|
|
|
2. Huldrych Zwingli (1484
- 1531)
Von der Geburt bis zur Berufung nach Zürich
Huldrych Zwingli
wird am 1. Januar 1484 in Wildhaus (ca. 50 km südlich von St. Gallen, in einem Obertal des
Toggenburg gelegen) geboren. Er hat neun oder zehn Geschwister, von denen
mindestens zwei relativ früh sterben; zwei Schwestern gehen ins
Kloster.
Nach dem Schulunterricht u.a. in Basel und Bern studiert Zwingli ab 1499
in Wien und dann von 1502 an in Basel, wo er 1506 das Magisterexamen
ablegt.
Wichtigster Lehrer wird ihm wohl in Basel Thomas Wyttenbach. Im Anschluss
an sein Studium der "freien Wissenschaften" (liberales Artes)
studiert Zwingli noch ein halbes Jahr Theologie und ist ab dem Sommer
1506 Pfarrer in Glarus, nicht allzu weit von Wildhaus gelegen.
Schon früh bezieht Zwingli Stellung in einer politischen Fragestellung.
Hintergrund ist das in der damaligen Eidgenossenschaft übliche Söldnerwesen.
Dieses sogenannte "Reislaufen" ist für die Orte lukrativ:
wer einen Teil der jungen Männer des Ortes als Söldner zur Verfügung
stellt, bekommt Geld in die Stadtkasse. In Glarus wird nun 1506 überlegt,
in welche Richtung sich Glarus orientieren soll und wem die Söldner
aus Glarus dienen sollen: Habsburg, Frankreich oder dem Papst. Zwingli
schlägt sich auf die päpstliche Seite; er kann die Soldaten
als Waffe des Gekreuzigten gegen die Feinde der Kirche verstehen - der
Krieg ist also heiliges Instrument. 1513 ist Zwingli als Feldprediger
unterwegs und begleitet ca. 500 Glarner Soldaten, die im päpstlichen
Heer kämpfen. Die Erfahrungen, die er im Krieg macht, lassen Zwingli
nachdenklich werden. 1515 erleidet das päpstliche Heer mit den Glarnern
eine Niederlage, und in Glarus selber schlägt die Stimmung zugunsten
der siegreichen Franzosen um. Das ist für den papsttreuen Zwingli
ein Problem: Er geht von Glarus weg und wird 1516 Leutpriester in Einsiedeln,
einem alten Kloster- und Wallfahrtsort. In den gut zwei Jahren, in denen
Zwingli in Einsiedeln arbeitet, tritt der politische Charakter seiner
Tätigkeit, der vorher stark bestimmend war, zurück. Stattdessen
stehen im Vordergrund die kirchliche Tätigkeit und auch persönliche
und weitere wissenschaftliche Studien.
Denn wohl im Jahre 1516 gibt es bei Zwingli einen reformatorischen Durchbruch.
Er sagt von sich selber, dass er ab 1516 "das Evangelium gepredigt"
habe. Er liest scholastische Werke und die Kirchenväter, bringt sich
selber Griechisch bei, um das Neue Testament im Urtext lesen zu können.
Zwingli wird ein gebildeter Theologe. Auch lernt er die Philosophie des
berühmten Erasmus von Rotterdam kennen; sie beeindruckt Zwingli,
ohne dass er sie einfach übernimmt. Und worin besteht nun sein "Evangelium"?
Man wird nicht fragen dürfen, ob denn die bei Luther vorhandene "Rechtfertigungserkenntnis"
da ist, um bei Zwingli einen reformatorischen Durchbruch benennen zu können.
Vielmehr geht Zwingli einen eigenen Weg - und bei ihm ist die reformatorische
Wende in einer eindeutigen Hinwendung zur Bibel, und
zwar zum "sola
scriptura", zum "allein die Heilige Schrift" zu sehen.
Das aber war nicht eine methodische Entscheidung, vielmehr betont Zwingli
die Autorität der Heiligen Schrift, weil sie und nicht die Kirche
in ihrer klerikalen Machtfülle das Evangelium, die gute Botschaft
des menschenfreundlichen Gottes, vermittelt. Dieser Prozess der reformatorischen
Erkenntnis wird in den nachfolgenden Jahren inhaltlich ausgeführt
und vertieft werden.
Die Anfänge der Reformation in Zürich
Im Herbst 1518 wird Zwingli auf die Leutpriesterstelle
in Zürich berufen: Hauptaufgabe ist das Predigen. Und er beginnt
mit einer Besonderheit: als Grundlage seiner Predigten benutzt er nicht
die Perikopenordnung, sondern er legt die biblischen Schriften kontinuierlich
aus. Damit wendet er sich gegen die Dominanz des Kirchenjahres und folgt
der Bibel auch in ihrem Fortgang.
Ansicht
von Zürich
Nach J. Stumpfs Schweizerchronik. Zürich 1547
Bis 1522 findet bei Zwingli eine Vertiefung der Schrifterkenntnis
statt. Ein Tenor seiner Predigten besteht im Einsatz gegen das Reislaufen
- mit Erfolg: 1522 verbietet es der Rat Zürichs.
Im Jahre 1522 beginnen dann die öffentlichen Auseinandersetzungen.
Am 9. März 1522 findet im Haus des Buchdruckers Christoph Froschauer
ein demonstratives Wurstessen statt, demonstrativ, weil die Wurst in der
Fastenzeit gegessen wird. Zwei geräucherte Würste werden kleingeschnitten
und unter die anwesenden Leute verteilt. Zwingli ist dabei, ohne sich
am Wurstessen zu beteiligen. Diesem ersten Verstoß gegen das Fastengebot
folgen in den darauffolgenden Tagen weitere. Das ganze wird schnell in
Zürich bekannt, der Rat beginnt einzuschreiten und nimmt gerichtliche
Ermittlungen auf.
Nur zwei Wochen nach dem Wurstessen thematisiert Zwingli in einer Predigt
das Fastenproblem; diese Predigt erscheint im April 1522 unter dem Titel:
"Von Erkiesen und Freiheit der Speisen". Zwingli vertritt hier
ein evangelisches Freiheitsverständnis: Von allen menschlichen Geboten
und Ordnungen sind die Christenmenschen freigestellt, menschlichen Geboten
ist nicht unbedingter Gehorsam zu leisten. Das Fastengebot ist solch eine
menschliche, kirchliche Satzung. Und weil es keine göttliche Autorität
und das heißt: keine Autorität der Bibel hinter sich hat, muss
man dem Fastengebot keine Folge leisten. Gleichzeitig sind die Christen
frei, diese Freiheit, die sie haben, nicht exzessiv zu nutzen, weil sie
nicht von dieser Freiheit leben.
Zu Zwinglis Freiheitsverständnis
Ihr Glaube an Gott war nicht mehr so stark,
dass sie auf ihn allein vertrauten und ihre Hoffnung auf ihn allein
setzten, allein auf sein Gebot und seinen Willen hörten. Töricht
begannen sie wiederum, dem Diktat der Menschen zu folgen. Gleich
als ob Gott etwas versäumt habe, das nun zu ergänzen und
zu verbessern sei, reden sie sich ein: an diesem Tag, in diesem
Monat, zu dieser und jener Zeit darfst du dies und das nicht tun.
(Wobei ich nichts dagegen habe, wenn jemand zur Gesunderhaltung
und Disziplinierung seines Körpers sich freiwillig Verzicht
auferlegt und dabei sein Fasten nicht überbewertet und nicht
hoffärtig dabei wird; sein Fasten also aus Demut kommt.)
Macht man sich selber aber daraus ein Gebot und redet sich ein,
man sündige, wenn man es nicht einhält, dann heißt
dies, das Gewissen brandmarken und beschmutzen, und Verführung
zu wahrer Abgötterei. ...
Kurz und einfach gesagt: Willst du gerne fasten, dann tue es! Willst
du dabei auf Fleisch verzichten, dann iss auch kein Fleisch! Lass
mir aber dabei dem Christen die freie Wahl! ...
Wenn aber dein Nächster daran Anstoß nimmt, wenn du von
deiner Freiheit Gebrauch machst, dann sollst du ihn nicht grundlos
in Schwierigkeiten oder Versuchung bringen. Nur wenn er den Grund
deiner Freiheit erkennt, wird er nicht mehr daran Anstoß nehmen,
es sei denn, er wolle dir vorsätzlich übel. ...
Vielmehr sollst du deinem Nächsten in freundlicher Weise den
Glauben erklären und ihm sagen, dass auch er alles essen dürfe
und er darin frei sei.
(aus: H. Zwingli, Von der Freiheit der Speisen
(1522), zitiert nach: Huldrych Zwingli, Schriften Bd. 1, 37-39.62)
***
Fragen zur Weiterarbeit
1. Warum wendet sich Zwingli hier gegen das Fastengebot? Und was
hat das Fastengebot mit dem Glauben zu tun?
2. Hält Zwingli das Fasten für unchristlich?
3. Was ist der Grund der Freiheit?
4. Warum sollen Christenmenschen ihre Freiheit nicht in jedem
Falle ausüben?
|
Die Situation in Zürich spitzt sich
weiter zu. Der Rat der Stadt schreibt sich selber und nicht etwa dem zuständigen
Konstanzer Bischof die Entscheidungskompetenz zu. Nach einer Anhörung
und vorläufigen Untersagung des Fastenbruchs wird eine Disputation
auf Anfang 1523 festgelegt: Dort will der Rat der Stadt dann entscheiden.
Und als Kriterium für die Entscheidung wird die Heilige Schrift benannt.
Damit ist Zwinglis reformatorische Erkenntnis in Zürich zum Durchbruch
gelangt. Neben dem Fastenbruch gibt es weitere Konflikte. So kritisiert
Zwingli die Heiligenverehrung, woraufhin es Auseinandersetzungen mit den
Bettelorden gibt - der Rat fordert aber auch die Bettelorden auf, nur
noch schriftgemäß predigen. Ferner fordert Zwingli dazu auf,
den Zölibat freizugeben und den sich in der Reichsacht befindenden
Luther zu schützen. Ebenfalls 1522 wendet sich Zwingli gegen die
Heilsmittlerschaft Marias.
Im August 1522 kündigt Zwingli der römischen Kirche die Gefolgschaft
auf, weil sie sich nur auf Menschengesetze gründe. Erasmus ist entsetzt
über solche entschiedenen Worte.
Zwingli wächst mehr und mehr hinein in die Rolle des tonangebenden
Predigers in Zürichs. Er lebt selber seit 1522 mit seiner Frau Anna
Reinhart zusammen, die er aber erst 1524 offiziell heiratet; beiden werden
vier Kinder geboren.
Am 29. Januar 1523 findet die erste Zürcher Disputation statt. Letztlich
geht es darum, ob Gründe gegen Zwinglis Predigt aufgebracht werden
können - entscheiden will der Rat dann auf der Grundlage der Bibel.
Ca. 600 Teilnehmer kommen ins Rathaus. Aus Konstanz kommt eine Gesandtschaft
unter Leitung von Johannes Faber, der aber nicht disputieren, sondern
nur protestieren und als Beobachter fungieren soll. In der Diskussion
geht es vor allem um das Autoritätsproblem: Wem kommt letzte Autorität
auf Erden zu? Schon mittags hat der Rat genug gehört und beschließt,
dass Zwingli keine Ketzerei vorgeworfen werden könne. Vielmehr noch:
Alle anderen Prediger sollen auch auf der Grundlage der Heiligen Schrift
predigen. Für die Disputation formuliert Zwingli 67 Artikel oder
Schlussreden; zwei Schlagworte können als Zusammenfassung gelten:
solus Christus, alleine Christus, und sola scriptura, alleine die Bibel.
Im zweiten und dritten Artikel der 67
Artikel oder Schlussreden heißt es:
Die Hauptsache des Evangeliums ist kurz zusammengefasst
die, dass unser Herr Christus Jesus, wahrer Gottessohn, uns den
Willen seines himmlischen Vaters mitgeteilt und uns durch seine
Unschuld vom Tod erlöst und mit Gott versöhnt hat. ...
Deshalb ist Christus der einzige Weg zur Seligkeit für alle,
die je waren, sind und sein werden.
(aus: H. Zwingli, Auslegung und Begründung
der Thesen oder Artikel (1523), zitiert nach: Huldrych Zwingli,
Schriften Bd. 2, 28.31)
***
Fragen
zur Weiterarbeit 1.
Was sind die beiden Dimensionen, die Zwingli "Hauptsache
des Evangeliums" nennt?
2.
Was sagt uns Jesus Christus über Gott?
3.
Warum ist Christus der einzige Weg zur Seligkeit?
|
Theologische Vertiefung und Auseinandersetzungen
Das Jahr 1523 ist für Zwingli geprägt durch
eine theologische Vertiefung seiner Gedanken. Sie betreffen etwa die scharfe
Unterscheidung zwischen Gott und der Kreatur, das Sündenverständnis,
die Lehre von der Kirche, die Bedeutung der Gerechtigkeit und damit auch
das Verhältnis von Staat und Kirche. Aber auch schon sein neues Denken
hinsichtlich des Abendmahls wird deutlich - Zwingli sieht es nicht mehr
als heilsvermittelnd an.
Insgesamt ist erkennbar, dass Zwingli hier einen eigenständigen Weg
der Reformation geht. Er ist weder Luther noch Erasmus, sondern entwickelt
eine eigenständige Theologie, die von beiden Elemente aufnehmen kann.
Zum Glauben und zur Vergebung der Sünden
Ich habe aber gesagt, dass die Sünden durch
den Glauben vergeben werden; und dadurch wollte ich nichts anderes
sagen, als dass einzig der Glaube den Menschen der Vergebung seiner
Sünden gewiss machen kann.
Wer also auf Christus vertraut, dem werden die Sünden vergeben.
Wie niemand von einem anderen weiß, ob er glaubt, so weiß
auch niemand, ob jemandem die Sünden vergeben sind, außer
ihm allein, der durch das Licht und die Festigkeit des Glaubens
der Vergebung gewiss ist, weil er nämlich weiß, dass
Gott ihm durch Christus vergeben hat; und dieser Vergebung ist er
so sicher, dass er an der Vergebung der Sünden durch die Gnade
überhaupt nicht zweifelt, weil er also weiß, dass Gott
nicht täuschen oder lügen kann.
(aus: H. Zwingli, Erklärung des christlichen
Glaubens (1531), zitiert nach: Huldrych Zwingli, Schriften Bd. 4,
294f.)
***
Fragen
zur Weiterarbeit
1. Gegen welches Mißverständnis des Glaubens
wehrt sich Zwingli?
2.
Wie gewinnt der Mensch Gewißheit der Sündenvergebung?
3.
Kann man sich seines Glaubens sicher sein?
|
Neben der theologischen Vertiefung setzt sich
die Reformation auch im Alltag durch. Die Klöster leeren sich. Viele Priester heiraten. Die
gottesdienstliche Liturgie wird stark verändert und vereinfacht.
Im September 1523 mehren sich bilderstürmerische Aktivitäten,
die zu Auseinandersetzungen führen. Im Oktober 1523 kommt es zur
zweiten Zürcher Disputation hinsichtlich der Gottesdienstreform und
der Bilder in den Kirchen. Das Ergebnis ist die Empfehlung, nicht mit
Gewalt vorzugehen, sondern mit Argumenten zu überzeugen. Aber an
der Disputation wird deutlich, dass die Priesterschaft in der
ganzen Region theologisch schlecht gebildet ist.
Und es wird erkennbar, dass Zwingli und mit ihm andere zwischen zwei
Flügeln stehen: Auf der einen Seite
stehen die Altgläubigen oder Konservativen, auf der anderen Seite
die Radikalen.
Im weiteren Verlauf des Jahres 1523 bis schließlich 1524 setzt sich
Zwinglis Position in Zürich immer weiter durch; die konservative,
also eher katholisch gesonnene Opposition bricht auseinander und verliert
den Rückhalt. Pfingsten 1524 beschließt der Rat die Entfernung
der Bilder, Kruzifixe, Statuen und Wanddarstellungen. Hinsichtlich der
Gottesdienstform aber zögert der Rat. Das provoziert die Radikalen,
so dass sich ein Bruch mit diesen schon anbahnt.
(Für weitere Informationen klicken
Sie bitte auf das Bild)
Dieser Bruch vollzieht sich definitiv 1525, als die
Radikalen unter Führung von Konrad Grebel außerhalb Zürichs
im Dorf Zollikon eine eigene kleine Gemeinde gründen. Grebels Ideal
ist eine Gemeinde von Glaubenden - und da wird die Kindertaufe zum Problem.
Schon 1524 hatten Taufverweigerungen stattgefunden, gegen den Willen des
Rates, der die Neugeborenentaufe anordnete. Eine Disputation 1524 hatte
zu keinem Ergebnis geführt, und so ist die Gründung der neuen
Gemeinde, in der nur Erwachsenentaufen (also: Wiedertaufen) durchgeführt
werden, konsequent.
Zwingli hat selber zeitweise an der Kindertaufe gezweifelt. Aber im Zusammenhang
mit den "Täufern", bei denen die Taufe die Zugehörigkeit
zu einer sich von der Welt abkehrenden Gemeinschaft bedeutet, entwickelt
Zwingli eine Tauftheologie ganz eigener Art.
Sie wendet sich einmal gegen die römische Auffassung, der auch Luther
zumindest teilweise folgt: Die Taufe ist nach Zwingli kein Gnadenmittel,
sie bewirkt selber gar nichts. Sündenvergebung ist erfahrbar aufgrund
der göttlichen Verheißung, die in der Predigt zugesagt wird.
Die Taufe vergibt keine Sünden, auch das Taufwasser nicht; es hat
keine übernatürliche Bedeutung. Das eint ihn mit den Täufern.
Dennoch hält Zwingli an der Kindertaufe fest, obwohl sie den Verpflichtungscharakter
der Taufe nicht zeigen kann. Und zwar, weil in der Bibel deutlich wird,
dass auch schon die Kinder von Christenmenschen zu Gott gehören und
weil im Alten Testament ja auch die Säuglinge beschnitten werden,
die Taufe also als Parallele zur Beschneidung gesehen wird. Außerdem
führe die Praxis einer Erwachsenentaufe zu einer Absonderung und
einer sich für sündenfrei haltenden Gemeinschaft.
Was dann abgesehen von der theologischen Diskussion seitens der Obrigkeit
in der Folgezeit mit den Täufern passiert, ist kein Ruhmeszeichen
für die Reformation geworden; sie wurden verfolgt, vertrieben und
teilweise sogar ermordet.
Weitere
Schriften Zwinglis entstehen. So etwa im Jahre 1524 "Der Hirt",
in dem Zwingli den evangelischen Prediger als treuen Hirten im Kontrast
zu bösen Gegenbeispielen zeichnet. Ein Jahr später entsteht
der "Commentarius de vera et falsa religione", also: der Kommentar
über die wahre und falsche Religion, in dem Zwingli in 29 Kapiteln
die Hauptstücke der evangelischen Lehre darstellt. Der Commentarius
kann als Zwinglis Hauptwerk verstanden werden. Im Frühjahr 1525 beginnt
die sogenannte "Prophezei": eine exegetische Schulung, in der
die Bibel ausgelegt wird; für die Pfarrer wird das eine Pflichtveranstaltung.
1531 liegt als Folge dieser Bibelauslegungen die Zürcher Bibel vor.
Zu Ostern 1525 wird in Zürich eine neue Gottesdienstordnung eingeführt,
die durch Klarheit und Schlichtheit geprägt ist: Im Mittelpunkt steht
die Predigt, liturgischer Gesang und Orgel verschwinden und die Abendmahlsgeräte
sind aus Holz gefertigt.
Zürich selber steht innerhalb der Eidgenossenschaft
weitgehend isoliert da. Zur Tagsatzung wird Zürich gar nicht mehr
eingeladen. Dennoch gewinnt in mehreren Orten die Reformation die Oberhand,
so in St. Gallen, Schaffhausen, Basel und Bern. Auch in Konstanz hatte
sich die Reformation durchgesetzt. Zürich schließt sich mit
den genannten Städten zu einem Bündnis zusammen, zum sogenannten
"Christlichen Burgrecht". Das bedroht die katholisch gebliebenen
Kantone im Umfeld des Christlichen Burgrechtes, die sich wiederum selber
zusammenschliessen zur "Christlichen Vereinigung", wobei sie
auch Habsburg zum Verbündeten haben. Nach einer Zeit des Drohens
bricht schließlich der Krieg aus: 30 000 Soldaten des Burgrechts
stehen nur ca. 9 000 Innerschweizer der Vereinigung gegenüber. Aber
da nur ein Teil des Burgrechts wirklich den Krieg engagiert betreibt und
die Innerschweizer hoffnungslos unterlegen sind, gibt es schnell eine
Einigung, den Ersten Kappeler Landfrieden von 1529. Aus Sicht des Burgrechts
und damit auch Zwinglis ist das Ergebnis mäßig, weil das Söldnerwesen
in den Innerschweizer Orten weiterhin möglich ist. Jedoch ermöglicht
der Erste Kappeler Landfrieden auch die Reformation in weiteren Teilen
der Schweiz.
Abgesehen von den Streitigkeiten nach außen gibt
es auch in Zürich selber Opposition in politischer und in kirchlicher
Hinsicht. In politischer Hinsicht sind es vor allem die Händler,
der Adel und andere, die ein großes Interesse am Reislaufen haben
und auch daran, dass der wirtschaftliche Handel ungestört fließen
kann. In kirchlicher Hinsicht sind es viele Altgläubige, die die
Wiedereinführung der täglichen Messe fordern.
Zwingli hatte seit 1523 ein eigenes Abendmahlsverständnis
entwickelt. Während Luther davon ausging, dass in den Glaubenden
Brot und Wein Leib und Blut Christi werden, betont Zwingli: Brot und Wein
stehen für den Leib und das Blut Jesu Christi, der am Kreuz ein für
alle Mal dahingegeben wurde und der den Glaubenden im Heiligen Geist gegenwärtig
ist. Die Elemente Brot und Wein garantieren nicht die Sündenvergebung,
sondern erinnern an dieses Geschehen; wer Abendmahl feiert, bekennt: Unsere
Gegenwart ist verwandelt durch die Kraft der am Kreuz geschehenen Versöhnung.
Zu Zwinglis Abendmahlsverständnis
Siebtens glaube, ja weiß ich, dass alle
Sakramente so weit davon entfernt sind, die Gnade zu verleihen,
dass sie diese nicht einmal herbeibringen oder verwalten. ... Wie
die Gnade nämlich vom göttlichen Geist bewirkt oder geschenkt
wird - ich benütze das Wort aber im lateinischen Sinn, indem
ich nämlich den Ausdruck "Gnade" für Vergebung,
Nachsicht und freie Wohltat verwende -, so fällt dieses Geschenk
allein dem Geist zu. Der Geist braucht aber keinen Führer und
kein Transportmittel. Er selbst ist nämlich Kraft und Träger,
durch den alles gebracht wird, er hat nicht nötig, selber gebracht
zu werden. Wir lesen in den heiligen Schriften nie, dass Sichtbares,
was die Sakramente ja sind, den Geist mit Sicherheit mit sich bringen
würde. Vielmehr war, wenn Sichtbares je mit dem Geist verbunden
war, der Geist der Träger, nicht das Sichtbare.
(aus: H. Zwingli, Rechenschaft über den
Glauben, in: Zwingli Schriften Bd. IV, 113)
Und weil dieses Wiedergedächtnis eine Danksagung
und ein Frohlocken dem Allmächtigen gegenüber ist wegen
der guten Tat, die er uns durch seinen Sohn bewiesen hat, und, welcher
in diesem Fest, Mahl oder Danksagung erscheint, sich bezeugt, dass
er deren sei, die da glauben, dass sie mit dem Tod und Blut unseres
Herrn Jesu Christi erlöst sind.
(nach: H. Zwingli, Aktion oder Brauch des Nachtmahls,
in: Huldreich Zwinglis sämtliche Werke Bd. IV [CR 91], Leipzig
1927, 1-24, 15)
***
Fragen
zur Weiterarbeit
1.
Warum bringen nach Zwingli die Sakramente die Gnade nicht mit sich?
2.
Was für ein Verständnis des "Sichtbaren" wird
hier erkennbar?
3.
Was ist die Aufgabe des Heiligen Geistes?
4. Was geschieht im Abendmahl? Was bewirkt es?
5.
Ist Gott im Abendmahl gegenwärtig?
|
Aufgrund von bei Luther und Zwingli unterschiedlichen Verständnissen
können beide nicht zueinander kommen: Luther sieht in Zwingli einen
Abfall von der Reformation, einen Schwärmer. Und Zwingli hat den
Eindruck, dass Luther auf halber Strecke steckengeblieben ist. Beide verfassen
eine Reihe von gegensätzlichen Schriften zum Abendmahl, zum Teil
auch bewusst gegeneinander (z.B. Luther: Wider die himmlischen Propheten,
von den Bildern und Sakramenten [1525]; Zwingli: Eine klare Unterrichtung
vom Nachtmahl Christi [1526]; Luther: Dass diese Worte Christi "Das
ist mein Leib etc." noch fest stehen wider die Schwarmgeister [1527];
Zwingli: Dass diese Worte: "Das ist mein Leib" usw. ewiglich
den alten Sinn haben werden [1527])
Auf Druck des Fürsten Philipp von Hessen findet im Oktober 1529 ein
Religionsgespräch in Marburg statt, das letztlich scheitert: In allen
Punkten können sich Luther und Zwingli einigen, beim Abendmahl nicht.
Aber es ist doch eher zu sagen: Beim Abendmahlsverständnis treten
anders noch verborgene Gegensätze ans Licht. (Bild: Marburger Religionsgespräch
hier verorten)
1530 findet in Augsburg der Augsburger Reichstag statt,
auf dem der Kaiser eine Wiederherstellung der kirchlichen Einheit erreichen
wollte. Die von Philipp Melanchthon verfasste "Confessio Augustana"
(Augsburger Bekenntnis), das das prägende Bekenntnis der lutherischen
Kirchen geworden ist, wird dort verlesen. Auch Zwingli reicht ein Bekenntnis
ein: "Fidei ratio" (Begründung des Glaubens). Anders als
das auf Ausgleich und Verständigung abzielende Augsburger Bekenntnis
erklärt Zwingli hier sehr offensiv seine Interpretation des Evangeliums
und weist auch den Kaiser vom Wort Gottes her unmissverständlich
auf seine Verantwortung, seine Fehler und seine Grenzen hin.
In
der Zürcher Politik ist Zwingli weiter engagiert und viele seiner
Ideen gerade hinsichtlich der Außenpolitik Zürichs werden nach
dem Kappeler Frieden aufgegriffen. Aber in der konkreten Gestaltung kann
Zwingli den Kurs nicht sonderlich beeinflussen. So kommt es dazu, dass
er seine eigene Position in Zürich politisch gesehen als immer einflussloser
empfindet. Er fühlt sich im Stich gelassen und droht 1531, zurückzutreten,
was nur mit Mühe verhindert wird. Der Streit zwischen Zürich
und den mit ihr Verbündeten und den anderen Orten geht aber weiter.
Denn Ende 1530 hat sich die Reformation in der Innerschweiz nur zu kleinen
Teilen durchsetzen können. Daraufhin macht Zürich Druck. Und
zwar 1531 mit einer völlig fehlschlagenden Lebensmittelblockade,
die übrigens Zwingli nicht wollte. Als Reaktion erklären die
fünf Orte der Innerschweiz Zürich den Krieg und marschieren
bei Kappel auf. Am 11. Oktober 1531 werden ca. 3500 ungerüstete Zürcher
von doppelt so vielen Innerschweizern vernichtend besiegt. In weniger
als einer Stunde fallen 500 Zürcher, darunter auch Zwingli, dagegen
nur 100 Innerschweizer.
|