Lektion 5: Die Apostelgeschichte

Entstehungszeit
Grobgliederung
Feingliederung
Quellenwert der Apostelgeschichte
Theologische Grundgedanken

Entstehungszeit

Die Apostelgeschichte ist, so Apg 1,1-3, als Fortsetzungsband des Lukasevangeliums entstanden und berichtet über Ereignisse in dem Zeitraum zwischen ca. 30 n. Chr. und ca. 60 n. Chr. Das in Apg 20,29; 21,14 angekündigte Martyrium des Paulus wird nicht erzählt.
In älterer Forschung hat man daraus gelegentlich eine Frühdatierung erschlossen bzw. vermutet, Lukas sei an der Fortsetzung seines Werkes (in einem dritten Band) u.U. durch Tod verhindert gewesen. Diese Vermutungen haben sich aber nicht gegen die Mehrheitsmeinung durchsetzen können, das als planvoll abgeschlossen gedachte Werk um ca. 90 n. Chr. zu datieren.
Diskutiert wird, ob Lukas bei der Abfassung des Evangeliums bzw. des Prologes zu seinem Evangelium (Lk 1,1-4) schon an die Abfassung der Apostelgeschichte gedacht hat. Dagegen kann u.a. die Datierung des Himmelfahrtsgeschehens am Tag der Auferstehung (Lk 24,50-53) bzw. 40 Tage danach (Apg 1,1-4) angeführt werden, dafür könnte sprechen, dass Lukas möglicherweise bei der Gestaltung einiger Evangelientexte davon ausging, er werde Unterlassenes später nachholen (vgl. Mk 14,55-60 mit Lk 22,66f.; Apg 6,13f.). Ein sicheres Ergebnis ist nicht zu erzielen.
Der Titel ist seit Irenäus, adv Haer 3,13,3 bezeugt, aber, wie konkurrierende Titel nahelegen (Lucae de apostolis testificatio, bei Irenäus, adv Haer 3,13,3; commentarius Lucae, bei Tertullina, de ieiunio 10,3) wohl eher sekundär. Er mag an der im 2. Jhdt. n. Chr. aufblühenden Praxeis-Literatur orientiert sein, in der die Taten einzelner Apostel in Form der Aneinanderreihung wunderhafter und erbaulicher Anekdoten erzählt wurden, trifft aber insofern nicht ganz, weil nicht die Taten und das Schicksal des Petrus und Paulus als solche im Vordergrund stehen, sondern das Handeln Gottes, der die Kirche planvoll in ihrer Geschichte führt. Formgeschichtlich ist die Apostelgeschichte wohl am ehesten als eine historische Monographie betrachten, die das Wachstum und die Entfaltung einer jungen religiösen Bewegung thematisiert.

Grobgliederung

1,1-14 Prolog und Himmelfahrt
1,15-5,42 Die Anfänge der Gemeinde in Jerusalem
6,1-9,31 Die Ausbreitung der Kirche über Jerusalem hinaus
9,32-15,35 Die Öffnung hin zur Heidenmission
15,36-19,20 Die Mission des Paulus in Kleinasien und Griechenland
19,21-28,31 Paulus auf dem Weg nach Rom


Feingliederung
1,1-14 Prolog und Himmelfahrt
Apg 1,3 datiert, anders als Lk 24,50-53, das Geschehen auf einen Zeitpunkt 40 Tage nach der Auferweckung. Was im einzelnen Jesus während dieses Zeitraumes den Jüngern über das Reich Gottes gesagt haben soll, wissen spätere, nicht zum Kanon gehörende Evangelien genauer zu berichten. Die Erwartung einer unmittelbar bevorstehenden Parusie wird verneint, dafür bekommt die Geschichte einen positiven Sinn (ohne daß an der Realität der kommenden Parusie gezweifelt werden dürfte, vgl. Apg 1,9-11; 17,31!): Apg 1,8 formuliert den Auftrag an die Jünger und damit das in der Apostelgeschichte ausgeführte Programm der Verkündigung „bis an die Enden der Erde“ (zu dieser Formel vgl. Jes 49,6). Zu Entrückungen vgl. Gen 5,24 (Entrückung des Henoch); 2 Kön 2 (Entrückung des Elia); vgl. ferner die Erzählungen über die Entrückung verstorbener römischer Kaiser (Sueton, Augustus, 100).

Frage zur Weiterarbeit: Gewiß geht die unmittelbare Naherwartung nicht in Erfüllung. Setzt nun Lukas die Zeit der Kirche an ihre Stelle?

1,15-5,42 Die Anfänge der Gemeinde in Jerusalem
1,15-26 Die Nachwahl des Matthias
Ein solcher Akt der Nachwahl wurde danach offensichtlich nicht mehr wiederholt. Paulus benennt, auf das Jahr 48/49 n. Chr. bezogen, Petrus, den Herrenbruder Jakobus und den Zebedaiden Johannes als die „Säulen“ der Gemeinde, während er von dem Zwölferkreis (abgesehen von 1 Kor 15,5) schweigt. Apg 1,21f. nennt die Kriterien dieser Wahl und erklärt gleichzeitig, warum Paulus bei Lukas (mit Ausnahme von Apg 14,4.14) nie als Apostel tituliert wird. - Zum Ende des Judas vgl. Mt 27,3-10.

2,1-13 Das Pfingstereignis
Als Wirkung des Heiligen Geistes werden hier ekstatische Phänomene erfahren (vgl. Num 11,17.25; 1 Sam 10,10-13; vgl. Gal 3,5; 1 Kor 12; 14; Apg 10,46; 19,6), die als Signatur der Erfüllung der endzeitlichen Verheißungen in der Gegenwart der ersten Gemeinde gelten (vgl. Apg 2,17-21 und die Bezüge von V. 17 auf Apg 9,10; 10,3 u.ö., von V. 18 auf Apg 19,46; 19,6; 21,9 und von V. 19 auf Apg 2,22.43; 5,12; 6,8; 14,3; 15,12). Diese theologische Wertung der Phänomene zeigt, wie überhaupt sowohl die eigene Gegenwart als auch die auf sie hin gedeutete Vergangenheit durch das Wirken des Heiligen Geistes bestimmt gedacht werden: Gott spricht im Heiligen Geist durch die Schrift, vor allem durch die Propheten (vgl. das Nebeneinander von Apg 7,51 und Apg 7,52), z.B. David (Apg 1,16; 4,25) und Mose (Apg 3,22f.), und der Heilige Geist treibt in der Gegenwart an wichtigen Stationen die Geschichte der Kirche voran: So wird erklärlich, wie das beschneidungsfreie (Apg 15,28) Evangelium zu den Heidenchristen (Apg 8,29; 10,19; 15,28) nach Europa (Apg 16,6f.) und speziell nach Rom (Apg 20,23; 21,11), und zwar durch Paulus (Apg 13,1-2), gekommen ist. Zu den gegenwärtigen Wirkungen des Heiligen Geistes gehören die Befähigung zur Verkündigung (Apg 1,8; 4,8; 13,9; vgl. dazu schon Jes 61,1 und Lk 4,18-21; Jesus ist in seiner Zeit der einzige Geistträger) sowie anderweitige übernatürliche Wirkungen, z.B. die Versetzung eines Menschen an einen anderen Ort (Apg 8,39; vgl. 1 Kön 18,12; 2 Kön 2,16) und das Strafwunder an demjenigen, der den Geist belügt (Apg 5,4). Der Heilige Geist gilt als Signatur des Christseins (Apg 8,17; 9,17; 10,44-46), doch nur vage bleibt ein Bezug des Heiligen Geistes zum allgemeinen Thema „Bewährung im Glauben“ (vgl. Apg 6,3.5; 11,24). Anders als bei Paulus wird der Geist nicht explizit als Unterpfand der Auferstehung namhaft gemacht; auch ist das Motiv der Geistesgaben für die einzelnen Christen nicht wirklich entfaltet.

Literatur zur Weiterarbeit: Berger, Klaus, Art. Geist/Heiliger Geist/Geistesgaben III. Neues Testament, TRE 12, 1984, 178-196, hier 193f.
U.a. mit Apg 13,1f. konnte in der späteren trinitätstheologischen Diskussion die Gottheit des Heiligen Geistes begründet werden: Die Berufung eines Menschen zum besonderen Dienst ist genauso von ihm (Apg 13,1f.) wie von Jesus Christus (Gal 1,1) wie von Gott Vater (Gal 1,15f.) als Wirkung zu benennen (Ps.-Athanasius, de Trinitate et Spiritu sancto 10).

2,14-36 Die Pfingstpredigt des Petrus
Das vorangegangene mehrdeutige Geschehen wird als Erfüllung von Joel 3,1-5 gedeutet. Im folgenden zielt die Rede auf den Nachweis für die in Apg 2,36 explizierte Auffassung, daß Gott diesen gekreuzigten und wieder auferweckten Jesus zum Herrn und Gesalbten gemacht hat. Jesu Tod wird mit Hilfe des sog. Kontrastschemas gedeutet. Dem Tod Jesu kommt hier keine soteriologische Relevanz zu, vielmehr zeigt Jesu Auferstehung, daß Gott seine Pläne unbeirrbar weiter verfolgt und durchsetzt. Für die Auferweckung führt Lukas den Schriftbeweis aus Ps 16,8-11. Das Argument ist recht einfach: Da David selbst gestorben ist, muß sich vor allem Ps 16,10 auf eine andere Person beziehen.

2,37-41 Die Folgen der Pfingstpredigt
Als Folge werden der Ruf zur Umkehr (vgl. schon Lk 5,32 und dann wieder Apg 17,30) und der Aufruf zur Taufe auf den Namen Jesu benannt. Die großen Zahlen in Apg 2,41.47; 4,4, nur bei der Bekehrung von Israeliten gewählt, sind die Erfüllung der Verheißung Am 9,11 = Apg 15,16.

2,42-47 Der Alltag der ersten Christen
Aus der Einzelnotiz Apg 4,36f. heraus hat hier Lukas das Bild der ersten christlichen Gemeinde als einer idealen Gemeinschaft konstruiert. Das antiker Freundschaftsethik entstammende Ideal einer Gütergemeinschaft wird von Josephus auf die Essener (Josephus, Antiquitates 18,20), von Porphyrius und Jamblich auf die Pythagoreer (Porphyrius, VitPyth 20; Jamblich, VitPyth 30,167f.) übertragen. Historisch gesehen dürfte sich die Urgemeinde eher aus den ärmeren Schichten rekrutiert haben. Die von Galiläa zugewanderten Bauern und Fischer hatten in Jerusalem keine eigenständige Erwerbsgrundlage. Als Hausbesitzerin ist allein Maria, die Mutter des Johannes Markus erwähnt (Apg 12,12). Es halfen zunächst wohl spontane Vermögensveräußerungen seitens einzelner etwas besser Gestellter der Urgemeinde zu überleben, allerdings hatte das nur bedingten Erfolg: Auch die Hilfe auswärtiger Gemeinden war nötig. Unterstützung kam zunächst vor allem aus Antiocheia (Apg 11,27-30; vielleicht fand auch der in Apg 4,36f. erwähnte Verkauf eines Ackers durch Barnabas in Antiocheia statt).
Der historische Wert dieser Darstellung ist zu relativieren:.

3,1-10 Die Heilung des Gelähmten
Der Gelähmte lobt aufgrund der erfahrenen Heilung Gott (V. 9f.), nicht den Wundertäter (vgl. schon Lk 18,43). Dieser für jüdische Wundergeschichten typische Zug unterstützt das Anliegen, in dem Handeln des Petrus im Namen Jesu Christi die Kontinuität mit dem Wollen des Gottes Israels gewahrt zu sehen, was auch in Apg 3,11-26 thematisiert ist.

3,11-26 Die Predigt des Petrus
Petrus deutet die Heilung als Machterweis des Gottes Abrahams, Isaaks und Jakobs, der darin seinen Sohn Jesus Christus verherrlicht hat. Dem anschließenden Bußruf (V. 19) folgt die Identifizierung Jesu mit dem in Dtn 18,15.18 angekündigten Propheten; an den Adressaten erfüllt sich nun die an Abraham ergangene Verheißung Gen 22,18.

4,1-22 Der erste Konflikt mit der jüdischen Obrigkeit
An der Verkündigung der Jünger entzündet sich der erste Konflikt mit den politischen Eliten des Landes, während sich viele Israeliten bekehren. Petrus identifiziert Jesus als den einen Weg zum Heil des Gottes Israels.

4,23-31 Das Gebet der Gemeinde
Die Gemeinde weiß auch den gegen sie gerichteten Widerstand als in der Heiligen Schrift vorhergesagt.

4,32-37 Die Gütergemeinschaft der ersten Christen

5,1-11 Ananias und Sapphira
Apg 5,4 zeigt, daß keine Verpflichtung bestand, das ganze Vermögen der Gemeinde zu übergeben. Ananias und Sapphira kommen wegen der falschen Deklaration des Verkaufspreises zu Tode. Ihr Schicksal soll die Leser warnen.

5,12-16 Wundertaten durch die Apostel
5,17-42 Die Apostel vor dem Hohen Rat. Gamaliel
Die Erzählung, die in manchem den Konflikt von Kap. 4 wiederholt, verfolgt u.a. einerseits die Tendenz, die Christen von den auch anderwärts bekannten Aufrührer Theudas sowie Judas dem Galiläer (dem Gründer der Partei der Zeloten) zu distanzieren und damit das Christentum als politisch ungefährlich zu erweisen, andererseits schildert sie diesen Konflikt transparent auch für Konflikte mit nichtjüdischen Obrigkeiten: Apg 5,29 kommt einem Wort des Sokrates recht nahe (Apologie 29 d: „Ich werde ... dem Gott eher gehorchen als euch“), und auch Apg 5,41 ist generell auf das Thema „Bekennen oder Verleugnen“ anwendbar. Zum Stichwort „gegen Gott kämpfen“ vgl. 2 Makk 7,19.

6,1-9,31 Die Ausbreitung der Kirche über Jerusalem hinaus
6,1-7 Die Wahl der sieben Diakone
Lukas erzählt einen Konflikt um die Versorgung der grichischsprachigen judenchristlichen Witwen. Freilich sind Stephanus und Philippus im weiteren Verlauf der Apostelgeschichte nicht im karitativen, sondern im missionarischen Dienst tätig. Daß später nur der Kreis um Stephanus aus Jerusalem vertrieben wird, während die Apostel (und nicht nur nie, vgl. Apg 15,5; 21,20) konnten trotz ihres Christusbekenntnisses von der Verfolgung unbehelligt in Jerusalem wohnen bleiben können, läßt auch auf theologische Differenzen zwischen den Gruppen innerhalb der christlichen Gemeinde schließen.

6,8-15 Stephanus’ Wirken und die Anklage gegen ihn
Als Grund der Anklage werden mit Hinweis auf Apg 6,14 u.a. eine programmatische Thorakritik, das Bekenntnis zum gekreuzigten Christus und die Tempel- bzw. Kultkritik des Stephanuskreises diskutiert, doch ist eine thorakritische Verkündigung des Stephanus nicht zwingend nachzuweisen, und die Apostel blieben konnten trotz ihres Christusbekenntnisses von der Verfolgung unbehelligt (s.o.). So wird man am ehesten auf das zuletzt genannte Argument geführt. Diese Kultkritik hat vielleicht an Jesu Tempelkritik (Mk 11,15; 13,2; 14,58) angeknüpft und von daher wohl weniger als Kritik des aufgeklärten Griechen an der Materialität des Tempelkultes zu verstehen, sondern ist in den Rahmen der frühjüdischen Erwartung des eschatologischen Neuwerdens der Stätte der Gottesbegegnung (Jub 1; Jub 4; äthHen 90).

Literatur zur Weiterarbeit: Kraus, Wolfgang, Zwischen Jerusalem und Antiochia. Die „Hellenisten“, Paulus und die Aufnahme der Heiden in das endzeitliche Gottesvolk, SBS 179, Stuttgart 1999, 38-55.

7,1-53 Seine Verteidigungsrede
Die Geschichte Israels wird hier einseitig unter dem Aspekt des Ungehorsams gegenüber dem göttlichen Wollen subsumiert. eine solche Sichtweise begegnet zwar auch in frühjüdischer Literatur, vornehmlich in der Apokalyptik (vgl. z.B. AscMos 4,8; äthHen 89,73-90,7; äthHen 93,9f.), darf aber von Christen, die ja zumeist aus den Völkern kommen, nicht im Sinne antijüdischer Argumentation mißbraucht werden.

7,54-8,3 Sein Tod und die anschließende Verfolgung
Die Hinrichtung des Stephanus war wohl eher ein Akt der Lynchjustiz (jüdische Instanzen hatten zur fraglichen Zeit vermutlich nicht das Recht zur Verhängung und Vollstreckung der Todesstrafe).

Frage zur Weiterarbeit: Was bedeutet es, dass Lukas das Sterben des Stephanus in Analogie zum Tode Jesu erzählt (vgl. V. 59f. mit Lk 23,34.46)?

8,4-25 Die Mission des Philippus in Samarien. Simon Magus
Samaritaner lebten im ehemaligen Gebiet des Stammes Joseph. Nach der Eroberung des Nordreichs (722 v. Chr.) war die Oberschicht der Bevölkerung deportiert worden, an ihrer Stelle wurden teilweise Nichtisraeliten angesiedelt. Seitdem gelten Samaritaner in den Augen der Bewohner des ehemaligen Südreiches als Nichtisraeliten (2 Kön 17,24-41; Josephus, Ant 9,277-291; Esr 4,1-5; Neh 2,19f.), während sie sich selbst nach wie vor als Angehörige des Gottesvolkes wußten. Sie hielten den Berg Garizim bei Sichem für den legitimen Ort der Gottesverehrung, hatten als Heilige Schrift nur den (samaritanischen) Pentateuch und verwarfen die pharisäische Halacha (Darstellung nach W. Kraus, Zwischen Jerusalem und Antiochia (.s.o.), 56-58).

Literatur zur Weiterarbeit: Zangenberg, Jürgen, SAMAREIA. Antike Quellen zur Geschichte und Kultur der Samaritaner in deutscher Übersetzung, TANZ 15, Tübingen, Basel 1994.
Simon Magus gilt in späterer kirchlicher Literatur als Gnostiker (Justin, 1. apol 26,2f.; 56), seit Irenäus, adversus haereses 1,23,1-4, als Urheber aller Ketzerei. Von Apg 8,18f. leitet sich das Stichwort „Simonie“ ab, das den Versuch bezeichnet, durch das Angebot einer Geldzahlung zu einem geistlichen Amt zu kommen.

8,26-40 Der Kämmerer aus Äthiopien
Je nachdem, ob eunuchos übertragen „hoher Beamter“ oder wörtlich „Verschnittener“ bedeutet, hätte der Kämmerer als Proselyt oder als Gottesfürchtiger zu gelten. In jedem Fall wird über das Bisherige hinaus die Grenze der Gemeinde in Richtung auf Nichtjuden ein weiteres Stück geöffnet.

9,1-19a Die Berufung des Paulus
Die Berufung des Paulus wird hier als Überwindung des Gottesfeindes erzählt, vgl. 2 Makk 9 sowie 2 Makk 9. Die allgemeine Tatsache, daß Paulus vor seiner Berufung die Christen verfolgt habe, ist durch Selbstaussagen Gal1,13f.; Phil 3,6 gedeckt, jedoch kaum die lk Annahme, Paulus habe im Auftrag des den antiochenischen Christen Jerusalemer Synhedriums nachgespürt. Dessen jurisdiktionelle Kompetenz war auf Jerusalem und Judäa beschränkt. - Paulus erwähnt Ananias, der ihn getauft hat, überhaupt nicht; Barnabas, der immerhin dem neuen Verkündiger den Weg in Jerusalem geebnet hat (Apg 9,27), kommt in Gal 2,11-14 nicht gut weg. Vor allem seine Rolle in der Geschichte des Urchristentums war wohl gewichtiger als es Paulus erkennen läßt.

9,19b-9,31 Paulus in Damaskus und Jerusalem
Vgl. dazu Gal 1,16-24. Differenzen: Nach Gal 1,18f. trifft Paulus nicht sofort nach seiner Berufung in Jerusalem ein, sondern erst nach zweieinhalb bis drei Jahren, und trifft nicht „die Apostel“, sondern nur Kephas und den Herrenbruder Jakobus, und er bleibt auch nur 14 Tage, um Petrus kennenzulernen. Daß Paulus von Beginn seiner christlichen Wirksamkeit an Verfolgungen durch Juden ausgesetzt ist, dürfte lk Stereotyp sein. Hingegen mag die in Apg 9,27 geschilderte Rolle des Barnabas durchaus historisch sein; Paulus kann das aus eigenem Interesse in Gal 1 durchaus verschwiegen haben.

9,32-15,35 Die Öffnung hin zur Heidenmission
9,32-35 Die Heilung des Äneas durch Petrus
9,36-43 Die Erweckung der Tabitha durch Petrus
Beide Erzählungen dürften einem Kranz von Petrus-Legenden entnommen sein. Lydda gehört seit 145 v. Chr., Joppe (heute Jaffa) seit 144v. Chr. zu Judäa. Tabithas karitative Wirksamkeit entspricht frühjüdischen Idealen, vgl. Tob 4,7-12.; Sir 4,1-6. Die Existenz judenchristlicher Gemeinden außerhalb Jerusalems ist für die in Frage kommende Zeit auch durch Gal 1,22 bezeugt.

10,1-48 Der Hauptmann Kornelius
Zum Thema „Heiden in der Sicht von Juden“ vgl. Dtn 23,2; Jub 22,16f.; Josephus, Contra Apionem 2,237-254 einerseits; Jes 56,7; EpArist 185ff.; JosAs 2,1 andererseits

11,1-18 Petrus rechtfertigt sich in Jerusalem
Auf Lk 24,44-47 wird nicht Bezug genommen. So wird der Abschnitt Apg 10,1-11,18 in wesentlichen Erzählzügen einer vorlukanischen Tradition entstammen. Lukas kann das theologische Recht der Heidenmission verschieden begründen: Heidenmission ist legitimiert durch das Wort der Schrift (Jes 42,6; 49,6; 1 Kön 17; 2 Kön 5; Am 9,12 LXX diff MT) wie durch ein Wort des Auferstandenen, das auf die Schrift zurückverweist (Lk 24,47), ebenso wie durch geistgewirkte Prophetie eines rechten Israeliten (Lk 2,32); zusätzlich kann auf die - für Judenchristen offenbar überraschende - Erfahrung der von Gott gewirkten Bußfertigkeit der Heiden verwiesen werden (Apg 11,17f.). - Die je verschiedene Zurückführung der Heidenmission auf das Wirken des irdischen Jesus (Mk 7,24-30), auf ein Wort des Auferstandenen (Mt 28,19f.; Lk 24,44-47) und auf Erfahrungen der nachösterlichen Gemeinde (Apg 10,1-11,18) legen den Schluß nahe, daß vom irdischen Jesus keine eindeutige Stellungnahme zugunsten einer Integration von Nichtjuden in das Gottesvolk vorlag, der man sich verpflichtet gewußt hätte.
Heiden werden für kultisch rein erklärt (Apg 10,15; 11,9). Erst dank dieser Deklaration durch eine Himmelsstimme (sie vertritt in frühjüdischer Tradition das Sprechen Gottes selbst) werden sie in das Gottesvolk integriert.

11,19-30 Die Gemeinde in Antiochien
Wichtig sind vor allem die Nachrichten in Apg 11,20, erstmals von Antiochia aus hätten Christen planmäßig die Missionierung unter Nichtjuden in Angriff genommen, und in Apg 11,26, die Christen seien erstmals als eigenständige Gruppe neben Juden und Nichtjuden wahrnehmbar gewesen.
Für Jerusalem vermerken Apg 11,30; 15,2.4.6.22f. eine Ältestenverfassung (religionsgeschichtlich wäre sie als Analogie zur jüdischen Ältenstenverfassung, das Synagogenvorstandsgremium betreffend, gut denkbar), doch wird dies durch Gal 2,6-9 nicht gedeckt. Entsprechend ist die historische Beurteilung der lk Angaben strittig.

12,1-19 Verfolgung in Jerusalem und Befreiung des Petrus
Die legendarisch ausgeführte Erzählung könnte darin einen geschichtlichen Kern, dass Petrus aufgrund solcher Notlagen sich gezwungen sah, Jerusalem zu verlassen. Ist die in Apg 12,1f. genannte Verfolgung historisch, so ist sie wohl am ehesten in dem Versuch des Agrippa I. begründet, auch die religiös engagierten Kreise des Judentums an sich zu binden.

12,20-23 Das Ende des Herodes Agrippa I.
Vgl. dazu Josephus, Antiquitates 19,343-350. Nach Josephus weilte Agrippa in Cäsarea, um dort Spiele zu Ehren des Kaisers zu veranstalten, „weil er wußte, daß gerade für dessen Heil ein Fest begangen wurde. Angetan mit einem silberdurchwirkten Gewand begab sich der König am Morgen ins Theater. Als die Strahlen der Sonne seine Kleider zum Leuchten brachten, begrüßten ihn seine Anhänger als Gott in Menschengestalt, der König aber ließ das ohne Widerspruch zu. Doch die Strafe für diese Hybris folgte auf dem Fuße: ein Uhu als Unheilsbote setzte sich über sein Haupt. Da wurde der König krank und starb innerhalb von fünf Tagen.“
Würmerfraß ist die typische Krankheit für Gottesverächter, an der nach der Legende u.a. Antiochus IV. Epiphanes (2 Makk 9,5-9) verstorben war; später erzählte man sich dies auch von Judas Ischarioth (Papias-Fragment III).
12,24f. Rückkehr des Barnabas und Saulus von Jerusalem

13 - 14 Die sog. erste Missionsreise: Antiochia (Syrien) - Zypern - Antiochia (Pisidien) - Ikonium - Lystra - Derbe u zck.
13,1-3 Die Aussendung von Barnabas und Paulus
13,4-12 Barnabas und Paulus auf Zypern
13,13-52 Paulus in Antiochia/Pisidien
Daß Paulus nach lukanischer Darstellung mit der Verkündigungsarbeit jeweils in der Synagoge beginnt, entspricht lk Schema, kann dem Leser jedoch plausibel erscheinen:
1. Die Synagogen waren insofern bevorzugte Orte christlicher Verkündigung, weil die Sympathisanten des Judentums, die, vom Monotheismus angezogen, den letzten Schritt der Beschneidung noch scheuten, von der christlichen Botschaft zu überzeugen waren, die ihnen gleichfalls den Monotheismus bot, aber auf Beschneidung verzichtete.
2. Die Präsenz von Juden an einigen der wichtigsten Wirkungsstätten des Paulus ist für seine Zeit auch archäologisch bzw. literarisch belegt, u.a. für Ephesus (Josephus, Antiquitates 14,225-240), für Korinth (Philo, Legatio ad Gaium 281) sowie für Rom (Philo, Legatio ad Gaium 155; vgl. P. Lampe, Die stadtrömischen Christen, 26-28. Auch nach dem bei Sueton, Claudius 25,4; Apg 18,2 bezeugten sog. Claudiusedikt hat es in Rom Juden gegeben, vgl. Juvenal, sat. 3,12-16). Für andere Orte ist die Apostelgeschichte der erste Beleg (zu Thessaloniki vgl. Apg 17,1; Die Existenz einer jüdischen Ge-meinde ist zumindest für das 3. Jhdt. n. Chr. auch inschriftlich nachgewiesen; zu Beröa vgl. Apg 17,10).
In Apg 13 wird die durch den Täufer vorangekündigte Sendung Jesu als Heil für Israel verkündigt (V. 23), gerade seine Auferweckung ist die Erfüllung der Israel gegebenen Verheißung (V. 32-34). Den Hörern wird die Vergebung der Sünden angeboten (V. 38), und sie werden vor Unglauben gegenüber dem Verkündigungswort des Paulus gewarnt (V. 40f.). Der in Apg 13,46f.; 18,7 implizierte Verzicht auf eine planmäßige Israelmission ist für die Zeit des Paulus nicht zweifelsfrei nachzuweisen; Erfahrungen der eigenen Zeit des Lukas fließen wohl in die Darstellung ein.

14,1-7 Barnabas und Paulus in Ikonion
14,8-20 Barnabas und Paulus in Lystra
Gegen den naiven heidnischen Polytheismus bekennen sich die Apostel zum biblischen Schöpfungsglauben und zu ihrer eigenen Menschlichkeit und Sterblichkeit. Gerade zuletzt genannte die Erkenntnis ist eine Grunderkenntnis griechischen Denkens, vgl. Plutarch, de E apud Delphos 394 c.

14,21-28 Barnabas und Paulus in Derbe
Die Einsetzung von Ältesten nach Apg 14,23 ist lukanische Rückprojektion eigener Verhältnisse in die Zeit des Paulus, denn Paulus kennt die Ältestenverfassung noch nicht; der Terminus presbyteros fehlt in den paulinischen Briefen völlig!

15,1-35 Apostelversammlung in Jerusalem
15,1-5 Ursache der Streitigkeiten. Apostelkonzil
Die Erwähnung christlicher Pharisäer zeigt, daß man das Verhältnis zwischen Pharisäern und Christen nicht, der synoptischen Tradition folgend, einseitig negativ beschreiben darf. Lukas teilt nicht ihre Position, spricht ihnen aber das Christsein nicht ab.

15,6-12 Rede des Petrus
15,13-21 Rede des Jakobus
15,22-29 Aposteldekret
15,30-35 Benachrichtigung der Gemeinde in Antiochien

Exkurs: Das Apostelkonzil nach den Darstellung des Paulus und des Lukas
In der Wiedergabe von Anlaß und Ergebnis des Apostelkonzils unterscheiden sich beide Berichte nicht unerheblich:

Paulus Lukas

In der Frage der Veranlassung der Reise

Offenbarung
Paulus will sich absichern
Beschluß der antiochenischen Gemeinde
auf Veranlassung einiger von außen

In der Frage der antiochenischen Delegation

Paulus, Barnabas (+ Titus) Paulus, Barnabas

In der Frage der Hauptverantwortlichen in Jerusalem

Petrus, Jakobus, Johannes Petrus u. Jakobus (Hauptredner), Älteste

In der Frage der sonstigen Beteiligten aus Jerusalem

„falsch eingeschlichene Brüder“ christliche Pharisäer (Apg 15,5), deren Position Lukas nicht teilt, aber auch nicht als unchristlich abqualifziert.

Im Ergebnis der Verhandlungen des sog. Apostelkonzils

Anerkennung der beschneidungsfreien Heidenmission ohne Zusatzauflagen
Kollekte
Anerkennung der beschneidungsfreien Heidenmission mit Zusatzauflagen:
Dekret
---- (!)

im Effekt des sog. Apostelkonzils

Verbindlichkeit für Paulus, Divergenzen mit Petrus offensichtlich Bruch mit Barnabas und Antiochia Verbindlichkeit des Dekretes für Antiochia, Syrien und Kilikien Bruch mit Barnabas anders begründet

Paulus missioniert auf eigene Verantwortung

Konvergenzen im äußeren; Spannungen in Beweggründen und Inhalten. In ersteren kann Lukas Richtiges erhalten haben, in letzterem ist ohne Zweifel Paulus zu folgen: Die beschneidungsfreie Heidenmission wurde ohne Abstriche gebilligt, Paulus und Barnabas außer der Kollekte nichts weiter auferlegt. Das sog. Aposteldekret Apg 15,20.29 ist wohl eine Verlautbarung aus etwas späterer Zeit, denn selbst Lukas passiert das Mißgeschick, daß Paulus nach Apg 21,25 erst damals von den Bestimmungen des Dekretes informiert wird. Umgekehrt wird die Kollekte von Lukas verschwiegen (bis auf die Nebenbemerkung Apg 24,17: „um Almo-sen zu bringen für mein Volk“), wohl weil er um ihr Scheitern wußte, das schon Paulus befürchtet hatte (Röm 15,29-32). Paulus selbst hat sich, wie 1 Kor 16,1-4; 2 Kor 8; 9 zeigen, an die Vereinbarung der Kollekte gehalten, während er auf das sog. Aposteldekret in seinen echten Briefen nirgends zu sprechen kommt; 1 Kor 8 - 10 könnte nicht so formuliert sein, wenn Paulus irgendwelche Kenntnis dieses Dekretes hätte. Deshalb nimmt man heute mehrheitlich an, Lukas habe fälschlich Apo-stelkonzil und Aposteldekret (Apg 15,2-29) zu einem einzigen Geschehnis zusammengezogen.
Der Ertrag des Apostelkonzils besteht jedenfalls in der Anerkennung der beschneidungsfreien Heidenmission und der Verpflichtung auf die Kirchengemeinschaft. Daß die Heidenchristen bald in der Überzahl sein und das genuine Judenchristentum zur Sekte werden lassen, war damals noch nicht erkennbar.
Im Aposteldekret wird im Bewußtsein des in Jesus teilweise Neuen eine partielle Weitergeltung auch ritueller Teile der Thora anempfohlen, aus ekklesiologischer, nicht aus soteriologischer Motivation heraus. Die Forderungen des Aposteldekretes sind traditionsgeschichtlich wohl am ehesten auf dem Hintergrund von Lev 17; 18 (Gebote für die Fremden im Land Israel) zu interpretieren.

15,36-19,20 Die Mission des Paulus in Kleinasien und Griechenland (die sog. zweite und dritte Missionsreise)
15,36-41 Aufbruch und Trennung von Barnabas
Der Konflikt des Paulus mit Barnabas wird in Gal 2,11-14 reichlich anders begründet!
Die Stationen der zweiten Missionsreise: Phrygien - Galatien - Mysien - Troas - Philippi - Thessalonich - Beröa - Athen - Korinth - Ephesus - Cäsarea - Antiochia

16,1-10 Paulus in der Provinz Asia
16,11-40 Paulus in Philippi
16,11-15 Bekehrung der Lydia
16,16-22 Die Magd mit dem Wahrsagegeist
Zur innerantiken Kritik an der Wahrsagerei vgl. Lukian, Alexander von Abonouteichos; zum Thema „Wahrsagerei als Sünde“ vgl. 1 Sam 28.
In Apg 16,20f. wird von Seiten der heidnischen Erzählfiguren die Distanz zu Paulus aufgrund seiner jüdischen Verkündigung formuliert. Zum Thema „Juden in der Sicht von Heiden“ vgl. Strabo, geographica 16,2,35-37 einerseits; Tacitus, Hist 5,4 sowie die bei Josephus, contra Apionem 1,1-2,143 referierten zumeist antijüdischen Äußerungen paganer Schriftsteller andererseits. Am Judentum konnte für Nichtjuden der Monotheismus und die strenge Ethik (vor allem Sexualethik) attraktiv wirken, die sog. Zeremonialgesetzgebung (betr. Sabbat- und Reinheitsvorschriften) stieß allerdings generell auf Unverständnis.

Literatur zur Weiterarbeit: M. Stern, Greek and Latin Authors on Jews and Judaism, Vol. I, From Herodotus to Plutarch, Jerusalem 1974, Vol. II From Tacitus to Simplicius, Jerusalem 1980.

16,23-34 Der Kerkermeister zu Philippi
Zu den Leidenserfahrungen des Paulus in Philippi vgl. auch 1 Thess 2,2.

16,35-40 Freilassung des Paulus

Exkurs: Das römische Bürgerrecht des Paulus in der Diskussion
„War der Apostel Paulus ein römischer Bürger?“ Mit dieser Frage hat W. Stegemann eine wissenschaftliche Diskussion um den historischen Wert einiger Passagen aus der Apostelgeschichte (Apg 16,35-40; 22,23-29; 23,27) initiiert, die bis heute für viele nicht entschieden ist.
Was bedeutet es, ein römischer Bürger zu sein?
* Wehrfähigkeit (anders als heute konnte gerade der kleine Mann das als Sicherung einer ansonsten ungesicherten Existenz auffassen)
* Freiheit von Kopf- und Bodensteuer
* Schutz vor Anwendung der Folter (nach der Lex Porcia und der Lex Julia; Livius, 10,9,4), die für Sklaven und Nichtbürger vorgeschrieben war.
* Recht, an der Kriegsbeute (Versorgung mit Land) beteiligt zu werden
* Kapitalprozesse durften nicht durch das Gericht des Provinzialstatthalters, sondern nur durch das kaiserliche Gericht in Rom entschieden werden.
„Alle Deutschen sind vor dem Gesetz gleich“. Ein ähnlicher Satz dürfte in vielen Verfassungen moderner Staaten stehen, doch überall, auch in Deutschland, gibt es das Phänomen der Ausländergesetzgebung: Man lebt auf Dauer in einem fremden Land und ist dort kein vollberechtigter Bürger.
Ursprüngliche Inhaber waren die freien Bewohner Italiens (südlich einer Grenzlinie Pisa - Ravenna und ohne Sizilien). Gaius Iulius Caesar weitete den Kreis der Begünstigten auf Oberitalien aus; er und sein Adoptivsohn Augustus haben zur Versorgung der stadtrömischen Bevölkerung und der Veteranen viele Städte römischen Rechtes in den Provinzen gegründet, also römische Bürger außerhalb Italiens in Städten angesiedelt.
Wie kam man zur Zeit des Paulus und seiner Eltern zum römischen Bürgerrecht: 1. durch Geburt; 2. ab Claudius durch Kauf (Dio Cassius 60,17,5); 3. Durch Freilassung, wenn man zuvor Sklave eines römischen Herrn gewesen war; 4. Durch Entlassung nach 25 Jahren Kriegsdienst im römischen Heer. Doch haben Juden von sich aus recht selten im römischen Heer gedient, wegen der kultischen Verpflichtungen und wegen des Verbotes, am Sabbat zu marschieren oder Waffen zu tragen, und sie wurden um der genannten Gründe willen auch nicht selten vom römischen Militärdienst befreit. Daß Juden das römische Bürgerrecht besaßen, ist belegt für Ephesus (Josephus, Ant 14,228.234.240) Delos (Josephus, Ant 14,232); Sardes (Josephus, Ant 14,235), aber nicht speziell für Tarsos. Erst 212 n. Chr. wurde allen Bewohnern des Reiches außer den dediticii das römische Bürgerrecht verliehen. Wer die dediticii waren, ist umstritten.
Stegemanns Argumente: 1. Paulus selbst sagt nichts davon, obwohl er durch Hinweis darauf den in 2 Kor 11,24 genannten Strafen hätte entgehen können; 2. Selbst der lk Paulus beruft sich vom Geschehensablauf her geurteilt jedesmal zu spät auf sein Bürgerrecht; unpassend ist ferner, daß in 22,30 Paulus noch eine Nacht länger in Ketten bleibt; in der Erzähldramaturgie des Lukas hat dieses Vorgehen jedoch durchaus seinen Sinn; 3. Nach Apg 22,28 behauptet Paulus, er sei als römischer Bürger geboren, d.h. stamme von Eltern mit römischen Bürgerrecht ab. Wir würden damit auf die Zeit des Princeps Augustus geführt - doch er war sehr zögerlich mit der Verleihung des Bürgerrechtes in der Provinz Asia; vor allem hatte am ehesten die lokale Aristokratie die Möglichkeit, römischer Bürger zu werden, aber nicht ein „normaler Mensch“; 4. Der Besitz des römischen Bürgerrechtes war für thoratreue Juden insofern nicht unproblematisch, als es die Verehrung römischer Staatsgötter mit einschloß. 5. Lukas zeigt auch sonst das Interesse, das Christentum den gesellschaftlich führenden Schichten annehmbar zu machen. 6. die Topoi „Berufung des Paulus auf sein römisches Bürgerrecht“ (Apg 16,35-39; 22,34-29) und „Berufung des Paulus auf das kaiserliche Gericht“ (Apg 25,9-12.21; 26,32) stehen nie zusammen, weil Lukas vermeiden will, das Römertum des Paulus gegen sein Judentum auszuspielen. Das römische Bürgerrecht des Paulus hat Lukas aus der Tatsache der Überstellung nach Rom erschlossen; dies kam aber auch bei Nicht-Römern gelegentlich vor, wenn der Fall brisant genug war, z.B. bei dem Weber Jonathan (Josephus, Bell 7,449ff.).
Martin Hengel hat eingewandt: 1. Paulus selbst sagt nichts davon, weil es ihm nicht wichtig ist und er seine Verfolgungen als Gleichgestaltetwerden mit dem Kreuz Christi betrachtet (Gal 6,17); 2. das Bürgerrecht wurde nicht immer respektiert. Ungesetzliche Übergriffe gegen römische Bürger jüdischer Herkunft kamen vor (Cicero, In Verrem II 5,62.161ff.; Ep ad Fam 10,32,3; MartLugd bei Euseb h.e. 5,1,44.50; JosBell 2,308. Umgekehrt stand auf jeder falschen Beanspruchung des Bürgerrechtes die Todesstrafe, vgl. Epiktet, Diss. 3,24,41; Sueton, Claudius 25), wenngleich es als ungewöhnlich gelten muß, daß dies dreimal der selben Person passiert sein soll. 3. Daß die Eltern des Paulus das römische Bürgerrecht erwarben, ist nicht einfach undenkbar; immerhin war Tarsus seit 66 v. Chr. die Hauptstadt des römischen Bezirks Kilikien, und dort wohnten viele römische Bürger. M. Hengel vermutet, die Eltern des Paulus seien Freigelassene eines römischen Patronus mit Namen Paulus gewesen. 4. In der östlichen Reichshälfte begegnen echt lateinische Namen wie Paulus relativ selten, am ehesten bei römischen Bürgern als cognomen. 5. Was hätte Lukas, der ja an christliche Leser schreibt, denen unter ihnen damit geholfen, die nicht das römische Bürgerrecht besitzen? Oder sind Theophilos und seine Kreise ausschließlich als freie römische Bürger zu denken, denen diese Art der Einschränkung überhaupt kein Problem bedeutete? 6. Warum hätte ein Provinziale nicht sofort in Cäsarea Philippi abgeurteilt werden, warum hätte man ihn erst nach Rom überstellen sollen?

Literatur zur Weiterarbeit
Stegemann, W., War der Apostel Paulus ein römischer Bürger?, ZNW 78, 1987, 200-229.
Hengel, M., Der vorchristliche Paulus, ThBeitr 21, 1990, 174-195.

17,1-9 Paulus in Thessaloniki
17,10-15 Paulus in Beröa
17,16-34 Paulus in Athen
Athen galt damals im Gefolge seiner Tradition als ein Zentrum der Geistigkeit (u.a. hatte Cicero in Athen studiert), als „typische Universitätsstadt“, während es politisch und wirtschaftlich durch das wiedererstarkte Korinth überflügelt wurde. Insofern ist der Schauplatz der folgenden Areopagrede angemessen gewählt.

17,22-31 Areopagrede

Exkurs: Griechische Philosophie
Den Namen Philosophie brachte zuerst Pythagoras auf und nannte sich selbst einen Philosophen (wörtlich: einen Freund der Weisheit), denn kein Mensch sei weise, sondern nur die Gottheit. In dem Titel „Freund der Weisheit“ liegt ursprünglich also eine Selbstbeschränkung. Die folgende Darstellung greift zwar weit über die im Neuen Testament verhandelten Fragestellungen hinaus, soll aber gerade dadurch verdeutlichen, was ein gebildeter Zeitgenosse der Apostel bei deren Verkündigung alles vermissen mußte.
Die heutige Aufteilung der Philosophie in Einzeldisziplinen wie philosophische Ethik, Sprachphilosophie etc. hat ihren Vorläufer in der Antike (Diogenes Laertios Proöm. 18): „Was die Teile der Philosophie anlangt, so unterscheidet man deren drei: Physik, Ethik und Dialektik. Die Physik handelt von dem Weltganzen und von dem, was in ihm ist, die Ethik von der Lebensführung und dem, was von Menschen betrifft; die Dialektik endlich behandelt eingehend die begrifflichen Verhältnisse für beide Gebiete. ... Die Richtung auf das physische Gebiet herrscht bis auf Archelaos; mit Sokrates ... trat die Wendung zur Ethik ein, mit Zenon, dem Eleaten, die Wendung zur Dialektik“.

Die Vorsokratiker
Philosophie begann als Naturwissenschaft. Im Gegenzug zur Mythologie von Homer und Hesiod wurde ein rationaler Zugang zum Verständnis der natürlichen Welt gesucht, im völligen Gegensatz zu babylonischen und ägyptischen Mythen wurde Kosmogonie ohne Götterkampf gelehrt; gefragt wurde, aus welchen Elementen die Welt bestehe und welches davon das ursprüngliche sei.
In diese Zeit fällt auch der Beginn der Religionskritik. Xenophanes (um 540 v. Chr.) kritisiert nicht nur die moralisch schlechten Züge, die man den homerischen Göttern nachsagt, sondern die anthropomorphe Darstellung von Göttern überhaupt: „die Äthiopier sagen, daß ihre Götter stumpfnasig und schwarz sind, die Thrakier, daß sie helle blaue Augen haben und roter Haare“ (B 16); „wenn Rinder und Pferde und Löwen Hände hätten, oder fähig wären, mit ihren Händen zu zeichnen, ..., würden Pferde die Gestalten der Götter wie Pferde zeichnen, Rinder wie Rinder, und sie würden ihre Körper so machen, wie sie sie jeweils selbst haben“ (B 15). Angemessen ist Gott als „in keiner Weise ähnlich den Sterblichen, weder hinsichtlich des Körpers noch hinsichtlich des Denkens“ (B 23) zu beschreiben; dieser größte Gott „bleibt immer am selben Ort und bewegt sich überhaupt nicht; noch schickt es sich für ihn, zu verschiedenen Zeiten an verschiedene Orte zu gehen; sondern ohne Mühe erschüttert er alle Dinge durch das Denken seines Geistes“ (B 25).
Eine Gegenlinie gegen diese rationale Welterklärung verbindet sich in vorsokratischer Zeit vor allem mit dem Namen Pythagoras (570-490). Auf ihn geht die griechische Variante der Lehre von der Seelenwanderung (Metempsychose) ebenso zurück wie die Regelung der täglichen Lebensweise durch Diät- und andere Reinheitsvorschriften.

Sokrates (470-399 v. Chr.) hat wie Jesus von Nazareth nichts Schriftliches hinterlassen. Die seine spätere Wirkung begründende Lebensaufgabe des Sokrates stellt Platon in seiner Sokrates in den Mund gelegten Apologie so dar: „... nichts anderes tue ich, als daß ich umhergehe, um Jung und Alt unter euch zu überreden, ja nicht für den Leib und für das Vermögen zuvor noch überall zu sehr zu sorgen als für die Seele, daß diese aufs Beste gedeihe, zeigend, wie nicht aus dem Reichtum die Tugend entsteht, sondern aus der Tugend der Reichtum und alle anderen menschlichen Güter insgesamt“ (Apologie 30a.b). Die Seele gilt als das Selbst, in dessen Kompetenz sein sittliches Handeln fällt. In dieser Beschreibung seiner Lebensaufgabe sind Abgrenzungen mitgesetzt, die eine gegen die Naturphilosophie, deren Erkenntnis an unserem sittlichen Zustand nichts zu ändern vermögen, die andere gegen die Sophisten, „die als erste durch ein rücksichtsloses Experimentieren mit allen nur denkbaren philosophischen Positionen zu zeigen versuchten, zu welchen Leistungen die menschliche Vernunft fähig sei“ (Gigon, Art. Aristoteles/ Aristotelismus, TRE 3, 726) und denen gegenüber Sokrates unablässig an die Verantwortlichkeit menschlichen Denkens erinnerte.
Das absolute Wissen ist der Gottheit vorbehalten (Apologie 23a), und in diesem Zusammenhang gilt der berühmte Satz „Ich weiß, daß ich nichts weiß“ (bei Diogenes Laertios 2,31). Was dem Menschen möglich, was aber auch von ihm gefordert ist, das ist die Annäherung an diese Erkenntnis, geht es doch darum, daß der Mensch so einsichtig und weise „wie möglich“ werden solle. Sokrates war der Überzeugung, daß, wer um das Gute wisse, es notwendig auch tue, handle doch jeder in seinem ureigensten Interesse und wolle doch jeder für sich selbst das Beste. Ferner gilt: Ist die Vernunft das höchste am Menschen und kann niemals das Höhere durch das Geringere überwältigt werden, kann es nach Sokrates nicht sein, daß die Einsicht in das Gute durch das Wollen durchkreuzt werde.
Maxime seiner politischen Philosophie war, daß Unrecht tun schlimmer sei als Unrecht leiden. Angeklagt wurde Sokrates (ähnlich wie u.a. der Vorsokratiker Anaxagoras) deshalb, weil er nicht an die Götter glaube, an die die Polis glaube, sondern neue göttliche Wesen einführe, und weil er Verderber der Jugend sei. Platon hat in seiner Apologie des Sokrates sowie in den Dialogen Phaidon und Kriton jenes Bild des bewußt in den Tod gehenden ge-zeichnet, das für die abendländische Geschichte von so ungeheuerer Wirkung geworden ist.

Platon (427-347 v. Chr.) gilt als Begründer der wissenschaftlichen Theologie, der Ausdruck theologia begegnet erstmals in Politeia II 379a. Die Grundregel der Theologie ist: Wie Gott in seinem Wesen ist, so muß er auch immer dargestellt werden. Deshalb gilt in Abgrenzung zu den Mythen Homers: Gott ist gut und Ursache des Guten, aber nicht des Bösen (Pol II 379 c). Ferner muß gegen die homerischen Mythen von der Verwandlung des Zeus Gott als unwandelbar dargestellt werden, denn er ist vollkommen, und Verandlung würde daher nur als Verwandlung zum Schlechteren denkbar sein, was schon ein Mensch nicht frei-willig tun würde (Politeia II 381 c). Gott belügt auch nicht dadurch, daß er die Menschen sich einbilden läßt, er erschiene ihnen in verwandelter Gestalt. In seinem Idealstaat wünscht Platon deshalb auch die Mythen Homers aus dem Bildungskanon verbannt.
Platons Ethik ist in seiner Anthropologie, in seiner Lehre von den drei Seelenteilen grundgelegt: Ziel ist es, das vernünftige Seelenteil gegenüber dem nach Anerkennung verlangenden mittleren und dem auf die Befriedigung der niederen Bedürfnisse gerichteten Seelenteil zu stärken. Platons berühmte Ideenlehre besagt in kurzem: dasjenige, worin vergleichbare Gegenstände einander ähnlich sind und was wir als solches nirgends wahrnehmen, sondern nur durch das Wahrnehmbare hindurch erkennen, existiert in einem besonderen, der Wahrnehmung entzogenen, dem Erkennen aber zugänglichen Bereich als eine Welt vollkommener und unvergänglicher Gestalten und Strukturen. An diesen Gestalten (Ideen) partizipiert das Wahrnehmbare und Vergängliche, so gut es dies vermag. Die Erinnerung (Anamnesis) an die vollkommene Schönheit dieser anderen, ‘jenseitigen’ Wirklichkeit weckt in der ins Diesseits versetzten Seele das liebende Verlangen, sich ihr wieder anzunähern: Eros ist die Triebkraft der Philosophie, die uns zurückführt zum Ursprung, indem sie befähigt, das Sterbliche (scil. den Körper und die irrationalen Seelenteile) in uns als nicht zu unserem eigentlichen Selbst gehörig zu betrachten und die Erkenntnis der Ideen trotz unserer Bindung an die Dingwelt hier schon zu versuchen.
In seiner politeia entwirft Platon eine Staatsutopie, in der eine philosophisch gebildete Schicht die Macht ausübt, eine militärisch gebildete Schicht den Staat nach außen verteidigt und die Schicht der Handwerker und Bauern für die Ernährung der Bevölkerung sorgt.
Platon gründete im Hain des Heros Akademos seine Philosophen-Schule, die Akademie, organisiert als Kultverein der Musen und ihres Anführers Apollon. Die Akademie führte eine wahrscheinlich ununterbrochene Existenz von fast 900 Jahren, bis zu ihrer Schließung durch Kai-ser Justinian i.J. 529 n. Chr.

Aristoteles (384-322), u.a. Lehrer Alexanders d. Gr., fragt nach der durchgehenden transparenten Ordnung der Welt und ist aus diesem Antrieb heraus Universalgelehrter, der wie viele seiner Schüler (die Peripatetiker) das gesamte Gebiet der damaligen Wissenschaften bearbeitet, von politischer Ethik bis hin zur Biologie.
Zwei Hauptfragen bewegen die aristotelische Philosophie: Was ist das Wesen eines Dinges, und was sind die Ursachen uns unverständlicher Erscheinungen.
Das Wesen eines Dinges ist das, was es mit anderen Dingen gemeinsam hat, und ich erkenne das Wesen aufgrund von Beobachtung. Wirkungsgeschichtlich ist die aufgrund der sog. Kategorien (u.a. Wesen, Qualität, Quantität, Zeit, Ort, Bewirken, Leiden) vorgenommene Unterscheidung zwischen Substanz und Akzidens geworden. Als Substanz eines Tisches wäre zu benennen „künstlich hergestellte, erhöhte ebene Fläche“; ob der Tisch ein Bein hat oder vier, oder ob er wie ein Altartisch als Granitblock aufgestellt ist, fällt demgegenüber unter die Akzidentien, ebenso Größe, Farbe etc. (Später folgerte man: In Gott sind keine Akzidentien; in Gott fallen Sein und Wesen zusammen). Die Substanzen existieren, so Aristoteles gegen Platon, nicht in einer abgesonderten Welt der Ideen, sondern sind nur in den Dingen selbst da.
Dem Holzblock, aus dem ein Tisch herausgesägt werden soll, sieht man das noch nicht an. Man kann aus Holz viel machen. Philosophisch gesehen: Der rohe Holzblock befindet sich im Status vielerlei Möglichkeiten. Macht man aus ihm einen Tisch, so ist diese Veränderung als der Übergang von der Möglichkeit zur Wirklichkeit zu beschreiben. Möglichkeit gilt als der noch unvollkommene, Wirklichkeit der vollkommene Zustand. Ist Gott das höchste Seiende, und ist Sein schlechthin mit der vollkommenen Verwirklichung des Möglichen ineinszusetzen, so kann Möglichkeit an Gott nicht gedacht werden, damit aber auch etwa der Gedanke der Reue Gottes zum Guten wie auch zum Bösen.
Die nacharistotelische griechische Philosophie reflektiert auf ihre Weise die Auflösung der Ordnung der überschaubaren alten griechischen Stadtstaaten in den Riesenreichen Alexanders d. Gr. und seiner Nachfolger und die sich für den einzelnen anschließenden Fragen nach der Bewältigung der Kontingenzerfahrungen (u.a. freiwillige und unfreiwillige Mobilität auch des kleinen Mannes, vgl. Apg 13,1f.), indem die Frage nach dem gelingenden Leben des einzelnen, die Frage nach dem Glück (eudaimonia) zur leitenden Frage wird.

Epikur (341-270 v. Chr.) steht an erster Stelle in der Darstellung der nacharistotelischen Philosophie, weil die anderen Philosophenschulen nicht selten im Gegensatz zu dieser theologisch radikalisierten Philosophie ihre Anschauungen bilden und vertreten.
Das treibende Motiv seiner Philosophie ist: Sie will den Menschen von aller falschen Furcht vor allem und jedem befreien. Das Glück, die eudaimonia besteht nach Epikur in der ataracia, in der Freiheit von allem, was das Gemüt verwirrt und deshalb unsere Urteilskraft verdunkelt, die Freiheit von aller Furcht vor dem Irrationalen in jeglicher Gestalt, vor dem Tode und vor dem Eingreifen der Götter. Diesem Ziel dienen Epikurs Erkenntnislehre, Kosmologie und Theologie: Wissen kann allein aus der sinnlichen Wahrnehmung gewonnen werden, denn rein passiv; die menschlichen Organe der Wahrnehmung und der Empfindung tun der Wahrnehmung nichts hinzu. In dem als unbegrenzt gedachten Universum gibt es unbegrenzt viele Welten. Diese bestehen aus den uns nicht mehr mit Sinnen wahrnehmbaren Atomen; deren Bewegung konstituiert Veränderung, Werden und Vergehen im Kosmos. Diese Er-kenntnis soll dem Menschen allen Unwägbarkeiten zum Trotz das Gefühl der Sicherheit geben: Es fällt nichts aus diesen Gesetzmäßigkeiten des mechanistisch verstandenen Weltenlaufes heraus. Daß es Götter gibt, steht für Epikur aufgrund der communis opinio der Menschen fest, aber man darf nicht die Vorstellungen der unwissenden Menge auf die Götter übertragen. Die Götter sind vollkommenen in ihrer denkenden seligen Selbstbetrachtung und darin für den Menschen Vorbild, greifen aber nicht helfend, und vor allem nicht strafend in das menschliche Leben ein. Sich um die Dinge dieser Welten zu kümmern, wäre mit der Seligkeit der Götter nicht vereinbar. Sie sind natürlich auch leidenschaftslos, vor allem ohne Zorn.

Die Schule der Stoiker wurde von Zenon aus Kition (333-262) in Athen gegründet und trägt ihren Namen nach dem Ort, an dem Zenon lehrte, der stoa poikile, der bunten Halle, einer Säulenhalle an der Agora (antiker Marktplatz) von Athen.
Zenon sieht die Welt als eine Einheit an; es gibt gleichzeitig gesehen nur eine Welt, nicht wie bei Epikur deren unendlich viele. Diese eine Welt ist in sich einheitlich und widerspruchsfrei als ein Ordnungsgebilde (kosmos i.S. von Ordnung) zu erklären. Substanz dieser Welt ist die Urmaterie. Aus ihr gehen die Elemente hervor, aus deren Mischung entsteht die Materie der Einzeldinge. Ein Vergehen ins nichts gibt es nicht.
Für Zenons Ethik ist wie für die Ethik der späteren Stoa überhaupt die enge Bezogenheit auf die naturphilosophische Erkenntnis charakteristisch. Der Weise erkennt in dem kosmos die ordnende Hand der gütigen Vorsehung Gottes und lebt entsprechend. So ist sog. Telosformel omologoumenos zen „in Übereinstimmung leben“ zu verstehen, ebenso die bekanntere Langfassung omologoumenos te fusei zen. („in Übereinstimmung mit der Natur leben“) Dieses Ideal erreicht der Weise in einem Leben gemäß der Tugend; sie allein ist die notwendige, aber auch hinreichende Bedingung zur Glückseligkeit, ähnlich wie das der Tugend entgegengesetzte Laster allein als Übel zu gelten hat. Alles übrige wie Gesundheit, Krankheit, Reichtum, Armut etc. ist für die Glückseligkeit gleichgültig anzusehen, es ist ein Adiaphoron. Freilich hat Zenon später zwischen den Dingen unterschieden, die man im Zweifelsfall vorzieht, also Gesundheit und Reichtum, oder meidet wie Krankheit oder Armut.
Ein schwerwiegendes Problem hat Zenon der Stoa, aber auch insgesamt der Philosophie hinterlassen: Wie kann die Determiniertheit des Weltenlaufes durch die göttliche pronoia zusammengedacht werden mit der menschlichen Willensfreiheit, die man behaupten muß, um Handlungen nach moralischen Gesichtspunkten zu beurteilen? Von Zenon sind uns keine Lösungsansätze erhalten. Nach Kleanthes, Zenons Nachfolger, findet die Vorsehung Gottes an der Willensfreiheit des Menschen ihre Grenze; demnach geschieht das Gute in Übereinstimmung mit dem Willen Gottes, das Schlechte gegen den Willen Gottes auf Grund der Torheit der Menschen, es bleibt Gott aber die Macht, das Schlechte geradezubiegen und in seine Ordnung einzufügen. Auf eine kurze Formel hat es der römische Stoiker Seneca (4 v. - 63. n. Chr.) gebracht: „ducunt volentem fata, nolentem trahunt“ (Seneca, Epist. mor. 107,10). Seneca hatte diese Erkenntnis im eigenen Leben mehrfach zu bewähren, u.a. aufgrund von Krankheiten und Verbannungen. „Das Unglück beugt ... nur den, der sich vorher vom Glück täuschen ließ.“ Verbannung ist für Seneca nur ein Ortswechsel, wie ihn schon viele Menschen freiwillig oder unfreiwillig vollzogen haben, „und zwei der herrlichsten Dinge folgen uns überall hin: die allgemeine Natur und die uns eigene Tugend“.

Die Akademie hat zunächst die spekulativen Ansätze ihres Ahnherrn Platon ausgebaut, ist dann aber mit Arkesilaos (316-241 v. Chr.) und Karneades (214-129 v. Chr.) für zwei Jahrhunderte zu einer Bewegung der Skepsis und zur schärfsten Kritikerin der Stoa geworden; nachgewirkt haben hier Anschauungen des Pyrrhon von Elis (ca. 360-270 v. Chr.).

Nachgewirkt haben Anschauungen des formal nicht zur Akademie gehörenden Pyrrhon. Er hat, ganz seinen Maximen gemäß, tatsächlich nichts geschrieben. Über die Anfänge seiner Schulrichtung erfahren wir nur mit Hilfe von Fremdreferaten, hier des Peripatetikers Aristokles: „Zuallererst gilt es, die eigene Erkenntnismöglichkeit zu erforschen; denn wenn unsere Natur es uns nicht gestattet, etwas zu erkennen, dann braucht man über anderes gar keine Betrachtungen anzustellen. ... Was nun die Dinge angeht, .... habe jener gezeigt, daß sie in gleicher Weise ununter-scheidbar sind, unwägbar und unbestimmbar. Deshalb seien weder unsere Sinneswahrnehmungen noch unsere verstandesmäßigen Bemühungen wahr oder falsch; deshalb dürfe man ihnen nicht vertrauen, sondern man müsse sich freihalten von jeder Meinung, von jeder Zuneigung (zur einen oder zur anderen Ansicht), und man dürfe sich durch nichts erschüttern lassen. Über jeden einzelnen Gegenstand müsse man sagen, daß er nicht mehr ‘sei’ als ‘nicht sei’, oder: daß er sowohl ‘sei‘ als ‘nicht sei‘, oder: daß er weder ‘sei‘ noch ‘nicht sei‘.“ Durch diese Zurückhaltung im Urteil erreicht man das Glück.

Karneades bestritt mit Hilfe dieser Gedanken die Grundlage stoischer Erkenntnistheorie, indem er die Möglichkeit der objektiven Unterscheidung zwischen wahren und falschen Vorstellungen bestritt, er führte auch den stoischen Beweis für die gütige Vorsehung und für die Divination (Wahrsagekunst) ad absurdum, und zeigte die Inkonsequenz auf, naturgemäße Sachwerte anzuerkennen, die der Mensch von Natur aus erstrebe (Gesundheit), ihren Besitz jedoch als gleichgültig für die Eudaimonie zu erklären.
Bei Philon von Larissa (159-84 v. Chr.) und Antiochos von Askalon (zw. 140/125 - 68 v. Chr.) kommt es zu einer partiellen Wieder-Annäherung der Akademie an die Stoa, freilich mit dem schon althergebrachten Unterschied in der normierenden Instanz und entsprechend in der Güterlehre: Sittliche Norm war für die Stoiker die Allnatur, die menschliche Natur nur insoweit, als sie an der Allnatur teilhat; für die ältere Akademie und für Antiochus ist die Norm dagegen abzuleiten aus der ganzen Natur des Menschen, also aus dem Körper, den äußeren Bedürfnissen und aus denen der Seele. Entsprechend gibt es nicht nur seelische Güter, die erstrebenswert sind, sondern auch körperliche und äußerliche, wenngleich die letzteren beiden an Würde hinter den seelischen Gütern zurückstehen.
Um die Zeitenwende formiert sich der sog. Mittelplatonismus mit neu erwachtem Interesse an den Fragen der Kosmologie, grundlegende Schrift hierfür, in Kommentaren häufig bearbeitet, ist Platons Dialog Timaios. Der Hauptstreitpunkt unter Platonikern war, ob Platon die Vorstellung eines zeitlichen Anfangs der Welt im wörtlichen Sinne verstanden wissen oder nur zum Zwecke der Untersuchung eingeführen wollte.

Der bekannteste Vertreter dieses Mittelplatonismus ist Plutarch (46-125 n. Chr.), Historiker und Religionsphilosoph sowie Priester am Apollo-Heiligtum zu Delphi. Daneben war er in die eleusinischen Mysterien eingeweiht. Seine Biographien über bedeutende Griechen und Römer haben hohen Quellenwert, seine ethischen und religionsphilosophischen Schriften sind für das Studium des Neuen Testaments von besonderem Interesse.

Die Areopagrede knüpft an stoische Vorstellungen an, hat aber auch ihre biblische Prägung: Apg 17,24 bezeugt Gottes Schöpfermacht im biblischen Sinn, Apg 17,26 ist Überblick über die profane Völkergeschichte, aus Gen 1 und Gen 10 heraus gestaltet, Apg 17,29 verknüpft das Aratos-Zitat mit der Götzenpolemik des Deuterojesaja. Das Aratos-Zitat soll den Hörerinnen und Hörern die lk Botschaft als auch von ihren geistigen Voraussetzungen her einleuchtend erscheinen lassen

18,1-22 Paulus in Korinth
18,1-11 Gründung der Gemeinde
18,12-17 Paulus vor Gallio
Gallio (Bruder des berühmten Stoikers Seneca) betrachtet den Streit um Paulus als einen innerjüdischen Konflikt, um den er sich nicht weiter kümmert, auch nicht, als es zu antijüdischen Ausschreitungen kommt. - Von den Auseinandersetzungen innerhalb der christlichen Gemeinde (vgl. 1 und 2 Kor) erfährt der Leser nichts.

18,18-22 Abreise nach Antiochia
18,23-19,20 Beginn der sog. dritten Missionsreise.
Die Stationen der sog. dritten Missionsreise: Galatien - Phrygien - Ephesus - Mazedonien - Griechenland - Troas - Milet - Jerusalem (dort Verhaftung)

18,24-28 Apollos von Alexandria in Ephesus
Alexandria, von Alexander d. Gr. 331 v. Chr. gegründet und nach ihm benannt, war damals ein der größten Städte des römischen Imperiums, mit einem großen Anteil jüdischer Bevölkerung, bekannt durch seine Bibliothek, die 272 n. Chr. infolge bürgerkriegsähnlicher Wirren zerstört worden ist (Ammianus Marcellinus 22,16,15). Bedeutung hatte Alexandria gleichermaßen für die Naturwissenschaften wie für das Gebiet der Philologie und Exegese. Für das hohe Niveau jüdischen Geisteslebens in Alexandria ist der Religionsphilosoph Philo der hervorragendste, aber nicht der einzige Vertreter. Zur Geschichte der antijüdischen Ausschreitungen in Alexandria zur Zeit des Caligula vgl. Philo, Legatio ad Gaium sowie ders., in Flaccum.

19,1-7 Die Johannesjünger in Ephesus
Täuferjünger und Jesusjünger waren für Außenstehende zunächst kaum zu unterscheiden: Ein Taufbad war in beiden Gruppen der Initiationsritus, und örtliche Gruppen bildeten sich durch Abspaltung von der Synagoge. Differenzen zwischen beiden waren nur intern sichtbar, Sie betrafen das Verständnis der Taufe und des Heiligen Geistes: Die Taufe des Johannes war Bußtaufe, die aus christlicher Sicht auf Christus vorbereiten sollte, und der Heilige Geist war für Johannes den Täufer eine die Zukunft, für die Christen eine die eigene Gegenwart bestimmende Wirklichkeit.

19,8-12 Des Paulus Wirken in Ephesus
In die lange ephesinische Zeit fallen, wie wir aus den Paulusbriefen wissen, einige für Paulus gewichtige Ereignisse: Eine Todesgefahr, aus der er nur mit knapper Not gerettet werden konnte (vgl. 2 Kor 1,8) sowie der Beginn der Konflikte mit den Korinthern und den Galatern. Davon berichtet Lukas nichts.

19,13-20 Jüdische Exorzisten und heidnische Magie
Antike Exorzisten bedienten sich bei ihren magischen Praktiken zumeist einer Summe möglichst geheimnisvoll klingender Götternamen (auf irgendeinen dieser Namen würde der Dämon ja wohl reagieren müssen!). Auch der Name des Gottes Israels wie der Name von Erzengeln fand Verwendung. Welche religionsgeschichtlichen Kuriositäten hierbei entstehen konnten, zeigt ein spätantiker Zauberpapyrus: „Ich beschwöre Dich bei Jesus, dem Gott der Hebräer“ (PGM 4,3019f.). – Ein jüdischer Hoherpriester namens Skevas ist ansonsten nicht bekannt.
In Abgrenzung davon versucht die Erzählung zu demonstrieren, daß die Benutzung des Namens Jesu zu exorzistischen Zwecken durch Nichtchristen illegitim ist. Als biblische Kontrastparallele vgl. Mk 9,38-40.

19,21-28,31 Paulus auf dem Weg nach Rom
19,21-21,26 Paulus auf dem Weg nach Jerusalem
19,21f. Sein Entschluß, auch in Rom zu missionieren
In der Wendung „muß ich auch Rom sehen“ verweist das dei nicht auf den privaten Wunsch des Paulus, sondern auf Gottes Plan. Deshalb wird Paulus nach Rom kommen, allerdings als Gefangener.

19,23-40 Der Aufstand des Demetrius
Der Artemis-Kult in Ephesus hatte eine starke Ausstrahlung auch über die Stadt hinaus und stellte auch einen nicht unbedeutenden Wirtschaftsfaktor dar, der Artemistempel zählte zu den sieben Weltwundern.
Lk 19,35-40 sind als Rede des heidnischen Stadtschreibers kaum vorstellbar, sondern im Sinne des Lukas gestaltet: Auch in ihrer Auseinandersetzung mit anderen Religionen stören die Christen nicht die öffentliche Ordnung; sie schmähen nicht, und sie verhalten sich damit nach Ex 22,27 LXX. Auch jüdische Literatur greift diese Mahnung auf, die Götter des Gastlandes nicht zu schmähen, vgl. Josephus, Antiquitates 4,207; Josephus, Contra Apionem 2,237; Philo, Vita Mosis 2,205.

20,1-5 Paulus in Makedonien und Griechenland
20,6-12 Paulus in Troas. Eutychus
Die Erzählung ist einer der frühesten Belege für den christlichen Gottesdienst am Sonntag Abend (vgl. noch Apk 1,10; Did 14,1; Plinius d. J., ep. 10,96). Wann, wie und mit welcher Begründung Christen zusätzlich zum Sabbat bzw. an seiner Stelle den Sonntag als „ihren“ Feiertag begingen, ist nicht bekannt. Der Ort des Gottesdienstes ist eine Privatwohnung (eigene, nur dem Gottesdienst dienende Gebäude hatte man damals noch nicht), wohl in einem größeren Mietshaus.

20,13-16 Reise nach Milet
20,17-38 Abschiedsrede des Paulus an die Ältesten von Ephesus und Milet
Formal ist der Text eine Abschiedsrede. Vergleichbare Texte sind Gen 47,29-49,33; Jos 23,1-24,30; 1 Sam 12,1-25; Tob 14,3-11; 1 Makk 2,49-70; Jub 20,1-10; 21,1-25 sowie das Deuteronomium insgesamt. Es erscheinen zumeist folgende Motive: „Konstatierung der Todesnähe, Versammlung der Zuhörer, Paränese, prophetischer Ausblick auf die Zukunft Selbstentlastung des Sterbenden, Tod bzw. Entrückung. Der Sitz im Leben der Abschiedsrede ist die geschichtliche Ortsbestimmung der Institution bzw. Gruppe durch die Besinnung auf das ihr anvertraute Erbe“ (J. Roloff, Die Apostelgeschichte übersetzt und erklärt, NTD 5, Göttingen 1981, 302). So gewinnt die Gattung der Abschiedsrede gerade Bedeutung ..., wo die geschichtliche Kontinuität zum Problem geworden ist. Und eben dies war im Urchristentum beim Übergang von der zweiten zur dritten Generation der Fall“ (ebd.). Mehrere Abschiedsreden stammen aus dieser Zeit: Lk 22,14-38; Joh 13-17; 2. Tim. Allerdings verpflichtet Lukas, anders als die Pastoralbriefe, die Gemeinde nicht auf die bestimmte paulinische Lehrtradition, sondern spricht ihr zu, daß das geschichtsmächtige Wort Gottes sie weiterhin leiten wird; Ketzerpolemik wird (abgesehen von der sehr allgemein gehaltenen Wendung Apg 20,29) ihm nicht in den Mund gelegt, anders als in den Pastoralbriefen, z.B. 1 Tim 4,1-3 u.ö.
Apg 20,28 ist die einzige Stelle in der Apostelgeschichte, wo dem Tod Jesu eigenständig soteriologische Relevanz zukommt. Die Stelle bezeugt zugleich die Verschmelzung der judenchristlichen Presbyterialverfassung mit der eher an hellenistisches Vereinswesen erinnernden Episkopenverfassung.

21,1-14 Abreise nach Jerusalem
Der Prophet Agabus vollzieht eine Zeichenhandlung ähnlich wie alttestamentliche Propheten (vgl. 1 Kön 11,29-39; Jes 8,1-4; Jer 19,1-13; Ez 4-5). - Paulus entzieht sich der drohenden Gefahr nicht. Der Anklang von V. 14 an das Wort Jesu in Gethsemane Lk 22,42 ist wohl kaum zufällig. Der Märtyrertod des Paulus ist auch durch 1 Clem 5,5-7 bezeugt sowie im 2. Timotheusbrief vorausgesetzt.

Literatur zur Weiterarbeit: Horn, F. W. (Hg.), Das Ende des Paulus. Historische, theologische und literaturgeschichtliche Aspekte, BZNW 106, Berlin New York 2001.

21,15-26 Ankunft in Jerusalem
Die Auslösung des Nasiräats für die vier Judenchristen erweist den lukanischen Paulus als frommen Juden und stellt die in Apg 21,28 berichteten Anschuldigungen von vornherein in ein schlechtes Licht.

21,27-26,32 Der Prozeß des Paulus in Jerusalem und Cäsarea
21,27-40 Verhaftung in Jerusalem
Daß Nichtjuden den inneren Vorhof des Tempels nicht betreten durften, ist auch archäologisch bezeugt. Eine niedere Mauer mit mehreren Durchlässen trennt den äußeren von den inneren Vorhöfen. An dieser Mauer waren Warntafeln aufgestellt mit der Aufschrift in griechischer und lateinischer Sprache: „Kein Nichtjude darf die Schranke um das Heiligtum und den Umgang überschreiten. Wer dabei ergriffen wird, hat es sich selbst zuzuschreiben - darauf steht der Tod!“ Diese Warntafel wird auch bei Josephus, BJ 6,126 erwähnt.

22,1-21 Verteidigungsrede.
Nicht Paulus ist dem Judentum untreu geworden, vielmehr hat das nicht an Jesus glaubende Judentum, so Lukas, nicht wahrhaben wollen, daß Gott sein Heil nunmehr auch den Heiden zukommen lassen will.

22,22-30 Paulus vor dem römischen Oberst
Der Fanatismus der Masse erwächst daraus, daß Paulus auch den Heiden verkündigen will. Das lukanische Bild, das nicht an Jesus glaubende Judentum habe sich der Öffnung gegenüber Nichtjuden völlig gesperrt, ist historisch nicht richtig, vgl. den Bekehrungsroman „Joseph und Aseneth“, die Polemik Mt 23,15 sowie Josephus, contra Apionem 2,281-283.

23,1-11 Paulus vor dem Hohen Rat
Paulus wird wiederum als frommer Jude dargestellt. Daß die Christen nicht durch eigenes Fehlverhalten Anlaß zur Feindseligkeit geben sollen, ist auch andernorts als Mahnung festgehalten, vgl. 1 Pt 4,15.
Paulus nutzt den bekannten Umstand der Lehrdifferenzen zwischen Pharisäern und Sadduzäern (vgl. zu Mk 12,18-27) bzgl. der Auferstehungshoffnung.
Wirkungsvoll ist am Ende dieser Szene vor der folgenden Schilderung der akuten Lebensgefahr die Audition gesetzt, die dem Paulus nicht das Überleben in seinem Prozeß, wohl aber die Erfüllung seines Wortes Apg 19,21 ankündigt.

23,12-22 Der Mordanschlag gegen Paulus
23,23-35 Die Überstellung des Paulus nach Cäsarea
24,1-21 Vor dem Statthalter Felix
Tertullus erwartet eine Verurteilung des Paulus aufgrund der staseis, die den römischen Prokurator zum Handeln veranlassen müßten. Paulus beteuert die gewollte Kontinuität zu Israel (V. 9-15) und begründet seine Lauterkeit (24,16) und Unschuld (24,17-21).

24,22-27 Verschleppung des Prozesses
Felix’ Geldgier zeigt, daß Christen bei den Vertretern der römischen Staatsmacht nicht immer mit dem u.a. in Apg 23,23-35 geschilderten Wohlwollen rechnen können.

25,1-12 Verhandlung vor Festus
Wieder erscheinen Juden als die „eigentlichen Gegenspieler“ (K.-M. Bull, Bibelkunde, 57) des Paulus. Inhaltlich neu (und für den weiteren Gang der Darstellung bestimmend) ist die in Aussicht genommene Überstellung des Angeklagten nach Rom, bei Personen mit römischen Bürgerrecht möglich.

25,13-27 König Agrippa bei Festus
Die Szene soll die Bedeutung des Falles des Paulus genauso wie seine Unschuld hervorheben, zugleich Porcius Festus als einen mit Bedacht handelnden Prokurator schildern, der sich um die Zuziehung eines Sachverständigen bemüht.

26,1-32 Paulus vor Agrippa und Festus
Wiederum wird betont, daß der an Jesus glaubende Jude Paulus das wahre Verständnis der an Israel gerichteten Verheißungen verkörpert, während sich das nicht an Jesus glaubende Judentum nach Lukas selbst um die Kontinuität mit dem von Gott gewollten Israel bringt.

27-28 Die Überstellung des Paulus nach Rom
Literatur zur Weiterarbeit: Labahn, Michael, Paulus - ein homo honestus et iustus. Das lukanische Paulusportrait von Act 27-28 im Lichte ausgewählter antiker Parallelen, in: F. W. Horn (Hg.), Das Ende des Paulus (s.o.), 75-106.

27,1-12 Abreise nach Rom
27,13-44 Seesturm
Die mehrmals betonte (in ihrer Entfaltungsmöglichkeit eher unhistorische) Überlegenheit des Paulus auf dem Schiff soll die Übereinstimmung seines Denkens mit dem Plan Gottes unterstreichen, ihn unversehrt nach Rom zu bringen (27,24). Dem können die Naturgewalten genausowenig entgegensetzen wie diejenigen, die Paulus vorher umbringen wollten.

28,1-10 Auf der Insel Malta
Apg 28,1-6 ist Unschuldsaufweis zugunsten des Paulus. Aufgenommen ist die Nemesis-Vorstellung: Rachegeister verfolgen den Täter, der bisher für seine Untat nicht auf angemessene Weise gestraft worden war.

28,11-16 Abreise von Malta
28,17-31 Paulus in Rom
Statt von missionarischen Aktivitäten des Paulus in Rom wird von einer Auseinandersetzung mit den Juden der Hauptstadt berichtet – auch sie lassen sich nicht zur Gänze überzeugen. Das (in der Interpretation des Schlußteiles von V. 27 umstrittene) Wort Apg 28,25-28 dürfte die Erfahrung der Zeit des Lukas widerspiegeln, in der Israelmission weitgehend zu scheitern, darf jedenfalls heute unser theologisches Urteil über das nicht an Jesus glaubende Israel nicht mehr bestimmen.
Ob Lukas über das Schicksal des Paulus in Rom noch mehr wusste, als er schrieb, ist umstritten.

Literatur zur Weiterarbeit: Omerzu, Heike, Das Schweigen des Lukas. Überlegungen zum offenen Ende der Apostelgeschichte, in: F. W. Horn (Hg.), Das Ende desPaulus (s.o.), 127-156.

Der Quellenwert der Apostelgeschichte
Daß Lukas auch in der Apostelgeschichte auf schriftliche Quellen zurückgreift, ist möglich, aber insofern nicht zwingend zu beweisen, als bei ihm (abgesehen von dem Fall der Bibelzitate) keinerlei Textsignal auf die beginnende oder endende Zitation von Quellen verweist. So haben bisherige Forschungen (Quellen für einzelne, an einer Person orientierte oder thematisch oder geographisch zusammengehaltene Abschnitte, Quellen in den sog. „Wir-Stücken“ der Apg: Apg 16,10-17; 20,5-15; 21,1-18; 27,1-28,16; ein Itinerar, d.h. eine Zusammenstellung von Reiserouten und wichtigen Ereignissen an einzelnen Stationen) nicht zu einem Konsens geführt, so sehr man sich im Grundsatz darüber einig ist, daß Lukas das, was er erzählt, im allgemeinen nicht völlig frei erfindet. Für die Benutzung schriftlicher Vorlagen werden gerne der ansonsten von Lukas nicht weiter aufgegriffene Aposteltitel für Paulus in Apg 14,4.14 sowie die in Apg 21,10 erfolgende Einführung des Agabus als einer unbekannten Person (vgl. nämlich Apg 11,28) angeführt; auch dürfte Apg 10,1-11,18 wegen seiner Indifferenz gegenüber Lk 24,44-47 ebenfalls nicht nur im Handlungsablauf traditionell sein. Doch ist eine wortwörtliche Rekonstruktion dieser Quellen auch auf der Grundlage dieser Argumente kaum zu leisten. Daß Lukas eine Vielzahl mündlicher Traditionen benutzt, ist eher konsensfähig.
Die Apg kann als Quelle zur Rekonstruktion der Geschichte des Urchristentums nicht unkritisch herangezogen werden. Dieser Schluß ergibt sich vor allem aus den Divergenzen zwischen Apg 6,1-7 (Stephanus als Diakon) und Apg 6,8-15 (Stephanus als Verkündiger, dessen Verkündigung zu einer Verfolgung führt, die aber nur den Kreis um ihn, die sog. Hellenisten betrifft), zwischen Apg 15 und Gal 2,1-10 (dazu s.u.), zwischen Apg 15,36-41 und Gal 2,11-14 sowie aus Differenzen in der Zeichnung des Paulus zu dessen Selbstaussagen wie zum Thema „Paulus und seine Gemeinden“: Von den Konflikten in Korinth und Galatien wird bei Lukas überhaupt nichts berichtet, die Kollekte, die Paulus ein solches Anliegen war (vgl. 1 Kor 16,1-4; 2 Kor 8; 2 Kor 9; Gal 2,10; Röm 15,25-32) erwähnt er nur in einem Halbsatz (Apg 24,17). Lukas ist bemüht, die Anfangszeit das Kirche als weitgehend frei von auf Dauer ungelösten Konflikten zu zeichnen; deswegen werden Konflikte entweder übergangen (vgl. Apg 18,1-17 mit der korinthischen Korrespondenz) oder in der Begründung verharmlost (vgl. Gal 2,11-14 mit Apg 15,36-41).
Gleichwohl bleibt die Apostelgeschichte für uns als Geschichtsquelle von Bedeutung: Die Erwähnung des Statthalters Gallio in Apg 18,12-17 liefert zusammen mit Gal 1,18; 2,1 und Lk 3,1f. die Eckdaten für die absolute Chronologie; die Reisenotizen, kritisch verglichen mit den Angaben des Paulus, sind hilfreich für die zeitliche Einordnung des paulinischen Wirkens und Schreibens. Darüber hinaus ist die Apostelgeschichte als Quelle für ein mögliches Selbstverständnis des Christentums zur Zeit des Lukas aufschlußreich.

Theologische Grundgedanken
Geschichte als Heilsgeschichte
Das lk Doppelwerk ist der Versuch, die Kontinuität der mittlerweile überwiegend aus ehemaligen Heiden bestehenden Kirche zu Israel angesichts des weitgehenden Scheiterns der Israelmission in der Gegenwart heilsgeschichtlich zu definieren und so den jetzigen Status der Kirche als gottgewollt zu legitimieren.
Die Geschichte der Kirche ist das Ergebnis göttlicher Führung. Gott hat Israel erwählt und durch seine Geschichte hindurch geleitet (für beides ist die Heilige Schrift Israels Zeuge, vgl. vor allem Apg 7; Apg 13) und durch den Täufer auf das Kommen Jesu vorbereitet. Nachösterlich wird Israel in der Gemeinde der Apostel gesammelt (vgl. Apg 2,1-5,42, aber auch Apg 17,10-12; 18,8; 21,20), die sich als mit dem endzeitlichen Gottesgeist begnadet weiß (vgl. Apg 2,17-21), und nunmehr werden auch die Heiden in Gottes Heilsratschluß einbezogen (für all dies wie auch für Einzelheiten des Lebensweges Jesu incl. seiner Auferstehung ist die Heilige Schrift Israels prophetische Vorankündigung), und zwar durch die Verkündigung seitens der christlichen Gemeinde – in der Mission „bis an die Enden der Erde“ besteht ihr Auftrag (Apg 1,8). Der Einbezug von Nichtjuden in das Gottesvolk kann durch den Verweis auf die Heilige Schrift (Am 9,12 = Apg 15,17 u.a.) genauso gerechtfertigt werden wie durch ein Wort des Auferstandenen (Lk 24,44-47) wie durch unmittelbare göttliche Weisung (Apg 10,15) und durch die Erfahrung der von Gott bewirkten Bußfertigkeit der Heiden (Apg 11,18). Israel wird nachösterlich genauso wie die anderen Völker zur Buße gerufen; erst die Selbstverweigerung gegenüber der nachösterlichen Christusverkündigung führt zum momentanen (!) Selbstausschluß des ungläubigen Teiles Israels aus dem Gottesvolk. Jedoch ist auch für die Heiden die Annahme der Christusbotschaft die Voraussetzung für die Bewahrung im kommenden Gericht (vgl. Apg 17,30f.).
Die Judenchristen halten wahrscheinlich die Thora weiterhin auch in den nichtethischen Bezügen ein. Die Begründungen für die Abrogation weitgehender Teile der Reinheitsthora durch die Heidenchristen variieren (vgl. den Verweis auf die Himmelsstimme Apg 10,15 einerseits, die historisch gesehen unjüdische Begründung des Petrus Apg 15,10 andererseits). Ein Mindestmaß an kultischer Reinheit der Heidenchristen soll nach Apg 15,20.29 die Gemeinschaft zwischen ihnen und den Judenchristen ermöglichen. Nicht zur Diskussion steht allerdings die Geltung der ethischen biblischen Weisungen für alle Christen, unabhängig von ihrer Herkunft aus Juden- oder Heidentum.

Die Christen und ihre heidnische Umgebung
Ist das Christentum wie das Judentum eine exklusiv monotheistische Religion, so sind für den Alltag der Christen in der Antike sozial u.U. einschneidende Erfahrungen der religiös begründeten Differenz zu ihrer Umwelt vorprogrammiert.
Lukas unterscheidet durchaus zwischen den verschiedenen Erscheinungsformen pagan-antiker Religiosität: Gegenüber der Theologie der Dichter bezeugt Lukas den biblischen monotheistischen Schöpfungsglauben (Apg 14,15-17), die Theologie der Philosophen behaftet er bei ihrer Erkenntnis der Gottesverwandtschaft des Menschen, um daran die Immaterialität und Bildlosigkeit christlicher Gottesverehrung anzuschließen (Apg 17,22-31), gegenüber der politischen Theologie wird die Andersartigkeit, zugleich aber die politische Harmlosigkeit der Christusverkündigung betont. Im Gegenüber zu einer an Magie und Zauberei orientierten Frömmigkeit gilt: Zeugnis für den höchsten Gott aus unrechter Quelle sowie illegitime Berufung auf den Namen Jesu werden gleichermaßen sanktioniert (Apg 16,16-22; 19,13-17).
Politisch verhalten sich die Christen loyal; von ihnen geht keine Gefahr für die römische Herrschaft aus. Sie sind darin von den sog. Zeloten unterschieden (Apg 5,36f.; 21,38f.). Anderslautende Vorwürfe sind Verleumdung, gegen die die Christen auch Widerspruch einlegen können: Sie beteuern ihr gutes Gewissen (Apg 23,1; 24,16) und ihre Unschuld (Apg 25,8.10; vgl. 26,22); sie stellen die gegnerische Anklage als unbeweisbar hin (Apg 24,13); sie pochen auf ihr Recht (Apg 16,35-40; 22,25; 25,10f.). Vorausgesetzt ist dabei die Gewißheit der Christen, daß Gott der Herr der Geschichte ist, auch in Verfolgungszeiten (Apg 4,25-29), der widerständige Autoritäten bezwingen (Apg 9) oder strafen kann (Apg 12,21-23), so daß die Feinde des Christentums diesem nicht wirklich etwas anhaben können.