospekt, dem Einführungsartikel der Probenummer, waren Zielgruppe und Zweck des Blattes ausführlich beschrieben. Auch seine inhaltlichen Vorstellungen hatte Muret von vornherein genauestens festgelegt: „Die Kolonie will das kolonistische Leben, wie es und wo es in den Grossthaten der vergangenen Jahrhunderte sich offenbart hat, wie und wo es in der Gegenwart von den Söhnen der heldenmüthigen Märthyrer der reformirten Kirche Frankreichs fortgeführt wurde, zum Gegenstand ihrer Besprechungen machen. Unser Blatt wird also behandeln: 114 – Die Geschichte der französischen Kolonien und insbesondere der Berliner Gemeinde, die Verwaltung derselben, ihre Wohlthätigkeits-anstalten und Institute, die Vermächtnisse an die Armen. Zu diesem Zweck wird ganz besonders das Gesetzbuch unserer Kirche, die Règlements herangezogen werden. – Die Kolonie wird Zeitfragen, welche unser Gemeindeleben jetzt lebhaft bewegen, zum Gegenstand ihrer Besprechungen machen. – Wird unser Blatt auch den noch jetzt bestehenden Kolonien Preussens seine ganze Aufmerksamkeit widmen. Es sind Mittheilungen von unseren Brüdern aus der Provinz höchst willkommen.“ 10 Die Zeitschrift war also nicht ausschließlich als Blatt der Berliner franzö-sisch- reformierten Gemeinde konzipiert. Die Ambitionen des Herausgebers gingen weiter. So war denn wohl auch der Titel und Untertitel des Unter-nehmens Programm. Nicht die Berliner Gemeinde, sondern die 1809 offi-ziell aufgelöste Preußische Kolonie hatte hier Pate gestanden. Damit war die Tradition, an die das Blatt anknüpfen wollte, genannt: der Gedanke der weltlichen Siedlungskolonie. Zugleich sollte aber der Isolierung der Berliner Kirchengemeinde innerhalb der preußischen Hugenottengemeinden ent-gegengewirkt werden. 11 Französische Kolonie und französisch- reformierte Gemeinde wurden 70 Jahre nach der offiziellen Integration der weltlichen Kolonie in die allgemeine Staatsverwaltung Preußens offenbar noch immer als besondere Einheit gedacht – ein Zeichen für ein Aufleben eines spezifi-schen Sonderbewusstsein in französisch- reformierten Kreisen 12 zu einer Zeit, in der Religion und Politik wieder einmal besonders eng miteinander verknüpft schienen und waren. 13 Muret hielt sich an sein Prospekt. Lange Artikel über die Geschichte der Französischen Kolonien in Preußen, 14 besonders der in Berlin, 15 wechsel-ten sich ab mit ausführlichen Beschreibungen der Berliner Gemeindeinsti-tutionen 16 und der Gemeindeverfassung. 17 Zusätzlich veröffentlichte Muret auch Aufsätze über die Geschichte der Hugenotten in Frankreich. 18 Bis Juli 1876 wurde außerdem der im parallel erscheinenden Kirchenzettel abgedruckte Predigtplan publiziert. Da das Consistorium dem Herausgeber Änderungen des Planes jedoch meist nicht mitteilte, 19 ein Indiz für die ne-gative Einstellung der Gemeindeleitung gegenüber dem Blatt, kam es da-bei häufig zu Fehlinformationen. So stellte Muret die Wiedergabe der Got-tesdienstordnung schließlich ein. Unter der Überschrift Vereinsnachrichten publizierte die Réunion regel-mäßig ihre Veranstaltungshinweise; die Hugenottische Mittwochsgesell-schaft, ein anderer Zusammenschluss von französisch- reformierten Laien in Berlin, trat hier nicht in Erscheinung. Im Gegensatz zur Réunion rekru-tierte sich die Mittwochsgesellschaft aus der Gemeindeelite, das heißt nicht 115 zuletzt aus den Mitgliedern des Consistoire. 20 Hier setzte sich der oben angedeutete Konflikt zwischen Gemeindeleitung und Réunion auf anderer Ebene fort. Im Fragekasten bemühte sich Muret die an ihn gerichteten Anfragen zur Geschichte und Verfassung, über bekannte Persönlichkeiten sowie gegen-wärtige Probleme der Berliner Gemeinde zu beantworten. Unter der allerdings nur recht selten auftauchenden Rubrik Auswärtige Kolonien wurde schließlich über Ereignisse in den so genannten Provinz-gemeinden berichtet. Trotz anderer Ausgangsvorstellungen beschränkte sich das Blatt vor allem auf die Angelegenheiten der Berliner Gemeinde. Sodann existierte noch eine besondere Gemeindesachen überschriebene Kolumne, in der sich der Herausgeber – allerdings, vermutlich um keine Angriffsfläche zu bieten, stets anonym – allmonatlich mit den Vorkomm-nissen innerhalb der Berliner Französischen Kirche beschäftigte. Das als Sprachrohr der Réunion konzipierte Blatt enthielt an dieser Stelle jene zum Teil harsche Kritik, die der Verein am Consistoire, dessen Arbeitsweise und an der als überholt empfundenen Gemeindeverfassung glaubte üben zu müssen. Besonders die Angriffe auf die Gemeindeverfassung belegen, dass hier der vergebliche Versuch von Seiten einer nicht qua Herkunft, sondern über ihre Bildung sozial aufgestiegenen Gruppe unternommen wurde, die Geschicke der Gemeinde mitzubestimmen und damit in die Gemeindeelite vorzustoßen. 21 Dass das Consistorium, das zum allergrößten Teil aus Mitgliedern eben jener Gemeindeelite zusammengesetzt war [siehe oben], unter diesen Um-ständen keine Ambitionen zeigte, in der Kolonie amtliche Nachrichten oder Bekanntmachungen zu veröffentlichen, erstaunt nunmehr wenig. Auch auf finanzielle Unterstützung von dieser Seite konnte der Herausgeber nicht rechnen. Allein die Réunion kam für die durch den Bezugspreis nicht abge-deckten Kosten auf. 22 Muret hatte nur wenige Mitarbeiter. Ein großer Teil der Artikel erschien anonym, stammte also vermutlich aus seiner Feder. 23 Henri Tollin, Prediger in Magdeburg, 24 half hin und wieder aus. Eifrigster Mitarbeiter war seit 1876 Eugène Matthieu, Geistlicher an der französisch- reformierten Ge-meinde in Angermünde. 25 Ferner publizierten der Rektor Waldemar Bon-nell 26 aus Berlin, 1875 stellvertretender Schriftführer der Réunion, 27 und der Schulvorsteher 28 Jean Berthold Émile Herpin häufiger in der Kolonie. 29 1877 stellte das Blatt sein Erscheinen zunächst ein. Ein Grund dafür wurde nicht angegeben. Manoury vermutet in seiner Geschichte der Französi-schen Kirche, dass „eine solche Zeitschrift nur mit Hilfe finanzieller Zu-schüsse des Consistoriums [hätte] bestehen [können].“ 30 Ein weiterer Grund dürfte in Zusammenhang mit der Arbeitsüberlastung von Eduard 116 Muret zu finden sein, der – wie oben bereits angedeutet – vermutlich den größten Teil der Artikel selbst verfasste. Dafür spricht auch der Wechsel in der Person des Herausgebers beim erneuten Erscheinen des Blattes im Januar 1880. Der bereits als Mitarbeiter von Muret genannte Rektor Bon-nell übernahm die Redaktion der Zeitschrift. An den Zielen des Blattes gedachte er nichts zu ändern: „Es ist diese Zeitschrift für das kolonistische Haus, für die Familie unserer Kolons bestimmt. Sie soll das Interesse an der Geschichte unserer Kolonie lebendig erhalten; indem sie den Nachkommen den Glauben, die Treue, die Beständigkeit der Väter zeigt, wird sie die alte Anhänglichkeit und Liebe zur Kolonie nähren, das Gefühl der Zusammengehörigkeit wachrufen, und durch Hinweisung auf die fast zweihundertjährigen Institutionen unserer Gemeinde ein Verständnis ihrer Einrichtungen herbeiführen.“ 31 Dementsprechend veränderte sich die Themenauswahl des Blattes nicht. Allerdings gab es graduelle Unterschiede. So konnte Bonell die Provinz-gemeinden und ihre Geschichte sehr viel stärker in den Mittelpunkt rücken, als Muret es je gelungen war. Außer den Vereinsnachrichten der Réunion wurde jetzt unter dem Titel Aus dem Vereinsleben der Kolonie auch über die Hugenottische Mittwochsgesellschaft berichtet – ein Indiz, dass es zu-nächst zu einer Annäherung von Gemeindeleitung und Réunion gekommen war. Es gab eine Rubrik Vermischtes, in der unter anderem Nachrichten über außerpreußische, das heißt andere deutsche und französische Huge-nottengemeinden publiziert wurden. Der überregionale Charakter des Blat-tes, so wie ursprünglich geplant, wurde somit erst unter Bonnell verwirk-licht. Platz für Berliner Themen blieb jedoch genug. Dass sich die Prioritäten des Blattes vor allem durch das Anwerben neuer Mitarbeiter veränderten, darauf deutet eine Zusammenstellung ihrer Na-men und Wohnorte. Bonnell war es gelungen, außer einigen Mitgliedern der Berliner Gemeinde – zumeist Angehörige des Vorstandes der Réunion, 32 eine ganze Reihe von Geistlichen der so genannten Provi nz-gemeinden zu gewinnen: Neben Tollin und Matthieu, die bekanntlich bereits seinen Vorgänger Muret unterstützt hatten, sei exemplarisch auf den Prediger Theodor Lorenz aus Prenzlau verwiesen. 33 Umfang, Preis, Erscheinungsmodus und Träger des Blattes veränderten sich nicht. Seit 1881 wurde auf dem Deckblatt besonders darauf hingewie-sen, dass das Blatt im Auftrag der Réunion erschien. 34 1882 hieß es dort sogar, dass es Eigentum dieses Vereins sei 35 – ein Zeichen, dass es erneut Probleme mit dem Consistoire gab, da auch unter Bonnell die An-griffe auf dieses Gremium in der Kolonie nicht aufgehört hatten. 36 Mit dem Jahrgang 1882 stellte die Zeitschrift ihr Erscheinen denn auch endgültig ein, wiederum ohne Angabe von Gründen. Vermutlich waren es 117 erneut finanzielle Probleme, welche nunmehr Bonnell zur Aufgabe zwan-gen. Das Consistorium hielt sich immer noch zurück. Die Gründe dürften dieselben gewesen sein wie beim ersten Eingehen des Blattes. Die Französische Colonie (1887–1906) Nachdem Nachdem das Projekt der Réunion gescheitert war, initiierte 1887 die Hu-genottische Mittwochsgesellschaft die Gründung einer neuen Zeitschrift für die französisch- reformierten Gemeinden in Deutschland. Wie es im Einfüh-rungsartikel Zum Geleit hieß, war nach den Feierlichkeiten zum 200-jährigen Jubiläum des Edikts von Potsdam der Wunsch unter den Mit-gliedern der französisch- reformierten Gemeinde zu Berlin und den Vertre-tern der französisch- reformierten Kreissynode erwacht, ein Blatt ins Leben zu rufen, „dessen Zweck und Ziel es wäre, unter den einzelnen Mitgliedern der französischen Colonie in Deutschland das Interesse untereinander und für die Geschichte aufrecht zu erhalten und zu fördern.“ 37 Damit waren Ziel und Adressaten des neuen Blattes ganz ähnlich denen der Kolonie. Ein wichtiger Unterschied bestand jedoch im Träger des Unternehmens. Kritik an der Gemeindeleitung, deren Angehörige bekanntlich in nicht geringem Umfang der Mittwochsgesellschaft angehörten, war demnach von dem neunen Blatt kaum zu erwarten. Unter dem Namen Die Französische Colonie. Zeitschrift für Vergangenheit und Gegenwart der französisch- reformirten Gemeinden Deutschlands redi-gierte der Amtsrichter Richard Béringuier 38 , der damalige Vorsitzende der Hugenottischen Mittwochsgesellschaft, 39 das neue „Kolonieorgan“ seit Ja-nuar 1887. Neben Berichten aus dem Leben der verschiedenen Gemeinden sollten Ereignisse aus der Berliner Kolonie vorgestellt werden. Ferner dachte Béringuier an umfangreiche Artikel über die Geschichte der Kolonie und die Entwicklung der französisch- reformierten Gemeinden in ganz Deutschland. Bevor das Projekt anlief, hatte er sich bereits der Mitarbeit zahlreicher Geistlicher und Ältester versichert, bat aber in der ersten Ausgabe des Blattes dennoch um Übersendung von möglichst vielen Manuskripten. 40 Ganz im Sinne hugenottischer Tradition in Preußen, 41 bemühte sich der Herausgeber umgehend um Anerkennung des neuen Projekts beim hohen-zollernschen Königs- und Kaiserhaus: mit Erfolg, wie er 1889 stolz seinen Lesern berichtete. Sowohl Wilhelm I., besonders Kronprinz Friedrich [III.], aber auch dessen Sohn, der spätere Kaiser Wilhelm II., hätten Interesse an dem Blatt gezeigt. Der ständige Bezug der Französischen Colonie für die kaiserliche Hausbibliothek sei angeordnet worden. 42 Mit der Gründung des Deutschen Hugenotten- Vereins durch Henri Tollin avancierte das Blatt zu dessen offiziellem Organ. Richard Béringuier war 118 gleichzeitig zum stellvertretenden Vorsitzenden des Vereins gewählt wor-den. 43 In den Statuten des Deutschen Hugenotten- Bundes, wie sich der Verein vor seiner ersten konstituierenden Generalversammlung nannte, hieß es in Paragraph 5: „Für Ziel 1 [das heißt die Förderung der hugenotti-schen Geschichte in Deutschland] dient die Zeitschrift Die Französische Colonie, Redakteur z. Zt. Dr. Richard Béringuier in Berlin.“ 44 Bei dieser Regelung, wonach die Französische Colonie Vereinsblatt war, blieb es bis zum Eingehen des Blattes im Jahre 1906. Durch die neue offizielle Stellung als Vereinsorgan änderte sich an der Aufmachung und dem Inhalt des Blattes nur wenig. Es kam eine weitere Rubrik mit der Überschrift Vom Deutschen Hugenotten- Verein hinzu. Hier wurden Bekanntmachungen und Berichte aus dem Vereinsleben veröffent-licht. Sonst blieb alles beim Alten. Unter dem Titel Berichte aus dem Leben der französisch- reformirten Ge-meinden erschienen weiterhin entsprechende, meist recht kurze Nachrich-ten. Dabei waren die Darstellungen aus der Berliner Kirche stets am um-fangreichsten. Die Stammbaumskizzen, die Bücherschau und der Briefkas-ten – hierunter wurden Anfragen aus dem Leserkreis beantwortet – behiel-ten genauso ihren Platz wie die Rubrik Vermischtes. In dieser Kolumne wurden so unterschiedliche Themen wie die Geschichte der Reformierten Kirche in Nord- Amerika, 45 die Taufe eines Chinesen einhundert Jahre zu-vor 46 oder die Burg Cochem, die dem Berliner Industriellen hugenottischen Ursprungs Ravené gehörte, 47 behandelt. Ferner blieb es bei den Amtlichen Bekanntmachungen, die das Consisto-rium der Französischen Kirche zu Berlin seit 1889 in der Französischen Colonie veröffentlichte. Es handelte sich um Mitteilungen größeren Um-fangs wie zum Beispiel Ansprachen zur Fête du Refuge oder Hospitalbe-richte. Auch wenn der Gottesdienstplan noch immer im weiterhin publizier-ten Kirchenzettel abgedruckt wurde, so ließ sich an dieser Stelle das gute Einvernehmen zwischen Redaktion und Träger des Blattes sowie dem Consistorium ablesen – anders als im Falle der Kolonie. 48 Den meisten Platz beanspruchten naturgemäß die so genannten „größeren Artikel“. In erster Linie handelte es sich dabei um historische Arbeiten über hugenottische Persönlichkeiten, Familien und Gemeinden aus Deutsch-land, ja sogar aus Europa und Amerika. Letztlich ging es darum, ein besonderes hugenottisches „Wir- Gefühl“ zu konstruieren, das sowohl auf historischen Ereignissen und der gemeinsa-men Abstammung, aber auch auf spezifischen „Großtaten“ von Hugenot-tenabkömmlingen in der Gegenwart des ausgehenden 19. Jahrhunderts beruhte. Béringuier hatte von Anfang an eine große Zahl von Helfern. An einem 119 Jahrgang arbeiteten manchmal mehr als zwanzig Personen mit. Namen, die immer wieder auftauchten, waren die von Henri Tollin und Eduard Mu-ret. Geistliche aus ganz Deutschland schrieben in dem Blatt, aber auch interessierte Laien meldeten sich zu Wort. Die Zeitschrift erschien einmal im Monat, also in zwölf Nummern. Allerdings wurden die Nummern meist in den Sommermonaten als Doppelheft veröf-fentlicht. Dann besaßen sie jedoch auch einen größeren Umfang. Norma-lerweise handelte es sich um 15 bis 20 Seiten pro Ausgabe. Der Preis be-trug, wie schon zuvor bei der Kolonie, drei Mark pro Jahr. Davon musste sich das Blatt selbst tragen. Der Deutsche Hugenotten- Verein gab keine Zuschüsse. 49 1902 übernahm Pfarrer Peter Lorenz 50 die Zeitschrift von Richard Bérin-guier. Welche Gründe den bisherigen Herausgeber veranlassten, die Re-daktion niederzulegen, ist nicht bekannt. Als Mitarbeiter des Blattes wirkte er jedenfalls weiter. 51 Vermutlich handelte es sich um finanzielle Probleme, denn ein Jahr darauf – im Dezember 1903 – teilte der neue Herausgeber den Lesern mit, dass Überlegungen angestellt worden seien, das Blatt einzustellen. Er habe sich jedoch „auf eigene Rechnung und Gefahr“ 52 entschlossen, die Zeitschrift fortzuführen. „Die Ideale unserer Väter … müssen und sollen gepflegt werden. Daran will diese Zeitschrift mitarbeiten“, 53 so formulierte Lorenz sein Programm. An den Zielen des Blattes änderte sich somit nichts. Den Erscheinungsmo-dus und den Umfang sah sich Lorenz allerdings gezwungen zu reduzieren. Vom Jahrgang 1904 an sollte das Blatt in Doppelnummern erscheinen, regelmäßig alle zwei Monate in Stärke von 24 Seiten im DIN- A3- Format. Preis und Ausstattung blieben dieselben. Doch die Hoffnung, außer neuen Abonnenten auch viele freiwillige Mitar-beiter zu finden, trog. Hatte Lorenz im Januar 1904 noch voller Optimismus gemeint: „Im Vertrauen auf ihre [der Leser] Gunst und ihr Wohlwollen sind wir hoffnungsfreudig in das neue Jahr hineingegangen“, 54 so teilte er ein Jahr darauf voller Enttäuschung mit, dass der Jahrgang 1905 wohl der letzte der Französischen Colonie sein werde. „Als wir in der ersten Doppel-nummer von 1904 die Hoffnung und Erwartung aussprachen, daß neue freiwillige Mitarbeiter dem Blatte erstehen würden, daß manche Fragen bezüglich der Règlements von berufenen Vertretern der Gemeinde in der Colonie besprochen werden möchten, haben wir ein Interesse an dem Leben und den Angelegenheiten der Gemeinde vorausgesetzt, daß sich inzwischen als nicht oder doch nur im allergeringsten Grade vorhanden erwiesen hat. Dazu kommen die großen Schwierigkeiten in finanziellen Belangen.“ 55 120 Das Interesse an den Angelegenheiten der französisch- reformierten Ge-meinden war in der Zwischenzeit abgeflaut. Zwei treibende Kräfte, Henri Tollin und Eduard Muret, waren verstorben. Zudem war die Berliner fran-zösisch- reformierte Gemeindeleitung mit der umfangreichen Renovierung der Französischen Friedrichstadtkirche im barockisierenden Stil finanziell, aber auch arbeitsmäßig und ideell gebunden. 56 Die Aufwertung eines äußeren Symbols gemeinsamer hugenottischer Identität spielte in der bür-gerlich geprägten Gemeindeelite des Deutschen Kaiserreichs zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine gewichtigere Rolle 57 als ein Publikationsorgan, das sich zwar auch der Identitätsstiftung verschrieben hatte, dabei aber nur einen kleinen Teil von Hugenottennachkommen erreichte und vor allem wenig Außenwirkung besaß. Bereits im Jahrgang 1904 der Französischen Colonie hatte Lorenz mit dem Abdruck von Dichtungen, vor allem Dramen, begonnen – vermutlich um auf diese Weise leichter die Seiten seines Blattes zu füllen. Anderer Stoff fehlte. Die vier Nummern des Jahrganges 1905 erschienen nicht mehr in den ursprünglich festgelegten Abständen, sondern in den letzten vi er Mo-naten des Jahres. Diese Unregelmäßigkeit dürfte für die Abonnenten kein großer Anreiz zur weiteren Bestellung gewesen sein. Dennoch erschien 1906 noch ein weiterer Jahrgang. Lorenz hoffte wohl noch immer, das Interesse an der Zeitschrift wieder wecken zu können. Doch mit der Nummer 10/12 ging Die Französische Colonie im zwanzigs-ten Jahr ihres Bestehens ein. Der Herausgeber wandte sich nicht noch einmal an seine Leser. Er dürfte allzu enttäuscht gewesen sein. Erst nach dem Ersten Weltkrieg kam es erneut zur Gründung eines Blattes aus den Reihen der Berliner französisch- reformierten Gemeinde. Nachdem Sonntag und Alltag für die französisch- reformierte Gemeinde in Groß- Berlin als Anhängsel des Sonntagsblattes Sonntag und Alltag von 1919 bis 1923 den Kirchenzettel abgelöst hatte, gründete Pfarrer Peter Lorenz 1924 die Kirchlichen Nachrichten für die französisch- reformierte Gemeinde in Groß-Berlin. Anders als Die Kolonie und Die Französische Colonie zielte das Blatt primär auf die Gemeindeglieder der Berliner Französischen Kirche. Infolge des Zweiten Weltkrieges musste auch dieses Publikationsorgan 1941 sein Erscheinen einstellen. Seit 1948 existiert mit Die Hugenottenkir-che bis heute erneut ein eigenes Gemeindeblatt der Französischen Kirche zu Berlin. Bereits 1929 hatte Der Deutsche Hugenott die zunächst auch als Mitglie-derzeitschrift des Deutschen Hugenotten- Vereins fungierenden Kirchlichen Nachrichten als Vereinsorgan abgelöst. Der Deutsche Hugenott erscheint seitdem kontinuierlich, allerdings mit einer Unterbrechung von 1942 bis 1949. Seit 1998 erscheint das Blatt jedoch unter anderem Namen: Es heißt 121 nunmehr Hugenotten, ist aber weiterhin Mitgliederzeitschrift des in Deut-sche Hugenotten- Gesellschaft umbenannten Deutschen Hugenotten- Ver-eins. Anmerkungen: 1 Leicht überarbeitete Fassung der Einleitung zum Buch Ursula- Marianne MATHIEU/ Ursula FUHRICH- GRUBERT: Die Kolonie 1875–1877; 1880–1882.Die Französische Colonie 1887–1906.Namensregister, (Geschichtsblätter der DHG, Bd.31),Bad Karlshafen 2000. 2 MANOURY, Karl: Unsere Kirchlichen Nachrichten, in: Kirchliche Nachrichten für die fran-zösisch- reformierte Gemeinde in Großberlin [im Folgenden KN abgekürzt], 1.4.1939, 14 Jg., Nr. 39, S. 128. Manoury schreibt, dass der Kirchenzettel 1757 von Jean Pierre Erman gegründet worden sei. Die Tradition setzte sich bis um 1900 fort. Vgl. MANOURY, Karl: Die Geschichte der Französischen Kirche zu Berlin. Hugenottenkirche 1672–1955, Berlin 1955, S. 57. 3 LORENZ, Peter: An die Leser, die es sind und die es werden wollen, in: KN, 4.1.1931, 8. Jg., Nr. 1, S. 1. 4 Ebd. 5 MURET: Prospekt, 1874, S. 1. 6 Ebd. 7 BONNELL, Waldemar: An unsere Leser, in: Die Kolonie [im Folgenden DK abgekürzt], Januar 1880, 4. Jg., Nr. 1, S. 1. Eduard Muret wurde am 31.8.1833 in Berlin geboren. Er verstarb am 1.7.1904. Zu seiner Biographie vgl.: ANONYM: Professor Eduard Muret †, in: Die Französische Colonie [im Folgenden DFC abgekürzt], Juli/ August 1904, 18. Jg., Nr. 7/8, S. 74–75 und GINOLAS, Hildegart: Prof. Dr. Eduard Muret, in: KN, 8.10.1933,10. Jg., Nr. 41/42, S. 107. Muret war auch der Verfasser des bis heute unentbehrlichen Standard-werkes über die Hugenottenkolonien in Brandenburg- Preußen: MURET, Eduard: Ge-schichte der Französischen Kolonie in Brandenburg- Preußen, unter besonderer Berück-sichtigung der Berliner Gemeinde, Berlin 1885. 8 ANONYM: Aus dem Vereinsleben der Kolonie, in: DK, Juli 1881, 5. Jg., Nr. 7, S. 67. Zur Réunion vgl. FUHRICH- GRUBERT, Ursula: Hugenotten unterm Hakenkreuz. Studien zur Geschichte der Französischen Kirche zu Berlin 1933–1945 (= Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin Bd. 85), Berlin – New York 1994, S. 97–101. 9 ANONYM: Vereinsnachrichten, in: DK, Juni 1875, 1. Jg., Nr. 6, S. 60. 10 MURET Prospekt, 1874, S. 1. 11 MOGK, Walter (Bearb.): Einführung, in: Die Kolonie. Organ für die äußeren und inneren Angelegenheiten der französisch- reformierten Gemeinden. Berlin 1875–1877, 1880– 1882. Inhaltsverzeichnis, Sickte 1980, S. 1. 12 Vgl. zur Entwicklung dieses Sonderbewusstseins: FRANÇOIS, Etienne: Vom preußischen Patrioten zum besten Deutschen, in: Thadden, Rudolf von/ Magdelaine, Michelle (Hg.): Die Hugenotten, München 1985, S. 198–212. 13 Zum Zeitpunkt der Gründung des Blattes Die Kolonie tobte gerade der gegen den politi-schen Katholizismus gerichtete so genannte Kulturkampf des Reichskanzlers Bismarck. Vgl.: VERLEY, Patrick: Die politischen Verhältnisse, in: Palmade, Guy (Hg.): Das bürgerli-che Zeitalter (= Weltbild Weltgeschichte Bd. 28), Augsburg 1998, S. 302–303. 14 MATHIEU, Eugène: Geschichtliches über die französische Kolonie in den Dörfern Gross- und Klein- Ziethen bei Chorin, in: DK, März 1877, 3. Jg., Nr. 3, S. 25–28; April 1877, 3. Jg., Nr. 4, S. 33–34. 15 ANONYM: Die Friedrichstädtische Kirche, in: DK, Juli 1875, 1. Jg., Nr. 7, S. 62–66. 122 16 ANONYM: Die École de Charité, in: DK, September 1875, 1. Jg., Nr. 9, S. 78–81; Oktober 1875, 1. Jg., Nr. 10, S. 86–88; November 1875, 1. Jg., Nr. 11, S. 93–97; Dezember 1875, 1. Jg., Nr. 12, S. 107–110. 17 ANONYM: Die Verfassung der französisch- reformirten Gemeinde zu Berlin, in: DK, Dezember 1874, Probe- Nr., S. 2–3, [dieser Teil wurde erneut abgedruckt: Januar 1875, 1. Jg., Nr. 1, S. 2–6, Februar 1875, 1. Jg., Nr. 2, S. 18–21; März 1875, 1. Jg., Nr. 3, S. 29– 30; April 1875, 1. Jg., Nr. 4, S. 37–39; Mai 1875, 1. Jg, Nr. 5, S. 45–47; Juni 1875, 1. Jg., Nr. 6, S. 53–54; Juli 1875, 1. Jg., Nr. 7, S. 61–62; August 1875, 1. Jg., Nr. 8, S. 69–72; September September 1875, 1. Jg., Nr. 9, S. 77–78; Oktober 1875, 1. Jg., Nr. 10, S. 85–86; Dezember Dezember 1875, 1. Jg., Nr. 12, S. 105–107; Februar 1876, 2. Jg., Nr. 2, S. 9–11. 18 HERPIN, B.: Pierre Laroche. Eine Erzählung aus der Bartholomäusnacht, in: DK, April 1877, 3. Jg., Nr. 4, S. 29–33; Mai 1877, 3. Jg., Nr. 5, S. 41–43; Juni 1877, 3. Jg., Nr. 6, S. 49–53; Juli 1877, 3. Jg., Nr. 7, S. 59–62. 19 ANONYM: Fragekasten, in: DK, Juli 1876, 2. Jg., Nr. 7, S. 56. 20 Zur Hugenottischen Mittwochsgesellschaft vgl. FUHRICH- GRUBERT Hugenotten, 1994, S. 101–106. 21 Ein gutes Beispiel für die Kritik der Réunion an der Gemeindeverwaltung und den gleich-zeitig unternommenen Versuch, sich in sie einzuschalten, ist der folgende Artikel: ANONYM: Die Vermögens- Verwaltung der Berliner franz.- reformierten Gemeinde, in: DK Juli 1877, 3. Jg., Nr. 7, S. 57–59; August 1877, 3. Jg., Nr. 8, S. 65–67; September 1877, 3. Jg., Nr. 9, S. 73–75; Oktober 1877, 3. Jg., Nr. 10, S. 83–85; November 1877, 3. Jg., Nr. 11, S. 93–94; Dezember 1877, 3. Jg., Nr. 12, S. 100–101. 22 ANONYM Vereinsleben, 1881, S. 67. 23 Dass Muret tatsächlich für den größten Teil der erschienenen Artikel selbst verantwortlich zeichnete, beweisen die Ausführungen seines Nachfolgers als Herausgeber des Blattes. Bonnell betonte, dass Muret die Zeitschrift drei Jahre beinahe ausschließlich mit eigenen Kräften geführt habe. Vgl.: BONNELL, Waldemar: Schlußwort, in: DK, Dezember 1880, 4. Jg., Nr. 12, S. 111. 24 Henri Tollin wurde am 5. Mai 1833 in Berlin geboren. Er starb am 11. Mai 1902 in Magde-burg. Zu seiner Biographie vgl.: ANONYM: Henry Tollin †, in: DFC, Juni 1902, 14. Jg., Nr. 6, S. 54–55. 25 Eine Biographie von Matthieu bietet: MÜLLER, Johannes: D. Eugène Frédéric Louis Matthieu, Prediger an der französisch- und deutsch- reformirten Heiligen- Geist- Kirche zu Angermünde sowie der reformirten Gemeinden zu Schmargendorf und Parstein, in: DFC, Juni 1890, 4. Jg., Nr. 6, S. 73–79. 26 Waldemar Bonnell wurde am 25. Oktober 1843 in Berlin geboren. Vgl.: CONSISTORIUM DER FRANZÖSISCHEN KIRCHE ZU BERLIN: Verzeichnis der Mitglieder der Franzö-sisch- reformirten Gemeinde zu Berlin, Berlin 1892, S. 24. Das Datum seines Todes war leider nicht zu ermitteln. 27 ANONYM: Vereinsnachrichten, 1875, S. 60. 28 ANONYM: Vereinsnachrichten, in: DK, November 1877, 3. Jg., Nr. 11, S. 96. 29 Jean Berthold Emile Herpin wurde am 24. August 1838 geboren. Er starb 1884. Vgl.: [CONSISTORIUM DER FRANZÖSISCHEN KIRCHE ZU BERLIN]: Verzeichnis der Mit-glieder der Französischen Colonie in Berlin, Berlin 1886, ohne Seitenangabe. 30 MANOURY Geschichte, 1955, S. 95. 31 BONNELL Leser, 1880, S. 1. 32 Stellvertretend sei Frédéric d’Hargues genannt. Er wurde am 14. September 1822 geboren. Vgl.: CONSISTORIUM Colonie. 1886. 33 FISCHER, Otto (Bearb.): Evangelisches Pfarrerbuch für die Mark Brandenburg, Bd. 2, Berlin 1940, S. 514. 123 34 BONNELL, Waldemar: Die Kolonie, Deckblatt, 5. Jg., Berlin 1881. 35 BONNELL, Waldemar: Die Kolonie, Deckblatt, 6. Jg., Berlin 1882. 36 So veröffentlichte Bonnell z. B. den Brief eines gewissen E., in dem die Praktiken des Consistoriums bei der Abkündigung der Rechnungslegung verurteilt wurden. Vgl.: Ge-meinde- Angelegenheiten, in: DK, März 1882, 6. Jg., Nr. 3, S. 32. 37 BÉRINGUIER, Richard: Zum Geleit, in: DFC, Januar 1887, 1. Jg., Nr. 1, S. 1. 38 Richard Béringuier wurde am 4. März 1854 in Berlin geboren. Er starb am 9. Mai 1916. Vgl.: CONSISTORIUM Verzeichnis, 1892. S. 17 und MANOURY Geschichte, 1955, S. 104. Zur Biographie von Béringuer vgl.: FUHRICH- GRUBERT, Ursula: Richard Béringuier, in: Desel, Jochen/ Mogk, Walter (Hg.): 100 Jahre Deutscher Hugenotten- Verein 1890– 1990. (= Tagungsschriften des Deutschen Hugenotten- Vereins Nr. 10), Bad Karlshafen 1990, S. 169–176. 39 ANONYM: Berichte aus dem Leben der französisch- reformirten Gemeinden, in: DFC, Februar 1887, 1. Jg., Nr. 2, S. 20. 40 BÉRINGUIER Geleit, 1887, S. 1. 41 Vgl. BIRNSTIEL, Eckart: Dieu protège nos souverains. Zur Gruppenidentität der Huge-notten in Brandenburg- Preußen, in: Hartweg, Frédéric/Jersch- Wenzel, Stefi (Hg.): Die Hugenotten und das Refuge: Deutschland und Europa (= Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin Bd. 74), Berlin 1990, S. 107–129. 42 BÉRINGUIER, Richard: Zur Geschichte dieser Zeitschrift, in: DFC, Juli 1889, 3. Jg., Nr. 7, S. 109–110. 43 TOLLIN, Henri u. a.: Aufruf für einen deutschen Hugenottenbund, in: DFC, August 1890, 4. Jg., Nr. 8, S. 113. 44 Ebd., S. 114. 45 D.: Vermischtes, in: DFC, November, 1888, 1. Jg., Nr. 11, S. 138–141. 46 ANONYM: Vermischtes, in: DFC, Juni 1892. 6. Jg., Nr. 6, S. 89. 47 ANONYM: Vermischtes, in: DFC, August 1890, 4. Jg., Nr. 8, S. 106–107. 48 Archiv der Französischen Kirche zu Berlin: Protokollbuch II/28, S. 193. 49 DER VORSTAND: Deutscher Hugenotten- Verein, in: DFC, Feb. 1891, 5. Jg., Nr. 2, S. 25. 50 Vgl. zu Peter Lorenz: FUHRICH- GRUBERT, Ursula: Karl Manoury, in: Desel/ Mogk (Hg.): 100 Jahre Deutscher Hugenotten- Verein, 1990, S. 242–249. 51 ANONYM: Inhaltsverzeichnis: Die Französische Colonie, 16. Jahrgang, 1902. 52 LORENZ, Peter: An unsere Leser, in: DFC, Nov./ Dez. 1903, 17. Jg, Nr. 11/ 12, S. 79. 53 Ebd., S. 80. 54 LORENZ, Peter: Rückblick und Ausblick, in: DFC, Jan./ Febr. 1904, 18. Jg, Nr. 1/ 2, S. 1. 55 LORENZ, Peter: An unsere Leser, in: DFC, Januar/ April 1905, 19. Jg, Nr. 1/ 4, S. 2. 56 Zu den Vorgängen rund um die Renovierung der Französischen Friedrichstadtkirche vgl.: FUHRICH- GRUBERT, Ursula: Die Französische Kirche zu Berlin. Ihre Einrichtungen 1672–1945 (= Tagungsschriften des Deutschen Hugenotten- Vereins, Nr. 11), Bad Karls-hafen 1992, S. 57. 57 Gerade der spezifisch bürgerliche Lebensstil fand seinen Ausdruck in einer historisieren-den Architektur. Vgl.: DAVIET, Jean- Pierre: Die Gesellschaft und ihre Gruppen, in: Palmade, Guy (Hg.): Das bürgerliche Zeitalter (= Weltbild Weltgeschichte, Bd. 28), Augsburg 1998, S. 214–215. 124 Ursula-Marianne Mathieu und Ursula Fuhrich-Grubert (Hg.) Die Kolonie 1875– 1877, 1880– 1882 Die Französische Colonie 1887– 1906 Namensregister (Geschichtsblätter der DHG, Bd. 31) Bad Karlshafen 2000, 198 Seiten ISBN 3-93048-12-X, 14,90 Euro Ein Personenregister für genealogisch und historisch interessierte Forscher im Bereich der Geschichte der Hugenotten. (Vgl. hierzu den Aufsatz in dieser Ausgabe von HUGENOTTEN auf S. 113ff.) Verlag der Deutschen Hugenotten-Gesellschaft Hafenplatz Hafenplatz 9a 34385 Bad Karlshafen Fon 05672- 1433 Fax 05672- 925072 Raubmord an einem Hugenottennachkommen 1819 in Berlin von Wolfgang Krüger Um 1820 zählte die preußische Hauptstadt Berlin rund 200.000 Einwohner. Zahlreiche Bewohner besaßen hugenottische Vorfahren, die nach dem Edikt von Potsdam (1685) in die Stadt gekommen waren. Es konnte nicht ausbleiben, dass der eine oder andere Hugenottennachfahre das Opfer eines Gewaltverbrechens wurde. Am Morgen des 16. April 1819 fand man im zweiten Stock eines Wohn-hauses in der Behrenstraße einen betagten Mann auf dem Fußboden in seinem Blute liegend. Er war tot. Es handelte sich um den 68 Jahre alten allein lebenden Jean Jacques Noé, der einer Hugenottenfamilie ent-stammte und es als Knopf- und Kammplattenfabrikant zu bescheidenem 125 Wohlstand gebracht hatte. * An seiner Kehle sowie am rechten Arm und an der rechten Hand zeigten sich Schnittwunden. Die Stube bot ein Bild der Unordnung. Ein Stuhl lag zerbrochen, der Tisch war umgestürzt. Vermut-lich hatte sich Noé mit aller Kraft gegen seinen Mörder zur Wehr gesetzt. Die Tat musste am Abend zuvor begangen worden sein, denn der alte Mann trug bereits seinen Schlafpelz und das Bett war vorbereitet. Da ver-schiedene Gegenstände vermisst wurden, so ein silberner Leuchter, eine silberne und eine goldene Taschenuhr und auch 850 Taler in Staatspapie-ren, lag offensichtlich Raubmord vor. Erst eine Woche später setzten die Berliner Tageszeitungen durch eine „Obrigkeitliche Bekanntmachung" die Bewohner von der blutigen Tat in * Auch wenn Jean Jacques Noé nicht in den Kirchenbüchern der Französischen Kirche zu Berlin verzeichnet ist, ist der Name Noé als Berliner Hugenottenname belegt (vgl. R. Béringuier: Die Stammbäume der Mitglieder der Französischen Colonie in Berlin, Berlin 1887, S. 217). Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, 22. April 1819. 126 Kenntnis. Raubmorde waren in der Biedermeierzeit auch im bevölkerungs-reichen Berlin eine große Seltenheit, so dass die Tat eine erhebliche Aufre-gung verursachte. Die Polizei setzte alles daran, des Täters so rasch wie möglich habhaft zu werden. Schon am 23. April verhaftete sie den 55- jäh-rigen Goldarbeiter Johann Gottlieb Jacobi, Vater von sechs Kindern, der seinem Opfer gegenüberwohnte. Dieser legte ein Geständnis ab. Demnach befand sich Jacobi seit geraumer Zeit in Geldverlegenheit und hatte seinen Nachbarn Noé immer wieder um ein Darlehen gebeten. Der Kammmacher hatte ihn aber wegen des zweifelhaften Charakters Jacobis stets abgewie-sen. Daher suchte Letzterer am 15. April abends gegen 9 Uhr Noé erneut auf, mit dem Vorsatz, diesmal auch vor einem Mord nicht zurückzuschrec-ken. Er bat ihn um ein Darlehen von 60 Talern. Noé hatte sich bereits zur Nachtruhe vorbereitet, hörte den Bittsteller aber dennoch an. Es kam, weil Jacobi nochmals abgewiesen wurde, zu einem heftigen Wortwechsel. Noé, nichts Gutes ahnend, eilte zum Fenster, um die Nachbarn zu alarmieren. Doch hielt Jacobi ihn zurück, zog ein Barbiermesser und holte zum Stich aus. Trotz seines vorgerückten Alters setzte sich Noé zur Wehr, ergriff den Angreifer bei den Haaren und erlitt dabei Schnittwunden an der rechten Hand und am rechten Arm. Jacobi hielt den Greis nun mit der linken Hand fest und brachte ihm mit der anderen mehrere Schnitte am Halse und im Gesicht bei. Dann machte er sich daran, die Stube zu durchsuchen. Als er Schritte zu vernehmen glaubte, raffte er eiligst einen Leuchter, zwei Ta-schenuhren, 850 Taler in Staatspapieren und andere Gegenstände zusam-men und verließ die Wohnung, während sein Opfer verblutete. Ein anderer Goldarbeiter, dem er am nächsten Morgen den Leuchter verkaufte, schöpfte eine Woche später aufgrund der Bekanntmachung in der Presse Verdacht und führte die Polizei zu Jacobi als dem Täter. Im Gegensatz zu den sonst üblichen Mordprozessen in Preußen dauerte das Verfahren nur wenige Wochen. Der Kriminalsenat des Kammerge-richts als das für die Residenzstadt zuständige Gericht fällte nach Einsicht-nahme in die Untersuchungsakten, ohne den Angeklagten zu Gesicht be-kommen zu haben, das für Raubmord einzig zulässige Urteil: Tod durch das Rad von unten auf. König Friedrich Wilhelm III. bestätigte das Urteil; der Vollstreckung stand nichts mehr im Wege. Diese erfolgte am Morgen des 23. Juli 1819 in aller Öffentlichkeit. An der üblichen Richtstätte vor dem Oranienburger Tor, in der Gegend des heuti-gen Wedding, war der "Rabenstein", das aufgemauerte Fundament zum Rädern und Enthaupten, vorbereitet worden. Auf einem Leiterwagen fuhr man den Delinquenten zu seinem Sterbeort. Auf der Plattform angekom-men, entledigte sich Jacobi seines Hutes und seines Oberrockes, nahm ohne sichtliche Erregung von der 25.000 Köpfe zählenden Zuschauer-menge Abschied, verrichtete mit dem Geistlichen ein letztes Gebet und ließ 127 sich dann bereitwillig auf den Boden legen. Die ausgestreckten Arme und Beine wurden in der Form eines Andreaskreuzes an Pflöcke gefesselt. Eine Schnur wurde ihm um den Hals geschlungen, deren Enden ein sich im Innenraum des Rabensteines aufhaltender Knecht hielt. Dieser zog auf Zuruf des Scharfrichters mit aller Kraft zu und erdrosselte den Todgeweih-ten. (Diese Gnade wurde seit 1749 allen in Preußen zum Rad Verurteilten gewährt.) Dann hob der Scharfrichter das schwere, eisenbeschlagene Wa-genrad und brachte es mit großer Wucht auf die Gliedmaße des Mörders nieder, ihm dadurch, von unten beginnend, erst die Beine, dann die Arme und zuletzt den Brustkorb zerschmetternd. Weithin waren die Schläge zu hören. Nicht wenige Zuschauer fielen angesichts des unerfreulichen Schauspiels in Ohnmacht. Der Gerichtete wurde sofort an der Richtstätte verscharrt. Die Bluttat an einem angesehenen Bürger hugenottischer Ab-stammung war gesühnt. Und die Vollstreckung hatte auf die Menge einen nachhaltigen Eindruck gemacht. Waren doch selbst in der Metropole Berlin Hinrichtungen äußerst selten geworden. Quellen: Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, 24. Juli 1819; Magdebur-gische Zeitung, 27. April 1819 u. 27. Juli 1819; Aufzeichnungen aus dem privaten Kriminal-archiv des Verfassers. Sonderspendenaktion 2001 Liebe Mitglieder und Freunde der Deutschen Hugenotten-Gesellschaft, in in diesem Jahr stehen zahlreiche Großprojekte an, die sich durch die normalen Mitgliedsbeiträge nur schwer realisieren lassen. 1. 42. Deutscher Hugenottentag in Neu-Isenburg vom 19. bis 21. Oktober mit Tagungsschrift. 2. Einrichtung einer professionellen Homepage für die Deutsche Hugenotten-Gesellschaft (www. hugenotten. de). 3. Ausstellung mit umfangreichem Katalog anlässlich des 200. Todestages des hugenottischen Zeichners und Kupferstechers Daniel Chodowiecki. 4. Teilnahme am Hugenottenfest in Bad Karlshafen, am Deutschen Genea-logentag in Potsdam sowie an der Frankfurter Buchmesse. Daher bitte ich Sie ganz herzlich um eine freiwillige Sonderspende. Ihr Andreas Flick, Präsident Spendenkonto: Deutsche Hugenotten-Gesellschaft e. V. Bad Karlshafen. Kasseler Sparkasse, BLZ: 520 503 53, Kontonummer: 118 060 521 Stichwort: Sonderspende 2001 128 Neue Bücher und Aufsätze Die meisten Titel sind in der Bibliothek in Bad Karlshafen vorhanden bzw. werden angeschafft. Nicht aufgenommen wurden – von Ausnahmen abgesehen – Aufsätze aus genuin hugenottischen Zeitschriften. Bitte teilen Sie alle Neuerscheinungen (Bücher u. Aufsätze) dem Schriftleiter von HUGENOTTEN mit. Michel Adam: L’euchariste chez les penseurs français du dix-septième siècle, siècle, (Europaea Memoria. Reihe I; 12), Hildesheim – Zürich – New York 2000. Antoine Barby: Compléments a l’étude de Benoit Delvinquier et Edmont Derreimaux sur l’installation des huguenots fran-çais en Afrique du Sud, parue dans «Nord Genealogie» Numero 167, in: Nord Généalogie No. 170, H. 3, 2001, S. 222– 225. Katia Béguin: Les Princes de Condé. Rebelles, Courtisans et Mécènes dans la France du Grand Siècle, Paris 1999. Roland Berbig: Theodor Fontane im literarischen Leben. Zeitungen und Zeitschriften, Verlage und Vereine, (Schriften der Theodor Fontane Gesellschaft; 3), Berlin – New York 2000. Reinhard Bodenstein: Wolfgang Musculus (1497– 1563). Destin d’un autodidacte lorrain au siècle des Réformes. Etude basée sur la biographie établie par son fils, la correspondance personnelle et de nombreux autres documents d’époque, (Travaux d’Humanisme et Renaissance; 343), Genève 2000. Manfred Böttcher : Der ostpreußische Pfarrer und Schiffsforscher Siegfried For-naçon – sein Leben, sein Werk, seine Vorfahren und Anverwandten, in: Alt-preußische Geschlechterkunde 30, 2000, S. 1– 50. Aimé Bonifas / Horsta Krum: Les Huguenots à Berlin et en Brandebourg de Louis XIV à Hitler, Paris 2000. Émile Michel Braekman: Le Protestantisme Belge au 17 e siècle. Belgique – Nord de la France – Refuge, Carrières-sous-Poissy 2001. Thomas Brennan: Town and country in France, 1550– 1700, in: Town and country in Europe, 1300– 1800. Ed. by S. R. Epstein, Cambridge u. a. 1991, S. 250– 271. 129 Eberhard Busch: Das trinitarische Bekenntnis im Genfer Gottesdienst, in: Jobst Reller / Martin Tamcke (Hg.): Trinitäts- und Christusdogma. Ihre Bedeutung für Beten und Handeln der Kirche. Festschrift für Jouko Martikainen, Münster– Hamburg– London 2001, S. 195– 209. P. Apollinary Doubinine: „Nos coeurs te chantent“ (F.P.F.1979). L’hymnologie du pasteur Henri Capieu (1909– 1993). La poésie au service de la liturgie, ou „Ecri-ture – Tradition – Création“, in: L’Hymnographie. Conférences Saint-Serge XLVIe semaine d’études liturgies Paris 29 juin – 2 juillet 1999, ed. par A. M. Triacca et A. Pistoia, Roma 2000, S. 121– 134. Francine Ducluzeau u. a. (Ed.): Histoire des protestants charentais (Aunis, Sain-tonge, Angoumois), Le Poiré-sur-Vie (Vendée) 2001. Dominique Guillemenot Ehrmantraut: L’Eglise réformée de langue française de Mannheim: 1652 à 1689, Thèse theol. Strasbourg 2000. Hubertus Fischer: „Riesling“ und „Scheunenprediger“. Versuch über Familienähn-lichkeiten in Theodor Fontanes „Storch von Adebar“, in: Jahrbuch für branden-burgische Geschichte 51, 2000, S. 156– 185. Wolfgang G. Fischer: Zum Lebensweg des Theologen H. Roux aus Karlshafen, in: Hessische Heimatkunde 25, H. 1, 2001, S. 291. Erich Foerster: Das Evangelium. Predigten aus den Kriegsjahren 1941 bis 1944 von Pfarrer D. Erich Foerster, seinerzeit gehalten in der französisch-reformierten Gemeinde Gemeinde zu Frankfurt am Main. Hg. v. Erich Schulz-Du Bois, Preetz 2000. Frankenhain. Die junge Geschichte eines nordhessischen Hugenottendorfes, hg. vom Festausschuss der Stadt Schwalm-stadt, Schwalmstadt 2001. Ursula Fuhrich-Grubert / Jochen Desel (Hg.): Daniel Chodowiecki (1726– 1801). Ein hugenottischer Künstler und Menschenfreund in Berlin, (Geschichtsblätter der DHG, Bd. 34) , Bad Karlshafen 2001. Christian Grawe / Helmuth Nürnberger (Hg.): Fontane-Handbuch, Stuttgart 2000. Robin Gwyn: Huguenot Heritage. The history and contribution of the Huguenots in Britain, second revised edition, Brighton– Portland 2001 Karl Eduard Haas: Reformierte Theologie in Erlangen. Neu herausgegeben, bear-beitet und ergänzt von Mathias Freudenberg, Nürnberg 2000. 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Aspects de l’historiographie huguenote des guerres de religion à la Révolution française, (Vie des Huguenots; 11), Paris 2000. Neuerscheinung 2001 Ursula Fuhrich-Grubert und und Jochen Desel (Hg.) Daniel Chodowiecki (1726– 1801). Ein hugenottischer Künstler und Menschenfreund in Berlin (Geschichtsblätter der DHG, Bd. 34) 394 S., Bad Karlshafen 2001 ISBN 3-930481-14-6, 19,80 Euro Das Begleitbuch zur Ausstellung, die in Danzig, Bad Karlshafen, Berlin und Emden gezeigt wird, enthält neben dem Ausstellungskatalog auch Aufsätze, die sich mit dem Leben und Werk des Künstlers beschäftigen. Die Ausstellung wird noch bis zum 4. November 2001 im Museum Mitte von Berlin und vom 17. Dezember bis zum 2. Januar 2002 in der Johannes a Lasco Bibliothek Emden gezeigt. Für die Geschichtsblätter gilt eine Preisermäßigung von 10% für Mitglieder der Deutschen Hugenotten- Gesellschaft. Abonnenten der Geschichtsblätter erhalten 25% Rabatt. Verlag der Deutschen Hugenotten-Gesellschaft e.V. Hafenplatz 9a ? 34385 Bad Karlshafen Fon 05672-1433 ? Fax 05672-925072 133 Buchvorstellung Andreas Flick und Albert de Lange (Hg.): Von Berlin bis Konstantinopel. Eine Aufsatzsammlung zur Geschichte der Hugenotten und Waldenser (Geschichtsblätter der Deutschen Hugenotten- Gesellschaft, Bd. 35), Bad Karlshafen 2001 (Oktober) ISBN 3- 930481- 15- 4, ca. 200 S. m. Abbildungen, 16 Euro. „Von Berlin bis Konstantinopel“ – ein gewiss ungewöhnlicher Titel für eine Aufsatzsammlung zur Geschichte der Hugenotten und Waldenser. Die Idee hierzu kam den Herausgebern, als alle sie-ben Beiträge für diese Publikation vorlagen. In drei Aufsätzen be-gegnet man der Stadt Berlin und in zweien der Hauptstadt des Osmanischen Reiches, Konstantinopel. Diese beiden Orte stehen stellver-tretend für die geographische Weite der vorliegenden Aufsätze und zeigen zugleich, wie weit das Netzwerk der „calvinistischen Internationale“ in der Neuzeit gespannt war. Es lebte von dem gegenseitigen Austausch von Daten und Personen, von kulturellen, kirchlichen, wirtschaftlichen, politi-schen und literarischen Beziehungen, von selbstloser Solidarität, aber auch von politischem Opportunismus. Eckart Birnstiel fragt in seinem Beitrag, ob die Aufnahme hugenottischer Glaubensflüchtlinge in Brandenburg- Preußen ein Akt der Toleranz war. Er kommt zu der Folgerung, dass es sich eher um eine Akt Priviligierung han-dele. Die Hugenotten wurden nicht als Fremde mit minderem Status „tole-riert“, sondern vielmehr als Träger einer beispielhaften Kultur und Religion, welche die Einheimischen übernehmen sollten. Jürgen Eschmanns Aufsatz „Die Sprache der Hugenotten in der alten und der neuen Heimat“ ist die überarbeitete Fassung eines Vortrags, den der Erlanger Romanist 1999 auf dem 41. Deutschen Hugenottentag in Offen-bach gehalten hatte. Die Sprache der Glaubensflüchtlinge in Deutschland ist bisher nur selten untersucht worden, fast immer standen historische oder theologische Aspekte bei der Auswertung der Quellen im Vordergrund 134 der Forschung. Eschmann zeigt, welche wichtige Rolle gerade das Stan-dardfranzösisch bei den reformierten Immigranten gespielt hat. In seinem Beitrag „Die dubiose Affäre Laurent de Saumery“ folgt Andreas Flick den Spuren eines betrügerischen Pfarramtsbewerbers quer durch Europa: London, Dublin, Konstantinopel, Wesel, Emmerich, Den Haag, Berlin und Celle sind unter anderem Orte der Handlung. Aus dem Aufsatz geht hervor, wie eng auch noch im 18. Jahrhundert die französisch- refor-mierten Gemeinden Europas miteinander verknüpft waren. Ursula Fuhrich- Grubert, die in ihrem Aufsatz „Der Kirchenkampf und die Berliner französisch- reformierte Gemeinde“ das kirchenpolitische Verhalten dieser traditionsreichen Hugenottengemeinde in der Zeit des Dritten Rei-ches untersucht, belegt, dass das Thema Hugenotten zeitlich keineswegs auf das 16. bis 18. Jahrhundert zu beschränken ist. Auch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war in Berlin noch ein hugenottisches Selbst-verständnis lebendig, das allerdings keine einheitliche Reaktion auf die kirchenpolitischen Herausforderungen des Dritten Reiches zur Folge hatte. Albert de Langes Beitrag ist biographischer Natur. Er behandelt das Leben und Werk des Pfarrers Antoine Léger (1596– 1661) aus den Waldensertä-lern in Piemont, der acht Jahre in Konstantinopel arbeitete und später Pro-fessor in Genf wurde. Léger war ein lebendiges Beispiel für den internatio-nalen Charakter des Calvinismus im 17. Jahrhundert. Dieser Beitrag wirft auf Grund von Archivstudien sowohl ein neues Licht auf das Verhältnis von Léger zu seinem Freund, dem Ökumenischen Patriarchen von Konstan-tinopel Kyrillos Lukaris, als auch auf sein Engagement für die verfolgten Waldenser. Dem Beitrag von Ilja Mieck „Das Edikt von Nantes und das Problem der Toleranz in Europa“ liegt der Hauptvortrag des 40. Deutschen Hugenot-tentages zugrunde, der 1998 in Dresden stattfand. Der Verfasser weist darin dem Edikt aus dem Jahre 1598 einen herausragenden Platz in der Geschichte der europäischen Toleranzbewegung zu. In dem letzten Beitrag dieses Buches stellt András Szabó das Leben und Werk des in Deutschland weithin unbekannten ungarischen reformierten Gelehrten Albert Molnár (1574– 1634) vor, der u. a. den Hugenottenpsalter in die ungarische Sprache übersetzt hat. Dieser erste Aufsatzband in der traditionsreichen Reihe der „Geschichts-blätter“ entstand in Kooperation der Deutschen Hugenotten- Gesellschaft, der Deutschen Waldenservereinigung und der Johannes a Lasco Bibliothek Emden – nicht zufälligerweise drei Institutionen, deren Geschichte eng mit der Aufnahme von reformierten Glaubensflüchtlingen in Deutschland ver-bunden ist. Er erscheint als Tagungsschrift anlässlich des 42. Deutschen Hugenottentages in Neu- Isenburg. (Aus dem Vorwort) 135 Hugenottische Forschungsstätten in Deutschland (8) Ev.-reformierteGemeinde Neu-Isenburg von von Matthias Loesch Die Neu- Isenburger Archivbestände gliedern sich in zwei Teile: 1.) Der kirchliche Bestand 2.) Der städtische Bestand, wobei kirchlicherseits alles zur Hugenotten-geschichte Wesentliche im Archiv der Evangelisch- reformierten Gemeinde Am Marktplatz zu finden ist und städtischerseits unterschieden werden muss zwischen dem Stadtarchiv, dem Heimatmuseum „Haus zum Löwen" und seinem Fundus sowie dem Rathaus der Stadt Neu- Isenburg und den dortigen Beständen. Evangelisch-reformierte Kirche Neu-Isenburg (Turm verdeckt). 1.) Das Archiv der Evangelisch- reformierten Gemeinde am Marktplatz Das Archiv der Evangelisch- reformierten Gemeinde Am Marktplatz wird in hugenottischen und waldensischen Forschungsfragen häufig frequentiert, mehr allerdings noch in Folge genealogischer Anfragen, die aus der gan-zen Welt immer wieder bei uns eingehen. 136 Der Grund liegt darin, dass die „Kirchenbücher" seit der Gründung Neu-Isenburgs 1699, zumindest bis zum 20. Jahrhundert, vollständig erhalten sind. Kirchenmatrikel, Tauf-, Trau- und Bestattungsregister sowie, soweit es gemeindlicher Praxis entsprach, Konfirmationsregister sind sämtlich vor-handen und dank konservatorischer Maßnahmen in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts auch in relativ gutem Zustand. Bis Mitte der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (1829) sind die Eintra-gungen in französischer Sprache erfolgt. Erst im 20. Jahrhundert weist der Bestand der „Kirchenbücher" Lücken auf. Die wenigen Fehlbestände las-sen sich wohl aus sehr verschiedenen Ursachen erklären, die hier nicht weiter darzulegen sind. Von besonderem Wert für die Forschung sind darüber hinaus einzelne er-haltene Bücher, die in dieser Weise im deutschen Refuge zumindest selten anzutreffen sind oder gar in Einzelfällen als einmalig bezeichnet werden können. Es sind dies z. B. die so genannten „Consistorienbücher" der Französisch- reformierten Gemeinde, von denen bereits eines durch Über-setzung der interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist, das so genannte „Gerichtsbuch" der Ortsjustiz Neu- Isenburg, das Grund-kataster aus der Anfangsphase der Französischen Colonie, die Schulden- und Hypothekenverzeichnisse der Französisch- reformierten Gemeinde und anderes mehr. Daneben enthält das Archiv aus dem ersten Jahrhundert der Gemeinde Briefe und Korrespondenzen im Wesentlichen mit anderen hugenottischen oder waldensischen Colonien, Kollektenpatente bzw. Kollektenbriefe für Kollektenreisen, Dokumente und Unterlagen zur Praxis der Kirchenzucht, Entwürfe und frühe Abschriften der Französischen Colonie zugesproche-nen Privilegien und anderer obrigkeitlicher Erlasse. Aus der Erwähnung verschiedener heute nicht mehr vorhandener Dokumente in der älteren Literatur zur Stadtgeschichte müssen wir schließen, dass im 20. Jahrhun-dert manches dabei verloren gegangen und wohl unwiederbringlich dahin ist. Nachfolgend die wichtigsten Dokumente aus der Frühzeit der Gemeinde in Auswahl als Obersicht: 1) „Livre del L'Eglise d'Ysembourg contenant le Régistre Des Biens ou Prés-fonds, et des autres dettes, duës au Fonds de l’Eglise Reformée Françoise du dit lieu qui contnent 277. pages, toutes Numerottées, Proverbes XX. me IX.25. C’est un piège à l’homme, d’engloutir la chose sainte, et de chercher à s’emparer des choses voluées au service Divin. L’année 1742“ Verzeichnis der Schulden und Hypotheken der Gemeindeglieder gegenüber der Kirchengemeinde, Pacht und Zinsen, 22. Februar 1743– 1749. 137 2) „Tauf-, Trau, Sterbe- 1744– 1819“ „Livre des l’Eglises Francoises d’Ysembourg. Contenant. Les Régistres des Baptestaires, Mariages, et Mortuaires. Commencé l’an 1755. sous le Ministére du S. r Adam Maader“ Kirchenbücher der Gemeinde, Tauf-, Heirats- und Sterberegister, 1755– 1918. 3) „Livre Contenant le REGISTRE des Biens ou Prés fonds, Capitaux et Inte-rets [ou] autres dettes duës au FONDS de l’Eglise Reformée francoise d’Isenbourg Commencé le 11 Novembre 1760 par Daniel Lepper Pasteur“ Schulden- und Hypothekenverzeichnis der französisch-reformierten Gemeinde, wie unter 1. Abzahlungen von Zins und Kapital pro Jahr, je Schuldner 1 Seite, 1760– 1804/ 1810. 4) „Livre de l’Eglise Francoise de Neu Isembourg. Commencé sous le Ministere de Monsieur Plan appelé pr. Etre Pasteur de cette Eglise le 3 eme Férvrier de l’an 1744. Continué sou le Ministere d’Adam Mader appellé pr. etre le Pasteur de cette Colonie le 30 eme [...] 1799.“ Beratungen und Beschlüsse des Konsistoriums, Gelderverwaltung, Ältestenbestal-lung, Kirchenzuchtkonflikte, 1744– 1871. 5) „Kirchenbuch I 1700– 1730" „Livre du Consistoire d’Isembourg contenant 1. les mariages depuis la page premiere jusqu’à la page 95 2. les Baptisteres depuis le page 95 jusqu’à la page 190 3. les mortuaires depuis la page 190 jusqu’à la derniere du present livre“ „Memoire por nos Successeurs“ Text über erste Kasualhandlungen in Neu-Isenburg; auf der Rückseite Pfarrerver-zeichnis der Gemeinde. Tauf-, Heirats- und Sterberegister, großenteils sehr aus-führlich mit Kurzvita, Todesursache u. ä., 1700– 1730. 6) „2. Volume“ „Protocolle de La Justice de La Communauté D’Isembourg Commencé Le 13 du Mois D’aout de L’année 1727 contenant 273 feuillets par Pierre Arnoul Greffier de La Justice et Communauté“ Gerichtsprotokolle der vom Grafen eingerichteten Ortsjustiz Neu-Isenburg, einge-reichte Klagen und Verhandlungsprotokolle, Urteile und Kostenentscheidungen vor allem zu den verschiedensten Fragen heutiger Zivilgerichtsbarkeit (Schulden, Miet-streitigkeiten, Arbeitsrecht, Verleumdung, aber auch Bestechung, Waldfrevel, Stö-rung der öffentlichen Ordnung etc.), 1727– 1733. 7) „Grundkataster von Neu=Isenburg 1704/16 = 1809/11.“ Kopie des verschollenen Originals von 1809 siehe oben, trotz nachträglichen Titels in französischer Sprache; nummeriert, Beschreibung und Eigentümer der Parzellen des alten Ortskerns, Wiesen und Äcker. 138 8) „Livre de L’Eglise D’Isembourg Contenant le Registre Des Biens ou Prés-fonds, et des autres dettes, duës au Fonds de L’Eglise Reformée Françoise du dit Lieu contient 370. Pages, toutes Numerottées. Proverbes XX. me IX.25.C’est un Piége à L’homme, d’Engloutir la chose sainte, et de chercher à s’emparer des choses vouées au Service Divin Commencé Lannée 1743.“ Verzeichnis der Schulden, Hypotheken und Zinszahlungen, hinten mit Index (Schuldner/ Seite), 22. Februar 1743– 1759. 9) „Totenbuch III 1730– 42“ „Livre du Consistoire de L’Eglise d’Sembourg ou second Volume du Mortuaire con-tenant la suite[...]“ Totenregister, sehr ausführlich, 1730– 1742. 10) „Diarium 1706– 1737“ (Titel und Zeitangabe fehlerhaft, nicht original!) Konsistorienbuch der französisch-reformierten Gemeinde; äußerst detaillierte Pro-tokollierung der Konsistorienarbeit, Gelderverwaltung, Abendmahl, Konfirmanden, Außenverhältnisse, zahlreiche umfangreiche Berichte über Verstöße gegen die Kirchenzucht, 1706– 1754; davon kontinuierliche Berichterstattung 1706 bis 1729, hinten Ältestenbuch von 1722 bis 1731. 11) „Kirchenbuch Taufen 1716– 1745“ „Livre du Consistoire d’Ysembourg ou second Régistre contenant La suite, des Enfans qui sont nés, ou qui ont été bâtizés dans L’Eglise du dit lieu, depuis le sisiéme Mars de l’année mille sêt Cents et seize; commencé sous le Ministére d’Abraham de Champ-Renaud, pasteur pour lors d’Ysembourg, Saint Luc Chapitre X me IX.20, Cependant ne vous éjouïsses point (tant) de ce que les esprits vous sont assujettis, mais éjouïsses vous plutôt de ce que vos Noms sont ecris dans les cieux; Dieu dône à tous les Enfans qui seront marqués dans ce livre et à nous tous ce nouveau Nom d’Enfans de Dieu qu’il promêt à ceuxqui vaincront, et nous fasse jouïr les uns et les autres à jemais dans les Cieux des avantages qui y sont attachés, Amen.“ 1716– 1755 (ab 1745 nicht durchgehend). Aus dem sonstigen Bestand sind die Pfarrchroniken (wiederum Lücken im 20. Jahrhundert) zu erwähnen sowie die durchaus kuriose Besonderheit mehrerer „Kirchenbücher“ der Unierten Gemeinde Neu- Isenburg, die auf landesherrliches Geheiß im Sinne der allgemeinen kirchenpolitischen Be-strebungen des 19. Jahrhunderts 1852 ins Leben gerufen wurde, aber durch den Widerstand der Französisch- reformierten Gemeinde nur bis 1872 existierte. 139 Auch das Original des „lsenburger Fußes", mit dem 1699 der Grundriss der Französischen Colonie sowie ihre Grundstücke vermessen wurden und der lange Zeit hinweg gültiges Maß vor Ort blieb, befindet sich im Archiv der Gemeinde. Außerdem sowohl Siegel, Münzen und Medaillen als auch Bilder und Ansichten der Colonie sowie der Kirche, ein Fotoarchiv und Lite-ratur über die hugenottische und waldensische Geschichte, in Sonderheit auch zur Lokalhistorie nebst Festschriften und Ähnlichem. Aus den Anfän-gen der Gemeinde und Colonie bewahrt das Gemeindearchiv auch die erste Kollektendose, die erste Taufkanne und Taufschale sowie die Brot-schale und die Weinkanne für das Heilige Abendmahl. Sie alle sind noch heute im gottesdienstlichen Gebrauch. Besondere Erwähnung verdient die historische Brandkiste, in der Pasteur Abraham de Champ Renaud beim Brand des Pfarrhauses im Mai 1741 die ersten und somit ältesten „Kir-chenbücher" der Gemeinde gerettet hat (siehe Titelbild dieser Ausgabe von HUGENOTTEN). Ansonsten umfasst das Archiv natürlich Akten, Rech-nungsbücher und dergleichen bis zum heutigen Tag, soweit sie für das Bauwesen, die Diakonie oder den Aufbau der Gemeinde von Bedeutung sind. Derzeit ist nach dem plötzlichen Tod unseres verdienstvollen Archivars Karl Passet, der jahrzehntelang die „Schätze" treu hütete und geduldig allen Anfragen nachging und sie beantwortete, ein Archivarbeitskreis dabei, die Bestände neu zu ordnen. Hier zeigt sich, dass etliche Restaurierungsmaß-nahmen anstehen und dass nach neuen und besseren Örtlichkeiten für die Aufbewahrung des Archivs gesucht werden muss, ja, dass auch hier und da eine Ergänzung des Bestandes, soweit möglich, durch Zukauf sinnvoll sein könnte. Anschrift: Gemeindehaus der Evangelisch- reformierten Gemeinde Am Marktplatz, Marktplatz 8, 63263 Neu- Isenburg, Tel.:06102/326220,Fax: 06102/38505.Öffnungszeiten: Mo– Mi u. Fr 8– 12h; Do 12– 16.30h und nach Vereinbarung. Anhang: Weitere Forschungsstätten zu Neu- Isenburg a) Stadtarchiv, Beethovenstraße 55, 63263 Neu- Isenburg, Tel. 06102- 249-911, E- mail: Claudia.lack@stadt-neu- isenburg.de,Öffnungszeiten Di 13– 19h; Fr 10– 19h. b) das Heimatmuseum „Haus zum Löwen“ (vgl. den folgenden Artikel). c) Rathaus der Stadt Neu- Isenburg: Dort werden im Tresor einige für die Historie der Stadt bedeutsame Dokumente und Gegenstände aufbewahrt: an erster Stelle natürlich das Original der Gründungsurkunde Neu- Isen-burgs, daneben eine Sammlung Zeichnungen über den historischen „Alten Ort" aus Beständen des Archivs Birstein, die Stadterhebungs- Urkunde aus dem 19. Jahrhundert, die Verschwisterungs- Urkunden der Stadt, die 140 Amtskette des Bürgermeisters, die Unterlagen zum Isenburger Stadtwap-pen, das in besonders eindrucksvoller Weise den Bezug zur Geschichte dokumentiert, und einiges andere mehr. Anschrift: Rathaus der Stadt Neu- Isenburg, Hugenottenallee 53, 63263 Neu- Isenburg, Tel.: 06102/ 241- 0 / Fax: 06102/241- 241, Öffnungszeiten: Zu den üblichen angegebenen Sprechstunden. c) Fürst von Isenburgisches Archiv in Birstein, c/o Dr. Klaus- Peter Decker, Schloßplatz 2, 63654 Büdingen, Tel.: 06042- 889205 (Anmeldung erforder-lich). Haus zum Löwen – Stadtmuseum Neu-Isenburg von von Wolfgang Kuhn Das Museum im Haus zum Löwen besteht in seiner jetzigen Präsentation seit dem Umbau in den Jahren 1975– 1976. Die Eröffnung war am 1. Juni 1978. Im Erdgeschoss in Raum 1 beginnend wird die Hugenottenge-schichte gezeigt, neben alten Hugenottenbüchern und Drucken aus dem 17. Jahrhundert ist ein Türstein von 1718 mit französischer Inschrift aus einem Haus in der Luftgasse zu sehen. Ein Strumpfwirkstuhl aus dem Jahr 1815 dokumentiert den Haupterwerbszweig der Gründer unserer Stadt, die Strumpfwirkerei. Original- Kupferstichtafeln aus dem Diderot- Almanach von 1753 ergänzen dieses Thema. Der Raum 2 beginnt mit der Gründung der Gemeinde im Jahr 1699, als Graf Johann Philipp von Ysenburg- Büdingen die französischen Glaubens-flüchtlinge hier aufnahm und ihnen eine neue Heimat gab. Auf Zeittafeln wird die Geschichte der Stadt bis zum Jahr 1999, dem 300. Jahrestag der Gründung, dargestellt. In der Raummitte steht ein Stadtmodell des alten Ortes mit den sternförmig zum Marktplatz verlaufenden Gassen, deren Form noch heute erhalten ist. In Vitrinen wird der Erhebung zur Stadt im Jahr 1894 gedacht, auch ein Replik des „Isenburger Fuß", der Maßeinheit mit der die Grundstücke der ersten Siedler vermessen wurden, ist zu sehen. Erinnert wird auch an Ge-bäude wie die erste französische und die erste deutsche Schule, die Marktplatzkirche, das erste Rathaus der Hugenotten, das auf dem Markt-platz stand, ist ebenfalls im Modell zu sehen. Eine Vitrine zeigt das Gebrauchsgeschirr der Neu- Isenburger, es ist aus verschiedenen Materialien wie Irdenware, Steinzeug oder Zinn. 141 Das Festtagskleid der Sophie Leichum aus dem Jahr 1893 sowie weitere Damenbekleidung aus dieser Zeit sind zu sehen. Das älteste Möbel des Museums ist ein Wäscheschrank, datiert 1801 aus dem Besitz der Hugenottenfamilie Drouin. Im ersten Obergeschoss des Hauses ist seit 1988 die Abteilung 2 des Mu-seums. Das Thema lautet hier „Arbeiten, Wohnen, Leben in Neu- Isen-burg". So werden dort verschiedene Berufe gezeigt, die typisch für unsere Stadt waren; den Hasenhaarschneider, die den Grundstoff für die Hutfilzherstel-lung bearbeiteten, der Hutmacher verarbeitete diesen Hutstoff, unter Dampfeinwirkung wurde er über eine hölzerne Hutform gezogen und nahm so die jeweilige Form an. Der Beruf des Portefeuillers oder Feintäschners war ab dem 19. Jahrhun-dert ein hier verbreitetes Gewerbe, es lebte überwiegend von Aufträgen aus der Lederstadt Offenbach. Eine Schreinerei soll an die zahlreichen kleinen Handwerksbetriebe und an die ansässigen Möbelfabriken erinnern. Im weiteren Rundgang wird der Beruf der Wäscherin dargestellt. So waren in Neu- Isenburg im Jahr 1900 über 100 Wäschereien tätig. Meist wurde für reiche Bürger der Stadt Frankfurt gewaschen. Im Jahr 1897 gab es in un-serer Stadt den Streik der Wäscherinnen. Die Neu- Isenburger Heimatzeitung mit der Druckerei Koch kann man in dieser Abteilung sehen und auch noch selbst benutzen. Diese kleine Dru- 142 ckerei mit Setzkasten, und Handandruckpresse ist noch voll funktionsfähig. In der Zusammenarbeit mit der Volkshochschule Neu- Isenburg werden Wochenendkurse in Kaltnadelradierung durchgeführt. Das Wohnen wird in Form einer Wohnstube des ausgehenden 19. Jahr-hunderts gezeigt. Es hat den Titel „Ein Traum vom Wohnen", denn für die meisten Bürger unserer Stadt war diese Ausstattung tatsächlich nur ein Traum. Eine Küche aus der Zeit um 1910– 1920 soll uns wieder in die Wirklichkeit zurückholen und zeigen, wie schwer es damals eine Hausfrau im Alltag hatte. Ergänzt wird die Küche durch eine Vitrine mit Lebensmitteln, ver-schiedener Art aus früherer Zeit. Auch die Frankfurter Würstchen, eine weltbekannte Spezialität, werden seit 1860 hier in unserer Stadt hergestellt. Eine Urkunde von der Weltausstel-lung 1893 in Chicago erinnert an die Wurstfabrik Luft. Eine benutzbare Apfelweinwirtschaft, wie sie typisch für Neu- Isenburg war, wird zusammen mit Bembeln, Gläsern und Reklameschildern hier im Mu-seum präsentiert. Früher kamen viele Frankfurter Bürger mit der Waldbahn nach Neu- Isenburg zum Apfelwein. Unsere Stadt hatte damals die Be-zeichnung „Die Stadt im Walde". Das Programm des Museums umfasst Führungen von Schulklassen, die Schulprojektwoche, in diesem Jahr wird erstmalig ein Museumsführer für Schüler herausgegeben und es wird ein Projekt mit Schülern geben, das von einer Museumspädagogin betreut und durchgeführt wird. Wechsel-ausstellungen zu verschiedenen Themen und der Weihnachtsmarkt im Museum ergänzen das Programm. Adresse: Löwengasse 23 in 63263 Neu-Isenburg; Öffnungszeiten: Do./Fr.15– 19h, Sa. 14– 18h (1. Sa. im Monat geschlossen); Sonderöffnungszeiten nach Vereinbarung (Tel. 06102-33251).Im Museum kann man, ebenso wie bei der Stadtverwaltung, die im Augenblick erhältliche Literatur zur Ortsgeschichte erwerben. www.Hugenottenim Internet (5) 1. www. ueloyal.bene-net.de Die Homepage zur Hugenottenfamilie Loyal. 2. www. franzoesische-kirche.de Homepage der Französischen Kirche zu Berlin (Hugenottenkirche). 3. www. protestanet. be Homepage der Vereinigten Protestantischen Kirche in Belgien. 143 Das 2. Hugenottenfest in Bad Karlshafen lockte tausende Besucher Mehrere tausend Besucher zählte im Juli 2001 das Hugenottenfest in Bad Karlshafen, bei dem u. a. der „Landgraf Carl nebst Gefolge“ zahlreiche Stadtführungen auf den Spuren der französischen Glaubensflüchtlinge durchführte (s. o.). Drei Tage lang wurde ein abwechslungsreiches kulturelles, musikalisches und kulinarisches Programm geboten. Sehr gut angenommen wurden auch die Angebote im Deutschen Hugenotten-Zentrum, wo eine Ausstellung über den hugenottischen Künstler Daniel Chodowiecki sowie ein Tag der offenen Tür im Museum und in den Geschäftsräumen der Deutschen Hugenotten-Gesellschaft lockten. lockten. Weitere Informationen zum Hugenottenfest siehe unter www.hugenottenfest.de. 144 Deutsche Hugenotten-Gesellschaft e.V.,Hafenplatz 9a, 34385 Bad Karlshafen PVST, Deutsche Post AG, Entgelt bezahlt, H 21546 Haben Sie sich schon angemeldet? 19. bis 21. Oktober 2001 Hugenottentag in Neu- Isenburg Liebe Mitglieder und Freunde der Deutschen Hugenotten- Gesellschaft, ich möchte Sie ganz herzlich zum 42. Deutschen Hugenottentag einladen. Neben der Chance des gegenseitigen Kennenlernens bietet dieses Treffen auch ein interessantes und facettenreiches Programm, u. a.: • Stadtrundgang auf den Spuren der Hugenotten in Neu- Isenburg • Vortrag von Frau Prof. Dr. Dölemeyer: Der Friede von Rijswijk 1697 und seine Bedeutung für die Hugenotten • Genealogische und historische Arbeitsgruppen • Der Hugenottenpsalter (musikalisches Programm mit Dr. Rauhaus) • Rundgespräch über die aktuelle Bedeutung der reformierten Theologie • Geselliger Abend im Gemeindehaus der Ev. -reformierten Gemeinde. • Festgottesdienst (Predigt Pastor Dusse, Frankfurt), u. v. m. Das genaue Programm erhalten Sie bei der Geschäftsstelle der Deutschen Hugenotten- Gesellschaft in Bad Karlshafen. Dort können Sie sich auch informieren und anmelden. (Weitere Informationen zum Hugenottenstag standen in HUGENOTTEN 2/2001.) Mit freundlichen Grüßen Ihr Andreas Flick, Präsident