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Abendmahl
Die reformierte A.slehre gibt es nicht, sowenig es die allgemein verbindliche ref. Bekenntnisschrift gibt. Unter ref. A.slehre sind hier charakteristische theologische Entscheidungen hinsichtlich der A.sauffassung gemeint, wie sie vor allem in der verbreitetsten ref. Bekenntnisschrift, dem Heidelberger Katechismus, anzutreffen sind und wie sie weniger auf Zwingli als auf Calvin zurückgehen. Die Dogmatik hat nicht einfach die Lehre vom hl. A., wie sie die ref. Väter im 16. Jh. ausbildeten, zu rekapitulieren, sondern zu fragen, ob und inwiefern die damaligen Entscheidungen schriftbegründet und in der heutigen Situation von Gewicht sind. Eine klassische Zusammenfassung ref. Eigentümlichkeiten in der A.slehre gibt Calvin, wenn er in seiner Evangelienharmonie (zu Mt 26, 26) die carnis Christi manducatio betont, aber dann abgrenzend präzisiert: sed hic tria observare operae pretium est: ne perperam res spiritualis cum signo misceatur: deinde, ne quaeratur in terra Christus vel sub terrenis elementis: tertio, ne fingatur alia manducatio, quam quae arcana Spiritus virtute Christi vitam nobis inspirat, quod ipsum non nisi sola fide consequimur. Entsprechend lehrt der Heid. Kat. Er lehnt nicht nur die Transsubstantiation ab, sondern wendet sich gegen jede Vorstellung, die eine Anwesenheit des Leibes und Blutes Christi in oder unter Brot und Wein nahelegen könnte. Deshalb wird zwischen äußerer Handlung und geistlichem Geschehen unterschieden und doch beides so verknüpft, daß Ersteres als sichtbares Pfand und Zeichen die Bürgschaft für Letzteres gibt (Fragen 75.78.79). In der Begründung dieser Auffassung spielt die christologische These, daß der Auferstandene sich seit der Himmelfahrt leiblich zur Rechten Gottes befinde, eine entscheidende Rolle gegenüber luth. Ubiquitätslehre (Fragen 47-49). Da die Verbindung des Erhöhten mit den Seinen im A. durch den hl. Geist geschieht, kann im Unterschied zur luth. Lehre von der manducatio impiorum nur der Glaubende wirklich Christus empfangen. In welchem Sinne die hier nur kurz markierten Lehrentscheidungen heute Geltung beanspruchen können, hat die Dogmatik zu erörtern. Daß die Lehrform der Väter des 16. Jh.s nicht einfach übernommen werden kann, ist deutlich. Zentrale Begriffe, deren man sich damals selbstverständlich bediente, sind als einem vergangenen philosophischen Denken und Weltbild verhaftet für uns fragwürdig geworden (z. B. Substanz, materia coelestis, die Unterscheidung von signum und res u. a.). Ein bezeichnendes Beispiel dafür ist der Wandel hinsichtlich der christologischen Vorstellungen, die in der Begründung der luth. und ref. A.slehren eine wichtige Rolle spielten. Kaum ein luth. Dogmatiker wird die Ubiquitätslehre (s. 1) noch vertreten wie kaum ein ref. die These von dem certo loco (im Himmel) befindlichen Leib Christi. Vor allem ist die Selbstverständlichkeit, mit der man beiderseits die Schriftgemäßheit für die eigene Lehrform in Anspruch nahm, in der heutigen exegetischen Situation weithin erschüttert. Nicht nur Luthers Berufung auf das »est« der Einsetzungsworte und die von den Reformierten überall gefundene Unterscheidung von signum und res ist fragwürdig geworden, sondern gemeinsame selbstverständliche exegetische Voraussetzungen sind umstritten, so die theologische Einheit des NT, der Zusammenhang von letztem Mahl Jesu (Passamahl?) und Abendmahl usw. Wie der eschatologische Bezug beim A. deutlicher erkannt ist, so muß auch die Frage nach den religionsgeschichtlichen Parallelen neu gestellt und jedenfalls die Zeitbedingtheit der sakramentalen Vorstellungsformen der hellenistischen christlichen Gemeinde ganz anders als vordem in Rechnung gestellt werden. Daß die hier nur anzudeutende veränderte geistige Situation zu einer Überprüfung auch der traditionellen A.skontroverse fuhren muß, liegt für jeden Einsichtigen auf der Hand. In der Form, wie die Väter hier die Fragen stellten, gibt das NT oft keine direkte Antwort. Wenn auch die gegenwärtige A.sdiskussion noch zu keinem allseits anerkannten Ergebnis geführt hat, so zeichnen sich doch Gesichtspunkte ab, die (nach Ansicht des Vf.s) für die alte Kontroverse von Belang sind. Was die Auffassung von der Realpräsenz im A. anlangt, so ist nach der ref. Seite hin zu fragen, ob die Verwendung des signum-Begriffs wie überhaupt das Leib-Seele(Geist)-Schema, dessen man sich oft bediente, dem Realismus der biblischen Aussagen über das A. genügend Rechnung trägt. Klar ist, was damit bezweckt wird: Die Abwehr eines Sakramentsverständnisses, nach dem es ex opere operato wirkt und ein Kreatürliches vergötzt wird. Aber so gewiß der Begriff sigillum etwa in Röm 4, 11 eine exegetische Stütze finden kann, so ist doch die Unterordnung aller A.saussagen unter dies Denkschema eine Verengung. Andrerseits ist die luth. Theologie zu fragen, ob sie nicht in einer zwar dem Wortlaut gewisser Bibelstellen entsprechenden, aber ihrer eigentlichen Intention nicht gerecht werdenden Weise den Akzent auf die Elemente verschoben hat, so daß sich der Blick statt auf den hier handelnden Herrn auf ein sakramentales »Es« richtete, über dessen Vorhandensein auf Grund der Konsekration die seltsamsten Theorien entstanden. Es wäre zu zeigen, daß das A. »Verkündigung des Todes des Herrn« ist und daß die besondere Weise, in der sich Christus hier schenkt, nicht auf eine andere Gabe oder einen anderen Geber schließen läßt als sonst in der Verkündigung. Ein andrer, in dem A.sstreit des 16. Jh.s wichtiger Punkt ist die schon erwähnte jeweilige christologische Begründung. Wenn ein Extra-Calvinisticum derart gelehrt wird, daß man zwischen einer Gegenwart der göttlichen und menschlichen Natur Christi unterscheidet und letztere im Himmel lokalisiert, so ist das ein sehr bedenkliches Theologumenon nicht nur wegen seiner Verhaftung an ein uns fremdes Weltbild, sondern vor allem wegen dieser unmöglichen Scheidung von Gottheit und Menschheit des Erhöhten. Aber es wäre kurzsichtig, hier zu kritisieren, ohne zu sehen, auf welche gegnerische These hier reagiert wird. Die luth. Auffassung von der Realpräsenz in oder unter den Elementen war nicht nur deshalb verdächtig, weil sie trotz aller gegenteiligen Beteuerungen in einer anfechtbaren Weise lokalisierte, sondern weil man hier - ähnlich wie in der römischen Messe - einerseits eine Fortsetzung oder Verlängerung des einmaligen Heilsgeschehens fürchtete, andrerseits aber eine Vorwegnahme des Eschatons. In der Weise, wie Christus als der Fleischgewordene auf Erden war und als der Wiederkommende erwartet wird, ist er jetzt nicht gegenwärtig, sondern im verkündigten und »gehandelten« Wort und hl. Geist. Mit dieser Frage hängt ein weiterer entscheidender Kontroverspunkt eng zusammen. Die Bindung Christi an die Elemente verbürgt nach luth. Auffassung allen Teilnehmern am A. den Empfang des Leibes und Blutes Christi. Diese Lehre von der manducatio impiorum stieß deshalb auf ref. Protest, weil man den Empfang von Leib und Blut Christi nur als heilbringende Anteilhabe an ihm verstehen konnte (im Sinne von Joh 6, 56: »Wer mein Fleisch isset und trinket mein Blut, der bleibt in mir und ich in ihm«). Empfang Christi und Empfang des Geistes lassen sich nach Calvin nicht voneinander trennen. Deshalb erhält der Ungläubige nur »leere Zeichen«. Hier ist die Aktualität der damaligen Kontroverse besonders deutlich. Wenn die ref. Auffassung so verstanden werden müßte, als sei der Glaube die vom Menschen zu leistende Bedingung zum heilsamen Empfang des A.s, dann würde sie mit der Rechtfertigung sola gratia streiten. Dann nötigt sie dazu, über die eigene Gläubigkeit zu reflektieren, stürzt die Angefochtenen in Verzweiflung und macht die Selbstsicheren nur noch sicherer. In Verbindung mit der Lehre von der doppelten Prädestination und dem Syllogismus practicus drohte hier die Zusage Gottes im Sakrament fragwürdig zu werden. Daß es Calvin nicht so meint, daß Gottes promissio nicht durch menschlichen Unglauben zerstört wird, das zeigt seine Unterscheidung von offerre und accipere. Eine solche Unterscheidung von Geben und Nehmen, die zum Ausdruck bringen will, daß es im A. nicht einfach um Entgegennahme einer materia coelestis, sondern um Begegnung mit dem Herrn geht, der mich mit meiner ganzen Existenz beschlagnahmt, drohte die luth. Lehre hier zu verdunkeln. Auch hier bedarf es der Neufassung. Hier können nur einige der wichtigsten kontrovers- theologischen Probleme in der A.slehre berührt werden, die der Klärung harren. Die Verantwortung gegenüber einer (kritisch verstandenen) ref. Lehrtradition wird bei der Bemühung um eine Neufassung dieser Lehre vor allem auf folgende Punkte den Finger legen lassen: 1. Die Gabe im A. ist nicht vom Geber zu lösen, sie ist kein verfügbares »Etwas« an Stelle oder neben dem im Wort sich uns schenkenden Herrn. 2. Das A. ist der ecclesia viatorum zwischen Himmelfahrt und Parusie gegeben. Es geschieht im A. keine die Verkündigung überbietende Fortsetzung oder Wiederholung des »Einmal-Geschehenen« noch eine Vorwegnahme des Eschatons. Realpräsenz ist zugleich Spiritualpräsenz. 3. Nicht der Glaube des Empfängers oder das Bekenntnis der Gemeinde konstituiert das A., sondern die Stiftung und Zusage des Herrn, der sich dem Sünder schenkt. Aber Christus kann nur im Glauben empfangen werden, freilich in dem Glauben, der von ihm selbst im hl. Geist durch Wort und Sakrament gewirkt wird.
W. Kreck aus: Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Auflage, Bd. 1, S. 37 ff. (c) J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) Mit freundlicher genehmigung des Verlages veröffentlicht. Bitte beachte Sie die Internetseiten der 4. Auflage der RGG: http://www.mohr.de/rgg4.html
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