HUGENOTTEN64. Jahrgang Nr. 2 / 2000 38 Titelbild: Die Familie Gabain, um 1860. Vgl. hierzu den Text auf S. 60ff. Inhaltsverzeichnis Pfarrer Dr. Wilhelm Boudriot - ein Kämpfer für den Glauben. Geschichte als Erbe und Auftrag für eine reformierte Gemeinde in unserer Zeit von Karl Dienst................................................................................................................. S. 39 www. Hugenotten im Internet (1)................................................................................... S. 59 „Ueber das Haus No 90 an der Trift in Celle, erbaut von Caspar Gabain...“ von Louis Gabain (1863) - bearbeitet von Andreas Flick ......................................... S. 60 Buchbesprechungen / Neue Bücher und Aufsätze .................................................... S. 64 Kurzmitteilungen............................................................................................................... S. 70 Anschriften der Verfasser Prof. Prof. h.c.Dr. Karl Dienst, Pfungstädter Str. 78, 64297 Darmstadt-Eberstadt Andreas Andreas Flick, Hannoversche Str. 61, 29221 Celle Erich Wenneker, Kirchtor 3a, 31061 Alfeld Verlag der Deutschen Hugenotten- Gesellschaft Hafenplatz 9a, 34385 Bad Karlshafen. Tel.: 05672-1433 Barbara Dölemeyer Hier finde ich meine Zuflucht. Auf den Spuren der Hugenotten und Waldenser im südlichen Hessen. Geschichtsblätter der DHG, 32. 1999, 88 S. mit z.T.farb. Abb. ISBN 3-930481-10-3 24,80 24,80 24,80 24,80 DM (Mitglieder 18,60DM) Das vergangene Jahr 1999 war auch für die südhessischen Sied-lungen – insbesondere die Wal-denserkolonien – ein wichtiges Ge-denkjahr: als 300-jähriges Grün-dungsjubiläum. Die Französisch-reformierte Gemeinde Offenbach a. M. und die Stadt Neu-Isenburg gehen gehen ebenfalls auf die Einwande-rungswelle von 1699 zurück. 39 Pfarrer Dr. Wilhelm Boudriot - ein Kämpfer für den Glauben. Geschichte als Erbe und Auftrag für eine reformierte Gemeinde in unserer Zeit 1 Von Karl Dienst Barocke Protestanten reformier-ter Prägung? Dreihundert Jahre Französisch-reformierte Gemeinde Offen-bach/ M.: Dies ist für mich ein gu-ter Grund, ein Fest zu feiern! Darf dies aber über „Besinnung“ und „Buße“ hinausgehen? Nicht nur für Ernst Troeltsch gehören doch Vorstellungen von ehrlich, wahr-haftig, pflichtbewußt, nüchtern und aufgeklärt sein wesentlich vor allem zu einer preußisch- refor-miert geprägten „protestantischen Identität“. Calvinismus und Purita-nismus sowie (vor allem) die Auf-klärung des 18. Jahrhunderts ha-ben für ihn dieses eher karge und strenge Bild des Protestantismus mit seiner Vorordnung der Ethik vor die Dogmatik, des Handelns vor die Lehre geprägt. „Barocke Protestanten gibt es wohl nicht. Ihnen liegt es nicht, außer sich zu sein, sie gehen eher in sich“ - so unlängst Wolfgang Lück. Heute lassen sich auch Gegenbewegungen feststellen! So haben z.B.Ein-flüsse aus der Ökumene den Blick für Sinnenfreude und Symbole ge-schärft. Es gibt Ansätze, eine Kultur der Feste und Feiern auch im Prote-stantismus wieder zu gewinnen oder neu zu entwickeln. Bei der Zweihundertjahrfeier der Offenbacher Französisch- reformierten Ge-meinde 1899 war man offenbar in einem eher kulturprotestantischen Um-feld nicht so selbstquälerisch! Jedenfalls beschloß man dort am 21.04.1899, das Jubiläum „mit einem akademischen Festakt am Vorabend des eigentlichen Festes zu beginnen, das dann in einem von der Frau des Pfarrers verfaßten Schauspiel 'Die Calvinisten' am Abend des Festtages gipfeln soll“. Wilhelm Boudriot 1948 40 Beim 225jährigen Gemeindejubiläum 1924 machten sich allerdings Finan-zierungsengpässe bemerkbar, die man aber auch bewältigte: Bei der Feier im Ev. Vereinshaus, bei der zwei Dichtungen der Pfarrfrau („ In memoriam“; „Das Kirchenjahr“) aufgeführt werden sollen, sollte „zwischen den beiden Darbietungen eine Pause sein, in der Erfrischungen angeboten werden, mit deren Erlös die Feier finanziert werden soll“: so lautete der Beschluß des „Kirchenvorstands“ vom 05.08.1924. Eine bedrohte Gemeinde Ein wichtiger Grund zum Feiern liegt für mich schlicht in der Tatsache, daß es die in einer bestimmten historischen, kulturellen und ökonomischen Situation entstandene Offenbacher Hugenottengemeinde noch heute gibt. Das ist keine Selbstverständlichkeit! Im Gegenteil: Diese Gemeinde ist bis in die Gegenwart hinein ein Beispiel für eine durch äußere und innere Fak-toren in ihrer Existenz bedrohte Gemeinde. Die produktive Aufnahme die-ser Herausforderungen auch mit dem Ziel der Selbstbehauptung gehört zu den wichtigen, die Geschichte der Gemeinde prägenden „Essentials“. Dies soll im Folgenden vor allem anhand des Wirkens des Gemeindepfarrers Dr. Wilhelm Boudriot (1892- 1948) aufgezeigt werden. Die Wiederbesetzung der Pfarrstelle der Französisch- reformierten Gemeinde in Offenbach/M.am 04.12.1932 Am 20.01.1932 teilte der damalige Pfarrer Dekan Adolf Lehn der Ge-meinde seine Pensionierung zum 01.07.1932 mit. Neben seiner an-gegriffenen Gesundheit spielte da-bei auch der Gesichtspunkt einer „finanziellen Entlastung der Ge-meinde“ eine Rolle, „die nur durch einen Wechsel der Pfarrbesetzung ermöglicht werden könne“. Gemeint ist die Verbindung der Pfarrstelle mit der eines Krankenhausseelsorgers für Offenbach. Der „Kirchenvor-stand“ stimmte am 25.04.1932 die-ser auch als eine „Bestandsgaran-tie“ verstandenen Lösung zu. Da die hessische Landeskirche auch die Bewerbung nicht hessischer Pfarrer zugelassen hatte - die Offenbacher Pfarrstelle gehörte zur Ev. Kirche in Leopold Cordier (1887-1939) Vorsitzender Vorsitzender des Deutschen Hugenotten-Vereins 41 Hessen(- Darmstadt) - erklärte sich z.B.der Hugenottennachkomme und Gießener Professor Leopold Cordier in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Deutschen Hugenottenvereins bereit, „der Gemeinde Pfarrer zu emp-fehlen, die ihrem Bekenntnisstand entsprechen“ (14.09.1932). Am 28.09.1932 wurde im Kirchenvorstand die Bewerbung Boudriots bespro-chen: „Er soll zu einer Probepredigt mit Kindergottesdienst am 09.10. ein-geladen werden. Eine Gemeindeversammlung soll am 12.10. und die Pfarrwahl wenn möglich am 16.10.1932 stattfinden“. Am 16.11.1932 be-schließt der Kirchenvorstand: „Nachdem Dr. Boudriot von der Gemeinde gewählt wurde, wird im Einverständnis mit dem Landeskirchenamt und dem Dekanat beschlossen, seine Einführung am 2. Advent (4.12.1932) vorzunehmen. Neben dem Gottesdienst soll am gleichen Tag ein Begrüßungsabend in der Turnhalle des TVO stattfinden, zu dem Prof. Cordier, Gießen, seine Teilnahme und einen Vortrag zugesagt hat“. Die Einführung erfolgte am 04.12.1932 durch Dekan Brill aus Groß- Steinheim. Das Ehepaar Boudriot mit den Söhnen Ulrich und Diethelm Konfirmationsfoto vom 6. April 1941. Zur Biographie Wilhelm Boudriots Wer war der neue Pfarrer? Dr. phil. Wilhelm Boudriot wurde am 12.11. 1892 in Bonn als Sohn des Metallwarenfabrikanten Wilhelm Boudriot und seiner Ehefrau Martha, geb. Haldenwang, geboren. Nach dem Abitur am 42 dortigen Gymnasium Ostern 1911 studierte er vom SS 1911- SS 1914 in Bonn Evangelische Theologie. Die Erste theologische Prüfung legte er am 08.08.1914, die Zweite am 09.05.1919 in Koblenz ab. Vom 04.08.1914 -02.01.1919 war Wilhelm Boudriot Soldat, zuletzt als Leutnant d. R.; im Ok-tober 1916 geriet er in französische Gefangenschaft. Vom September 1919 bis zum Februar 1921 war er Hilfsgeistlicher in Alsdorf (Synode Aachen), vom März 1921 bis Dezember 1922 selbständiger Hilfsgeistlicher in Nie-derbreisig (bei Andernach). Dann wurde ihm wegen Geldmangel von der Gemeinde gekündigt. Am 01.12.1924 wurde Boudriot Pfarrverweser in As-bach (Kreis Neuwied), wo er am 18.04.1925 als Pfarrer gewählt wurde. In seiner stellungslosen Zeit war er als Buchhalter tätig und bereitete sich auch auf die Doktorprüfung vor. 1924 promovierte er in Bonn bei Otto Cle-men zum Dr. phil. über das religionswissenschaftliche Thema: „Die altger-manische Religion in der amtlichen kirchlichen Literatur des Abendlandes vom 5. bis 11. Jahrhundert (Untersuchungen zur allgemeinen Religionsge-schichte Heft 2, Bonn 1928; Nachdruck: Bonn 1964). Boudriots Selbstinterpretation seiner Berufung nach Offenbach/ M. Wie verstand Wilhelm Boudriot seine Berufung nach Offenbach? In einem Brief an Pfarrer Karl Veidt, dem damaligen Vorsitzenden des Landesbruder-rats der Bekennenden Kirche Nassau- Hessen, vom 01.01.1935 2 schreibt er: „Als die letzte ganz unstreitig reformierten Sondercharakter tragende Gemeinde an ihrer völligen Bekenntnislosigkeit auch äußerlich sich aufzu-lösen drohte, nämlich die Hugenottengemeinde von Offenbach, brachte Prof. Cordier, vereint mit dem damaligen Hess. Kirchenregiment (Prälat Diehl), die Berufung eines ganz spezifisch reformierten Theologen (W.B.) dorthin zustande, um wenigstens den Versuch zu machen, diese eine Ge-meinde, die nur als Bekenntnisgemeinde calvinischer Art noch ein Daseins-recht hatte, zu retten“. Apriorische Geschichtskonstruktionen als kirchenpolitische Hand-lungsmuster? In dieser auf den ersten Blick historisch fundierten Selbstinterpretation Boudriots kommen auch apriorische (normative) Geschichtskonstruktionen als kirchenpolitische Handlungsmuster zum Vorschein: a) Das Interesse des Prälaten der Hessischen Kirche Wilhelm Diehl an den „Reformierten“ entsprach nicht nur seiner allgemeinen Hochschätzung des Historischen in einem eher kulturprotestantischen Kontext. Diehl spricht sich hier auch als Kirchenpolitiker aus! Er stand in der Tradition einer ge-mäßigten liberalen Theologie mit den Schwerpunkten Gemeinde, Volkskir-che und persönliche Frömmigkeit, womit er auch die Tradition der Gießener 43 Universitätstheologie fortsetzte. Die antiliberalen theologischen Strömun-gen nach dem Ersten Weltkrieg gingen an ihm vorbei. Sein theologisches und kirchliches Handeln war von seinem Idealbild von der hessischen Kir-che bestimmt: „Nächst der Bibel waren für ihn Philipp der Großmütige und die hessische Reformation die Leitsterne seiner Vorstellungen - der große Landgraf diente ihm als Kronzeuge sowohl für seine staatskirchlichen Ideen als für seinen innerevangelischen Kompromiß: daraus sollte dann der Traum von einer großhessischen Kirche erwachsen. Er rückte Philipp in die Nähe der Schweizer Reformation und begründete damit seine Hochschät-zung des gemeindlichen Elements, auch wenn schließlich sein Schüler Hans von der Au nachweisen sollte, daß die althessischen Senioren stärker von der Obrigkeit abhingen, als Diehl gemeint hatte“ (Volker Press). b) Auch bei Boudriot spielen gelegentlich solche „Erlebnisbilder“ eine nor-mative Rolle! Boudriots erste Fühlungnahme mit Martin Niemöller am 22.09.1945 bestand darin, daß er diesem die von ihm besorgte deutsche Ausgabe von „Calvins Wesen“ von Emile Doumerque 3 schickte: „Wenn Sie (=Martin Niemöller) die zweieinhalb bis drei Stunden aufbringen, die 'Cal-vins Wesen' zum Lesen beansprucht, und dann der Meinung sind, es könn- Das Pfarrhaus in Offenbach 44 te lohnen, daß wir einander näher treten, so würde mir das eine große Freude sein. Ich habe Sie früher nicht belästigen wollen, nur einmal ins Gefängnis Ihnen geschrieben, wofür Sie - was ich nicht erwartet hatte - persönlich dankten ...“ Calvin ist für die 30er Jahre nicht nur eine historische Gestalt, sondern auch so etwas wie eine ideen- und theologiepolitische Metapher, die z.B. Boudriots späterer Nachfolger in Offenbach Walter Nordmann 1939 auf den Begriff brachte 4 : „Alle großen Persönlichkeiten unterliegen einer gewissen Mythenbildung, aber vielleicht ist keiner unter ihrem Einfluß einseitiger dar-gestellt worden als Johannes Calvin ... So gilt Calvin noch heute in weiten Kreisen als ein evangelischer Papst, als Menschenhasser, als Tiger im Talar, als einer, dessen Schatten wie eine düstere Bedrohung nicht von den Menschen weichen wollte“. Nordmann will Calvin von einer solchen negati-ven Beurteilung befreien, sein Gemeinde- und Kirchenorganisationskon-zept als moderne Alternative zur „Pastoren- Kirche“ würdigen und vor allem Calvin vor dem Vorwurf des ausländischen und somit feindlichen Reforma-tors in Schutz nehmen. Zwar betont Nordmann, daß das „Wesentliche“ in Calvins Lebenswerk nicht aus dem „Bluterbe“, sondern als Neuschöpfung des Heiligen Geistes zu erklären sei. Gleichzeitig bemüht er sich aber - im Gefolge „moderner rassischer Betrachtungsweise“ (!) - um die Germanisie-rung Calvins, der als Franzose von Geburt dennoch „Wesentliches und Grundsätzliches aus Deutschland (d. h. von Luther) empfangen habe“. Wal-ter Mogk weist auf einen ähnlichen Versuch Leopold Cordiers von 1934 hin, die Hugenotten eher als „wirkliche germanische Willensträger“ einzu-stufen und sie „von westlerischem Geist und liberaler Demokratie“ abzu-setzen. Es geht ihm um die Abwehr der Behauptung, „daß wir im Hugenot-tentum und Reformiertentum die westlerische, französische, demokratische Lösung des Verhältnisses von Staat und Kirche vor uns hätten, während wir im lutherischen Kirchentum die deutsche, germanische Lösung dieses Verhältnisses zu sehen haben. Das von Calvin und vom Glauben der Hu-genotten bestimmte reformierte Kirchentum in Deutschland erscheint dann mit einem Male als ein seelischer Fremdkörper im deutschen evangeli-schen Kirchenwesen, den auszumerzen wir allen Anlaß hätten“. Daß übri-gens auch Karl Barths Liberalismuskritik sich ähnlicher „antiwestlicher“ demokratiekritischer Denkmuster bediente, sei am Rande vermerkt. Er nahm Aufklärung und Liberalismus vor allem als eine bourgeoise Ideologie wahr; der Liberalismus ist für ihn „die Weltanschauung, die in der bürger-lich- kapitalistischen Gesellschaft geschichtliche Realität geworden ist, er ist der Inbegriff des falschen, durch die Macht der Sünde geprägten Gottes-verhältnisses“ (Friedrich Wilhelm Graf, in: EvTh 46,1986, S. 428). Dafür favorisierte Barth schon in einem Vortrag in Wiesbaden im September 1922 einen auch von Hermann Kutter übernommenen chiliastisch - utopischen 45 Sozialismus und eine den Sozialismus als ein absolutes ethisches Objekt rechtfertigende Wort Gottes- Theologie 5 . Auf die Bedeutung dieses Ansat-zes für das Verhältnis Barths zu Boudriot müssen wir später zurückkom-men. Nun zu Boudriots Calvin- Verständnis! Zumindest in struktureller Hinsicht zeigen sich Anklänge an Cordier und Nordmann: „Ohne Calvin gäbe es heute kein Luthertum mehr, und ohne Calvin gäbe es kein Deutschland. Das ist das Urteil der Geschichte. Wer sich ein Deutschland freilich denken kann ohne Preußens Sendung, mit dem rechten wir nicht... Calvin hat Preußen geschaffen als das, was es nach seiner geschichtlichen, von Got-tes Vorsehung gelenkten Bestimmung einst werden sollte“ - so Boudriot in seiner Einleitung zu Doumergue. Auch hier spielt die Abwehr der Behaup-tung, der Calvinismus sei ein Fremdling auf deutschem Boden, dem die Verwurzelung im Volke fehle, eine wichtige Rolle. Im gleichen Kontext re-klamiert Boudriot in einem auch als Sonderdruck aus der „Reformierten Kirchenzeitung“ erschienenen Vortrag in Hanau am 31.03.1935 über das Thema „Calvins deutsche Sendung“ in eher apologetischer Vorgehenswei-se Calvin für die „deutsche, die nordische Sendung“, sieht er in Calvin „den reinsten Typ des nordischen Menschen überhaupt“. Doch dann sagt Boudriot fast bekennerhaft: „Aber - nun kommt die Hauptsache! - nicht der unwiedergeborene Mensch Calvin, nicht seine nordische Kraftgestalt von Fleisch und Blut, nein, nur der wiedergeborene, durch Christi Kreuz ge-kreuzigte, durch Gottes Wort und Geist von innen ganz und gar erneuerte Reformator Calvin hat dieser äußerlich schmerz- und leidzerbrochene Voll-strecker von Luthers Sendung werden können, der Retter des Abendlandes und der Welt“ (S. 6). Boudriot zieht diese Linie bis zur Gegenwart aus. Dann hat das reformierte Hohenzollernhaus auch staatlich Calvins deut-sche Sendung vollziehen müssen in jenem schweren Kampf mit der Ge-genreformation, mit dem Neuheidentum, das sich in Frankreichs Politik ein kirchliches Gewand gab ... In diesem Kampfe hat sich Preußen vollenden müssen, mit ihm das Deutsche Reich. Je uncalvinischer Preußen wurde, um so mehr hat es seine Kraft eingebüßt, und wir glauben zu wissen, wa-rum das Zweite Reich im Weltkampf nicht mehr siegen konnte. Möge das Dritte Reich, das seine nordische Sendung erfaßt hat, von Calvin sich We-ge zeigen lassen!“ (S. 11). Die Preußen- Debatte wird, vor allem in der Aus-einandersetzung mit Karl Barth, in Boudriots Leben noch einen wichtigen Stellenwert einnehmen! Zur „Revitalisierung“ der Offenbacher Französisch- reformierten Ge-meinde durch Boudriot a) Im Kirchenvorstandsprotokoll vom 12.05.1933 heißt es: „Nach Regelung von Fragen der Renovierung des Pfarrhauses und finanzieller Probleme 46 berichtet Pfr. Boudriot über die Situation der reformierten Kirchen und Ge-meinden und erhält die Zustimmung des Presbyteriums, die Belange der Gemeinde im bewußt biblisch- reformierten Sinne zu wahren, ebenso zur Bildung eines Aktionsausschusses im Gebiet der Frankfurter Gemeinden. Dem Beitritt zum Reformierten Bund wurde zugestimmt. Pfr. Boudriot be-richtet über die Bibelarbeit in der Gemeinde zur Bildung solider Grundlagen für ihren zukünftigen Dienst und kündigt Gemeindeveranstaltungen mit Aussprachen über reformatorische Grundfragen an. Dem stimmt das Pres-byterium (dieser Ausdruck erscheint erstmals hier!) zu“. b) Bald änderten sich die kirchenpolitischen Rahmenbedingungen von Grund auf! Die hessische Landeskirche ging zusammen mit Nassau und Frankfurt in der Ev. Landeskirche Nassau- Hessen auf, deren Synode am 28.11.1933 in Mainz erstmals tagte. Bereits am 24.11.1933 wurde in Frank-furt eine Eingabe „Betr. Wahrung der im reformierten Bekenntnisstand be-gründeten Rechte der reformierten Gemeinden in der ev. Landeskirche Nassau- Hessen“ verfaßt (Dok. I, S. 409f.), in der auch die Offenbacher Gemeinde ausdrücklich erwähnt wird. Unter Berufung auf den Vorspruch der Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche (DEK) vom 11.07.1933 wird gefordert: „Die Ausführungsgesetze der Ev. Landeskirche Nassau- Hessen müssen die Rechte der Gemeinden reformierten Bekennt-nisstandes nach zwei Richtungen sicherstellen, nämlich (1) Die Erhaltung bzw. Wiederherstellung der Presbyterialverfassung für die Einzelgemein-den. (2) Die Verbindung der reformierten Gemeinden untereinander durch Schaffung einer reformierten Synode – Bekenntnissynode - als Gesamtver-tretung der reformierten Gemeinden im nassau- hessischen Kirchengebiet für alle Fragen des reformierten Bekenntnisses und seiner Pflege, der re-formierten Kirchendisziplin, der Rechtsstellung der Pfarrer, Wortverkündi-gung, Gottesdienstordnung und Pfarrerausbildung, die zugleich in refor-mierten Fragen die Funktion der beratenden Kammer hat und für den Lan-deskirchenrat und das Landeskirchengericht die reformierten Beisitzer be-nennt“. In einer Einladung zur Gründung einer „ständigen reformierten Äl-testen- und Pfarrer- Konferenz“ (Boudriot war einer der vorläufigen „Ob-männer“) am 11.12.1933 heißt es programmatisch: „Alle Gemeinden, die unbeschadet ihrer Zugehörigkeit zu einer Unionskirche ihr reformiertes Bekenntnis oder auch nur Gepräge erhalten haben, müssen in Zukunft wieder in vollem Sinne reformierte Gemeinden werden ... Das Bekenntnis entscheidet über den Charakter der Gemeinde, nicht die (augenblickliche) Gemeinde über das Bekenntnis ... Nicht beabsichtigt sind Sprengung der bisherigen kirchenverwaltungsmäßigen Zusammenhänge und Absonde-rung aus dem geistlichen Zusammenhang mit den unierten und lutheri-schen Gemeinden der neuen Landeskirche. Dagegen wird in Lehre, Kultus 47 und Gemeindeverfassung die reformierte Linie neu auszuziehen sein, ge-währleistet durch reformierte Synoden, die nicht Verwaltungskörper, son-dern geistliche Einrichtungen sind, mit dem Zweck, reformierte Dinge re-formiert zu leiten und zu entscheiden, alles das im Zusammenhang mit dem reformierten Kirchenminister der Reichskirchenregierung“ (Dok. I, S. 413ff.). Auf der ersten Sitzung dieser reformierten Konferenz in Frankfurt (11.12.1933) betont Boudriot: „Während etwa die Lutheraner vom Bischöfli-chen Amt den Neubau der Kirche erwarteten, sei für die reformierten Ge-meinden das Bekenntnis selbst die Größe, die nun ihre Hand neu über die Gemeinden halte und sie in ihrem Wesen sichere“. c) Innerhalb dieses kirchenpolitischen Rahmens sind es recht unterschied-liche Akte, durch die Boudriot und seine Mitstreiter versuchten, aus dem eher historisch und soziologisch profilierten Verständnis von „französisch-reformiert“ eine sich theologisch- konfessionell verstehende bekennende Gemeinde, aus einem „Kulturbegriff“ von „französisch- reformiert“ einen „Konfessionsbegriff“ zu schaffen. Ins Auge fällt sofort der antibischöfliche Affekt: Am 14.01.1934gab die Offenbacher Gemeinde im Gottesdienst eine Erklärung ab, „wonach sie als reformierte Bekenntnisgemeinde in keiner Frage des innerkirchlichen Lebens den Bischöfen und ihren Unterführern unterworfen sei“ (Dok. I, S. 423). Am 18. 07.1934 beschloß der Kirchenvor-stand, sich ab sofort nach außen und innen als „Presbyterium“ zu bezeich-nen: „Es soll deutlich gemacht werden, daß eine Verwechslung mit den 'Kirchenvorständen' nicht möglich ist, die nach dem neuen Kirchengemein-degesetz (von Nassau- Hessen) vom Dekan zu ernennen sind, der seiner-seits frei von dem jeweiligen Bischof eingesetzt werden kann“. Bereits am 18.06.1934 hatte das Presbyterium beschlossen, Nachwahlen „nicht nach der Verfassung der Landeskirche Nassau- Hessen durchzuführen. Die Kir-chenleitung soll auch nicht unterrichtet werden, sondern die Wahl soll nach dem alten reformierten Recht nach der Befragung der Gemeinde durch das Presbyterium erfolgen“, was am 18.07.1934 denn auch geschah. Das Lan-deskirchenamt ließ diese Wahl durch den Offenbacher Dekan Ferdinand Bürstlein ausdrücklich beanstanden; man war offenbar der Auffassung, daß, abgesehen vom Recht der freien Pfarrwahl, die Privilegien der Ge-meinde erloschen seien. Dagegen protestierte das Presbyterium am 20.10.1934 und beharrte auf der Gültigkeit der französisch- reformierten Kirchenordnung. Am 06.11.1934 berichtete Boudriot an Cordier, daß die Offenbacher Gemeinde am 04.11.1934 „kraft Notrecht“ ihre „Bekenntnis-Privilegien wieder in Kraft gesetzt“ habe, „soweit diese aufgegeben waren“ (Dok. III, S. 63). Boudriot fährt fort: „Die Gemeinde ist durch Gottes Berüh-rung in jenen Tagen dazu willig und hat sich in nicht geringer Zahl in eine Liste eingetragen, die vorläufig nur bei mir ausliegt, kraft deren die Eintra- 48 genden als konfirmierte Glieder der Gemeinde den von mir bezeugten Be-kenntnisstand der Gemeinde als Mitglieder der Bekenntnisgemeinschaft Nassau- Hessen betätigen und befördern wollen. Diese Liste hat vorläufig keinen kirchenrechtlichen Zweck, sondern soll uns nur neben Stärkung der landeskirchlichen Bekenntnisaktion einen Überblick über die Gemeinde-glieder verschaffen, mit denen wir einstweilen praktisch arbeiten können. Selbstverständlich wird sich die Geltung der ‚Discipline‘ auf alle Glieder der Gemeinde erstrecken, einstweilen aber einmal auf diejenigen, die sie frei-willig unter dem Eindruck von Gottes Hilfe an uns anerkennen“ (Dok. III, S. 63). Die hier im Hintergrund stehenden „Rechte und Privilegien von 1705“ des Grafen Johann Philipp von Isenburg sind ihrer Hauptsache nach ein In-strument merkantilistischer Politik. Boudriots Rückgriff auf dieses Instru-ment stellt praktisch eine Reduktion auf deren Artikel II- VI dar, die der Ge-meinde die Freiheit bzw. das Recht zugestehen, „die ‚Discipline‘ der refor-mierten Kirche Frankreichs zu beachten, und in allen Stücken die Regeln, welche in diesem Buch enthalten sind, zu befolgen, nur sollen sie ein Ex-emplar derselben den Beamten unserer Kanzlei übergeben“ (Art. II). Boudriot hat die hier in Rede stehende „Confession de Foy“ und die „Dis-cipline Ecclesiastique“ von 1559 in den „Bekenntnisschriften und Kirchen-ordnungen der nach Gottes Wort reformierten Kirche“ (hg. von Wilhelm Niesel, 3 1938, S. 65ff.) ediert. Sein Vorwort zeigt deutlich seine Hochschät-zung dieses Bekenntnisses - „Dies französische Bekenntnis mitsamt der davon unabtrennbaren Kirchenordnung (Discipline) stellt das erste reforma-torische Bekenntnis einer volksumfassenden, unter dem Kreuz bekennen-den großen Landeskirche dar; es ist in beiden Stücken, Confession und Discipline, der reinste Ausdruck calvinischer Schrifterkenntnis ... Das Ver-hältnis von Confession und Discipline ist dies, daß erstere die unveränder-liche Lehre des Evangeliums feststellt, die in den gemäß der Discipline geordneten Kirchen hochzuhalten und durchzuführen ist ...“ d) Was die inhaltliche Rezeption solcher Festlegungen durch die konkrete Gemeinde anbelangt, so heißt es im Protokoll der Presbyteriumssitzung vom 14.11.1934: „Für ein einfaches Gemeindeglied bedeutet dies nur, daß es diese Tatsache im allgemeinen als selbstverständlich anerkennt und Versuche unterläßt, den Bekenntnisstand der Gemeinde, wie er sich in Predigt und Katechismus- Unterweisung, in Gottesdienst und Kirchenge-meindeordnung äußert, etwa abzuschaffen oder zu ändern. Wünschens-wert ist selbstverständlich eine genaue Bekanntschaft damit und ein per-sönliches Durchdrungensein davon. Für einen Ältesten, der im besonderen Sinne über die Gemeinde, d.h.also über die Aufrechterhaltung ihres Be-kenntnisstandes zu wachen hat, ist die Mindestforderung eine ausdrückli- 49 che Anerkennung dieses Rechtsstandes in der Gemeinde. Daher schreibt die Französisch- Reformierte Kirchenordnung (Discipline) die Unterzeich-nung von Glaubensbekenntnis und Kirchenordnung (von 1559) für alle Amtsträger in der Gemeinde vor. An sich kann nicht erwartet werden, na-mentlich in der augenblicklichen Lage der Gemeinde angesichts dessen, was so lange in ihr tatsächlich üblich war, daß jeder Älteste eo ipso jeden Satz etwa des Glaubensbekenntnisses als seinen persönlichen Glaubens-stand zu bekennen in der Lage ist. Es muß nur dies erwartet werden, daß er nach seiner wohlerwogenen Kenntnis der Dinge nicht bezweifelt, daß dies erprobte Bekenntnis in allem Wesentlichen nach Menschenmöglichkeit Ausdruck der in der Gemeinde zu verkündigenden Botschaft der Heiligen Schrift Alten und Neuen Testamentes ist“. e) Am 02.06.1933 nahm der damalige Kirchenvorstand die 14 „Düsseldor-fer Thesen“ zum Bekenntnis der reformierten Gemeinden an, „die sich ge-gen die lutherische Forderung zur Einführung eines bischöflichen Amtes in der evangelischen Kirche und gegen die Absicht der 'Deutschen Christen' auf Errichtung eines Reichsbischofsamtes“ wandten. Am 11.08.1933 wurde der Beitritt zur „Freien Reformierten Synode Frankfurt“ beschlossen, am 04.09.1933 die Wiedereinführung des Heidelberger Katechismus als Lehr-buch der Gemeinde, am 20.10.1934 die Wiedereinführung des reformierten Psalmengesangs im Gemeindegottesdienst und am 03.12.1935 die Zurückführung der Gestalt des „Hauptgottesdienstes“ auf den Predigtgottesdienst nach Form A des Hessischen Kirchenbuches von 1904, wodurch die Responsorien der Gemeinde und der Gesang der Doxologie des Unservaters wegfielen. Die Hinwendung zur Bekennenden Kirche als Versuch einer Absiche-rung der Privilegien der Offenbacher Französi sch- reformierten Ge-meinde Bereits am 01.03.1934, also vier Wochen nach der Ernennung von Lic. Dr. Ernst Ludwig Dietrich zum Landesbischof von Nassau- Hessen, teilte Boudriot dem Moderator des Reformierten Bundes für Deutschland D. Hermann Hesse mit: „Wir haben dem Landesbischof in Darmstadt eine Eingabe überreicht, welche, größere Sonderrechte vorhandener Art vorbe-halten, allgemein sich damit einverstanden erklärt, daß die reformierten Gemeinden hinsichtlich der äußeren Verwaltung der allgemeinen kirchli-chen Verwaltung unterstellt bleiben, jedoch auf Grund des Bekenntnisses Schutz der reformierten Gemeindeverfassung verlangt, sowie die Zusam-menfassung der reformierten Gemeinden zu Bekenntnissynoden, die für innerkirchliche Fragen maßgebend wären“ (Dok. II, S. 213ff.). Boudriot will offenbar die reformierten Forderungen möglichst auf geordnetem Wege, 50 also unter Rücksichtnahme auf die bestehenden Verfassungen und Ord-nungen, erreichen (vgl. Dok. II, S. 199 u. 219). Dies setzt für ihn aber vor-aus, daß anerkannt wird, daß reformiertem Ordnungsverständnis gemäß auch die Kirchenverfassung schrift- und bekenntnisgemäß sein muß und nicht etwas „Äußerliches“ sein kann. Die auch hier zum Ausdruck kommende enge Zusammengehörigkeit von „Confession“ und „Discipline“ erwies sich zunächst auch angesichts der innerhessischen kirchenpolitischen Situation als ein Glücksfall. Den „Kir-chenkampf“ hier allein als „Theologiekampf“ und nicht auch als „Rechts-kampf“ bzw. als Kampf um die schriftgemäße Kirchenordnung zu führen, hätte viel zu kurz gegriffen. Das Phänomen der „Deutschen Christen“ hatte es mit der „Confession“ und der „Discipline“, mit dem Bekenntnis und der Kirchenordnung zu tun. In theologischer Perspektive erwies sich auch in Nassau- Hessen das vor allem nach 1945 von den „Siegern“ entworfene „Kampfbild“ von den „Deutschen Christen“ als einer Spielart der neuheidni-schen „Deutschen Glaubensbewegung“ als viel zu eng. Bei dieser Ein-schätzung blieben vor allem die aus dem Neuprotestantismus und der Volksmission den „Deutschen Christen“ zugeflossenen Impulse ausgeblen-det. Die „Deutschen Christen“ gingen nicht einfach im „Völkischen“ auf! Schon 1932 hatte Karl Barth im ersten Band seiner „Kirchlichen Dogmatik“ (S. 33f.) hier auf einen „in der mittelalterlichen Mystik und in der humanisti-schen Renaissance wurzelnden pietistisch- rationalistischen Modernismus“ hingewiesen, und 1958 räumte er in Band II/1 der 4. Auflage seiner „Kirch-lichen Dogmatik“ (II/1,S.196) ein: „Was die 'Deutschen Christen' wollten und taten, das lag nachweislich genau auf der von der Kirche der ganzen Welt längst anerkannten und begangenen Linie der Aufklärung und des Pietismus, auf der Linie Schleiermachers, Richard Rothes und Ritschls 6 .“ Dies gilt auch im Blick auf Nassau- Hessen! Der junge Landesbischof Diet-rich war ein liberaler Theologe, dem es nicht so sehr um eine inhaltliche Veränderung der Verkündigung der Kirche über das hinaus ging, was da-mals an „Nationalem“ weithin üblich war. Dietrichs Schwerpunkt lag auf dem Gebiet der Kirchenordnung: Ihm ging es um die Durchsetzung des Führerprinzips in der Kirche, das damals allerdings auch manchen Reprä-sentanten der (späteren) Bekennenden Kirche (z.B.Otto Fricke) nicht un-bekannt war. Kurz: Dietrichs Anwendung des Führerprinzips und sein damit verbundenes autoritäres Vorgehen gegen bisherige Führungseliten war eine wichtige Mitursache für die Entstehung und vor allem für die Ausbrei-tung der Bekennenden Kirche in Nassau- Hessen. Dies hat Boudriot früh erkannt: Die zumindest partielle Bestreitung der Privilegien seiner Offenba-cher Gemeinde durch das DC- Kirchenregiment war für ihn ein Anlaß, den „Kirchenkampf“ vor allem auch als „Rechtskampf“, als Kampf um die refor-mierte Kirchenordnung zu führen. Dabei erwies sich das traditionelle Ver- 51 ständnis von Kirchenordnung, der Zusammenhang von „Confession“ und „Discipline“, als eine wichtige Hilfe! Von hier aus war es folgerichtig, wenn am 29.10.1934 das Offenbacher Presbyterium beschloß, „sich der deutschen evangelischen Bekenntnissy-node zuzuordnen und nur noch den von dieser bestätigten Bruderrat der Landeskirche Nassau- Hessen als einstweilige Landeskirchenleitung anzu-erkennen“. Mit diesem rechtlichen Anschluß an die „Bekenntnissynode der DEK“ war - so das Protokoll vom 14.11.1934 - „eine neue Rechtsgrundlage für die Ge-meinde geschaffen“, da man dadurch „die Beziehungen zu dem bisherigen Kirchenregiment durch Mitteilung an Dekan Bürstlein abgebrochen habe“. Diesem Rechtsakt ging auch ein gottesdienstlicher, unter Assistenz der Frankfurter Gemeinde vollzogener „Bekenntnisakt“ parallel: Am 20.10.1934 wurde der Gemeinde im Gottesdienst eine „Bekenntnisbotschaft“ verlesen, der diese am 11.11.1934 in einem „Bekenntnisakt“ zustimmte. Schon lange davor hatte Boudriot für seine Person Konsequenzen gezo-gen! Am 29.01.1934 berichtete er Dekan Brill (Dok. I, S. 430): „Ich möchte Ihnen hierdurch davon Kenntnis geben, daß ich am Samstag (27.01.) Nachmittag telefonisch von Berlin aus angefragt worden bin, ob ich bereit sei, das Amt des reformierten Kirchenministers im Geistlichen Ministerium der DEK zu übernehmen. Die Anfrage geschah durch den Bevollmächtig-ten der Deutschen Reformierten Kirche Herrn Präsident Koopmann (Au-rich) im Auftrag des Reichsbischofs, welch letzterer, unter den ihm Vorge-schlagenen, mich an erster Stelle zu befragen veranlaßt habe. Herr Präsi-dent Koopmann sprach mir für den Fall der Zusage das Vertrauen der von ihm vertretenen Landeskirchen und Gemeinden aus und wollte mir eine Bedenkzeit von zwei Stunden einräumen. Ich habe gleichwohl aus wohler-wogenen Gründen sofort gebeten, von meiner Person abzusehen, und bin bei dieser Stellungnahme geblieben“. Zu Boudriots kirchenpolitischem Programm a) Boudriots kirchenpolitisches „Credo“ lautete: „Wir müssen innerhalb der Kirche Nassau- Hessen anstreben, daß alle Gemeinden, die von rechtswe-gen reformiert sind, innerhalb der Landeskirche in einer reformierten Lan-dessynode und zwei bis drei reformierten Bezirkssynoden zusammenge-faßt werden“ (Dok. II, S. 151). Synoden sind für ihn, wie gesagt, nicht „Ver-waltungskörper“, erst recht keine Parlamente, sondern „geistliche Einrich-tungen“, „Presbyterien der Kirchenkreise, Kirchenbezirke und der Landes-kirche“! b) In einem Referat über „Aufgaben und Verfassung der reformierten Ge-meinden in einer Bekenntniskirche“ am 25.02.1935 in Frankfurt (Dok. III, S. 52 426f.) geht Boudriot von der Grundthese aus, „daß die neue Kirche als Bekenntnis- Kirche (im Sinne der reformatorischen Bekenntnisse!) ins Le-ben getreten und weiter zu bauen sei. Man könne nicht einfach von 'be-kennender' Kirche reden, sondern müsse das von Gott geschenkte, formu-lierte reformatorische Bekenntnis meinen“ (Dok. III, S. 426)! c) Mit dieser theologisch- kirchenpolitischen Position geriet Boudriot inner-halb der Bekennenden Kirche selbst in eine Isolation! In historischer Per-spektive geht es hier um eine Grunddifferenz zweier Typen von Bekennen-der Kirche. Im Rahmen der Altpreußischen Union wurde das Ereignis von Barmen (Mai 1934) mehrheitlich als Gründung einer die Reichs- und die Landeskirchen ablösenden Bekenntniskirche verstanden, deren Mitglied-schaft dann durch Verpflichtungserklärung, die „Rote Karte“, konstituiert wurde. Hier entwickelte sich derjenige Typ von Bekennender Kirche, wel-cher - unter theologisch begründeter Berufung auf das kirchliche Notrecht - revolutionär anstelle der von den Deutschen Christen beherrschten Organe eine neue, eigene Kirchenstruktur intendierte. „Bekennende Kirche“ sollte dieser Typ vor allem darin sein, daß unter Berufung auf die Hl. Schrift das aktuelle Bekennen angesichts der Herausforderungen durch die Situation als handlungsleitend galt. Demgegenüber sahen die sog. „intakten“ und andere lutherische Kirchen in Barmen 1934 eher eine nur die DEK betref-fende, temporäre Bekenntnisgemeinschaft ohne Konsequenzen für die jeweilige Landeskirche. In Abwehr der Eingliederung in die DEK und in Abgrenzung von der Unionskirche entwickelte sich hier ein eher konserva-tiver legalistisch- konfessionalistischer Typ von bekennender Kirche 7 . Boudriot geriet hier zwischen alle Stühle! d) Schon bald bemerkte Boudriot bei Mitgliedern des im September 1933 gegründeten „Pfarrer- Notbundes“ „unionistische“, die historischen Be-kenntnisse vergleichgültigende Tendenzen, ferner eine Vergleichgültigung der Kirchenverfassung zugunsten aktuellen Bekennens (Dok. II, S. 247f.). Im Blick auf ein angestrebtes gemeinsames Vorgehen gegenüber den Deutschen Christen fürchtet Boudriot bald, „daß die Verschüttung der re-formierten Gemeinden in den Unionskirchen ziemlich sicher der Preis dafür sein wird, daß man um jeden Preis gemeinsam mit den Nichtreformierten zusammengehen wolle“ (Dok. II, S. 219 u. 246). In einer Bekenntnisver-sammlung mit Präses Koch im August 1934 in Frankfurt mußte Boudriot aus dem Munde des Landesbruderrats zur Kenntnis nehmen, „daß irgend-welche theologischen Unterschiede für den Anschluß an die Bekenntnis-gemeinschaft belanglos seien“. In seinem Mißtrauen wurde Boudriot auch durch den reformierten Pfarrer Hans- Erich Heß (Sinn) bestärkt, der ihm am 29.08.1934 schrieb (Dok. II, S. 446ff.): „Wir müssen m.E.auch heute daran festhalten, daß jetzt nicht die Zeit ist, reformierte Sonderbelange zu vertre- 53 ten“! Am 02. 05.1935 schrieb Boudriot an den reformierten Frankfurter Pfar-rer D. Wilhelm Lueken (Dok. IV, S. 174ff.): „Wir sind genau so dazu da, das Bekenntnis gegenüber unseren eigenen Leuten zu schützen wie gegen-über Herrn Dietrich ... Bekennen wollen, ohne ein deutliches Bekenntnis zu bejahen, ist Schwärmerei“! Auch wenn Boudriot bis Ende 1938 Mitglied des Landesbruderrats der BK in Nassau- Hessen war, so hatte er auf Grund seiner theologisch- kirchenpolitischen, am konkret- reformierten Bekenntnis ausgerichteten Position nicht wenige Gegner, besaß doch in der EKNH der am aktuellen Bekennen interessierte, eher altpreußische Typ von Beken-nender Kirche die Oberhand. In struktureller Hinsicht stand Boudriot hier dem inhaltlich von ihm abgelehnten eher konservativ- lutherischen Typ nä-her als dem auf einer „Je- und- Je- Ereignis- Theologie“ („Kirche ereignet sich jeweils in konkreten Situationen“) aufruhenden, die traditionell konfessio-nellen Lehrinhalte und Verfassungselemente abwertenden Verständnis von Bekennender Kirche. e ) In einem Schreiben Niemöllers an Boudriot vom 19.01.1946 findet sich bereits dieses durchschnittliche BK- Selbstverständnis preußisch- hessen-nassauischer Prägung vorgezeichnet: Niemöller betonte, daß er in den kirchlichen Fragen weithin mit Boudriot einig gehe, „das heißt solange die konfessionellen Konvente nicht zur Auflösung unserer Bekenntnissynode führen, die ich noch auf Jahre hinaus für ein wesentliches Element unserer kirchlichen Besinnung und unseres kirchlichen Neubauversuches betrachte ... Mit einer Rückkehr zum Konfessionalismus wird m. E. nur abgerissen und nicht gebaut“. Noch deutlicher tritt diese Tendenz in einem Brief Nie-möllers an Propst Dr. Hans Böhm (Berlin) vom 07. 10.1947 hervor (Niemöl-ler war gerade eine Woche Kirchenpräsident der EKHN!): „Ich habe die feste Überzeugung gewonnen, daß diese arme Kirche hier (EKHN) die einzige ist, die uns in Deutschland noch bleibt, von der wir hoffen können, daß sie sich in der Linie der Bekennenden Kirche entwickeln läßt, ohne daß wir auf einen lutherischen, reformierten oder unierten Weg geraten müßten“! Zu Versuchen, Boudriot aus seiner Offenbacher Gemeinde hinausz udrängen Durch Kriegseinwirkungen und kriegsbedingter Personalnot bedingt war Boudriot ab 1941 z.B.in Mörfelden- Walldorf, Neckarsteinach, Gernsheim und Biebesheim vikarisch tätig, ohne rechtlich seine Offenbacher Gemein-de aufzugeben. Im August 1945 erfuhr er in Gernsheim von Versuchen, die Offenbacher Französisch- reformierte Gemeinde aufzulösen und seine Rückkehr nach Offenbach zu verhindern oder zu erschweren. Was Boudri-ot wohl am meisten zu schaffen machte, war die Tatsache, daß gerade 54 Offenbacher BK- Pfarrer (Matthäus, Amborn, zur Nieden) die Auflösung aktiv betrieben haben. Es kam sogar zur Einsetzung eines „Ehrenrats“ innerhalb der BK! Boudriot selbst wurde mit Wirkung vom 15.05.1946 zum planmäßigen außerordentlichen Professor für reformierte Kirchengeschich-te (und Theologie) an die Johannes Gutenberg- Universität in Mainz beru-fen. Wilhelm Boudriot und Karl Barth Hier wurde nun für Boudriot Karl Barth (mittelbar oder unmittelbar) zum Verhängnis! Vor seiner Berufung nach Mainz hatte er sich aus intellektuel-len, theologischen und vor allem seelsorgerlichen Gründen kritisch mit Barths Schrift „Zur Genesung des deutschen Wesens. Ein Freundeswort von draußen“(Stuttgart 1945) von einem gemäßigt deutschnationalen Kon-text aus auseinandergesetzt. Barths vorwiegend in einem Schweizer und auch süddeutschen Kontext entfaltete Geschichtstheologie bzw. -philosophie war nicht gerade originell. Seine preußenfeindliche Stimmung wurzelte auch in Innerschweizer politischen Konstellationen, insbesondere auch in Einschätzungsunterschieden zwischen der deutsch- und der fran-zösischsprachigen Schweiz im Blick auf Deutschland und Frankreich im und nach dem Ersten Weltkrieg. Boudriots lediglich hektographierte Stellungnahme führte am 13.12.1946 unter dem Titel „Professor Werwolf“ zu einem höhst polemischen Artikel im „Rheinischen Merkur“; sein Autor war bereits im Dritten Reich als Denunzi-ant bekannt. Als Informant vermutete Boudriot einen seiner Seminarteil-nehmer. Die von Boudriot als Privatangele-genheit vor seiner Berufung nach Mainz bezeichnete Stellungnahme bewirkte große Aufgeregtheit. Am 18.l2.1946wurde Boudriot von Kul-tusminister Dr. Lotz „suspendiert“. Was die Hintergründe für dieses bis zu Boudriots Tod 1948 dauernde Vorlesungsverbot anbelangt, so mischten sich zu verschiedenen Zeiten verschiedene Motivstränge miteinander. Boudriot vermutete Anfang 1947 z.B.gewisse Linksten-denzen in der CDU- SPD- Landes-regierung, gewisse „Sonderbestre- Karl Barth 1947 55 bungen“ (separatistische Tendenzen) innerhalb katholischer Kreise der CDU und auch französische Hoffnungen im Blick auf eine Gewinnung des Rheinlands. Auch dürften innerfranzösische Auseinandersetzungen um die Universität Mainz, die später in der Absetzung des Gründungsrektors Prof. Dr. Josef Schmid gipfelten, eine Rolle gespielt haben. Die französische Besatzungsmacht und die Landesregierung von Rheinland- Pfalz waren sich u.a.auch in antipreußischen Affekten weithin einig. Ein katholisch-rheinisches Sonderbewußtsein konnte sich mit frankophilen Bestrebungen gut verbinden. Allerdings entstammten Boudriots Gegner nicht allein diesem Milieu! Bald kam die Meinung auf, daß (wenigstens nicht primär) der Artikel im „Rheini-schen Merkur“ die Suspension ausgelöst habe, sondern Boudriots Kritik an Karl Barth! Und Karl Barth lehnte es kategorisch ab, für Boudriot einzutre-ten, weil er diesen für einen „Deutschnationalen“ hielt. Er schrieb an Boudriot, es sei „nicht wünschenswert, daß die deutsche Jugend und gera-de die theologische deutsche Jugend fernerhin von Männern erzogen wird, die mit dem Bismarck- Hindenburg- Hugenberg- Komplex noch immer nicht fertig sind, die also gegebenen Falles in einem neuen Jahr 1933 wieder tun könnten, was Hindenburg und Hugenberg als berufene und anerkannte Erben und Hüter der Bismarck- Tradition damals getan haben“! Demgegen-über wies Boudriot, der keiner Partei, auch nicht der DNVP angehörte, mit Recht darauf hin, daß „deutschnationale Männer seines Schlages“ sehr wohl „die Gefahren des politischen Messianismus in Deutschland“ erkannt und dagegen Widerstand geleistet hätten. Bereits am 19.12.1946 erklärte er gegenüber der Landesregierung von Rheinland- Pfalz: „Die Bekennende Kirche hat sich großenteils aus Deutschnationalen rekrutiert, das Wort auch hier als allgemeine Richtung, nicht als politische Organisation verstanden, wie ja auch Barth es tut“. Auf der anderen Seite bedeutete zumindest für den früheren Barth, wie bereits erwähnt, der von ihm vertretene Sozialis-mus nicht einfach Zustimmung zur liberalen Demokratie! Und Barths Anti-Boudriot- Gefühle wurzelten nicht nur in seiner Theologie, sondern vor allem auch in seiner preußenfeindlichen Stimmung, die auch innerschweizer poli-tische Ursachen hatte. Martin Niemöller stand tendenziell hier nicht so weit von Boudriot entfernt; aber er wagte es nicht, offen gegen Barth vorzugehen. Aufs Ganze gese-hen wurde Boudriot isoliert. Die Mainzer Fakultät hielt sich zurück; ob hier z.B.auch die nur vorläufige Anstellung von Parteigenossen als Professoren eine Rolle spielte oder die Angst vor Karl Barth, lasse ich offen. Reformierte Mitstreiter aus dem Kirchenkampf (z.B.Otto Weber, Walter Kreck, Hans-Erich Heß) rückten von Boudriot ab. Barth ist schon eine Schlüsselfigur in der Auseinandersetzung gewesen, auch wenn er selbst es so nicht sehen wollte. Auch darf ein allgemeiner Paradigmenwechsel in der kirchenpoliti- 56 schen Landschaft nicht übersehen werden: Der Übergang von einem eher sich gemäßigt deutschnational- volkskirchlich definierenden BK-Protestantismus zu eher radikaldemokratisch- sozialistischen Positionen, wie sie dann z.B.im sog. „Darmstädter Wort“ 1947 zum Ausdruck kamen. Boudriot erlebte seine akademische Rehabilitation nicht mehr. Er starb am 23.08.1948 in Bonn an einem Herzinfarkt und wurde am 27.08.1948 dort auf dem Südfriedhof begraben. Erschütternd ist für mich ein Brief, den Boudriots Gattin Emilie am 09.08.1948 an Martin Niemöller richtete: „Mein Mann hat den Eindruck, daß durch das lange Schweigen von Seiten der Kirchenleitung seine Stellung immer fragwürdiger wird; denn es sieht so aus, als scheute sich die Kirchenleitung, das Wort, das sie meinem Mann gesagt hat, selber den Behörden gegenüber zu wiederholen, obwohl das mindestens von der Universität gewünscht wird und auch einer der leiten-den Beamten in Koblenz sein Staunen über das Ausbleiben dieser Erklä-rung einem unserer persönlichen Bekannten von der Regierung ausge-drückt hat“. Auch wenn Frau Boudriot Rückporto beifügte: Eine Antwort blieb aus! Boudriot war oft ein unbequemer Mann. Aber zumindest hätte er ein Mehr an Brüderlichkeit verdient gehabt! Boudriots Erbe Es ist für einen Kirchenhistoriker nicht einfach, Boudriots Leben und Wirken als Erbe und Auftrag für eine reformierte Gemeinde in unserer Zeit zu re-formulieren. Angesichts seiner Wertschätzung der reformierten Kirchenord-nung darf ich aber einige Fragen an die heutige Situation in der EKHN aus Boudriots Geist heraus stellen. a) Die 1949 verabschiedete Kirchenordnung der EKHN gilt weithin als Be-wahrung des Erbes des Kirchenkampfes. Hier wurde versucht, überkom-mene volkskirchliche Strukturen im Sinne „Bekennender Gemeinden“ und „bruderrätlicher Leitung“ zu überformen. Dabei lautete die Parole: „Weg von einem statutarisch verstandenen Bekenntnis, hin zu einem jeweils neuen aktuellen Bekennen“. Die historischen Bekenntnisse werden nur noch als Meilensteine auf diesem Weg verstanden! Neben solchen eher dogma-tisch- geschichtstheologischen Erwägungen standen auch handfeste kir-chenpolitische Interessen: Man wollte die EKHN trotz der Verschiedenheit der aus der Geschichte überkommenen Bekenntnisse unbedingt als „Kir-che“ und nicht als „Bund bekenntnisbestimmter Kirchen und Gemeinden“ verstehen. Ist damit wirklich ein Weg in die Zukunft aufgezeigt, oder geht es eher um eine Kirchenkampfromantik? Im Sinne Boudriots formuliert: Kommt aktuelles Bekennen ohne Anhalt am konkreten Bekenntnis aus? 57 b) Als eine der wichtigsten „Erfahrungen aus dem Kirchenkampf“ gilt das Mißtrauen. Es ist schon ein Grundprinzip der Kirchenordnung der EKHN, die Erkenntnis in Kirchenordnungsrecht umzusetzen, daß „der Feind“ nicht draußen steht, sondern drinnen, d.h.in der Kirche selbst. Um sich dieses inneren Feindes zu erwehren, muß kirchliche Gestaltung auf allen Ebenen durch Kontrollen bestimmt sein, die aber nicht an Personen, sondern an Gremien festgemacht werden, die wiederum - nach parlamentarischem Muster - Gremien übertragen werden. Entspricht dies einem reformierten Verständnis von Presbyterium und Synode, wie Boudriot es geltend zu machen versuchte? c) Inzwischen haben sich die Partizipationsansprüche solcher Gremien ausgeweitet. In fast allen kirchlichen Bereichen wuchern seit 1968 die Mit-bestimmungs- und Mitsprachegremien. Die Zahl der Sitzungen ist Legion. Sollte die als „Demokratisierung“ interpretierte „Synodalisierung“ ursprüng-lich mehr „Transparenz“ bringen, so hat sie inzwischen weithin das Gegen-teil bewirkt. Bei nicht wenigen „Kontrolleuren“ ist der stets bekundete Wille, amtlich verordnete Macht zu kontrollieren, längst in einen Willen zur eige-nen Macht umgeschlagen. Synodale Praxis orientiert sich zunehmend am Modell des Parlaments. Auch im Pfarrerbild ist ein Wandel festzustellen, der auf ein Nebeneinander verschiedener Pfarrerbilder durch eine Auswei-tung der „Funktionspfarrämter“ hinausläuft. Damit ist ein Funktionsschwund der kirchenleitenden Organe verbunden, werden doch deren Funktionen zunehmend von Ämtern, Kammern, Arbeits- und Beratungsstellen sowie von Ausschüssen übernommen. Entspricht dies reformiertem Gemeinde-denken, wie Boudriot es revitalisieren wollte? d) Wichtige Elemente der Kirchenordnung der EKHN von 1949 ruhen, wie wir sahen, auf bestimmten „Erlebnisbildern“ auf, die zum Teil schon damals illusionär waren und erst recht heute realitätsfern sind. Erlebnisse lassen sich nicht auf Dauer stellen, Erfahrungen kleiner Gruppen nicht auf die Volkskirche übertragen. Vor allem die „Lebensordnung“ erscheint eher als ein Zeitgeistdokument als eine konkrete Hilfe für Seelsorge und Diakonie. Überhaupt besteht die Gefahr, daß ein bestimmter Abschnitt der Kirchen-geschichte hier mythologisiert wird. Nicht nur in Hessen und Nassau schuf die BK aus Angst vor „Herrschaftsstrukturen“ der Kirchenleitung und –ver-waltung Gegenstrukturen, ohne aber auf eigene Machtausübung zu ver-zichten. Nicht nur die Jahre nach 1945 lassen sich auch als kirchliche Machtübernahme durch eine bestimmte Gruppe der BK interpretieren. Boudriot war hier Prophet! Inwieweit kann hier der von Boudriot betonte unauflösliche Zusammenhang von „Confession“ und „Discipline“, von geist-licher Leitung und Diakonie vor allem auch angesichts neoliberaler Tenden- 58 zen mit ihrer Favorisierung der „Individualisierung“ zu einer Rückkehr zu einem biblisch- bekenntnismäßig fundierten Verständnis von Glaube und Gemeinde helfen? e) Der Ausgang von bestimmten Erfahrungen der Geschichte ist auch bei kirchlichen Gestaltungen unausweichlich. Avantgarde- Gefühle und eine aktualistische Je- und- Je- Ereignis- Theologie reichen nicht aus, ebensowe-nig eine Nullpunkt- Mentalität. Zu den heutigen theologischen und kirchen-politischen Sackgassen und Holzwegen gehört auch die sog. „Kontextuelle Theologie“. Schon das Wort „Kontext“ nimmt - wie „soziokulturell“ - fast eine magische Bedeutung in der theologischen Diskussion ein. Kann aber Gottes Handeln aus einer Analyse des kulturellen, sozialen und politischen Beziehungsgeflechts unseres Handelns erschlossen, kann Theologie ein-fach funktional erklärt werden? Wichtig ist, daß bei allem Rückgriff auf Erfahrungen und Erlebnisbilder die historische Dimension, die Geschichte mitbeachtet wird, da man sonst zu einer apriorisch konstruierten Geschichte eine ebenfalls geschichtslose Gegengeschichte konstruiert und von Eindrücken und Erlebnissen abhän-gig wird, die dann unreflektiert zur Norm kirchlicher Gestaltung werden. Gerade eine Kirche, die offen sein will für heutige Herausforderungen, be-darf im Interesse von Identität und Verbindlichkeit der gemeinsamen An-strengung kontinuierlicher Erinnerung an ihren Ursprung und an ihre Ge-schichte. Offenheit kann gerade nicht Beliebigkeit und Indifferenz gegen-über der eigenen Geschichte bedeuten. Im Gegenteil: Je mehr sich die Kirche öffnet, desto notwendiger ist sie auf einen Kanon verbindlicher theo-logischer Texte und die Abstützung durch gelebte Tradition angewiesen. Darauf kann uns auch die Französisch- reformierte Gemeinde Offenbach in Erinnerung an Wilhelm Boudriot mit Nachdruck hinweisen! 1 Festvortrag zum 41. Deutschen Hugenottentag in Offenbach am 28. Mai 1999. Die Fotos zur Familie Boudriot wurden dankenswerter Weise von Diethelm Boudriot zur Verfügung gestellt. Auf folgende Literatur sei hingewiesen: Karl Dienst, Rudolf Ackermann, Otto Böcher: Vom Studium der Evangelischen Theologie in Mainz aus der Sicht ehemaliger Studenten. In: JHKGV 15,1964, S 77- 187.- Karl Dienst: Der Fall Wilhelm Boudriot. Eine Kritik an Karl Barth und ihre Folgen. In: JHKGV 41,1990, S. 87- 110; Ders.: Aus der Gründungszeit der Ev. Theol. Fakultät der Johannes Gutenberg- Universität in Mainz. In: JHKGV 43,1992, S. 335- 369; Ders.: Bekenntnis und Bekennen. Ein Offenbacher reformierter Pfarrer im Kir-chenkampf: Wilhelm Boudriot. In: 450 Jahre Reformation in Offenbach am Main. Hg. vom Ev. Dekanat Offenbach am Main 1993, S. 118- 139; Ders.: Eingriffe der Französischen Besatzungsmacht in die Mainzer Universität unter besonderer Berücksichtigung der Ev. -Theol. Fakultät. In: BPfKG 65,1998, S. 107- 116; Christophe Baginski: La Politique religie-use de la France en Allemagne occupée 1945- 1949. Septentrion. Presses Universitai-res, 1996. Dankbar konnte ich Transskriptionen und Zusammenfassungen der Protokolle der Kir-chenvorstands - bzw. Presbyteriumssitzungen der Franz.- ref. Gemeinde Offenbach/M. 59 von Dipl.- Ing. Felix Koch unter Mitarbeit von Karola Wolf benutzen! Im Text beziehen sich Daten ohne nähere Erläuterung in der Regel auf diese Pr otokolle. 2 Dokumentation zum Kirchenkampf in Hessen und Nassau, 8 Bände, Darmstadt 1974-1996; hier III, S. 288. Im Text zitiert mit „Dok.“, Band und Seitenzahl. 3 Emile Doumergue: Le Caractère du Calvin. Deutsche Ausgabe von Wilhelm Boudriot. Neukirchen 1933. 4 Walter Mogk: Die Beschäftigung mit dem Thema Refuge im „Hanauer Evangelischen Gemeindeblatt“ (1910- 1941). In: Der Deutsche Hugenott 61,1997, Nr. 2, S. 35- 62. 5 Karl Barth: Das Problem der Ethik in der Gegenwart. Vortrag in Wiesbaden September 1922. In: Karl Barth: Das Wort Gottes und die Theologie, München 1925, S. 125- 145. 6 Vgl. Richard Ziegert: Kirche ohne Bildung (Beiträge zur rationalen Theologie. Hg. von Falk Wagner; Bd. VIII), Frankfurt/ M. 1997, S. 215. 7 Vgl. Wolf- Dieter Hauschild: Art.: Bekennende Kirche. In: RGG 4 Bd. I, 1998, Sp. 1241-1246. www.Hugenottenim Internet. (1) In dieser neuen Rubrik werden künftig empfehlenswerte Internetadres-sen zum Thema ‚Hugenotten‘ kurz vorgestellt. 1) www.geocities.com/Heartland/Valley/8140/begin-e.htm Huguenot Society of South Africa: Eine der umfassendsten und aufwendigsten Hugenottenseiten überhaupt. 2) www.hamburg.de/Behoerden/Pressestelle/hambourg-france/b/6.htm Wußten Sie, daß ein Hugenotte die Freimaurerei in Deutschland einführ-te? Wußten Sie, daß das Thalia Theater von einem Hugenotten gegrün-det wurde? 3) members.tripod.de/schwabendorf/arbeitsk.htm Auf dieser Homepage stellt sich der Arbeitskreis für Hugenotten- und Waldensergeschichte Schwabendorf e. V. vor. 4) www. hhs- newpaltz.org/ Huguenot History Society (New Paltz, New York): Eine Internet-Wanderung auf der ‚Huguenot Street‘ ist lohnenswert. 5) www.museum.co.za/index.htm Professionell wird das ‚Huguenot Memorial Museum‘ in Franschhoeck (Südafrika) vorgestellt. 60 „Ueber das Haus No 90 an der Trift in Celle, erbaut von Caspar Gabain...“ von Louis Gabain (1863) - bearbeitet von Andreas Flick Im Archiv der Evangelisch- reformierten Gemeinde Celle befindet sich ein handschriftlicher Bericht mit dem Titel: „Ueber das Haus No 90 an der Trift in Celle, erbaut von Caspar Gabain und darauf in Besitz von P.L.S.Gabain, Kanzleidirekt[or] v[on] Willich, Herrn von Wersebé und Herrn W.F.Schaper - und beiläufig über die Gabain´sche Familie“. Er wurde 1863 von dem in Hamburg lebenden Kaufmann Gottfried Matthaeus Ludwig (Louis) Gabain verfaßt. Der am 19. August 1795 in Celle geborene Hugenottennachfahre verstarb am 16. Februar 1883 in der Hansestadt. In seinem kurzen Text berichtet Gabain anfangs in knapper Form von der Geschichte seiner Familie, bevor er auf die Geschichte des Hauses Trift 90 (heute Trift 32) zu sprechen kommt. Beigefügt ist dem Text zeitgenössisches Bildmaterial, das von Louis Gabain auf der Rückseite beschriftet wurde. Dessen Vater, der Hutfabrikant Pierre Louis Gabain, war der letzte Presbyter der Französisch-reformierten Gemeinde Celle. Um 1870 muß sein Sohn der Celler Kirchen-gemeinde die Dokumente geschenkt haben. Aktuelle Aufnahme des Hauses 61 „Nachweisung über das 1861 von Herrn W. F. Schaper gekaufte Haus, jetzt No 90 an der Trift zu Celle. Altes Foto eines historischen Gemäldes mit dem 1765 erbauten Stammhaus der Familie Gabain (rechts). Das Eckgebäude in der Mitte wurde später von Pierre Louis Gabain erbaut. 1 Als Ludwig XIV. durch die Aufhebung des Edicts von Nantes am 15. Oct[o]b[er] 1685, - welches den reformirten Protestanten volle Religions-freiheit gewährt hatte, - ungerechter Weise seine sittlichsten, edelsten und fleißigsten Unterthanen aus Frankreich vertrieb, fanden diese in vielen Ländern Deutschlands wohlwollende Aufnahme, besonders in Kur Bran-denburg und Hessen, aber auch in den Lüneburg Celleschen Landen. - Diese fleißigen französischen Fabrikanten und Handwerker brachten viele Künste und Gewerbe ihrer Heimath mit und wurden da ein Segen, wo man sie aufnahm.- Strumpfwirkerei, Hutfabrikation, Handschuhmacherei, Weißgerberei etc. gehörten vorzugsweise zu diesen, aber auch das Backen des Weißbrots führten sie in größerer Vollkommenheit ein, wodurch Celle besonders das schöne Weißbrot bekam, welches diesen Ort auszeichnet und wovon noch das Franzbrod die Abstammung festhält.- 62 Links: Caspar (Gaspard) Gabain (1714-1788), der Erbauer des Hauses 2 Rechts: Peter Ludwig Stephan (Pierre Louis Estienne) Gabain (1765-1849) 3 3 1685 wanderte auch Jean Gabain als junger Mann von einigen 20 Jahren aus dem mittägigen Frankreich, aus St. Rome de Cernon im Cevennenlan-de aus, blieb bis 1701 in Payerne in der Schweiz und zog dann mit drei Söhnen nach Halberstadt. - Sein Sohn Peter Gabain begab sich zu andern, schon etablierten Verwandten nach Celle, wo durch die französisch-reformirte Gemahlin des letzten Herzogs die französischen Flüchtlinge besondern Schutz genossen und sich für ihre Gottesverehrung um jene Zeit einen Tempel an der Hannoverschen Heerstraße [heute Hannoversche Straße] bauten. Im Jahre 1719 etablierte Peter Gabain in dem jetztigen Rittmeyerschen Hause in der sogenannten Prinzlers- Gasse [heute Ohagenstraße 8- 9], welche die Hannoversche Heerstraße mit der Breitenstraße verbindet, eine französische Hutfabrik. Er blieb kinderlos in zwei Ehen und der Sohn sei-nes Halberstädter Bruders Jean David, der junge Caspar Gabain, mein Großvater trat in sein Geschäft, wurde sein Nachfolger und vergrößerte die Fabrik bedeutend.- Caspar Gabain verlegte solche an die Trift und baute von Grund auf das jetzige Haus No 90 [heute Trift 32] an der Trift, wozu damals auch als Nebengebäude, das Eckhaus gehörte, dessen Fronte an der Mühlenstraße [heute Mühlenstraße 26] liegt und bezog sein großes, 63 schönes, mit Sachkenntnis erbau-tes Wesen im Herbst des Jahres 1765. - In diesem Jahre bald dar-auf am Sylvesterabende 1765, wurde mein Vater, Peter Ludwig Stephan Gabain in dem neuen Hause geboren. Nach dem Tode seines Vaters und ältern Bruders Jean Pierre übernahm mein Vater die Grundstücke für [hier fehlt ein Eintrag] und ich, Gottfried Matthaeus Ludwig Gabain, jetzt Kaufmann in Hamburg, wurde 1795 in demselben Hause gebo-ren. Mein Vater theilte die Ecke und die Fabrik davon ab, baute sich das Eckhaus aus und verkaufte das große Hauptgebäude für 4000 R[eichst]h[aler] Cassengeld an den Hofrath, später Canzlei Director von Willich, von dem solches nach dessen Tode an den Herrn von Wersebé überging und nun von Herrn Schaper erstanden ist. Jetzt, nach beinahe 100 Jahren, steht das Haus noch stattlich da u[nd] zeugt äußerlich und innerlich von dem guten Geschmack seines Erbauers. Hamburg, d[en] 8. April 63. Louis Gabain“ 1 Text auf der Bildrückseite: Das Gabainsche Stammhaus an der Trift in Celle, erbaut u. bezogen vom Großvater Gaspard Gabain 1765 am 31. Decbr 65 wurde darin geboren mein geliebter Vater Pierre G. u am 19 Augst 1795 auch ich. Später baute sich mein Vater links das lange Eckhaus mit dem Giebel aus, und wir wohnten darin. Hamburg 27 Juli 1868 Louis Gabain. 2 Text auf der Bildrückseite: Gaspard Gabain Celle, geb. in Halberstadt. Vater meines Vaters Pierre Louis Estienne Gabain, geb 31. Decb. 1765. Erbauer des Hauses an der Trift im Jahr 1765. Louis Gabain in Hamburg. 3 Text auf der Bildrückseite: Pierre Louis Estienne Gabain, mein geliebter Vater, geboren in Celle d. 31. Decbr. 1765, – gestorben in Celle d. 23 Sptbr. 1849. Das Bild nach einer Schwarz Kreidezeichnung im Alter von 65 Jahren. Hamburg 16 Mai 1868 Louis Gabain. 4 Text auf der Bildrückseite: Gottfr. Matthaeus Ludw. Gabain, geb in Celle 19 May 1795. Hamburg 1872. L. Gabain. Gottfried Matthaeus Ludwig (Louis) Gabain (1795-1883), der Verfasser dieses Textes. 4 64 Quelle: Archiv der Evangelisch-reformierten Gemeinde Celle: Kurze Geschichte des Fami-lie Gabain (insbesondere Haus Trift Nr. 32) von Louis Gabain, 1863 (Die zeitgenössische Rechtschreibung des Textes wurde mit Ausnahme der Groß- und Kleinschreibung beibehalten. Außerdem wurde der Text mit aktu-alisierten Anmerkungen versehen.) Weitere Literatur zur Familie Gabain: Gabain, Dr. Eduard: Gabain, von Gabain, van Gabain, aus St. Rome de Cernon in Süd-Frankreich, in: Deutsches Geschlechterbuch Band 63, 1929, S.107-149. Flick, Andreas; Hack, Angelica; Maehnert, Sabine: Hugenotten in Celle. Katalog zur Ausstellung im Celler Schloß 9. April - 8. Mai 1994, Celle 1994 (Dieses Buch berichtet auf Seite 98ff. ausführlich von der Geschichte der Gabainschen Hutfabrik in Celle). Wittstock, Jürgen: Der Bremer Porträtmaler Bernhard Dietrich Funke und sein Bild-nis des Kaufmanns Johann Ludwig Isaak Gabain, in: Bremisches Jahrbuch 1981, Bd. 59, S. 12-15. Im Stadtarchiv Celle befindet sich eine Stammtafel der Familie Gabain. Nr. 474316/ Gabain Buchbesprechungen Albert de Lange: Die Waldenser. Geschichte einer europäischen Glaubensbewegung, 32 Transparentfolien, (Folienreihe zur Landes-kunde 7), Landesbildstelle Baden, Rastatter Straße 25, 76199 Karlsru-he 1999, 380,- DM. Die Landesbildstelle Baden hat in Zusammenarbeit mit verschiedenen an-deren Institutionen ein Medienpaket zur Geschichte der Waldenser heraus-gegeben. Albert de Lange gibt am Anfang eine kurze Einleitung in die Ge-schichte der Waldenser als europäische Glaubensbewegung, nennt einige wichtige Literaturhinweise und Arbeitsmaterialien für den Unterricht. Das Medienpaket enthält 32 Transparentfolien, die sich einzelnen Themen der waldensischen Geschichte widmen. Jeweils acht Folien beschäftigen sich mit einem Schwerpunktthema: den mittelalterlichen Waldensern (Folien 1-8), den Waldensern in der Neuzeit (Folien 9- 16), mit den Waldensern in Italien heute (Folien 17- 24) und der Geschichte der Waldenser in Deutsch-land von 1699 bis zur Gegenwart (Folien 25- 32). Innerhalb der einzelnen Schwerpunktthemen finden sich Karten, historische Dokumente und Abbil-dungen von Orten und Personen, die für die Geschichte der Waldenser 65 bedeutsam sind. Jeder Folie ist ein einseitiger Begleittext beigefügt, der gute Erklärungen gibt. Insgesamt kann gesagt werden, daß mit dieser Folienreihe ein gutes Hilfs-mittel für die Geschichte der Waldenser erschienen ist. Die Möglichkeiten zum Einsetzen liegen sicherlich vor allem im Bereich von Unterricht und Gemeindeveranstaltungen. Besonders wünschenswert wäre es, wenn Me-dienstellen, Kirchengemeinden und entsprechenden Einrichtungen diese Folienreihe anschaffen könnten, damit sie dort für Interessenten zur Verfü-gung steht. Wer Material zur Geschichte der Waldenser sucht, wird in die-sem Medienpaket sicherlich fündig werden. Albert de Lange als Bearbeiter, den Herausgebern und vor allem der Landesbildstelle Baden ist dafür zu danken, daß sie dieses informative Werk haben erscheinen lassen. Erich Wenneker Walter Schlosser: Hören, Erkennen, Erfahren. Hanauer Predigten. Verlag Hanauer Anzeiger, Hanau 1998, 400 S., ISBN 3- 9805307- 7- 9, 34,50 DM. Verfasser dieser Predigtsammlung ist der langjährige frühere Pfarrer der Wallonisch- Niederländischen Gemeinde in Hanau, Dr. Walter Schlosser. Die Auswahl enthält 54 Predigten und Ansprachen, die in Gottesdiensten der Wallonisch- Niederländischen Gemeinde und den Gemeinden des Re-formierten Generalkonventes in der ehemaligen DDR gehalten wurden, mit denen die Gemeinde während der Zeit der deutschen Teilung partner-schaftlich verbunden war. So finden sich in dieser Publikation neben der überwiegenden Zahl von sonntäglichen Gottesdienstpredigten auch Ansprachen und Predigten zu Taufen, Konfirmationen, Trauungen und Bestattungen sowie Ansprachen in einigen gottesdienstlichen Feiern zu besonderen politischen Anlässen, wie dem Tag der Vereinigung Deutschlands 1990 und dem 50. Jahrestag des Kriegsendes 1995. Der Sammlung ist als informativer Anhang der Beitrag „Von der Flücht-lingsgemeinde zur Evangelisch- reformierten Kirche. Der Weg der Wallo-nisch- Niederländischen Gemeinde von 1897- 1997“ beigegeben, der anläß-lich des Jubiläums „400 Jahre Wallonisch- Niederländische Gemeinde und Neustadt Hanau“ entstanden ist. Die Veröffentlichung des Bandes geht auf eine Idee des Konsistoriums der Gemeinde zurück, welche ihrem Pfarrer die Herausgabe dieser Pre-digtsammlung zur Pensionierung geschenkt hat. In einer Zeit, in der die Menschen mit Büchern aller Art überschwemmt werden und in der die Kirchen gegen einen kritischen Zeitgeist ankämpfen, 66 scheint die Herausgabe einer Predigtsammlung durchaus ein mutiges Pro-jekt zu sein. Schlosser erscheint es wichtig, daß die evangelische Predigt ihren gottesdienstlichen Ort behält und ihre reformatorische Bedeutung wahrt. Die authentische evangelische Predigt ist für ihn kompetente Verge-genwärtigung Jesu Christi und seines Werkes im Gottesdienst. Die „Ha-nauer Predigten“ möchten laut Presseinformation „dazu beitragen, im Zwiespalt einer verbreiteten Theologievergessenheit zahlreicher Prediger und einer spürbaren religiösen Sprachunfähigkeit vieler Predigthörer kom-petent und biblisch von Gott, dem Glauben und unserem Leben zu spre-chen.“ Grundsätzlich leiden Predigten, die in Büchern publiziert werden, unter einem Problem. Sie können nicht die Ausstrahlung, Stimme und Gestus des Predigers vermitteln, sondern müssen ausschließlich als Text überzeu-gen. Predigt ist eigentlich gesprochenes Wort, das stilistisch anderen Re-geln folgt als geschriebenes Wort. Es ist hier nicht der Ort, die einzelnen Predigten zu bewerten. Das sei der mündigen Leserin oder dem mündigen Leser überlassen, denen das Buch von Seiten des Rezensenten empfohlen werden kann. Die „Hanauer Pre-digten“ sind eine Veröffentlichung, der man sich über einen längeren Zeit-raum Predigt für Predigt zuwenden kann. Andreas Flick Neue Bücher und Aufsätze Die mit einem * versehenen Titel sind in der Bibliothek in Bad Karlshafen vorhanden bzw. werden angeschafft. Nicht aufgenommen wurden Aufsätze aus genuin huge-nottischen Zeitschriften. Für die Bücher ohne Stern werden noch Sponsoren ge-sucht. Bitte teilen Sie alle Neuerscheinungen (Bücher u. Aufsätze) dem Schriftleiter von HUGENOTTEN mit. *Mireille Baumgartner: L’église en Occident: des origines aux réformes du XVIe siècle, Paris: Presse Univ. de France 1999. *Pierre Boismorand/Freddy Bossy/Denis Vatinel: Protestants d’Aunis, Saintonge et Angoumois, Paris 1998. *Patrick Cabanel: Laizität und Religionen im heutigen Frankreich, in: Christadler, Marieluise/Uterwedde, Henrik (Hg.): Länderbericht Frankreich. Geschichte – Politik Wirtschaft - Gesellschaft, Opladen 1999, S. 161 – 180. 67 *Marjolaine Chevallier: Der Millenaris-mus von Antoinette Bourignon und Pierre Poiret, in: Evangelische Theologie 59, Heft 6, 1999, S. 459. *Desmond M. Clarke: Faith and Reason in the Thought of Moise Amyraut, in: Judaeo-Christian Intellectual Culture in the Seventeenth Centu-ry. A Celebration of the Library of Narcissus Marsh (1638-1713), ed. by Allison P. Coudert u. a., Dordrecht/Boston/ London 1999, S. 145 – 159. *Heidi Fogel und Matthias Loesch (Hg.) im Auftrag der Stadt Neu-Isenburg: „Aus „Aus Liebe und Mitleiden gegen die Verfolgten“. Beiträge zur Grün-dungsgeschichte Neu-Isenburgs. Edition momos Verlagsgesellschaft mbH Neu-Isenburg 1999. *Werner Gahrig: Unterwegs zu den Hugenotten in Berlin. Historische Spaziergän-ge, Edition Ost AG, Berlin 2000. *Jens Häseler/Anthony McKenna (Ed.): La Vie intellectuelle aux Refuges pro-testants. Actes de la Table ronde de Münster du 25 juillet 1995, Paris 1999. Noel Heather: Du Bartas, French Huguenot poet and his humorous ambivalence, (Studies in French Literature, Volume 31), The Edwin Mellen Press, Le-wiston, Queenston, Lampeter 1998. *Christine Kansy: Integration auf preußisch, in: Damals 32, H. 1, 2000, S. 74 – 75 [Über das Hugenottenmuseum in Berlin] *Jens Th. Kaufmann (Hg.): Niedersächsische Trauregister Celler Land. Band 1. Von den Anfängen bis zum Jahr 1700 2. Lieferung: Stadt Celle (II), Burgvog-tei Celle, Amtsvogtei Bissendorf, Amtsvogtei Burgwedel, Im Selbstverlag Braunschweig 1999. [Verzeichnet 22 Trauungen in der französisch-reformierten Gemeinde Celle 1687-1700.Bestelladresse: J. Th. Kaufmann, Reisweg 10, 38116 Braun-schweig] *Brigitte Köhler: Dreihundert Jahre Waldenserkolonie Rohrbach-Wembach-Hahn. Herkunft und Geschichte ihrer Bewohner, Ober-Ramstadt 1999. *Robert Larin: Brève Histoire des protestants en Nouvelle-France et au Québec (XVIe-XIXe siècles), Éditions de la Paix Québec 1998. *Madeleine Lazard: Agrippa d’Aubignè, Paris 1998. 68 *Albert de Lange: Nuovi libri in occasione del Trecentenario valdese in Germania, in: Bollettino della Societá di Studi Valdese 184, 1999, S. 61 – 71. *Le livre des délibérations de l’Église réformée de l’Albenc, édition établie par François Francillon, Paris: Honoré Champion 1998. *Pierre Poiret: La paix des bonnes âmes. Edition critique par Marjolaine Chevallier, Genève 1998. *Bernard Reymond: Le Protestantisme en Suisse romande: portraits et effets d’une influence, Genève 1999. [Zahlreiche Verbindungen zu Hugenotten] *Peter Rückert (Bearbeiter): Alte Christen - Neue Christen. Württemberg im Streit um die Reformation. Katalog zur Ausstellung des Hauptstaatsarchivs Stutt-gart, Stuttgart 1999. *1699 - 1999. 300 Jahre Evangelisch-Reformierte Gemeinde in Stuttgart. Hg. v. Presbyterium der Evangelisch-reformierten Gemeinde Stuttgart, Stuttgart 1999 *Kathrin Utz Tremp: Multum abhorrerem confiteri homini laico. Die Waldenser zwischen Laienapostolat und Priestertum, insbesondere an der Wende vom 14. Zum Jahrhundert, in: Pfaffen und Laien - ein mittelalterlicher Antagonis-mus? Freiburger Colloquium 1996. Hg. v. Eckart Conrad Lutz und Ernst Tremp, Freiburg/Fribourg 1999, S. 153 – 189. *Agnès Vatican: Les conversions de protestants béarnais devant l’inquisition espagnole (1567-1700), in: Revue de Pau et de Béarn 25, 1998 [1999], S. 45 – 58. Alexander Wagner (Hg.): Singt, singt dem Herren neue Lieder. Liedpsalter zum Evangelischen Gesangbuch für gemischten Chor und Ad-libitum-Instrumente. Hg. im Auftrag der Lippischen Landeskirche, Carus-Verlag Stuttgart Stuttgart 2000. *Eike Wolgast: Reformierte Konfession und Politik im 16. Jahrhundert. Studien zur Geschichte der Kurpfalz im Reformationszeitalter, Heidelberg 1998. [Untersucht auch die Beziehungen zu den Hugenotten] Hugenottenkreuze der Deutschen Hugenotten-Gesellschaft Prospekt und derzeit gültige Preisliste sowie Bestellungen bitte direkt an: Ursula M. Mathieu, Lehnsmorgen 12b, 38173 Sickte. Tel.: 05305-666 69 70 Kurzmeldungen • Fassaden-Restauration: Die für die Orte Tours und Touraine (im Loiretal) zuständige evangelisch-reformierte Kirchengemeinde Kirchengemeinde benutzt für ihre Gottesdienste die Kapelle der ehema-ligen Christlichen Union für Junge Mädchen. Das ungefähr 1676 errichte-te Gebäude steht heutzutage unter Denkmalschutz. Der gegenwärtige bauliche Zustand erfordert wichtige Restaurationsarbeiten der Kirchenfas-saden sowie des Daches. Die Finanz-studie kalkuliert für die anstehenden Renovierungsarbeiten einen Gesamt-betrag von 320.143 Euro. Der Vorsit-zende des Kirchenrates, Pierre Sout-ter, hat die Deutsche Hugenotten-Gesellschaft um Unterstützung bzw. um Vermitt-lung von möglichen Unterstützungen gebeten. Da unsere eigenen knappen Fi-nanzmittel keine Zuwendungen möglich machen, geben wir die Information mit diesem Beitrag an unsere Mitglieder weiter. Nähere Auskünfte erhalten sie bei: Secrétariat-Locaux Paroissiaux 5, rue de la Bazoche-37000 Tours. • Genealogische Anfrage: Wer hat weitere Infomationen zu den Hugenottenfamili-en Dubuy, du Buy, Chayot, Cheaaux, Chayau, Vasseur, Michel, de Bernonville, Derode (Fonrode). Die Familie Dubuy stammt aus Origny-en Thiérache, Picardie, Nord-Frankreich und hat Frankreich um etwa 1690 verlassen. Besonders interes-siert bin ich an Vorfahren von Isaac, Daniel und Jean Dubuy, die aus Origny-en-Thiérache stammen stammen und Mitte 1600 geboren sind. Info in Deutsch, Englisch oder Französisch bitte, an Jacob du Buy, Wittelaan 20, NL - 3743 CP Baarn. • Hugenottentage: Der Vorstand der Deutschen Hugenotten-Gesellschaft hat be-schlossen, den Hugenottentag 2001 in Neu Isenburg und den Hugenottentag 2003 in Emden stattfinden zu lassen. • Schrifttafel entdeckt: Im Dezember 1999 wurde bei einer restauratorisch-technischen Befunduntersuchung in der Evangelisch-reformierten Kirche in Celle überraschend eine französisch-sprachige Schrifttafel entdeckt, die seit über 150 Jahren unerkannt als Decke in der Kirchenorgel diente. Die Entfernung eines grau-en, im 19. Jahrhundert aufgetragenen, Ölkaseinanstrichs förderte goldene Buch-staben auf weißem Grund zu Tage. Ob es sich hier um die in Archivalien erwähnte 71 Tafel mit dem apostolischen Glaubensbekenntnis und dem Unser-Vater-Gebet handelt, handelt, handelt, lässt sich beim gegenwärtigen Stand der Untersuchungen noch nicht sa-gen. Ebenso bleibt abzuwarten, ob die Tafel komplett vorhanden ist. Das Foto zeigt ein Fragment der französischen Schrifttafel. • DHG-Hompage: Auch unsere Deutsche Hugenotten-Gesellschaft arbeitet zur Zeit intensiv an einer eigenen umfangreichen Homepage für das Internet. Die Zeitschrift HUGENOTTEN (DER DEUTSCHE HUGENOTT) wird herausgegeben von der Deutschen Hugenotten- Gesellschaft e. V., Hafenplatz 9a, 34385 Bad Karlshafen. Tel. 05672- 1433. Fax: 05672- 925072. HUGENOTTEN erscheint als Mitgliederzeitschrift viertel-jährlich. Der Bezugspreis ist im Mitgliedsbeitrag von derzeit 60,– DM enthalten. Einzelheft 9,50 DM, Auflage: 1500. Schriftleitung: Pastor Andreas Flick, Hannoversche Str. 61, 29221 Celle (presserechtlich verantwortlich). E- mail: Refce@t- online. de. Für den Inhalt der einzelnen Beiträge sind die Autoren verantwortlich. Druck: Druck & Werbung, Celle. ISSN 0340- 3718. Haben Sie schon Ihren Mitgliedsbeitrag (60,- DM) für das Jahr 2000 entrichtet? Kasseler Sparkasse BLZ: 520 503 53 Kontonummer 118 060 521 72 1P 21546 F Verlag der Deutschen Hugenotten- Gesellschaft Hafenplatz 9a, 34385 Bad Karlshafen, Tel. 05672/ 1433 Barbara Dölemeyer / Jochen Desel Deutsche Hugenotten- und Waldenser-Medaillen. Beiträge zu einer Histoire Métallique du Refuge Allemand (Geschichtsblätter der DHG, Bd. 27) 1998, 180 S. m. Abb. ISBN 3-930481-05-7 58,- 58,- 58,- 58,- DM (Mitglieder 43,50 DM) An den Medaillen läßt sich das durch die Jahrhunderte bleibende Interesse ablesen, das in den deutschen Landen den eingewanderten Hugenotten ent-gegengebracht wurde und noch wird. Besonders die Jubiläen der Einwande-rung und die Gründung von Hugenot-ten- Orten waren willkommener Anlaß auch eine Medaille herauszugeben. Für Mitglieder der DHG und Abonnenten der Geschichtsblätter gibt es einen Rabatt von 25%