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Lektion 11: Der Hebräerbrief
Zur Frage des Verfassers und zur Frage der Rezeption des Briefes
Zur Frage des Verfassers und zur Frage der Rezeption des Briefes: Beide Fragen sind im Falle des Hebräerbriefes untrennbar verbunden. Die handschriftliche Überlieferung setzt mit P46 ein (um 200), in etwa zur selben Zeit auch die altkirchliche Bezeugung (Clemens Alexandrinus und Origenes, bei Euseb, h.e. 6,14,1-4; 6,25,11-14). Dass der Hebräerbrief im sog. ersten Clemensbrief, einem Schreiben der römischen an die korinthische Gemeinde aus dem letzten Jahrzehnt des ersten Jahrhunderts, bereits verwendet worden sein soll (vgl. 1 Clem 36 mit Hebr 1,1-13 in Verbindung mit dem Hohenpriesterprädikat), ist nicht eindeutig nachzuweisen. Zur Rezeptionsgeschichte des Hebräerbriefes vgl. insgesamt Gräßer I 19-21.30-38. Die folgenden Verweise auf reformierte Bekenntnisschriften beziehen sich auf E. F. K. Müller, Bekenntnisschriften der reformierten Kirche in authentischen Texten mit geschichtlicher Einleitung und Register neu herausgegeben, Leipzig 1903 = Zürich 1987. Der älteste Textzeuge, P46, rezipiert den Hebräerbrief als Paulusbrief und stellt ihn zwischen dem Römerbrief und dem 1. Korintherbrief ein, doch bemerkte bereits Origenes: »Der Sprachcharakter des 'An die Hebräer' geschriebenen Briefes hat nicht das rhetorisch kunstlose des Apostels, der ja von sich selbst bekennt, dass er in der Rede, d. h. im sprachlichen Ausdruck unerfahren sei; vielmehr ist der Brief im Gefüge der Sprache eher von griechischer Art, wie wohl jeder zugeben wird, der Sprach- und Ausdrucksunterschiede zu beurteilen versteht«. Die Liste der versuchten Zuweisungen ist lange: Clemens von Rom (als Erwägung mitgeteilt bei Hieronymus, ep. 129,3) Apollos, Silas, Judas, Timotheus, Aquila und Priscilla, Maria (Mutter Jesu), Barnabas (vgl. die Aufstellung bei Gräßer I, 21). Apollos, der in Apg 18,24f. als mächtig in der Schrift gekennzeichnet wird, kann uns wenigstens den Typ unseres Autors veranschaulichen; es bleibt aber gerade wegen der langen Liste am Ende nur das Urteil des Origenes: „Wer den Brief wirklich geschrieben hat - die Wahrheit weiß Gott allein“ (bei Euseb, HE 6,25,14). Dies Urteil spricht Origenes unbeschadet dessen aus, dass er den Hebräerbrief mehrmals als Paulusbrief benutzt (Nachweiße bei Weiß, 119 mit Anm. 22). Kanonische Anerkennung fand der Brief zunächst im Osten. Dort hat er durch die Aussagen zur Gottheit und zur Menschheit Jesu Christi wesentliches zur Zweinaturenlehre beigetragen, wie auch seine Verhältnisbestimmung zwischen neuem und alten Bund (in problematischer Weise) einer der wesentlichen geistigen Bestandteile der Selbstdefinition des Christentums im Gegenüber zum Judentum wurde. Im Westen haben ihm vermutlich der Bußrigorismus und seine Verwendung durch Häretiker im Wege gestanden. So wird er noch in den Pauluskommentaren des Ambrosiaster (um 370) und des Pelagius (um 400) nicht ausgelegt. Allerdings setzt er sich auch im Westen durch; vor allem die Autorität der Hieronymus und des Augustinus hat seine Anerkennung befördert. Hieronymus überwindet Ep 129,3 in seinem Urteil bemerkenswert die undifferenzierte Gleichsetzung kanonisch = apostolisch (von einem Apostel stammend): „nihil interesse, cuius sit, cum ecclesiastici viri sit et cotidie ecclesiarum lectione celebratur“ (es liegt nichts daran, von wem er stammt, wenn er von einem kirchlich gesonnenen Mann stammt und täglich in der [gottesdienstlichen] Schriftlesung als Heilige Schrift verlesen wird). Im Westen begegnet er erstmals 382 in einem Kanonverzeichnis, in dem sog. Decretum Damasi, während er z.B. im Canon Muratori fehlt. Eine gewisse Unsicherheit zeigt auch die Festlegung der Synode von Hippo Regius 393: Pauli apostoli epistulae tredecim. Eiusdem ad Hebraeos una. Anders der Can 24 der Synode zu Karthago von 419 (PL 67, 191 B): Hier werden erstmals ohne weitere Differenzierungen 14 Paulusbriefe gezählt. Kommentiert wurde der Brief im Osten durch Origenes, dann durch Johannes Chrysostomus und Theodoret von Kyros, im Welten durch Cassiodor (570 n. Chr.); er blieb in der Folge in seiner Autorität zunächst unangefochten. Im 16. Jahrhundert brach die Frage nach der paulinischen Verfasserschaft erneut auf. Betrachtete Martin Luther den Brief in seiner Vorlesung von 1517/18 noch als paulinisch (WA 57/3, 5), so konnte er später die nichtpaulinische Herkunft mit Hebr 2,3 begründen: Das Heil ist »zuerst gepredigt durch den Herrn und bei uns bekräftigt ist durch die, die es gehört haben«: Da mit wirts klar, das er von den Apostelln redet als eyn junger, auff den solche lere von den Apostelln gekommen sey, vielleicht lange hernach« (WA DB 7,344f.). Calvin fasst in seinem argumentum zu Beginn seines Hebräerkommentares unter gründlicher Kenntnis der einschlägigen altkirchlichen Literatur die wesentlichen Argumente zusammen, den Brief nicht dem Apostel Paulus zuzuschreiben, indem er ebenfalls auf Hebr 2,3, zusätzlich auf Hebr 6,1f. und wie Origenes auf den Unterschied in Sprache und Stil verweist (T. H. L. Parker [ed.] Ioannis Calvini Commentarius in Epistolam ad Hebraeos, in: Ioaniis Calvini opera omnia II 19, Genf 1996, 11f.). Das gibt Anlass zu dem Hinweis an die Verächter der historischen Kritik, dass auch die Kirche vor der Aufklärungszeit solche Kritik getrieben hat; sie hat sich dabei der auch heute bekannten, letztlich in der antiken Philologie entwickelten Kriterien bedient. In reformierte Bekenntnisschriften wird der Hebräerbrief teils als Paulusbrief rezipiert (Confessio Belgica von 1561, Art. 4 [Müller 234]; Westminster-Confession von 1647, Art. I 2; [Müller, 544], Bekenntnis der Cumberland Presbyterian Church von 1883 [Müller, 912]), teils zu den katholischen Briefen gerechnet (so die Confessio Gallicana III von 1559, Art. 3 [Müller, 222]); zwischen beide Gruppen ist er gestellt im im Bekenntnis der Calvinistischen Methodisten von 1823, Art. 2 (Müller, 872), ebenso im Bekenntnis der Cumberland Presbyterian Church von 1883, Art. 1 (Müller, 912). Nur ein einziges Beispiel für die Wirkungsgeschichte des Hebräerbriefes innerhalb reformierter Traditionen sei benannt: Die Auffassung vom dreifachen Amt Christi (prophetisch, priesterlich, königlich), wie sie auch im Heidelberger Katechismus (Frage 31) begegnet, ist ohne Aussagen aus dem Hebräerbrief zum Hohenpriestertum Christi kaum vorstellbar. Hebr 13,18-25, das literarkritisch in der heutigen Forschung mehrheitlich dem Schreiben belassen wird (s.u.), scheint die paulinischen Briefschlüsse nachahmen zu wollen. Allerdings nennt der Verfasser auch hier seinen Namen nicht. Paulus hält es in manchen Paulusbriefen anders (1 Kor 16,21). Während Paulus zumeist konkrete Personen grüßen lässt, fehlt das hier. Die Angaben zu Timotheus und zu „denen von Italien“ bleiben knapp und undeutlich: „weggekommen“ kann sich auf die Entlassung aus dem Gefängnis ebenso beziehen wie auf die Abreise hin zu den Adressaten; ob „die von Italien“ sich momentan innerhalb oder außerhalb Italiens aufhalten, ist ebenfalls unklar. Dass der Autor nicht eine Frau (so Harnack, der Priszilla als Autorin vermutet), sondern ein Mann gewesen sei, setzt voraus, die maskulinische Partizipform dihegoumenon in Hebr 11,32 nicht als fiktional zu deuten. Die Anonymität des Hebr ist bewusster Verzicht auf die mit einem bestimmten, vielleicht sogar apostolischen Namen verbundene Autorität; die Autorität der Sache, die Autorität von Schrift und Bekenntnis als des lebendigen Wortes Gottes (4,12) steht höher. Nicht zufällig ordnet sich der Autor als Adressat der Rede Gottes ein in den Kreis der Adressaten seines Briefes. Wichtiger als die Spekulation über den Verfasser ist die Wahrnehmung einer Textwelt, die eher mit biblischer Literatur als mit der Alltagswelt der Adressaten Bezüge knüpft. Als Figuren dieser Textwelt sind Gott, Christus, die Engel, die Gläubigen, die Nichtchristen zu benennen; die Gläubigen müssen hinsichtlich der Rangordnung Christi und der Engel belehrt werden. Eher als über die Person lassen sich über Sprachwelt und Bildungsstand des Autors gewisse Vermutungen treffen. Muttersprache des Autors dürfte das Griechische sein, auch die Heilige Schrift wird in griechischer Übersetzung zitiert. Deren Abweichungen von dem uns geläufigen LXX-Text sind zumeist auf die noch fließenden Textformen des 1. Jhdts. n. Chr. zurückzuführen. Kenntnis und Benutzung der Heiligen Schrift Israels ziehen sich durch den ganzen Brief, Kenntnis jüdischer Sondertraditionen, u.U. literarisch vermittelt, zeigt Hebr 11, u.a. in der Aufnahme der Legende von der Zersägung Jesajas. Auch mit jüdischer Schriftexegese zeigt sich der Verfasser vertraut, so verbindet das Prinzip der gezera schawa (Kombination zweier Texte aufgrund eines in beiden gemeinsam vorkommenden Wortes oder Motives) Ps 94,11 LXX und Gen 2,2 LXX (Hebr 4,3-5) ebenso wie die beiden Belege der heiligen Schrift Israels für „Melchisedek“, nämlich Gen 14 und Ps 110,4. Ferner zeugen 150 Hapaxlegomena und möglicherweise 10 Neologismen (Nachweise bei Karrer I, 29) von gewissen sprachlichen Ambitionen. Positive Bezugnahmen auf Inhalte nichtjüdischer antiker Bildung fehlen. Angesichts dessen, in welchem Maße der Autor die griechische Sprache beherrscht und die Möglichkeiten damaliger Rhetorik zu nutzen versteht, muss das nicht zwingend auf bloße Unkenntnis, sondern könnte auch auf eine bewusste Distanz des Autors dazu verweisen. Dem hier Gesagten tut es auch keinen Abbruch, dass die Gegenüberstellung von Schatten und überbietender Wirklichkeit an den (mittleren) Platonismus erinnern, denn diese Gegenüberstellung dürfte dem Autor durch das hellenistische Judentum vermittelt sein (vgl. die Belege aus Philo bei Braun, 232f.). Zentrale platonische Termini wie idea fehlen. Literarkritik und Gattungsfrage Die geläufige Bezeichnung „Hebräerbrief“ lässt ein Briefpräskript (vgl. 1 Thess 1,1; 1 Kor 1,1-3 u.ö.) erwarten, das dem Briefschluss Hebr 13,18-25 korrespondieren könnte. Doch hat sich die früher vorgetragene These, ein solches Präskript sei verloren gegangen, als unnötig erwiesen: Der Autor will das Reden Gottes zu Gehör bringen und verzichtet deshalb bewusst auf ein Präskript, das ihn als menschlichen Autor zum Gegenstand der Betrachtung erheben müsste. Umgekehrt haben das Fehlen eines Präskriptes und die wiederholten Anreden in 2. Person vor ca. 200 Jahren die Kennzeichnung des Hebr als einer „Homilie“ aus sich herausgesetzt, als einer nachträglich (an einen größeren Leserkreis) versandten (vgl. Hebr. 13,22-25) Predigt. Die These kann sich darauf stützen, dass die Bezeichnung „Wort der Mahnrede“ Hebr 13,22 in Apg 13,15 tatsächlich eine Ansprache nach den Lesungen aus Gesetz und Propheten bezeichnet; bei allem Unterschied zwischen Apg 13 und Hebr seien der exegetische Charakter und die paränetische Zuspitzung für beide Texte kennzeichnend (Weiß, 40). Neuerdings wird wieder mehr betont, dass der Hebräerbrief, obgleich eine Predigt, von vornherein schriftlich konzipiert war. - Teilweise mit Bezug auf diese These hat man eine sekundäre Herkunft von Hebr 13,22-25 erwogen. Ein Redaktor habe den Schluss des Hebräerbriefes den paulinischen Briefschüssen nachgestalten und damit dem Hebräerbrief zur kirchlichen Anerkennung verhelfen wollen. Auszuschließen ist das nicht, jedoch hat eine solche literarkritische Option keine textkritische Basis (was auch bei dem wichtigsten neueren Vertreter dieser These, E. Gräßer, anerkannt wird). In dieser Bibelkunde werden deshalb auch die Schlussverse des Hebräerbriefes als originaler Bestandteil des Schreibens betrachtet. Die religionsgeschichtliche Frage Die religionsgeschichtliche Frage des Hebräerbriefes wird zumeist anhand der alternativen Option für eines der drei Modelle „Jüdischer Hellenismus“, „Gnosis“ (s. Exkurs zu 1 Tim 6,20), „Apokalyptik“ diskutiert. Für die gnostische Interpretation wurden vor allem die Soteriologie und die Anthropologie geltend gemacht - Heil sei verstanden als Eingehen zur göttlichen Ruhe in Abwendung von allem Geschaffenen und im Aufhören aller Werke (vgl. Hebr 4,10), menschliches Dasein als Knechtschaft unter Tod und Teufel verstanden; maßgebend sei schließlich die Idee der Wesensverwandtschaft zwischen dem Erlöser und den Erlösten (Hebr 2,11). Freilich betont neuere Gnosisforschung den zeitlichen Abstand gnostischer von neutestamentlichen Texten genauso, wie der früher auf der Basis weit auseinanderliegender Texte rekonstruierte und der Exegese einiger neutestamentlicher Texte zugrundegelegte Urmensch-Erlöser-Mythos als eine sekundäre Abstraktion gelten muss. Angemessener ist es daher, Soteriologie und Anthropologie auf ihre Nähe zu später im Mythos sichtbar werdenden Grundeinstellungen zu befragen. Zugunsten der apokalyptischen Deutung sprachen vor allem die Vorstellung der „Ruhe“ als Ort der Heilsvollendung sowie das futurische Verständnis von Gericht, Parusie Christi, Heilsvollendung und Vergehen der Alten Welt (Hebr 6,2; 9,26-28; 12,26-29). Die literarischen und theologischen Kennzeichen einer enger definierten Apokalyptik, Visionen, Auditionen, Deute-Engel, Pseudepigraphie, das Selbstverständnis als spezieller Offenbarung) fehlen jedoch. Man wird die Grenzen im einzelnen nicht scharf ziehen dürfen. Es gab dualistische Strömungen in der Apokalyptik, die zur Gnosis hinweisen, und es gab, wie einige Texte aus Nag Hammadi zeigen, auch gnostische Apokalyptik, und hellenistisch-jüdische Geistigkeit konnte sich in beide Richtungen weiterentwickeln. Wahrscheinlich wird man am ehesten mit H.-F. Weiß so urteilen: „Die für den Hebr charakteristische Verbindung an sich unterschiedlicher religiöser Vorstellungs- und Aussageweisen ist nicht lediglich aus den zufälligen religionsgeschichtlichen Konstellationen zur Zeit der Abfassung des Hebr, faktisch also aus dem synkretistischen Charakter der spätantiken Religionsgeschichte, zu erklären, sondern muß vor allem aus der eigenen theologischen Zielsetzung und dem pastoralen Grundanliegen des Autos des Hebr zum Verstehen gebracht werden“ (114). Für die Interpretation auf der Grundlage des jüdischen Hellenismus sprechen vor allem die typologische und allegorische (Hebr 11,13-16) Art der Schriftauslegung. Aufgrund der intensiven Schriftbenutzung hat man auf Judenchristen als Adressaten schließen wollen. Doch war der Tanach, das heutige Alte Testament, auch für die Heidenchristen von Anfang an Heilige Schrift. Außerdem sind 3,12 und 6,1ff. anzuführen: Nach 3,12 stehen die Adressaten in der Gefahr nicht des Rückfalls in ihre jüdische Vergangenheit, sondern des Abfalls vom Glauben überhaupt; 6,1ff. spiegelt in der Tradition des jüdischen Proselytenkatechismus bestimmte Motive der traditionellen jüdischen Heidenmissionspredigt wider: die »Umkehr von den toten Werken« (= Götzendienst!) und »den Glauben an Gott«. Schließlich wäre m.E. gebürtigen Juden gegenüber die Beschreibung Hebr 9,1-5 unnötig. Man kann angesichts der diffizilen schriftgelehrten Argumentation auch an eine gemischte Gemeinde denken oder zumindest an Heidenchristen, die in Kontakt mit Juden bzw. Judenchristen lebten, allerdings wird das Verhältnis zwischen Juden- und Heidenchristen genauso wenig zum Thema wie das Verhältnis der Christen zu dem nicht an Jesus glaubenden Israel oder die Frage der Thoraobservanz der Adressaten. Soziologisch sind die Adressaten vielleicht als eine im urbanen Umfeld lebende (Lane, liii) Hausgemeinde (wie Lane auch Roloff, Kirche u.a.) anzusprechen. An Gemeindestrukturen lässt sich nur die Unterscheidung der hegoumenoi von den sonstigen Heiligen (Hebr. 13,24a) ermitteln, eine explizite Zuordnung zu Episkopen, Diakonen, Ältesten fehlt. ; ihre Aufgabe ist die Lehre (13,7) und die nachgehende Seelsorge (13,17). Spontane Äußerungen einzelner Charismen sind nicht angesprochen. Innergemeindliche Konflikte, wie sie der erste Clemensbrief für Korinth bezeugt, nimmt der Verfasser nicht in den Blick. Der Autor des Hebräerbriefes beklagt eine gewisse Abstumpfung im Hören auf Gottes Wort (5,11), das Nachlassen der früheren „Liebe zu seinem (Gottes) Namen« und des Dienstes an den Heiligen (6,10), das Nachlassen des Glaubenseifers und des Gottesdienstbesuches (10,23-25); er befürchtet, dass die Adressaten sich bei dem zu erwartenden zukünftigen Martyrien (12,4) nicht in gleicher Weise bewähren wie bei den früheren Bedrängnissen (10,32-35). Einerseits werden typische Probleme christlicher Gemeinden bzw. Gruppen in der zweiten und dritten Generation genannt. Offensichtlich wird man „mit der Erfahrung der sich dehnenden Zeit bis zur Parusie nicht fertig“ (Bull, Bibelkunde, 107). Doch lassen vor allem Hebr 5,11-14; 6,9-12 vermuten, dass der Verfasser durchaus eine konkrete Leserschaft vor Augen hat. Einen Hinweis auf den Ort der Entstehung hat man aus dem Gruß „derer von Italien“ (Hebr 13,24) entnehmen wollen. Doch ist unklar, ob „die von Italien“ sich momentan innerhalb Italiens aufhalten (so dass der Hebräerbrief in Italien entstanden wäre) oder außerhalb Italiens, so dass sie ihre in Italien weilenden Landsleute grüßen (und der Hebräerbrief somit außerhalb Italiens entstanden wäre). Über Gemeinden außerhalb der Stadt Rom wissen wir, abgesehen von Puteoli (Apg 28,13f.), recht wenig. Eine Frühdatierung um 60 empfiehlt sich nicht: Der Verfasser reiht sich selbst in die zweite oder dritte urchristliche Generation ein (2,3). Die Zeit der ersten Verkündigung liegt schon zurück, einige der damaligen Missionare sind schon gestorben (13,7). Dem Apostel Paulus wird durch einen Paulusschüler Reverenz erwiesen (13,23). Auch Stellen wie 8,4; 9,8; 13,11, die den Fortbestand des irdischen Kultes in Jerusalem vorauszusetzen scheinen, können dies nicht erzwingen: Der Hebräerbrief spricht nicht vom herodianischen Tempel, sondern, der Heiligen Schrift Israels folgend, vom Zelt der Begegnung und von der Stiftshütte. Doch lässt sich der Brief auch nicht präzise in die Spätzeit Domitians (81-96) einordnen: Die zu Texten wie Hebr 10,32-34; 12,4; 13,3 in Beziehung gesetzte allgemeine Christenverfolgung unter Domitian ist nicht nachweisbar; in Hebr 10,32-34 etc. sind einzelne Pogrome angesprochen, deren genaue Kenntnis uns allerdings fehlt. Man wird den Hebräerbrief nur allgemein in das letzte Drittel des 1. Jhdts. datieren können. 1,1-4,13 Erster Hauptteil: Gottes endgültige Rede in seinem Sohn 1,1-4 Hinführung Die „Väter“ von V. 1 sind das Volk Israel. Christliche Gemeinde ist auch in ihrem heidenchristlichen Teil in den Zusammenhang des Geschichtshandelns Gottes mit Israel hineingestellt; den vor allem bei Clemens von Alexandrien entwickelten Gedanken einer vorlaufenden „Erziehung“ Gottes an den Nichtjuden durch die griechische Philosophie (auch in ihr begegnen monotheistische Gottesaussagen und eine hochstehende Ethik) kennt der Hebräerbrief nicht. Das Reden Gottes durch den Sohn und das durch die Väter stehen im Verhältnis nicht des Gegensatzes, sondern der Entsprechung (es ist der eine Gott, der jeweils redet), der Andersartigkeit und der Überbietung (vgl. dazu Hebr 7,1-9,28). Die Rede Gottes im Sohn bezieht sich nicht auf einzelne Worte des irdischen Jesus, die uns aus der Evangelientradition vertraut wären, sondern auf seinen gesamten Weg, der als Weg des gehorsamen Selbstopfers in die ewige Herrlichkeit führt. Der Sohn als Erbe ist Urbild für die Adressaten, die ebenfalls Erben sein sollen (Hebr. 1,14), nämlich der Heilsverheißung des Eingangs zum himmlischen Ruheort Gottes. Dass er als Abglanz der göttlichen Herrlichkeit und Abdruck seines Wesens, der göttlichen Wirklichkeit bezeichnet wird, soll seinem Heilswirken unbedingte Relevanz, den Worten des Hebräerbriefes damit unbedingte Verbindlichkeit sichern. V. 2 entwickelt eine eigentümliche Variante der Schöpfungsmittlerschaft Christi: Er ist Schöpfer der Zeiten. Dem Wort „Äonen“ ist der zeitliche Sinn zu belassen; ein apokalyptischer Hintergrund muss nicht mitgedacht werden. Die Reinigung von den Sünden (1,3) ist theologisch die Voraussetzung dafür, dass die Menschen Gott nahen können, und ermöglicht literarisch die Beschreibung des Heilswirkens Christi in den Deutungskategorien des Hohenpriestertums. Die Passion Jesu wird als die von ihm selbst übernommene Tat gesehen (vgl. das Motiv der Selbsthingabe in Gal 2,20 u.ö.), nicht als Geschick, das über ihn kam. In Israel können auch die Engel des himmlischen Hofstaates gelegentlich als Gottessöhne bezeichnet werden (vgl. Ps 82,6 LXX; Hi 1,6-12). Der Autor des Hebräerbriefes enthält ihnen diesen Titel vor, um die Einzigkeit des „Sohnes“ Christus nicht zu gefährden. 1,5-14 Christus höher
als die Engel „ dienstbare Geister“: das Wort leitourgikos bezeichnet ursprünglich keine gottesdienstlichen Funktionen in unserem Sinne, sondern, der damaligen Verwaltungssprache entsprechend kostenintensive, aber nicht erstattete Dienstleistungen des einzelnen für die Gemeinschaft. Im Bereich der LXX kann es auch kultische Funktionen benennen. 2,1-4 Die Verantwortung der
Hörer von Gottes Rede 2,5-18 Die Erniedrigung des Sohnes als Grundlegung des Heils 2,5-9 Das Zeugnis der Schrift Umstritten ist in der neueren Forschung, ob Ps 8,6 LXX (nach MT wäre die Deutung nicht möglich) in Hebr 2,7f. auf Christus oder auf den Erlöser und die Erlösten zusammen (Hegermann; Gräßer) oder auf die Menschen (Karrer, der erst ab V. 9 die christologische Deutung hinzunimmt) bezogen werden muss. 2,10-18 Weg und Werk des Sohnes;
der Sohn und die Söhne 3,1-6 Jesus Christus und Mose Jesus hat sich durch seine Bewährung in Anfechtung und in seiner Solidarität als verläßlich erwiesen, ähnlich wie es Mose war; doch ihm als dem Sohn eignet die größere Herrlichkeit. 3,7-4,13 Mahnung zum Glaubensgehorsam 3,7-11 Das Wort der Heiligen Schrift 3,12-15 Die Anwendung auf die christliche Gemeinde 3,16-19 Das warnende Beispiel
der Wüstengeneration. 4,1-11 Die Wüstengeneration
und die christliche Gemeinde Das Bild der „Ruhe“ (4,1) nimmt den nach dem Einzug ins gelobte Land erhofften Zustand ins Visier, zugleich aber das Ruhen Gottes von seinen Werken (Hebr 4,10), das Urbild und zugleich Ziel menschlicher Heilshoffnung ist. Dieser Gedanke hat jüdische und pagan-antike Parallelen. 4,12-13 Die Wirkungsmacht des Wortes Gottes 4,14-10,18 Zweiter Hauptteil: Der christologische Grund der Paraklese 4,14-16 Jesus Christus ist
ein Hoherpriester, der des Mitleidens fähig
ist. 5,1-10 Die Voraussetzungen
für das Hohepriestertum Jesu Der scheinbar naheliegende Bezug von V. 7f. auf Gethsemane ist eher unwahrscheinlich: keiner der in Hebr 5 tragenden Motive kommt in Mk 14,32-43 parr. in sachlicher Übereinstimmung vor, umgekehrt fehlt in Hebr 5 das für Mk 14 zentrale Motiv, der Vater möge den Kelch am Sohn vorübergehen lassen. Die Verse fassen Jesu Erniedrigung in Form seiner Selbsthingabe insgesamt ins Auge; erhört worden ist er darin, dass ihm die Kraft zum Festhalten an Gott und zur völligen Bewährung (das meint das „ohne Sünde sein“) gegeben war; nur aufgrund dieses Festhaltens und dieser Bewährung konnte er vollendet werden. Dass Jesus Gehorsam, d.h. die Einwilligung in den unbegreiflichen Willen Gottes „lernen“ musste, lässt ihn zum Urbild und Vorbild der angefochtenen Gemeinde werden: Erhöhung (für Jesus selbst vgl. Hebr 5,9f.) setzt die Bewährung dieses Gehorsams voraus, für Christus wie für die Gemeinde. V. 5,9f. bietet die Begründung dafür, dass wir mit Zuversicht zum Gnadenthron hinzutreten können. 5,11-6,20 Vorbereitung der Rede für die »Vollkommenen« 5,11-6,12 Mahnung und Warnung
der Adressaten 6,4-8 wird die Möglichkeit der Buße für die bereits Getauften abgewehrt. Tertullian in seiner montanistischen Zeit (ab ca. 207) schätzte den Hebräerbrief deswegen hoch (de pudicitia 20); andererseits hat gerade dieser Bußrigorismus im Westen die Kanonisierung des Hebräerbriefes zeitweise verhindert. 6,13-20 Die Unverbrüchlichkeit der Verheißung
Gottes Frage zur Weiterarbeit: Inwieweit hilft der Vergleich zwischen Hebr 6,15 und Hebr 6,12 zu verstehen, warum gerade Abraham als Beispiel verwendet wird? Antwort: Abraham ist Vorbild für die Glaubenden im „Ausharren“, dem die Verheißung zuteil wird (die Begriffe makrothymia und epaggelia verbinden Hebr 6,15 und Hebr 6,12). 7,1-10,18 Die Hohepriester-Christologie 7,1-28 Der Hohepriester nach
der Ordnung Melchisedek Diese Überlegenheit gegenüber dem levitischen Priestertum legt den Schluß nahe, dass letzteres nicht die Vollkommenheit brachte, die teleiosis (7,10-19). Dieser Abschnitt ist aber deshalb so kompliziert, weil im einzelnen dargetan wird, inwiefern das Hohepriestertum Christi „nicht der Ordnung Aarons entspricht“ (7,11): Jesus Christus stammt aus dem Stamm Juda, über den hinsichtlich des Priesterdienstes kein Wort der Thora vorliegt (7,13f.), und er ist nicht nach fleischlichem Gebot des Gesetzes, sondern nach der Kraft des unzerstörbaren Lebens Gottes Priester geworden (V. 15-17). Zu Jesu Herkunft aus dem Stamm Juda vgl. auch Mt 1,3. Vorausgesetzt ist das auch bei den Stellen, die Jesu Herkunft aus dem Hause Davids bezeugen: Mt 1,20; Lk 1,27.32; 2,4; Apg 2,25-31; Röm 1,3f.; 2 Tim 2,8. In 7,20-28 wird nochmals in dreifacher Weise die Überlegenheit Jesu über die menschlichen Priester dargetan: Er ist mit Eid Priester geworden, sie ohne Eid (V. 20-22); er ist unsterblich, sie sind sterblich (V. 23-25), er ist sündlos, sie müssen zunächst für ihre eigenen Sünden die Opfer darbringen (V. 26-28). 8,1-13 Der alte und der neue Bund 8,1-6 Die „ontologische“ Überlegenheit
des neuen Bundes 8,7-13 Die eschatologische
Qualität des neuen Bundes 9,1-28 Der neue himmlische Kult 9,1-10 Die Unvollkommenheit des alten Kultdienstes Ebenfalls noch deutlich ist in V. 6f. die Unterscheidung innerhalb des alttestamentlichen Kultes: im vorderen Teil des Zeltes verrichten die Priester (Mehrzahl!) unausgesetzt die gottesdienstlichen Handlungen, in das Allerheiligste geht nur der Hohepriester einmal im Jahr, nicht ohne blutiges Opfer für die Unwissenheitsverfehlungen seiner selbst und des Volkes. Schwieriger ist die Frage zu beantworten, warum gerade das Fortbestehen des vorderen Zeltteiles anzeigen soll, dass der Weg zum Heiligtum noch nicht offenbar ist. Vielleicht ist es die faktische Insuffizienz des Kultes im vorderen Teil der Stiftshütte, die nicht wirklich die Sühnung unserer Sünden erreicht (vgl. V. 9b.10). 9,11-28 Die Vollkommenheit des Dienstes Christi 9,11-14 die Überlegenheit des Selbstopfers Christi 9,15-22 Die Notwendigkeit des Blutes im Alten Bund 9,23-28 Das einmalige Selbstopfer Christi im himmlischen
Heiligtum 10,1-18 Zusammenfassung: Das
suffiziente, einmalige und end-gültige
Opfer Christi 10,19-13,25 Die Glaubensparaklese 10,19-39 Einleitung In V. 32-39 wird die Gemeinde auf ihr eigenes positives Verhalten in früheren Tagen hin angesprochen und zur Geduld gemahnt, deren Bewährung das Erlangen der Verheißung nach sich zieht. Der Übergang vom Begriff der Geduld (10,36) zu dem des Glaubens (10,38f.; 11,1) ist nicht zufällig, sondern durch die Schrift abgedeckt und sachlich begründbar. Das Schriftzitat aus Jes 26,20 LXX und Hab 2,3f. LXX enthält im vorderen Teil die Tröstung, angesichts deren die Geduld anempfohlen werden kann, im hinteren Teil den Begriff „Glauben“, doch auch sachlich ist das Verhältnis einsichtig: Der Begriff der Geduld fasst das Verhältnis des Christen zu der ihn bedrängenden äußeren Situation in Worte, der Begriff Glaube hingegen das Verhältnis zur göttlichen Verheißung, das ihm die Geduld allererst ermöglicht. So soll das Schriftzitat die Leser zum Festhalten an der Erkenntnis der Wahrheit (vgl. 10,26) bewegen. 11,1-40 das Beispiel der früheren Glaubenszeugen 11,1-3 Die These: Glaube ist
Erwartung des Zukünftigen,
Orientierung an der Welt des Unsichtbaren Diese These wird anhand einer geschichtlichen Beispielreihe veranschaulicht. Als formale Parallele dazu vgl. JesSir 44-49; 1 Makk 2,49-68. 11,4-7 Abel, Henoch, Noah 11,8-19 Abraham Durchgehend wird Glaube als Glaube gegen den Augenschein, d.h. ohne Absicherung durch die unmittelbar zugängliche Lebenserfahrung begriffen und damit den Adressaten ein entsprechendes Glaubensverständnis und eine entsprechende Deutung ihrer Situation nahegelegt; betont wird dies vor allem in Hebr 11,13-16. Auch in einem jüdischen Midrasch zu Gen 22, in BerR 56,1 wird dem Abraham angesichts des Geschehens von Gen 22 der Glaube an die Auferstehung der Toten zugeschrieben. 11,20-22 Isaak, Jakob und Joseph 11,23-29 Mose 11,30f. Die Israeliten bei der Einnahme Jerichos und
Rahab 11,32-38 Glaubenszeugen aus
der späteren Geschichte Israels 11,39-40 Weshalb die Glaubenszeugen
die Verheißung noch
nicht erlangt haben. 12,1-29 Ausführung der Glaubensmahnung 12,1-3 Glaube als Geduld 12,4-11 Leiden als Erziehung 12,12-17 Warnung vor dem Zurückbleiben
hinter der Gnade. 12,18-24 Der Heilsstand der Christen 12,25-29 Gewissheit des Gerichtes 13,1-19 Schlußparänese 13,1-6 Mahnung zur Bruderliebe und zur Heiligung 13,7-9 Warnung vor Aufgeschlossenheit
fremden Lehren gegenüber 13,10-16 Christi Kreuz und die christliche Existenz V. 11f. spielen auf den Versöhnungstag an; die Verbrennung des Fleisches der beiden Sündopfertiere „außerhalb des Lagers“ (Lev 16,27) macht das Geschehen von Lev 16 auch in Einzelheiten zum Typos für das Kreuzesgeschehen (Zur Zeit Jesu befand sich, anders als heute, der Hügel Golgatha tatsächlich außerhalb der Stadt Jerusalem). V. 13 schärft die geforderte Kreuzeskonformität christlicher Existenz ein und fordert dazu auf, die Schmach Christi, die soziale Stigmatisierung, zu tragen; V. 14 ist nicht Trost der Unsterblichkeit, sondern Mahnung zur Weltdistanz. V. 15f. spiritualisieren den Opfergedanken. 13,17 Mahnung zum Gehorsam
gegenüber den Gemeindeleitern 13,18-25 Briefschluss Traditionell (vgl. 1 Thess 5,25) ist schon die Mahnung zur Fürbitte für den Autor. Für das von ihm beanspruchte gute Gewissen macht er seinen Willen zu einem „guten Lebenswandel“ geltend, die Wendung kann heidenchristlichen Lesern aus Inschriften und Papyri vertraut sein (Weiß, 749 Anm 8). V. 19 spricht die Adressaten auf ihr enges Verhältnis zum Verfasser an und impliziert damit die Gültigkeit der Norm, der er sich verpflichtet weiß, auch für die Gemeinde. In dem Segenswunsch Hebr 13,20f. werden nochmals theologische Motive berührt, die dem Verfasser am Herzen lagen, vgl. Hebr 2,10; 4,14; 5,9; 9,12. Mit der Erwähnung „unseres Bruders Timotheus“ stellt sich der Verfasser bewusst in die Tradition der paulinischen Verkündigungsarbeit. Der Ermüdung der wohl überwiegend heidenchristlichen Adressaten begegnet der Verfasser des Hebräerbriefes nicht mit einem bloßen Appell zum Festhalten an der einmal erkannten Wahrheit, sondern zeichnet das Christentum als Geber und Garant der Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz inmitten des kosmischen Chaos und der historischen Kontingenz; selbstverständlich eingeschlossen ist für ihn darin, dass die Adressaten zur Heiligung, d.h. zur ethischen Bewährung verpflichtet sind. Durchgehend verbinden sich platonisierende und geschichtstheologische Elemente. Theologie Gott ist die alles durch sein Wort setzende Wirklichkeit. Gottes Wort ist wirksames Wort, das die Welt ordnet, indem es den Engeln wie dem Menschen die jeweilige Stellung innerhalb der Rangordnung der Weltwesen anweist (1,5-14), das Geschichte zwischen Gott und den Menschen setzt (Hebr. 1,1), und das die Sünde des Menschen aufdeckt (4,12f.). Sein Eid gegenüber Abraham zeigt die Unveränderlichkeit seines Ratschlusses (6,17) an, sein Eid über das Hohepriestertum Christi (7,21f.) bekräftigt die Unverbrüchlichkeit der christlichen Heilshoffnung. Die Heilige Schrift wird weniger im Sinne des Schriftbeweises verwendet (deshalb tritt die Einführungsformel „es steht geschrieben“ zurück; sie begegnet nur Hebr 10,7) denn vielmehr als Vollzug der Wirklichkeit setzenden Selbstkundgabe Gottes verstanden. Gottes Heilsratschluss ist es, „viele Kinder“ zum Heil zu führen (2,10). Er hat mit den Vätern (6,13-17; 11,4-22) und mit dem Volk Israel (3,7-19; 11,23-38) eine Geschichte begonnen und die Kultordnungen des Alten Bundes gesetzt (8,3; 9,20), aber auch selbst deren Ende angekündigt (8,8-12). Er hat Jesus Christus zum Hohenpriester gesetzt (5,5f.) und für ihn das Leiden bestimmt (2,10), ihn aus dem Tod herausgeholt (13,20f.). Er bekräftigt die Christusverkündigung durch „Zeichen und Wunder“ (2,4; vgl. Gal 3,1-5), d.h. er war (zur gegenwärtigen Wirksamkeit Gottes vgl. 6,3; 12,7 sowie 10,31) im Leben der Gemeinde unmittelbar erfahrbar und hat die Christusverkündigung als von ihm gewollt und gewirkt bestätigt. Die Kehrseite seines Heilswillens ist sein Zorn; dieser ist wirkende Macht in Geschichte (3,17), Gegenwart und Zukunft (vgl. 10,26-31; 12,25-29). Neben diese biblisch begründeten Elemente in der Auffassung Gottes treten platonisierende Elemente: Die Welt des Unsichtbaren ist die eigentliche Welt, die Welt Gottes (11,1b). Die zugleich räumlich und zeitlich bestimmte Konzeption der Ewigkeit das christlichen Gottes impliziert, dass auch sein Heilswille für die Adressaten von Ewigkeit her feststeht und deshalb auch die bisherige Heilsgeschichte bestimmt (11,39f.). Soteriologie und Christologie Der Mensch vor und außerhalb der Rettungstat Christi keinen unmittelbaren Zugang zu Gott und kann ihn auch nicht haben, denn er ist unheilig (2,11; vgl. 10,29), er bedarf der Sühne (2,17); der Teufel hat die Macht des Todes (2,14); das Leben ist Knechtschaft, Furcht vor dem Tod (2,15). Aus dieser Gottesferne konnte ihn auch der Kult des alten Bundes nicht herausführen: die Opfer wurden durch sterbliche und sündige Menschen dargebracht und mussten wiederholt vollzogen werden, konnten also nicht endgültig zur Vollkommenheit führen 7,18f.). Jesus Christus ist Sohn (auf Christus wird in Hebr 1,8f. innerhalb eines Schriftzitates sogar das Prädikat „Gott“ übertragen) und Hoherpriester. In der Hohepriestervorstellung ist der ureigene Beitrag des Hebräerbriefes zur christlichen Traditionsbildung zu begreifen. Das Anliegen war wohl auch, gerade gegenüber ehemaligen Heiden das Christentum als Kult zu definieren (Karrer), wie in der Antike jegliche Religion als Kult zu definieren war. Der Titel „Hoherpriester“ erinnert die Adressaten nicht nur an den Hohenpriester im Tempel zu Jerusalem, sondern auch an nichtjüdische Oberpriester, die dem epigraphischen Material zu folge ebenfalls häufig als archiereus bezeichnet wurden. Auch sollte man angesichts des Titels pontifex maximus, den der römische princeps für sich reklamierte, den politischen Nebenton nicht völlig überhören: Jesus Christus, nicht der römische princeps, vermittelt den ungetrübten Zugang zu Gott, und sein Thron ist der Thron der Gnade (des Hulderweises), wie man das auch von irdischen Machthabern erwartet und rühmt (Karrer, 247). Jesus Christus ist Hoherpriester aufgrund der in Ps 110 bezeugten Setzung Gottes. Die Heranziehung von Ps 110 konnte sich nahelegen, weil der Psalm schon im frühen Judentum zur Legitimation nicht-aaronidischer priesterlicher Ansprüche herangezogen wurde (der historische Jesus war ja kein Nachkomme Aarons, vgl. Hebr 7,14!). Ferner enthält die Septuaginta-Fassung in V. 3 bereits eine Vorstufe der Präexistenzvorstellung. Jesus Christus ist Hoherpriester aufgrund seines gehorsamen Selbstopfers. Schon das Kommen Christi in die Welt ist ein Akt der Solidarisierung mit seinen Geschwistern (2,14), denen er zum Anführer ihres Heils werden sollte (2,10), und ist Tat seines Gehorsams (10,5-10). Die Annahme von Fleisch und Blut, die Annahme der Menschheit ermöglicht das Mit-Leiden mit den Menschen, in dem er sich aber in vollkommenem Gehorsam bewährt und darum nicht für seine eigenen Sünden ein Opfer bringen muss (4,15; 7,26-28). Der alttestamentlicher Opferkult, vor allem das Ritual des großen Versöhnungstages (Lev 16), ist Vorausdarstellung des Christusgeschehens, insofern auch in ihm auf Anordnung Gottes (8,5; 9,19-22) durch die von Gott berufenen Priester für die Sünden der Menschen Opfer dargebracht werden (5,1-10; vgl. 8,3). Allerdings vermag er aufgrund der menschlichen Herkunft und Bestimmtheit seiner Kultdiener die an ihm Teilnehmenden nicht zur Vollkommenheit zu führen (7,18f.; 10,1f.). Mit dem Christusgeschehen als dem wahrhaften Geschehen der Sündentilgung wird der Kult des alten Bundes überflüssig (10,9). Die Überlegenheit des Priesterdienstes Christi, schon aufgrund seiner Vorrangstellung vor den Engeln (Hebr 1,5-14) zu erwarten, wird in Hebr 7,1-10,18, vereinfacht gesagt, in einem Dreischritt aufgewiesen: In Kap. 7 wird die persönliche „Eignung“ des in Melchisedek vorabgebildeten unsterblichen Christus, in Kap. 8 der sachliche Rahmen der ontologisch überlegenen und eschatologisch endgültigen Setzung Gottes benannt, in Kap. 9,1-10,18 Christi einmaliges und endgültiges Selbstopfer (9,26), nämlich das Opfer seines Leibes (10,10) als gehorsamer Vollzug der Intention Gottes beschrieben, dergemäß die endgültige Sündenvergebung weitere Opfer erübrigt (10,17f.). Eine solche Christologie konnte u.U. geeignet sein, zwei Einwänden paganer Polemik gegen das Christentum zu begegnen, dem Einwand, die christliche Art der Gottesverehrung werde schon durch das Todesgeschick ihres Stifters disqualifiziert (vgl. Tacitus, Ann 15,44), und dem Einwand, die fehlenden äußeren Opfervollzüge ließen das Christentum als eine pagan-antik unübliche Art der Gottesverehrung erscheinen (Der Philosoph Kelsos machte den Christen am Ende des 2. Jahrhunderts deshalb den Vorwurf der Gottlosigkeit und Gesetzlosigkeit, vgl. Origenes, contra Celsum 7,62). Wie das Kreuzesgeschehen in kultischen Kategorien ausgelegt wird, kann auch die Heilswirkung in kultischen Kategorien beschrieben werden. Zentrale Termini sind „Reinigung“ (1,3; 10,2), „Heiligung“ (2,11; 10,10.14), „Sühnung“ (2,17), „Vollendung“ (10,1.14; 11,40; 12,23). Ekklesiologie und Ethik Gemeinde ist wanderndes Gottesvolk, das die endgültige Unterwerfung aller unter den Sohn noch nicht erlebt (2,8), das noch nicht zur „Ruhe“ eingegangen ist, das, der Wüstengeneration aus der Geschichte Israels vergleichbar, noch unterwegs ist und noch den Gefährdungen durch Ermüdung, durch Abfall vom Glauben ausgesetzt ist, dem aber die Verheißung, in die Ruhe Gottes einzugehen, noch gilt (37-4,11). Der Verfasser sucht der Gefährdung durch unmittelbare Mahnung und Warnung ebenso zu begegnen wie durch den Hinweis auf die Unverbrüchlichkeit der himmlischen Berufung und den schon jetzt in Christus gegebenen ungehinderten Zugang zu Gott. Er mahnt zur Zuversicht (3,6) zur Geduld nach dem Vorbild Abrahams (6,12.15), zum Festhalten am Bekenntnis der Hoffnung (10,23), zur Ausdauer (12,1), zur Heiligung (12,14) und warnt vor dem Abfall vom Glauben (3,12), vor Unglauben (3,19), vor dem „Zurückbleiben“ (4,1), vor der vorsätzlichen Sünde (10,26). In vielfacher Weise kann er die Dringlichkeit seiner Mahnung unterstreichen: Er verweist auf die Überordnung Jesu über die Engel (2,1-4) und Mose (vgl. die Anordnung von 3,7-4,11 nach 3,1-6) ebenso wie auf das warnende Beispiel der Wüstengeneration (3,7-4,11), er verweist auf den durch Christus neu eröffneten Zugang zu Gott (10,19-25) und auf das irdische Vorbild Christi (12,2f.), er verweist auf die Strenge des Gerichtes gerade angesichts der unüberbietbaren Autorität Jesu (2,1-4; 10,26-31; vgl. auch 12,25-29). Doch auch die Vergangenheit der Gemeinde selbst kann Ansporn sein (10,32-35). Die vor allem in Kap. 13 versammelten Einzelmahnungen (vgl. aber auch 6,10; 10,24; 12,1.14-17) sind traditionell und entsprechen dem, was auch sonst im Urchristentum gefordert wird. Ihre Traditionsentsprechung bedeutet aber alles andere als dies, dass sie für den Verfasser des Hebräerbriefes letztlich zweitrangig wären. Gerade da, wo er die Adressaten unmittelbar in 2. Pers. Pl. anspricht - in jüngster Zeit ist man in den exegetischen Wissenschaften wieder neu auf die hervorgehobene Wichtigkeit solcher Passagen aufmerksam geworden -, leitet er paränetische Abschnitte ein (Gräßer I 158). Auffallend (vielleicht aber eher für uns als für die allererste Frühzeit des Christentums) ist die theologisch begründete Strenge der Bußdisziplin: Dem „ein für alle Mal“ des Selbstopfers Christi soll das „ein für alle Mal“ der vollzogenen Glaubensentscheidung entsprechen, daher wird die Möglichkeit der sog. „zweiten Buße“ abgewehrt. Zu fragen ist freilich, in wie weit die entsprechenden Stellen (Hebr 6,4-8; 10,26-31) wirklich als Gemeinderegel gelten und nicht eher als ernste Mahnung wahrgenommen werden sollten. Zum Ausdruck „zweite Buße“: In der Taufe als der „ersten Buße“ sind die Sünden der vorchristlichen Zeit getilgt; die „zweite Buße“ bezieht sich auf die zugestandene oder, wie im Hebräerbrief, abgelehnte Möglichkeit der Tilgung von Sünden, die während der christlichen Lebensperiode begangen wurden. Eschatologie Motive urchristlicher Enderwartung werden mit Hilfe zeitlicher Kategorien formuliert (Parusie 9,28; 10,25.37; Auferstehung 6,2; 11,35; Gericht 6,2; 9,27; Weltuntergang 12,26-29; »Ruhe« Hebr 3,11.18; 4,1ff.; vgl. Jer 31,2). Dabei ist das Bewußtsein leitend, einerseits der letzten Zeit anzugehören (1,2; vgl. auch 10,37), andererseits, dass die endgültige Unterwerfung alles Seienden unter den Sohn noch nicht verwirklicht ist (2,8). Neben den zeitlichen sind jedoch auch räumliche Vorstellungen von zentraler Bedeutung (himmlische Stadt 11,10.16; 12,22; 13,14; himmlisches Vaterland 11,14.16; himmlisches Jerusalem 12,22), getragen von dem Gegensatz sichtbar = irdisch = vergänglich / unsichtbar = himmlisch = ewig. Der Schwerpunkt der Eschatologie im Hebräerbrief liegt aber auf der Zusage gegenwärtigen Heils; prägend ist der enge Zusammenhang zwischen dem Weg Christi und dem Weg, auf den die Glaubenden gestellt sind. Der Weg Christi von der Erniedrigung im Kreuz zur Erhöhung und zur Einsetzung zum Erben ist Ursache, Urbild und Vorbild ihres Weges; Christologie, Soteriologie, Eschatologie sind eng aufeinander bezogen. Christus ist Anführer (12,2) und Urheber des Heils (5,9), er ist Vorläufer, der bereits in das himmlische Heiligtum eingegangen ist (6,20 - darum haben die Glaubenden unverbrüchliche Hoffnung, 6,19); er ist Erbe der Herrschaftsstellung (1,3), sie sind Erben des Heils (1,14). Literatur: Braun, H. An die Hebräer, HNT 14, Tübingen.1984.
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