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Lektion 5: Die Apostelgeschichte
Entstehungszeit
Grobgliederung
Feingliederung
Quellenwert der Apostelgeschichte
Theologische Grundgedanken
Entstehungszeit
Die Apostelgeschichte ist, so Apg 1,1-3, als Fortsetzungsband
des Lukasevangeliums entstanden und berichtet über Ereignisse in
dem Zeitraum zwischen ca. 30 n. Chr. und ca. 60 n. Chr. Das in Apg 20,29;
21,14 angekündigte Martyrium des Paulus wird nicht erzählt.
In älterer Forschung hat man daraus gelegentlich eine Frühdatierung
erschlossen bzw. vermutet, Lukas sei an der Fortsetzung seines Werkes
(in einem dritten Band) u.U. durch Tod verhindert gewesen. Diese Vermutungen
haben sich aber nicht gegen die Mehrheitsmeinung durchsetzen können,
das als planvoll abgeschlossen gedachte Werk um ca. 90 n. Chr. zu datieren.
Diskutiert wird, ob Lukas bei der Abfassung des Evangeliums bzw. des Prologes
zu seinem Evangelium (Lk 1,1-4) schon an die Abfassung der Apostelgeschichte
gedacht hat. Dagegen kann u.a. die Datierung des Himmelfahrtsgeschehens
am Tag der Auferstehung (Lk 24,50-53) bzw. 40 Tage danach (Apg 1,1-4)
angeführt werden, dafür könnte sprechen, dass Lukas möglicherweise
bei der Gestaltung einiger Evangelientexte davon ausging, er werde Unterlassenes
später nachholen (vgl. Mk 14,55-60 mit Lk 22,66f.; Apg 6,13f.). Ein
sicheres Ergebnis ist nicht zu erzielen.
Der Titel ist seit Irenäus, adv Haer 3,13,3 bezeugt, aber, wie konkurrierende
Titel nahelegen (Lucae de apostolis testificatio, bei Irenäus, adv
Haer 3,13,3; commentarius Lucae, bei Tertullina, de ieiunio 10,3) wohl
eher sekundär. Er mag an der im 2. Jhdt. n. Chr. aufblühenden
Praxeis-Literatur orientiert sein, in der die Taten einzelner Apostel
in Form der Aneinanderreihung wunderhafter und erbaulicher Anekdoten erzählt
wurden, trifft aber insofern nicht ganz, weil nicht die Taten und das
Schicksal des Petrus und Paulus als solche im Vordergrund stehen, sondern
das Handeln Gottes, der die Kirche planvoll in ihrer Geschichte führt.
Formgeschichtlich ist die Apostelgeschichte wohl am ehesten als eine historische
Monographie betrachten, die das Wachstum und die Entfaltung einer jungen
religiösen Bewegung thematisiert.
Grobgliederung
1,1-14 |
Prolog und Himmelfahrt |
1,15-5,42 |
Die Anfänge der Gemeinde in Jerusalem |
6,1-9,31 |
Die Ausbreitung der Kirche über
Jerusalem hinaus |
9,32-15,35 |
Die Öffnung hin zur Heidenmission |
15,36-19,20 |
Die Mission des Paulus in Kleinasien
und Griechenland |
19,21-28,31 |
Paulus auf dem Weg nach Rom |
Feingliederung
1,1-14 Prolog und Himmelfahrt
Apg 1,3 datiert, anders als Lk 24,50-53, das Geschehen auf einen
Zeitpunkt 40 Tage nach der Auferweckung. Was im einzelnen Jesus während
dieses Zeitraumes den Jüngern über das Reich Gottes gesagt haben
soll, wissen spätere, nicht zum Kanon gehörende Evangelien genauer
zu berichten. Die Erwartung einer unmittelbar bevorstehenden Parusie wird
verneint, dafür bekommt die Geschichte einen positiven Sinn (ohne
daß an der Realität der kommenden Parusie gezweifelt werden
dürfte, vgl. Apg 1,9-11; 17,31!): Apg 1,8 formuliert den Auftrag
an die Jünger und damit das in der Apostelgeschichte ausgeführte
Programm der Verkündigung bis an die Enden der Erde (zu
dieser Formel vgl. Jes 49,6). Zu Entrückungen vgl. Gen 5,24 (Entrückung
des Henoch); 2 Kön 2 (Entrückung des Elia); vgl. ferner die
Erzählungen über die Entrückung verstorbener römischer
Kaiser (Sueton, Augustus, 100).
Frage zur Weiterarbeit: Gewiß geht die unmittelbare
Naherwartung nicht in Erfüllung. Setzt nun Lukas die Zeit der Kirche
an ihre Stelle?
1,15-5,42 Die Anfänge der
Gemeinde in Jerusalem
1,15-26 Die Nachwahl des Matthias
Ein solcher Akt der Nachwahl wurde danach offensichtlich nicht
mehr wiederholt. Paulus benennt, auf das Jahr 48/49 n. Chr. bezogen, Petrus,
den Herrenbruder Jakobus und den Zebedaiden Johannes als die Säulen
der Gemeinde, während er von dem Zwölferkreis (abgesehen von
1 Kor 15,5) schweigt. Apg 1,21f. nennt die Kriterien dieser Wahl und erklärt
gleichzeitig, warum Paulus bei Lukas (mit Ausnahme von Apg 14,4.14) nie
als Apostel tituliert wird. - Zum Ende des Judas vgl. Mt 27,3-10.
2,1-13 Das Pfingstereignis
Als Wirkung des Heiligen Geistes werden hier ekstatische Phänomene
erfahren (vgl. Num 11,17.25; 1 Sam 10,10-13; vgl. Gal 3,5; 1 Kor 12; 14;
Apg 10,46; 19,6), die als Signatur der Erfüllung der endzeitlichen
Verheißungen in der Gegenwart der ersten Gemeinde gelten (vgl. Apg
2,17-21 und die Bezüge von V. 17 auf Apg 9,10; 10,3 u.ö., von
V. 18 auf Apg 19,46; 19,6; 21,9 und von V. 19 auf Apg 2,22.43; 5,12; 6,8;
14,3; 15,12). Diese theologische Wertung der Phänomene zeigt, wie
überhaupt sowohl die eigene Gegenwart als auch die auf sie hin gedeutete
Vergangenheit durch das Wirken des Heiligen Geistes bestimmt gedacht werden:
Gott spricht im Heiligen Geist durch die Schrift, vor allem durch die
Propheten (vgl. das Nebeneinander von Apg 7,51 und Apg 7,52), z.B. David
(Apg 1,16; 4,25) und Mose (Apg 3,22f.), und der Heilige Geist treibt in
der Gegenwart an wichtigen Stationen die Geschichte der Kirche voran:
So wird erklärlich, wie das beschneidungsfreie (Apg 15,28) Evangelium
zu den Heidenchristen (Apg 8,29; 10,19; 15,28) nach Europa (Apg 16,6f.)
und speziell nach Rom (Apg 20,23; 21,11), und zwar durch Paulus (Apg 13,1-2),
gekommen ist. Zu den gegenwärtigen Wirkungen des Heiligen Geistes
gehören die Befähigung zur Verkündigung (Apg 1,8; 4,8;
13,9; vgl. dazu schon Jes 61,1 und Lk 4,18-21; Jesus ist in seiner Zeit
der einzige Geistträger) sowie anderweitige übernatürliche
Wirkungen, z.B. die Versetzung eines Menschen an einen anderen Ort (Apg
8,39; vgl. 1 Kön 18,12; 2 Kön 2,16) und das Strafwunder an demjenigen,
der den Geist belügt (Apg 5,4). Der Heilige Geist gilt als Signatur
des Christseins (Apg 8,17; 9,17; 10,44-46), doch nur vage bleibt ein Bezug
des Heiligen Geistes zum allgemeinen Thema Bewährung im Glauben
(vgl. Apg 6,3.5; 11,24). Anders als bei Paulus wird der Geist nicht explizit
als Unterpfand der Auferstehung namhaft gemacht; auch ist das Motiv der
Geistesgaben für die einzelnen Christen nicht wirklich entfaltet.
Literatur zur Weiterarbeit:
Berger, Klaus, Art. Geist/Heiliger Geist/Geistesgaben III. Neues Testament,
TRE 12, 1984, 178-196, hier 193f.
U.a. mit Apg 13,1f. konnte in der späteren trinitätstheologischen
Diskussion die Gottheit des Heiligen Geistes begründet werden: Die
Berufung eines Menschen zum besonderen Dienst ist genauso von ihm (Apg
13,1f.) wie von Jesus Christus (Gal 1,1) wie von Gott Vater (Gal 1,15f.)
als Wirkung zu benennen (Ps.-Athanasius, de Trinitate et Spiritu sancto
10).
2,14-36 Die Pfingstpredigt des
Petrus
Das vorangegangene mehrdeutige Geschehen wird als Erfüllung von Joel
3,1-5 gedeutet. Im folgenden zielt die Rede auf den Nachweis für
die in Apg 2,36 explizierte Auffassung, daß Gott diesen gekreuzigten
und wieder auferweckten Jesus zum Herrn und Gesalbten gemacht hat. Jesu
Tod wird mit Hilfe des sog. Kontrastschemas gedeutet. Dem Tod Jesu kommt
hier keine soteriologische Relevanz zu, vielmehr zeigt Jesu Auferstehung,
daß Gott seine Pläne unbeirrbar weiter verfolgt und durchsetzt.
Für die Auferweckung führt Lukas den Schriftbeweis aus Ps 16,8-11.
Das Argument ist recht einfach: Da David selbst gestorben ist, muß
sich vor allem Ps 16,10 auf eine andere Person beziehen.
2,37-41 Die Folgen der Pfingstpredigt
Als Folge werden der Ruf zur Umkehr (vgl. schon Lk 5,32 und dann
wieder Apg 17,30) und der Aufruf zur Taufe auf den Namen Jesu benannt.
Die großen Zahlen in Apg 2,41.47; 4,4, nur bei der Bekehrung von
Israeliten gewählt, sind die Erfüllung der Verheißung
Am 9,11 = Apg 15,16.
2,42-47 Der Alltag der ersten
Christen
Aus der Einzelnotiz Apg 4,36f. heraus hat hier Lukas das Bild
der ersten christlichen Gemeinde als einer idealen Gemeinschaft konstruiert.
Das antiker Freundschaftsethik entstammende Ideal einer Gütergemeinschaft
wird von Josephus auf die Essener (Josephus, Antiquitates 18,20), von
Porphyrius und Jamblich auf die Pythagoreer (Porphyrius, VitPyth 20; Jamblich,
VitPyth 30,167f.) übertragen. Historisch gesehen dürfte sich
die Urgemeinde eher aus den ärmeren Schichten rekrutiert haben. Die
von Galiläa zugewanderten Bauern und Fischer hatten in Jerusalem
keine eigenständige Erwerbsgrundlage. Als Hausbesitzerin ist allein
Maria, die Mutter des Johannes Markus erwähnt (Apg 12,12). Es halfen
zunächst wohl spontane Vermögensveräußerungen seitens
einzelner etwas besser Gestellter der Urgemeinde zu überleben, allerdings
hatte das nur bedingten Erfolg: Auch die Hilfe auswärtiger Gemeinden
war nötig. Unterstützung kam zunächst vor allem aus Antiocheia
(Apg 11,27-30; vielleicht fand auch der in Apg 4,36f. erwähnte Verkauf
eines Ackers durch Barnabas in Antiocheia statt).
Der historische Wert dieser Darstellung ist zu relativieren:.
3,1-10 Die Heilung des Gelähmten
Der Gelähmte lobt aufgrund der erfahrenen Heilung Gott (V.
9f.), nicht den Wundertäter (vgl. schon Lk 18,43). Dieser für
jüdische Wundergeschichten typische Zug unterstützt das Anliegen,
in dem Handeln des Petrus im Namen Jesu Christi die Kontinuität mit
dem Wollen des Gottes Israels gewahrt zu sehen, was auch in Apg 3,11-26
thematisiert ist.
3,11-26 Die Predigt des Petrus
Petrus deutet die Heilung als Machterweis des Gottes Abrahams,
Isaaks und Jakobs, der darin seinen Sohn Jesus Christus verherrlicht hat.
Dem anschließenden Bußruf (V. 19) folgt die Identifizierung
Jesu mit dem in Dtn 18,15.18 angekündigten Propheten; an den Adressaten
erfüllt sich nun die an Abraham ergangene Verheißung Gen 22,18.
4,1-22 Der erste Konflikt mit
der jüdischen Obrigkeit
An der Verkündigung der Jünger entzündet sich der
erste Konflikt mit den politischen Eliten des Landes, während sich
viele Israeliten bekehren. Petrus identifiziert Jesus als den einen Weg
zum Heil des Gottes Israels.
4,23-31 Das Gebet der Gemeinde
Die Gemeinde weiß auch den gegen sie gerichteten Widerstand
als in der Heiligen Schrift vorhergesagt.
4,32-37 Die Gütergemeinschaft
der ersten Christen
5,1-11 Ananias und Sapphira
Apg 5,4 zeigt, daß keine Verpflichtung bestand, das ganze
Vermögen der Gemeinde zu übergeben. Ananias und Sapphira kommen
wegen der falschen Deklaration des Verkaufspreises zu Tode. Ihr Schicksal
soll die Leser warnen.
5,12-16 Wundertaten durch die
Apostel
5,17-42 Die Apostel vor dem Hohen Rat. Gamaliel
Die Erzählung, die in manchem den Konflikt von Kap. 4 wiederholt,
verfolgt u.a. einerseits die Tendenz, die Christen von den auch anderwärts
bekannten Aufrührer Theudas sowie Judas dem Galiläer (dem Gründer
der Partei der Zeloten) zu distanzieren und damit das Christentum als
politisch ungefährlich zu erweisen, andererseits schildert sie diesen
Konflikt transparent auch für Konflikte mit nichtjüdischen Obrigkeiten:
Apg 5,29 kommt einem Wort des Sokrates recht nahe (Apologie 29 d: Ich
werde ... dem Gott eher gehorchen als euch), und auch Apg 5,41 ist
generell auf das Thema Bekennen oder Verleugnen anwendbar.
Zum Stichwort gegen Gott kämpfen vgl. 2 Makk 7,19.
6,1-9,31 Die Ausbreitung der
Kirche über Jerusalem hinaus
6,1-7 Die Wahl der sieben Diakone
Lukas erzählt einen Konflikt um die Versorgung der grichischsprachigen
judenchristlichen Witwen. Freilich sind Stephanus und Philippus im weiteren
Verlauf der Apostelgeschichte nicht im karitativen, sondern im missionarischen
Dienst tätig. Daß später nur der Kreis um Stephanus aus
Jerusalem vertrieben wird, während die Apostel (und nicht nur nie,
vgl. Apg 15,5; 21,20) konnten trotz ihres Christusbekenntnisses von der
Verfolgung unbehelligt in Jerusalem wohnen bleiben können, läßt
auch auf theologische Differenzen zwischen den Gruppen innerhalb der christlichen
Gemeinde schließen.
6,8-15 Stephanus Wirken
und die Anklage gegen ihn
Als Grund der Anklage werden mit Hinweis auf Apg 6,14 u.a. eine
programmatische Thorakritik, das Bekenntnis zum gekreuzigten Christus
und die Tempel- bzw. Kultkritik des Stephanuskreises diskutiert, doch
ist eine thorakritische Verkündigung des Stephanus nicht zwingend
nachzuweisen, und die Apostel blieben konnten trotz ihres Christusbekenntnisses
von der Verfolgung unbehelligt (s.o.). So wird man am ehesten auf das
zuletzt genannte Argument geführt. Diese Kultkritik hat vielleicht
an Jesu Tempelkritik (Mk 11,15; 13,2; 14,58) angeknüpft und von daher
wohl weniger als Kritik des aufgeklärten Griechen an der Materialität
des Tempelkultes zu verstehen, sondern ist in den Rahmen der frühjüdischen
Erwartung des eschatologischen Neuwerdens der Stätte der Gottesbegegnung
(Jub 1; Jub 4; äthHen 90).
Literatur zur Weiterarbeit:
Kraus, Wolfgang, Zwischen Jerusalem und Antiochia. Die Hellenisten,
Paulus und die Aufnahme der Heiden in das endzeitliche Gottesvolk, SBS
179, Stuttgart 1999, 38-55.
7,1-53 Seine Verteidigungsrede
Die Geschichte Israels wird hier einseitig unter dem Aspekt des
Ungehorsams gegenüber dem göttlichen Wollen subsumiert. eine
solche Sichtweise begegnet zwar auch in frühjüdischer Literatur,
vornehmlich in der Apokalyptik (vgl. z.B. AscMos 4,8; äthHen 89,73-90,7;
äthHen 93,9f.), darf aber von Christen, die ja zumeist aus den Völkern
kommen, nicht im Sinne antijüdischer Argumentation mißbraucht
werden.
7,54-8,3 Sein Tod und die anschließende
Verfolgung
Die Hinrichtung des Stephanus war wohl eher ein Akt der Lynchjustiz
(jüdische Instanzen hatten zur fraglichen Zeit vermutlich nicht das
Recht zur Verhängung und Vollstreckung der Todesstrafe).
Frage zur Weiterarbeit: Was bedeutet es, dass Lukas
das Sterben des Stephanus in Analogie zum Tode Jesu erzählt (vgl.
V. 59f. mit Lk 23,34.46)?
8,4-25 Die Mission des Philippus
in Samarien. Simon Magus
Samaritaner lebten im ehemaligen Gebiet des Stammes Joseph. Nach
der Eroberung des Nordreichs (722 v. Chr.) war die Oberschicht der Bevölkerung
deportiert worden, an ihrer Stelle wurden teilweise Nichtisraeliten angesiedelt.
Seitdem gelten Samaritaner in den Augen der Bewohner des ehemaligen Südreiches
als Nichtisraeliten (2 Kön 17,24-41; Josephus, Ant 9,277-291; Esr
4,1-5; Neh 2,19f.), während sie sich selbst nach wie vor als Angehörige
des Gottesvolkes wußten. Sie hielten den Berg Garizim bei Sichem
für den legitimen Ort der Gottesverehrung, hatten als Heilige Schrift
nur den (samaritanischen) Pentateuch und verwarfen die pharisäische
Halacha (Darstellung nach W. Kraus, Zwischen Jerusalem und Antiochia (.s.o.),
56-58).
Literatur zur Weiterarbeit:
Zangenberg, Jürgen, SAMAREIA. Antike Quellen zur Geschichte und Kultur
der Samaritaner in deutscher Übersetzung, TANZ 15, Tübingen,
Basel 1994.
Simon Magus gilt in späterer kirchlicher Literatur als Gnostiker
(Justin, 1. apol 26,2f.; 56), seit Irenäus, adversus haereses 1,23,1-4,
als Urheber aller Ketzerei. Von Apg 8,18f. leitet sich das Stichwort Simonie
ab, das den Versuch bezeichnet, durch das Angebot einer Geldzahlung zu
einem geistlichen Amt zu kommen.
8,26-40 Der Kämmerer aus
Äthiopien
Je nachdem, ob eunuchos übertragen hoher Beamter
oder wörtlich Verschnittener bedeutet, hätte der
Kämmerer als Proselyt oder als Gottesfürchtiger zu gelten. In
jedem Fall wird über das Bisherige hinaus die Grenze der Gemeinde
in Richtung auf Nichtjuden ein weiteres Stück geöffnet.
9,1-19a Die Berufung des Paulus
Die Berufung des Paulus wird hier als Überwindung des Gottesfeindes
erzählt, vgl. 2 Makk 9 sowie 2 Makk 9. Die allgemeine Tatsache, daß
Paulus vor seiner Berufung die Christen verfolgt habe, ist durch Selbstaussagen
Gal1,13f.; Phil 3,6 gedeckt, jedoch kaum die lk Annahme, Paulus habe im
Auftrag des den antiochenischen Christen Jerusalemer Synhedriums nachgespürt.
Dessen jurisdiktionelle Kompetenz war auf Jerusalem und Judäa beschränkt.
- Paulus erwähnt Ananias, der ihn getauft hat, überhaupt nicht;
Barnabas, der immerhin dem neuen Verkündiger den Weg in Jerusalem
geebnet hat (Apg 9,27), kommt in Gal 2,11-14 nicht gut weg. Vor allem
seine Rolle in der Geschichte des Urchristentums war wohl gewichtiger
als es Paulus erkennen läßt.
9,19b-9,31 Paulus in Damaskus
und Jerusalem
Vgl. dazu Gal 1,16-24. Differenzen: Nach Gal 1,18f. trifft Paulus
nicht sofort nach seiner Berufung in Jerusalem ein, sondern erst nach
zweieinhalb bis drei Jahren, und trifft nicht die Apostel,
sondern nur Kephas und den Herrenbruder Jakobus, und er bleibt auch nur
14 Tage, um Petrus kennenzulernen. Daß Paulus von Beginn seiner
christlichen Wirksamkeit an Verfolgungen durch Juden ausgesetzt ist, dürfte
lk Stereotyp sein. Hingegen mag die in Apg 9,27 geschilderte Rolle des
Barnabas durchaus historisch sein; Paulus kann das aus eigenem Interesse
in Gal 1 durchaus verschwiegen haben.
9,32-15,35 Die Öffnung hin
zur Heidenmission
9,32-35 Die Heilung des Äneas durch Petrus
9,36-43 Die Erweckung der Tabitha durch Petrus
Beide Erzählungen dürften einem Kranz von Petrus-Legenden
entnommen sein. Lydda gehört seit 145 v. Chr., Joppe (heute Jaffa)
seit 144v. Chr. zu Judäa. Tabithas karitative Wirksamkeit entspricht
frühjüdischen Idealen, vgl. Tob 4,7-12.; Sir 4,1-6. Die Existenz
judenchristlicher Gemeinden außerhalb Jerusalems ist für die
in Frage kommende Zeit auch durch Gal 1,22 bezeugt.
10,1-48 Der Hauptmann Kornelius
Zum Thema Heiden in der Sicht von Juden vgl. Dtn 23,2;
Jub 22,16f.; Josephus, Contra Apionem 2,237-254 einerseits; Jes 56,7;
EpArist 185ff.; JosAs 2,1 andererseits
11,1-18 Petrus rechtfertigt
sich in Jerusalem
Auf Lk 24,44-47 wird nicht Bezug genommen. So wird der Abschnitt
Apg 10,1-11,18 in wesentlichen Erzählzügen einer vorlukanischen
Tradition entstammen. Lukas kann das theologische Recht der Heidenmission
verschieden begründen: Heidenmission ist legitimiert durch das Wort
der Schrift (Jes 42,6; 49,6; 1 Kön 17; 2 Kön 5; Am 9,12 LXX
diff MT) wie durch ein Wort des Auferstandenen, das auf die Schrift zurückverweist
(Lk 24,47), ebenso wie durch geistgewirkte Prophetie eines rechten Israeliten
(Lk 2,32); zusätzlich kann auf die - für Judenchristen offenbar
überraschende - Erfahrung der von Gott gewirkten Bußfertigkeit
der Heiden verwiesen werden (Apg 11,17f.). - Die je verschiedene Zurückführung
der Heidenmission auf das Wirken des irdischen Jesus (Mk 7,24-30), auf
ein Wort des Auferstandenen (Mt 28,19f.; Lk 24,44-47) und auf Erfahrungen
der nachösterlichen Gemeinde (Apg 10,1-11,18) legen den Schluß
nahe, daß vom irdischen Jesus keine eindeutige Stellungnahme zugunsten
einer Integration von Nichtjuden in das Gottesvolk vorlag, der man sich
verpflichtet gewußt hätte.
Heiden werden für kultisch rein erklärt (Apg 10,15; 11,9). Erst
dank dieser Deklaration durch eine Himmelsstimme (sie vertritt in frühjüdischer
Tradition das Sprechen Gottes selbst) werden sie in das Gottesvolk integriert.
11,19-30 Die Gemeinde in Antiochien
Wichtig sind vor allem die Nachrichten in Apg 11,20, erstmals
von Antiochia aus hätten Christen planmäßig die Missionierung
unter Nichtjuden in Angriff genommen, und in Apg 11,26, die Christen seien
erstmals als eigenständige Gruppe neben Juden und Nichtjuden wahrnehmbar
gewesen.
Für Jerusalem vermerken Apg 11,30; 15,2.4.6.22f. eine Ältestenverfassung
(religionsgeschichtlich wäre sie als Analogie zur jüdischen
Ältenstenverfassung, das Synagogenvorstandsgremium betreffend, gut
denkbar), doch wird dies durch Gal 2,6-9 nicht gedeckt. Entsprechend ist
die historische Beurteilung der lk Angaben strittig.
12,1-19 Verfolgung in Jerusalem
und Befreiung des Petrus
Die legendarisch ausgeführte Erzählung könnte darin
einen geschichtlichen Kern, dass Petrus aufgrund solcher Notlagen sich
gezwungen sah, Jerusalem zu verlassen. Ist die in Apg 12,1f. genannte
Verfolgung historisch, so ist sie wohl am ehesten in dem Versuch des Agrippa
I. begründet, auch die religiös engagierten Kreise des Judentums
an sich zu binden.
12,20-23 Das Ende des Herodes
Agrippa I.
Vgl. dazu Josephus, Antiquitates 19,343-350. Nach Josephus weilte
Agrippa in Cäsarea, um dort Spiele zu Ehren des Kaisers zu veranstalten,
weil er wußte, daß gerade für dessen Heil ein Fest
begangen wurde. Angetan mit einem silberdurchwirkten Gewand begab sich
der König am Morgen ins Theater. Als die Strahlen der Sonne seine
Kleider zum Leuchten brachten, begrüßten ihn seine Anhänger
als Gott in Menschengestalt, der König aber ließ das ohne Widerspruch
zu. Doch die Strafe für diese Hybris folgte auf dem Fuße: ein
Uhu als Unheilsbote setzte sich über sein Haupt. Da wurde der König
krank und starb innerhalb von fünf Tagen.
Würmerfraß ist die typische Krankheit für Gottesverächter,
an der nach der Legende u.a. Antiochus IV. Epiphanes (2 Makk 9,5-9) verstorben
war; später erzählte man sich dies auch von Judas Ischarioth
(Papias-Fragment III).
12,24f. Rückkehr des Barnabas und Saulus von
Jerusalem
13 - 14 Die sog. erste Missionsreise:
Antiochia (Syrien) - Zypern - Antiochia (Pisidien) - Ikonium - Lystra
- Derbe u zck.
13,1-3 Die Aussendung von Barnabas und Paulus
13,4-12 Barnabas und Paulus auf Zypern
13,13-52 Paulus in Antiochia/Pisidien
Daß Paulus nach lukanischer Darstellung mit der Verkündigungsarbeit
jeweils in der Synagoge beginnt, entspricht lk Schema, kann dem Leser
jedoch plausibel erscheinen:
1. Die Synagogen waren insofern bevorzugte Orte christlicher Verkündigung,
weil die Sympathisanten des Judentums, die, vom Monotheismus angezogen,
den letzten Schritt der Beschneidung noch scheuten, von der christlichen
Botschaft zu überzeugen waren, die ihnen gleichfalls den Monotheismus
bot, aber auf Beschneidung verzichtete.
2. Die Präsenz von Juden an einigen der wichtigsten Wirkungsstätten
des Paulus ist für seine Zeit auch archäologisch bzw. literarisch
belegt, u.a. für Ephesus (Josephus, Antiquitates 14,225-240), für
Korinth (Philo, Legatio ad Gaium 281) sowie für Rom (Philo, Legatio
ad Gaium 155; vgl. P. Lampe, Die stadtrömischen Christen, 26-28.
Auch nach dem bei Sueton, Claudius 25,4; Apg 18,2 bezeugten sog. Claudiusedikt
hat es in Rom Juden gegeben, vgl. Juvenal, sat. 3,12-16). Für andere
Orte ist die Apostelgeschichte der erste Beleg (zu Thessaloniki vgl. Apg
17,1; Die Existenz einer jüdischen Ge-meinde ist zumindest für
das 3. Jhdt. n. Chr. auch inschriftlich nachgewiesen; zu Beröa vgl.
Apg 17,10).
In Apg 13 wird die durch den Täufer vorangekündigte Sendung
Jesu als Heil für Israel verkündigt (V. 23), gerade seine Auferweckung
ist die Erfüllung der Israel gegebenen Verheißung (V. 32-34).
Den Hörern wird die Vergebung der Sünden angeboten (V. 38),
und sie werden vor Unglauben gegenüber dem Verkündigungswort
des Paulus gewarnt (V. 40f.). Der in Apg 13,46f.; 18,7 implizierte Verzicht
auf eine planmäßige Israelmission ist für die Zeit des
Paulus nicht zweifelsfrei nachzuweisen; Erfahrungen der eigenen Zeit des
Lukas fließen wohl in die Darstellung ein.
14,1-7 Barnabas und Paulus in
Ikonion
14,8-20 Barnabas und Paulus in Lystra
Gegen den naiven heidnischen Polytheismus bekennen sich die Apostel
zum biblischen Schöpfungsglauben und zu ihrer eigenen Menschlichkeit
und Sterblichkeit. Gerade zuletzt genannte die Erkenntnis ist eine Grunderkenntnis
griechischen Denkens, vgl. Plutarch, de E apud Delphos 394 c.
14,21-28 Barnabas und Paulus
in Derbe
Die Einsetzung von Ältesten nach Apg 14,23 ist lukanische
Rückprojektion eigener Verhältnisse in die Zeit des Paulus,
denn Paulus kennt die Ältestenverfassung noch nicht; der Terminus
presbyteros fehlt in den paulinischen Briefen völlig!
15,1-35 Apostelversammlung in
Jerusalem
15,1-5 Ursache der Streitigkeiten. Apostelkonzil
Die Erwähnung christlicher Pharisäer zeigt, daß
man das Verhältnis zwischen Pharisäern und Christen nicht, der
synoptischen Tradition folgend, einseitig negativ beschreiben darf. Lukas
teilt nicht ihre Position, spricht ihnen aber das Christsein nicht ab.
15,6-12 Rede des Petrus
15,13-21 Rede des Jakobus
15,22-29 Aposteldekret
15,30-35 Benachrichtigung der Gemeinde in Antiochien
Exkurs: Das Apostelkonzil nach
den Darstellung des Paulus und des Lukas
In der Wiedergabe von Anlaß und Ergebnis des Apostelkonzils
unterscheiden sich beide Berichte nicht unerheblich:
In der Frage der Veranlassung
der Reise
Offenbarung
Paulus will sich absichern |
Beschluß der antiochenischen
Gemeinde
auf Veranlassung einiger von außen |
In der Frage der antiochenischen
Delegation
Paulus, Barnabas (+ Titus) |
Paulus, Barnabas |
In der Frage der Hauptverantwortlichen
in Jerusalem
Petrus, Jakobus, Johannes |
Petrus u. Jakobus (Hauptredner), Älteste |
In der Frage der sonstigen Beteiligten
aus Jerusalem
falsch eingeschlichene Brüder |
christliche Pharisäer (Apg 15,5),
deren Position Lukas nicht teilt, aber auch nicht als unchristlich
abqualifziert. |
Im Ergebnis der Verhandlungen
des sog. Apostelkonzils
Anerkennung der beschneidungsfreien Heidenmission
ohne Zusatzauflagen
Kollekte |
Anerkennung der beschneidungsfreien Heidenmission
mit Zusatzauflagen:
Dekret
---- (!) |
im Effekt des sog. Apostelkonzils
Verbindlichkeit für Paulus, Divergenzen mit
Petrus offensichtlich Bruch mit Barnabas und Antiochia |
Verbindlichkeit des Dekretes für Antiochia,
Syrien und Kilikien Bruch mit Barnabas anders begründet |
Paulus missioniert auf eigene Verantwortung
Konvergenzen im äußeren; Spannungen in Beweggründen
und Inhalten. In ersteren kann Lukas Richtiges erhalten haben, in letzterem
ist ohne Zweifel Paulus zu folgen: Die beschneidungsfreie Heidenmission
wurde ohne Abstriche gebilligt, Paulus und Barnabas außer der Kollekte
nichts weiter auferlegt. Das sog. Aposteldekret Apg 15,20.29 ist wohl
eine Verlautbarung aus etwas späterer Zeit, denn selbst Lukas passiert
das Mißgeschick, daß Paulus nach Apg 21,25 erst damals von
den Bestimmungen des Dekretes informiert wird. Umgekehrt wird die Kollekte
von Lukas verschwiegen (bis auf die Nebenbemerkung Apg 24,17: um
Almo-sen zu bringen für mein Volk), wohl weil er um ihr Scheitern
wußte, das schon Paulus befürchtet hatte (Röm 15,29-32).
Paulus selbst hat sich, wie 1 Kor 16,1-4; 2 Kor 8; 9 zeigen, an die Vereinbarung
der Kollekte gehalten, während er auf das sog. Aposteldekret in seinen
echten Briefen nirgends zu sprechen kommt; 1 Kor 8 - 10 könnte nicht
so formuliert sein, wenn Paulus irgendwelche Kenntnis dieses Dekretes
hätte. Deshalb nimmt man heute mehrheitlich an, Lukas habe fälschlich
Apo-stelkonzil und Aposteldekret (Apg 15,2-29) zu einem einzigen Geschehnis
zusammengezogen.
Der Ertrag des Apostelkonzils besteht jedenfalls in der Anerkennung
der beschneidungsfreien Heidenmission und der Verpflichtung auf die Kirchengemeinschaft.
Daß die Heidenchristen bald in der Überzahl sein und das genuine
Judenchristentum zur Sekte werden lassen, war damals noch nicht erkennbar.
Im Aposteldekret wird im Bewußtsein des in Jesus teilweise
Neuen eine partielle Weitergeltung auch ritueller Teile der Thora anempfohlen,
aus ekklesiologischer, nicht aus soteriologischer Motivation heraus. Die
Forderungen des Aposteldekretes sind traditionsgeschichtlich wohl am ehesten
auf dem Hintergrund von Lev 17; 18 (Gebote für die Fremden im Land
Israel) zu interpretieren.
15,36-19,20 Die Mission des Paulus
in Kleinasien und Griechenland (die sog. zweite und dritte Missionsreise)
15,36-41 Aufbruch und Trennung von Barnabas
Der Konflikt des Paulus mit Barnabas wird in Gal 2,11-14 reichlich
anders begründet!
Die Stationen der zweiten Missionsreise: Phrygien - Galatien - Mysien
- Troas - Philippi - Thessalonich - Beröa - Athen - Korinth - Ephesus
- Cäsarea - Antiochia
16,1-10 Paulus in der Provinz
Asia
16,11-40 Paulus in Philippi
16,11-15 Bekehrung der Lydia
16,16-22 Die Magd mit dem Wahrsagegeist
Zur innerantiken Kritik an der Wahrsagerei vgl. Lukian, Alexander
von Abonouteichos; zum Thema Wahrsagerei als Sünde vgl.
1 Sam 28.
In Apg 16,20f. wird von Seiten der heidnischen Erzählfiguren die
Distanz zu Paulus aufgrund seiner jüdischen Verkündigung formuliert.
Zum Thema Juden in der Sicht von Heiden vgl. Strabo, geographica
16,2,35-37 einerseits; Tacitus, Hist 5,4 sowie die bei Josephus, contra
Apionem 1,1-2,143 referierten zumeist antijüdischen Äußerungen
paganer Schriftsteller andererseits. Am Judentum konnte für Nichtjuden
der Monotheismus und die strenge Ethik (vor allem Sexualethik) attraktiv
wirken, die sog. Zeremonialgesetzgebung (betr. Sabbat- und Reinheitsvorschriften)
stieß allerdings generell auf Unverständnis.
Literatur zur Weiterarbeit: M. Stern, Greek and Latin
Authors on Jews and Judaism, Vol. I, From Herodotus to Plutarch, Jerusalem
1974, Vol. II From Tacitus to Simplicius, Jerusalem 1980.
16,23-34 Der Kerkermeister zu
Philippi
Zu den Leidenserfahrungen des Paulus in Philippi vgl. auch 1 Thess
2,2.
16,35-40 Freilassung des Paulus
Exkurs: Das römische Bürgerrecht
des Paulus in der Diskussion
War der Apostel Paulus ein römischer Bürger?
Mit dieser Frage hat W. Stegemann eine wissenschaftliche Diskussion um
den historischen Wert einiger Passagen aus der Apostelgeschichte (Apg
16,35-40; 22,23-29; 23,27) initiiert, die bis heute für viele nicht
entschieden ist.
Was bedeutet es, ein römischer Bürger zu sein?
* Wehrfähigkeit (anders als heute konnte gerade der kleine Mann das
als Sicherung einer ansonsten ungesicherten Existenz auffassen)
* Freiheit von Kopf- und Bodensteuer
* Schutz vor Anwendung der Folter (nach der Lex Porcia und der Lex Julia;
Livius, 10,9,4), die für Sklaven und Nichtbürger vorgeschrieben
war.
* Recht, an der Kriegsbeute (Versorgung mit Land) beteiligt zu werden
* Kapitalprozesse durften nicht durch das Gericht des Provinzialstatthalters,
sondern nur durch das kaiserliche Gericht in Rom entschieden werden.
Alle Deutschen sind vor dem Gesetz gleich. Ein ähnlicher
Satz dürfte in vielen Verfassungen moderner Staaten stehen, doch
überall, auch in Deutschland, gibt es das Phänomen der Ausländergesetzgebung:
Man lebt auf Dauer in einem fremden Land und ist dort kein vollberechtigter
Bürger.
Ursprüngliche Inhaber waren die freien Bewohner Italiens (südlich
einer Grenzlinie Pisa - Ravenna und ohne Sizilien). Gaius Iulius Caesar
weitete den Kreis der Begünstigten auf Oberitalien aus; er und sein
Adoptivsohn Augustus haben zur Versorgung der stadtrömischen Bevölkerung
und der Veteranen viele Städte römischen Rechtes in den Provinzen
gegründet, also römische Bürger außerhalb Italiens
in Städten angesiedelt.
Wie kam man zur Zeit des Paulus und seiner Eltern zum römischen Bürgerrecht:
1. durch Geburt; 2. ab Claudius durch Kauf (Dio Cassius 60,17,5); 3. Durch
Freilassung, wenn man zuvor Sklave eines römischen Herrn gewesen
war; 4. Durch Entlassung nach 25 Jahren Kriegsdienst im römischen
Heer. Doch haben Juden von sich aus recht selten im römischen Heer
gedient, wegen der kultischen Verpflichtungen und wegen des Verbotes,
am Sabbat zu marschieren oder Waffen zu tragen, und sie wurden um der
genannten Gründe willen auch nicht selten vom römischen Militärdienst
befreit. Daß Juden das römische Bürgerrecht besaßen,
ist belegt für Ephesus (Josephus, Ant 14,228.234.240) Delos (Josephus,
Ant 14,232); Sardes (Josephus, Ant 14,235), aber nicht speziell für
Tarsos. Erst 212 n. Chr. wurde allen Bewohnern des Reiches außer
den dediticii das römische Bürgerrecht verliehen. Wer die dediticii
waren, ist umstritten.
Stegemanns Argumente: 1. Paulus selbst sagt nichts davon, obwohl er durch
Hinweis darauf den in 2 Kor 11,24 genannten Strafen hätte entgehen
können; 2. Selbst der lk Paulus beruft sich vom Geschehensablauf
her geurteilt jedesmal zu spät auf sein Bürgerrecht; unpassend
ist ferner, daß in 22,30 Paulus noch eine Nacht länger in Ketten
bleibt; in der Erzähldramaturgie des Lukas hat dieses Vorgehen jedoch
durchaus seinen Sinn; 3. Nach Apg 22,28 behauptet Paulus, er sei als römischer
Bürger geboren, d.h. stamme von Eltern mit römischen Bürgerrecht
ab. Wir würden damit auf die Zeit des Princeps Augustus geführt
- doch er war sehr zögerlich mit der Verleihung des Bürgerrechtes
in der Provinz Asia; vor allem hatte am ehesten die lokale Aristokratie
die Möglichkeit, römischer Bürger zu werden, aber nicht
ein normaler Mensch; 4. Der Besitz des römischen Bürgerrechtes
war für thoratreue Juden insofern nicht unproblematisch, als es die
Verehrung römischer Staatsgötter mit einschloß. 5. Lukas
zeigt auch sonst das Interesse, das Christentum den gesellschaftlich führenden
Schichten annehmbar zu machen. 6. die Topoi Berufung des Paulus
auf sein römisches Bürgerrecht (Apg 16,35-39; 22,34-29)
und Berufung des Paulus auf das kaiserliche Gericht (Apg 25,9-12.21;
26,32) stehen nie zusammen, weil Lukas vermeiden will, das Römertum
des Paulus gegen sein Judentum auszuspielen. Das römische Bürgerrecht
des Paulus hat Lukas aus der Tatsache der Überstellung nach Rom erschlossen;
dies kam aber auch bei Nicht-Römern gelegentlich vor, wenn der Fall
brisant genug war, z.B. bei dem Weber Jonathan (Josephus, Bell 7,449ff.).
Martin Hengel hat eingewandt: 1. Paulus selbst sagt nichts davon, weil
es ihm nicht wichtig ist und er seine Verfolgungen als Gleichgestaltetwerden
mit dem Kreuz Christi betrachtet (Gal 6,17); 2. das Bürgerrecht wurde
nicht immer respektiert. Ungesetzliche Übergriffe gegen römische
Bürger jüdischer Herkunft kamen vor (Cicero, In Verrem II 5,62.161ff.;
Ep ad Fam 10,32,3; MartLugd bei Euseb h.e. 5,1,44.50; JosBell 2,308. Umgekehrt
stand auf jeder falschen Beanspruchung des Bürgerrechtes die Todesstrafe,
vgl. Epiktet, Diss. 3,24,41; Sueton, Claudius 25), wenngleich es als ungewöhnlich
gelten muß, daß dies dreimal der selben Person passiert sein
soll. 3. Daß die Eltern des Paulus das römische Bürgerrecht
erwarben, ist nicht einfach undenkbar; immerhin war Tarsus seit 66 v.
Chr. die Hauptstadt des römischen Bezirks Kilikien, und dort wohnten
viele römische Bürger. M. Hengel vermutet, die Eltern des Paulus
seien Freigelassene eines römischen Patronus mit Namen Paulus gewesen.
4. In der östlichen Reichshälfte begegnen echt lateinische Namen
wie Paulus relativ selten, am ehesten bei römischen Bürgern
als cognomen. 5. Was hätte Lukas, der ja an christliche Leser schreibt,
denen unter ihnen damit geholfen, die nicht das römische Bürgerrecht
besitzen? Oder sind Theophilos und seine Kreise ausschließlich als
freie römische Bürger zu denken, denen diese Art der Einschränkung
überhaupt kein Problem bedeutete? 6. Warum hätte ein Provinziale
nicht sofort in Cäsarea Philippi abgeurteilt werden, warum hätte
man ihn erst nach Rom überstellen sollen?
Literatur zur Weiterarbeit
Stegemann, W., War der Apostel Paulus ein römischer Bürger?,
ZNW 78, 1987, 200-229.
Hengel, M., Der vorchristliche Paulus, ThBeitr 21, 1990, 174-195.
17,1-9 Paulus in Thessaloniki
17,10-15 Paulus in Beröa
17,16-34 Paulus in Athen
Athen galt damals im Gefolge seiner Tradition als ein Zentrum
der Geistigkeit (u.a. hatte Cicero in Athen studiert), als typische
Universitätsstadt, während es politisch und wirtschaftlich
durch das wiedererstarkte Korinth überflügelt wurde. Insofern
ist der Schauplatz der folgenden Areopagrede angemessen gewählt.
17,22-31 Areopagrede
Exkurs: Griechische Philosophie
Den Namen Philosophie brachte zuerst Pythagoras auf und nannte
sich selbst einen Philosophen (wörtlich: einen Freund der Weisheit),
denn kein Mensch sei weise, sondern nur die Gottheit. In dem Titel Freund
der Weisheit liegt ursprünglich also eine Selbstbeschränkung.
Die folgende Darstellung greift zwar weit über die im Neuen Testament
verhandelten Fragestellungen hinaus, soll aber gerade dadurch verdeutlichen,
was ein gebildeter Zeitgenosse der Apostel bei deren Verkündigung
alles vermissen mußte.
Die heutige Aufteilung der Philosophie in Einzeldisziplinen wie philosophische
Ethik, Sprachphilosophie etc. hat ihren Vorläufer in der Antike (Diogenes
Laertios Proöm. 18): Was die Teile der Philosophie anlangt,
so unterscheidet man deren drei: Physik, Ethik und Dialektik. Die Physik
handelt von dem Weltganzen und von dem, was in ihm ist, die Ethik von
der Lebensführung und dem, was von Menschen betrifft; die Dialektik
endlich behandelt eingehend die begrifflichen Verhältnisse für
beide Gebiete. ... Die Richtung auf das physische Gebiet herrscht bis
auf Archelaos; mit Sokrates ... trat die Wendung zur Ethik ein, mit Zenon,
dem Eleaten, die Wendung zur Dialektik.
Die Vorsokratiker
Philosophie begann als Naturwissenschaft. Im Gegenzug zur Mythologie
von Homer und Hesiod wurde ein rationaler Zugang zum Verständnis
der natürlichen Welt gesucht, im völligen Gegensatz zu babylonischen
und ägyptischen Mythen wurde Kosmogonie ohne Götterkampf gelehrt;
gefragt wurde, aus welchen Elementen die Welt bestehe und welches davon
das ursprüngliche sei.
In diese Zeit fällt auch der Beginn der Religionskritik. Xenophanes
(um 540 v. Chr.) kritisiert nicht nur die moralisch schlechten Züge,
die man den homerischen Göttern nachsagt, sondern die anthropomorphe
Darstellung von Göttern überhaupt: die Äthiopier
sagen, daß ihre Götter stumpfnasig und schwarz sind, die Thrakier,
daß sie helle blaue Augen haben und roter Haare (B 16); wenn
Rinder und Pferde und Löwen Hände hätten, oder fähig
wären, mit ihren Händen zu zeichnen, ..., würden Pferde
die Gestalten der Götter wie Pferde zeichnen, Rinder wie Rinder,
und sie würden ihre Körper so machen, wie sie sie jeweils selbst
haben (B 15). Angemessen ist Gott als in keiner Weise ähnlich
den Sterblichen, weder hinsichtlich des Körpers noch hinsichtlich
des Denkens (B 23) zu beschreiben; dieser größte Gott
bleibt immer am selben Ort und bewegt sich überhaupt nicht;
noch schickt es sich für ihn, zu verschiedenen Zeiten an verschiedene
Orte zu gehen; sondern ohne Mühe erschüttert er alle Dinge durch
das Denken seines Geistes (B 25).
Eine Gegenlinie gegen diese rationale Welterklärung verbindet sich
in vorsokratischer Zeit vor allem mit dem Namen Pythagoras (570-490).
Auf ihn geht die griechische Variante der Lehre von der Seelenwanderung
(Metempsychose) ebenso zurück wie die Regelung der täglichen
Lebensweise durch Diät- und andere Reinheitsvorschriften.
Sokrates (470-399 v. Chr.)
hat wie Jesus von Nazareth nichts Schriftliches hinterlassen. Die seine
spätere Wirkung begründende Lebensaufgabe des Sokrates stellt
Platon in seiner Sokrates in den Mund gelegten Apologie so dar: ...
nichts anderes tue ich, als daß ich umhergehe, um Jung und Alt unter
euch zu überreden, ja nicht für den Leib und für das Vermögen
zuvor noch überall zu sehr zu sorgen als für die Seele, daß
diese aufs Beste gedeihe, zeigend, wie nicht aus dem Reichtum die Tugend
entsteht, sondern aus der Tugend der Reichtum und alle anderen menschlichen
Güter insgesamt (Apologie 30a.b). Die Seele gilt als das Selbst,
in dessen Kompetenz sein sittliches Handeln fällt. In dieser Beschreibung
seiner Lebensaufgabe sind Abgrenzungen mitgesetzt, die eine gegen die
Naturphilosophie, deren Erkenntnis an unserem sittlichen Zustand nichts
zu ändern vermögen, die andere gegen die Sophisten, die
als erste durch ein rücksichtsloses Experimentieren mit allen nur
denkbaren philosophischen Positionen zu zeigen versuchten, zu welchen
Leistungen die menschliche Vernunft fähig sei (Gigon, Art.
Aristoteles/ Aristotelismus, TRE 3, 726) und denen gegenüber Sokrates
unablässig an die Verantwortlichkeit menschlichen Denkens erinnerte.
Das absolute Wissen ist der Gottheit vorbehalten (Apologie 23a), und in
diesem Zusammenhang gilt der berühmte Satz Ich weiß,
daß ich nichts weiß (bei Diogenes Laertios 2,31). Was
dem Menschen möglich, was aber auch von ihm gefordert ist, das ist
die Annäherung an diese Erkenntnis, geht es doch darum, daß
der Mensch so einsichtig und weise wie möglich werden
solle. Sokrates war der Überzeugung, daß, wer um das Gute wisse,
es notwendig auch tue, handle doch jeder in seinem ureigensten Interesse
und wolle doch jeder für sich selbst das Beste. Ferner gilt: Ist
die Vernunft das höchste am Menschen und kann niemals das Höhere
durch das Geringere überwältigt werden, kann es nach Sokrates
nicht sein, daß die Einsicht in das Gute durch das Wollen durchkreuzt
werde.
Maxime seiner politischen Philosophie war, daß Unrecht tun schlimmer
sei als Unrecht leiden. Angeklagt wurde Sokrates (ähnlich wie u.a.
der Vorsokratiker Anaxagoras) deshalb, weil er nicht an die Götter
glaube, an die die Polis glaube, sondern neue göttliche Wesen einführe,
und weil er Verderber der Jugend sei. Platon hat in seiner Apologie des
Sokrates sowie in den Dialogen Phaidon und Kriton jenes Bild des bewußt
in den Tod gehenden ge-zeichnet, das für die abendländische
Geschichte von so ungeheuerer Wirkung geworden ist.
Platon (427-347 v. Chr.)
gilt als Begründer der wissenschaftlichen Theologie, der Ausdruck
theologia begegnet erstmals in Politeia II 379a. Die Grundregel der Theologie
ist: Wie Gott in seinem Wesen ist, so muß er auch immer dargestellt
werden. Deshalb gilt in Abgrenzung zu den Mythen Homers: Gott ist gut
und Ursache des Guten, aber nicht des Bösen (Pol II 379 c). Ferner
muß gegen die homerischen Mythen von der Verwandlung des Zeus Gott
als unwandelbar dargestellt werden, denn er ist vollkommen, und Verandlung
würde daher nur als Verwandlung zum Schlechteren denkbar sein, was
schon ein Mensch nicht frei-willig tun würde (Politeia II 381 c).
Gott belügt auch nicht dadurch, daß er die Menschen sich einbilden
läßt, er erschiene ihnen in verwandelter Gestalt. In seinem
Idealstaat wünscht Platon deshalb auch die Mythen Homers aus dem
Bildungskanon verbannt.
Platons Ethik ist in seiner Anthropologie, in seiner Lehre von den drei
Seelenteilen grundgelegt: Ziel ist es, das vernünftige Seelenteil
gegenüber dem nach Anerkennung verlangenden mittleren und dem auf
die Befriedigung der niederen Bedürfnisse gerichteten Seelenteil
zu stärken. Platons berühmte Ideenlehre besagt in kurzem: dasjenige,
worin vergleichbare Gegenstände einander ähnlich sind und was
wir als solches nirgends wahrnehmen, sondern nur durch das Wahrnehmbare
hindurch erkennen, existiert in einem besonderen, der Wahrnehmung entzogenen,
dem Erkennen aber zugänglichen Bereich als eine Welt vollkommener
und unvergänglicher Gestalten und Strukturen. An diesen Gestalten
(Ideen) partizipiert das Wahrnehmbare und Vergängliche, so gut es
dies vermag. Die Erinnerung (Anamnesis) an die vollkommene Schönheit
dieser anderen, jenseitigen Wirklichkeit weckt in der ins
Diesseits versetzten Seele das liebende Verlangen, sich ihr wieder anzunähern:
Eros ist die Triebkraft der Philosophie, die uns zurückführt
zum Ursprung, indem sie befähigt, das Sterbliche (scil. den Körper
und die irrationalen Seelenteile) in uns als nicht zu unserem eigentlichen
Selbst gehörig zu betrachten und die Erkenntnis der Ideen trotz unserer
Bindung an die Dingwelt hier schon zu versuchen.
In seiner politeia entwirft Platon eine Staatsutopie, in der eine philosophisch
gebildete Schicht die Macht ausübt, eine militärisch gebildete
Schicht den Staat nach außen verteidigt und die Schicht der Handwerker
und Bauern für die Ernährung der Bevölkerung sorgt.
Platon gründete im Hain des Heros Akademos seine Philosophen-Schule,
die Akademie, organisiert als Kultverein der Musen und ihres Anführers
Apollon. Die Akademie führte eine wahrscheinlich ununterbrochene
Existenz von fast 900 Jahren, bis zu ihrer Schließung durch Kai-ser
Justinian i.J. 529 n. Chr.
Aristoteles (384-322),
u.a. Lehrer Alexanders d. Gr., fragt nach der durchgehenden transparenten
Ordnung der Welt und ist aus diesem Antrieb heraus Universalgelehrter,
der wie viele seiner Schüler (die Peripatetiker) das gesamte Gebiet
der damaligen Wissenschaften bearbeitet, von politischer Ethik bis hin
zur Biologie.
Zwei Hauptfragen bewegen die aristotelische Philosophie: Was ist das Wesen
eines Dinges, und was sind die Ursachen uns unverständlicher Erscheinungen.
Das Wesen eines Dinges ist das, was es mit anderen Dingen gemeinsam hat,
und ich erkenne das Wesen aufgrund von Beobachtung. Wirkungsgeschichtlich
ist die aufgrund der sog. Kategorien (u.a. Wesen, Qualität, Quantität,
Zeit, Ort, Bewirken, Leiden) vorgenommene Unterscheidung zwischen Substanz
und Akzidens geworden. Als Substanz eines Tisches wäre zu benennen
künstlich hergestellte, erhöhte ebene Fläche;
ob der Tisch ein Bein hat oder vier, oder ob er wie ein Altartisch als
Granitblock aufgestellt ist, fällt demgegenüber unter die Akzidentien,
ebenso Größe, Farbe etc. (Später folgerte man: In Gott
sind keine Akzidentien; in Gott fallen Sein und Wesen zusammen). Die Substanzen
existieren, so Aristoteles gegen Platon, nicht in einer abgesonderten
Welt der Ideen, sondern sind nur in den Dingen selbst da.
Dem Holzblock, aus dem ein Tisch herausgesägt werden soll, sieht
man das noch nicht an. Man kann aus Holz viel machen. Philosophisch gesehen:
Der rohe Holzblock befindet sich im Status vielerlei Möglichkeiten.
Macht man aus ihm einen Tisch, so ist diese Veränderung als der Übergang
von der Möglichkeit zur Wirklichkeit zu beschreiben. Möglichkeit
gilt als der noch unvollkommene, Wirklichkeit der vollkommene Zustand.
Ist Gott das höchste Seiende, und ist Sein schlechthin mit der vollkommenen
Verwirklichung des Möglichen ineinszusetzen, so kann Möglichkeit
an Gott nicht gedacht werden, damit aber auch etwa der Gedanke der Reue
Gottes zum Guten wie auch zum Bösen.
Die nacharistotelische griechische Philosophie reflektiert auf ihre Weise
die Auflösung der Ordnung der überschaubaren alten griechischen
Stadtstaaten in den Riesenreichen Alexanders d. Gr. und seiner Nachfolger
und die sich für den einzelnen anschließenden Fragen nach der
Bewältigung der Kontingenzerfahrungen (u.a. freiwillige und unfreiwillige
Mobilität auch des kleinen Mannes, vgl. Apg 13,1f.), indem die Frage
nach dem gelingenden Leben des einzelnen, die Frage nach dem Glück
(eudaimonia) zur leitenden Frage wird.
Epikur (341-270 v. Chr.)
steht an erster Stelle in der Darstellung der nacharistotelischen Philosophie,
weil die anderen Philosophenschulen nicht selten im Gegensatz zu dieser
theologisch radikalisierten Philosophie ihre Anschauungen bilden und vertreten.
Das treibende Motiv seiner Philosophie ist: Sie will den Menschen von
aller falschen Furcht vor allem und jedem befreien. Das Glück, die
eudaimonia besteht nach Epikur in der ataracia, in der Freiheit von allem,
was das Gemüt verwirrt und deshalb unsere Urteilskraft verdunkelt,
die Freiheit von aller Furcht vor dem Irrationalen in jeglicher Gestalt,
vor dem Tode und vor dem Eingreifen der Götter. Diesem Ziel dienen
Epikurs Erkenntnislehre, Kosmologie und Theologie: Wissen kann allein
aus der sinnlichen Wahrnehmung gewonnen werden, denn rein passiv; die
menschlichen Organe der Wahrnehmung und der Empfindung tun der Wahrnehmung
nichts hinzu. In dem als unbegrenzt gedachten Universum gibt es unbegrenzt
viele Welten. Diese bestehen aus den uns nicht mehr mit Sinnen wahrnehmbaren
Atomen; deren Bewegung konstituiert Veränderung, Werden und Vergehen
im Kosmos. Diese Er-kenntnis soll dem Menschen allen Unwägbarkeiten
zum Trotz das Gefühl der Sicherheit geben: Es fällt nichts aus
diesen Gesetzmäßigkeiten des mechanistisch verstandenen Weltenlaufes
heraus. Daß es Götter gibt, steht für Epikur aufgrund
der communis opinio der Menschen fest, aber man darf nicht die Vorstellungen
der unwissenden Menge auf die Götter übertragen. Die Götter
sind vollkommenen in ihrer denkenden seligen Selbstbetrachtung und darin
für den Menschen Vorbild, greifen aber nicht helfend, und vor allem
nicht strafend in das menschliche Leben ein. Sich um die Dinge dieser
Welten zu kümmern, wäre mit der Seligkeit der Götter nicht
vereinbar. Sie sind natürlich auch leidenschaftslos, vor allem ohne
Zorn.
Die Schule der Stoiker
wurde von Zenon aus Kition (333-262) in Athen gegründet und trägt
ihren Namen nach dem Ort, an dem Zenon lehrte, der stoa poikile, der bunten
Halle, einer Säulenhalle an der Agora (antiker Marktplatz) von Athen.
Zenon sieht die Welt als eine Einheit an; es gibt gleichzeitig gesehen
nur eine Welt, nicht wie bei Epikur deren unendlich viele. Diese eine
Welt ist in sich einheitlich und widerspruchsfrei als ein Ordnungsgebilde
(kosmos i.S. von Ordnung) zu erklären. Substanz dieser Welt ist die
Urmaterie. Aus ihr gehen die Elemente hervor, aus deren Mischung entsteht
die Materie der Einzeldinge. Ein Vergehen ins nichts gibt es nicht.
Für Zenons Ethik ist wie für die Ethik der späteren Stoa
überhaupt die enge Bezogenheit auf die naturphilosophische Erkenntnis
charakteristisch. Der Weise erkennt in dem kosmos die ordnende Hand der
gütigen Vorsehung Gottes und lebt entsprechend. So ist sog. Telosformel
omologoumenos zen in Übereinstimmung leben zu verstehen,
ebenso die bekanntere Langfassung omologoumenos te fusei zen. (in
Übereinstimmung mit der Natur leben) Dieses Ideal erreicht
der Weise in einem Leben gemäß der Tugend; sie allein ist die
notwendige, aber auch hinreichende Bedingung zur Glückseligkeit,
ähnlich wie das der Tugend entgegengesetzte Laster allein als Übel
zu gelten hat. Alles übrige wie Gesundheit, Krankheit, Reichtum,
Armut etc. ist für die Glückseligkeit gleichgültig anzusehen,
es ist ein Adiaphoron. Freilich hat Zenon später zwischen den Dingen
unterschieden, die man im Zweifelsfall vorzieht, also Gesundheit und Reichtum,
oder meidet wie Krankheit oder Armut.
Ein schwerwiegendes Problem hat Zenon der Stoa, aber auch insgesamt der
Philosophie hinterlassen: Wie kann die Determiniertheit des Weltenlaufes
durch die göttliche pronoia zusammengedacht werden mit der menschlichen
Willensfreiheit, die man behaupten muß, um Handlungen nach moralischen
Gesichtspunkten zu beurteilen? Von Zenon sind uns keine Lösungsansätze
erhalten. Nach Kleanthes, Zenons Nachfolger, findet die Vorsehung Gottes
an der Willensfreiheit des Menschen ihre Grenze; demnach geschieht das
Gute in Übereinstimmung mit dem Willen Gottes, das Schlechte gegen
den Willen Gottes auf Grund der Torheit der Menschen, es bleibt Gott aber
die Macht, das Schlechte geradezubiegen und in seine Ordnung einzufügen.
Auf eine kurze Formel hat es der römische Stoiker Seneca (4 v. -
63. n. Chr.) gebracht: ducunt volentem fata, nolentem trahunt
(Seneca, Epist. mor. 107,10). Seneca hatte diese Erkenntnis im eigenen
Leben mehrfach zu bewähren, u.a. aufgrund von Krankheiten und Verbannungen.
Das Unglück beugt ... nur den, der sich vorher vom Glück
täuschen ließ. Verbannung ist für Seneca nur ein
Ortswechsel, wie ihn schon viele Menschen freiwillig oder unfreiwillig
vollzogen haben, und zwei der herrlichsten Dinge folgen uns überall
hin: die allgemeine Natur und die uns eigene Tugend.
Die Akademie hat zunächst
die spekulativen Ansätze ihres Ahnherrn Platon ausgebaut, ist dann
aber mit Arkesilaos (316-241 v. Chr.) und Karneades (214-129 v. Chr.)
für zwei Jahrhunderte zu einer Bewegung der Skepsis und zur schärfsten
Kritikerin der Stoa geworden; nachgewirkt haben hier Anschauungen des
Pyrrhon von Elis (ca. 360-270 v. Chr.).
Nachgewirkt haben Anschauungen des formal nicht
zur Akademie gehörenden Pyrrhon.
Er hat, ganz seinen Maximen gemäß, tatsächlich nichts
geschrieben. Über die Anfänge seiner Schulrichtung erfahren
wir nur mit Hilfe von Fremdreferaten, hier des Peripatetikers Aristokles:
Zuallererst gilt es, die eigene Erkenntnismöglichkeit zu
erforschen; denn wenn unsere Natur es uns nicht gestattet, etwas zu
erkennen, dann braucht man über anderes gar keine Betrachtungen
anzustellen. ... Was nun die Dinge angeht, .... habe jener gezeigt,
daß sie in gleicher Weise ununter-scheidbar sind, unwägbar
und unbestimmbar. Deshalb seien weder unsere Sinneswahrnehmungen noch
unsere verstandesmäßigen Bemühungen wahr oder falsch;
deshalb dürfe man ihnen nicht vertrauen, sondern man müsse
sich freihalten von jeder Meinung, von jeder Zuneigung (zur einen
oder zur anderen Ansicht), und man dürfe sich durch nichts erschüttern
lassen. Über jeden einzelnen Gegenstand müsse man sagen,
daß er nicht mehr sei als nicht sei,
oder: daß er sowohl sei als nicht sei,
oder: daß er weder sei noch nicht sei.
Durch diese Zurückhaltung im Urteil erreicht man das Glück. |
Karneades bestritt mit
Hilfe dieser Gedanken die Grundlage stoischer Erkenntnistheorie, indem
er die Möglichkeit der objektiven Unterscheidung zwischen wahren
und falschen Vorstellungen bestritt, er führte auch den stoischen
Beweis für die gütige Vorsehung und für die Divination
(Wahrsagekunst) ad absurdum, und zeigte die Inkonsequenz auf, naturgemäße
Sachwerte anzuerkennen, die der Mensch von Natur aus erstrebe (Gesundheit),
ihren Besitz jedoch als gleichgültig für die Eudaimonie zu erklären.
Bei Philon von Larissa (159-84 v. Chr.) und Antiochos von Askalon (zw.
140/125 - 68 v. Chr.) kommt es zu einer partiellen Wieder-Annäherung
der Akademie an die Stoa, freilich mit dem schon althergebrachten Unterschied
in der normierenden Instanz und entsprechend in der Güterlehre: Sittliche
Norm war für die Stoiker die Allnatur, die menschliche Natur nur
insoweit, als sie an der Allnatur teilhat; für die ältere Akademie
und für Antiochus ist die Norm dagegen abzuleiten aus der ganzen
Natur des Menschen, also aus dem Körper, den äußeren Bedürfnissen
und aus denen der Seele. Entsprechend gibt es nicht nur seelische Güter,
die erstrebenswert sind, sondern auch körperliche und äußerliche,
wenngleich die letzteren beiden an Würde hinter den seelischen Gütern
zurückstehen.
Um die Zeitenwende formiert sich der sog. Mittelplatonismus mit neu erwachtem
Interesse an den Fragen der Kosmologie, grundlegende Schrift hierfür,
in Kommentaren häufig bearbeitet, ist Platons Dialog Timaios. Der
Hauptstreitpunkt unter Platonikern war, ob Platon die Vorstellung eines
zeitlichen Anfangs der Welt im wörtlichen Sinne verstanden wissen
oder nur zum Zwecke der Untersuchung eingeführen wollte.
Der bekannteste Vertreter dieses Mittelplatonismus ist
Plutarch (46-125 n. Chr.), Historiker und
Religionsphilosoph sowie Priester am Apollo-Heiligtum zu Delphi. Daneben
war er in die eleusinischen Mysterien eingeweiht. Seine Biographien über
bedeutende Griechen und Römer haben hohen Quellenwert, seine ethischen
und religionsphilosophischen Schriften sind für das Studium des Neuen
Testaments von besonderem Interesse.
Die Areopagrede knüpft an stoische Vorstellungen
an, hat aber auch ihre biblische Prägung: Apg 17,24 bezeugt Gottes
Schöpfermacht im biblischen Sinn, Apg 17,26 ist Überblick über
die profane Völkergeschichte, aus Gen 1 und Gen 10 heraus gestaltet,
Apg 17,29 verknüpft das Aratos-Zitat mit der Götzenpolemik des
Deuterojesaja. Das Aratos-Zitat soll den Hörerinnen und Hörern
die lk Botschaft als auch von ihren geistigen Voraussetzungen her einleuchtend
erscheinen lassen
18,1-22 Paulus in Korinth
18,1-11 Gründung der Gemeinde
18,12-17 Paulus vor Gallio
Gallio (Bruder des berühmten Stoikers Seneca) betrachtet
den Streit um Paulus als einen innerjüdischen Konflikt, um den er
sich nicht weiter kümmert, auch nicht, als es zu antijüdischen
Ausschreitungen kommt. - Von den Auseinandersetzungen innerhalb der christlichen
Gemeinde (vgl. 1 und 2 Kor) erfährt der Leser nichts.
18,18-22 Abreise nach Antiochia
18,23-19,20 Beginn der sog. dritten Missionsreise.
Die Stationen der sog. dritten Missionsreise: Galatien - Phrygien
- Ephesus - Mazedonien - Griechenland - Troas - Milet - Jerusalem (dort
Verhaftung)
18,24-28 Apollos von Alexandria
in Ephesus
Alexandria, von Alexander d. Gr. 331 v. Chr. gegründet und
nach ihm benannt, war damals ein der größten Städte des
römischen Imperiums, mit einem großen Anteil jüdischer
Bevölkerung, bekannt durch seine Bibliothek, die 272 n. Chr. infolge
bürgerkriegsähnlicher Wirren zerstört worden ist (Ammianus
Marcellinus 22,16,15). Bedeutung hatte Alexandria gleichermaßen
für die Naturwissenschaften wie für das Gebiet der Philologie
und Exegese. Für das hohe Niveau jüdischen Geisteslebens in
Alexandria ist der Religionsphilosoph Philo der hervorragendste, aber
nicht der einzige Vertreter. Zur Geschichte der antijüdischen Ausschreitungen
in Alexandria zur Zeit des Caligula vgl. Philo, Legatio ad Gaium sowie
ders., in Flaccum.
19,1-7 Die Johannesjünger
in Ephesus
Täuferjünger und Jesusjünger waren für Außenstehende
zunächst kaum zu unterscheiden: Ein Taufbad war in beiden Gruppen
der Initiationsritus, und örtliche Gruppen bildeten sich durch Abspaltung
von der Synagoge. Differenzen zwischen beiden waren nur intern sichtbar,
Sie betrafen das Verständnis der Taufe und des Heiligen Geistes:
Die Taufe des Johannes war Bußtaufe, die aus christlicher Sicht
auf Christus vorbereiten sollte, und der Heilige Geist war für Johannes
den Täufer eine die Zukunft, für die Christen eine die eigene
Gegenwart bestimmende Wirklichkeit.
19,8-12 Des Paulus Wirken in
Ephesus
In die lange ephesinische Zeit fallen, wie wir aus den Paulusbriefen
wissen, einige für Paulus gewichtige Ereignisse: Eine Todesgefahr,
aus der er nur mit knapper Not gerettet werden konnte (vgl. 2 Kor 1,8)
sowie der Beginn der Konflikte mit den Korinthern und den Galatern. Davon
berichtet Lukas nichts.
19,13-20 Jüdische Exorzisten
und heidnische Magie
Antike Exorzisten bedienten sich bei ihren magischen Praktiken
zumeist einer Summe möglichst geheimnisvoll klingender Götternamen
(auf irgendeinen dieser Namen würde der Dämon ja wohl reagieren
müssen!). Auch der Name des Gottes Israels wie der Name von Erzengeln
fand Verwendung. Welche religionsgeschichtlichen Kuriositäten hierbei
entstehen konnten, zeigt ein spätantiker Zauberpapyrus: Ich
beschwöre Dich bei Jesus, dem Gott der Hebräer (PGM 4,3019f.).
Ein jüdischer Hoherpriester namens Skevas ist ansonsten nicht
bekannt.
In Abgrenzung davon versucht die Erzählung zu demonstrieren, daß
die Benutzung des Namens Jesu zu exorzistischen Zwecken durch Nichtchristen
illegitim ist. Als biblische Kontrastparallele vgl. Mk 9,38-40.
19,21-28,31 Paulus auf dem Weg
nach Rom
19,21-21,26 Paulus auf dem Weg nach Jerusalem
19,21f. Sein Entschluß, auch in Rom zu missionieren
In der Wendung muß ich auch Rom sehen verweist
das dei nicht auf den privaten Wunsch des Paulus, sondern auf Gottes Plan.
Deshalb wird Paulus nach Rom kommen, allerdings als Gefangener.
19,23-40 Der Aufstand des Demetrius
Der Artemis-Kult in Ephesus hatte eine starke Ausstrahlung auch
über die Stadt hinaus und stellte auch einen nicht unbedeutenden
Wirtschaftsfaktor dar, der Artemistempel zählte zu den sieben Weltwundern.
Lk 19,35-40 sind als Rede des heidnischen Stadtschreibers kaum vorstellbar,
sondern im Sinne des Lukas gestaltet: Auch in ihrer Auseinandersetzung
mit anderen Religionen stören die Christen nicht die öffentliche
Ordnung; sie schmähen nicht, und sie verhalten sich damit nach Ex
22,27 LXX. Auch jüdische Literatur greift diese Mahnung auf, die
Götter des Gastlandes nicht zu schmähen, vgl. Josephus, Antiquitates
4,207; Josephus, Contra Apionem 2,237; Philo, Vita Mosis 2,205.
20,1-5 Paulus in Makedonien
und Griechenland
20,6-12 Paulus in Troas. Eutychus
Die Erzählung ist einer der frühesten Belege für
den christlichen Gottesdienst am Sonntag Abend (vgl. noch Apk 1,10; Did
14,1; Plinius d. J., ep. 10,96). Wann, wie und mit welcher Begründung
Christen zusätzlich zum Sabbat bzw. an seiner Stelle den Sonntag
als ihren Feiertag begingen, ist nicht bekannt. Der Ort des
Gottesdienstes ist eine Privatwohnung (eigene, nur dem Gottesdienst dienende
Gebäude hatte man damals noch nicht), wohl in einem größeren
Mietshaus.
20,13-16 Reise nach Milet
20,17-38 Abschiedsrede des Paulus an die Ältesten von Ephesus und
Milet
Formal ist der Text eine Abschiedsrede. Vergleichbare Texte sind
Gen 47,29-49,33; Jos 23,1-24,30; 1 Sam 12,1-25; Tob 14,3-11; 1 Makk 2,49-70;
Jub 20,1-10; 21,1-25 sowie das Deuteronomium insgesamt. Es erscheinen
zumeist folgende Motive: Konstatierung der Todesnähe, Versammlung
der Zuhörer, Paränese, prophetischer Ausblick auf die Zukunft
Selbstentlastung des Sterbenden, Tod bzw. Entrückung. Der Sitz im
Leben der Abschiedsrede ist die geschichtliche Ortsbestimmung der Institution
bzw. Gruppe durch die Besinnung auf das ihr anvertraute Erbe (J.
Roloff, Die Apostelgeschichte übersetzt und erklärt, NTD 5,
Göttingen 1981, 302). So gewinnt die Gattung der Abschiedsrede gerade
Bedeutung ..., wo die geschichtliche Kontinuität zum Problem geworden
ist. Und eben dies war im Urchristentum beim Übergang von der zweiten
zur dritten Generation der Fall (ebd.). Mehrere Abschiedsreden stammen
aus dieser Zeit: Lk 22,14-38; Joh 13-17; 2. Tim. Allerdings verpflichtet
Lukas, anders als die Pastoralbriefe, die Gemeinde nicht auf die bestimmte
paulinische Lehrtradition, sondern spricht ihr zu, daß das geschichtsmächtige
Wort Gottes sie weiterhin leiten wird; Ketzerpolemik wird (abgesehen von
der sehr allgemein gehaltenen Wendung Apg 20,29) ihm nicht in den Mund
gelegt, anders als in den Pastoralbriefen, z.B. 1 Tim 4,1-3 u.ö.
Apg 20,28 ist die einzige Stelle in der Apostelgeschichte, wo dem Tod
Jesu eigenständig soteriologische Relevanz zukommt. Die Stelle bezeugt
zugleich die Verschmelzung der judenchristlichen Presbyterialverfassung
mit der eher an hellenistisches Vereinswesen erinnernden Episkopenverfassung.
21,1-14 Abreise nach Jerusalem
Der Prophet Agabus vollzieht eine Zeichenhandlung ähnlich
wie alttestamentliche Propheten (vgl. 1 Kön 11,29-39; Jes 8,1-4;
Jer 19,1-13; Ez 4-5). - Paulus entzieht sich der drohenden Gefahr nicht.
Der Anklang von V. 14 an das Wort Jesu in Gethsemane Lk 22,42 ist wohl
kaum zufällig. Der Märtyrertod des Paulus ist auch durch 1 Clem
5,5-7 bezeugt sowie im 2. Timotheusbrief vorausgesetzt.
Literatur zur Weiterarbeit: Horn, F. W. (Hg.), Das
Ende des Paulus. Historische, theologische und literaturgeschichtliche
Aspekte, BZNW 106, Berlin New York 2001.
21,15-26 Ankunft in Jerusalem
Die Auslösung des Nasiräats für die vier Judenchristen
erweist den lukanischen Paulus als frommen Juden und stellt die in Apg
21,28 berichteten Anschuldigungen von vornherein in ein schlechtes Licht.
21,27-26,32 Der Prozeß
des Paulus in Jerusalem und Cäsarea
21,27-40 Verhaftung in Jerusalem
Daß Nichtjuden den inneren Vorhof des Tempels nicht betreten
durften, ist auch archäologisch bezeugt. Eine niedere Mauer mit mehreren
Durchlässen trennt den äußeren von den inneren Vorhöfen.
An dieser Mauer waren Warntafeln aufgestellt mit der Aufschrift in griechischer
und lateinischer Sprache: Kein Nichtjude darf die Schranke um das
Heiligtum und den Umgang überschreiten. Wer dabei ergriffen wird,
hat es sich selbst zuzuschreiben - darauf steht der Tod! Diese Warntafel
wird auch bei Josephus, BJ 6,126 erwähnt.
22,1-21 Verteidigungsrede.
Nicht Paulus ist dem Judentum untreu geworden, vielmehr hat das
nicht an Jesus glaubende Judentum, so Lukas, nicht wahrhaben wollen, daß
Gott sein Heil nunmehr auch den Heiden zukommen lassen will.
22,22-30 Paulus vor dem römischen
Oberst
Der Fanatismus der Masse erwächst daraus, daß Paulus
auch den Heiden verkündigen will. Das lukanische Bild, das nicht
an Jesus glaubende Judentum habe sich der Öffnung gegenüber
Nichtjuden völlig gesperrt, ist historisch nicht richtig, vgl. den
Bekehrungsroman Joseph und Aseneth, die Polemik Mt 23,15 sowie
Josephus, contra Apionem 2,281-283.
23,1-11 Paulus vor dem Hohen
Rat
Paulus wird wiederum als frommer Jude dargestellt. Daß die
Christen nicht durch eigenes Fehlverhalten Anlaß zur Feindseligkeit
geben sollen, ist auch andernorts als Mahnung festgehalten, vgl. 1 Pt
4,15.
Paulus nutzt den bekannten Umstand der Lehrdifferenzen zwischen Pharisäern
und Sadduzäern (vgl. zu Mk 12,18-27) bzgl. der Auferstehungshoffnung.
Wirkungsvoll ist am Ende dieser Szene vor der folgenden Schilderung der
akuten Lebensgefahr die Audition gesetzt, die dem Paulus nicht das Überleben
in seinem Prozeß, wohl aber die Erfüllung seines Wortes Apg
19,21 ankündigt.
23,12-22 Der Mordanschlag gegen
Paulus
23,23-35 Die Überstellung des Paulus nach Cäsarea
24,1-21 Vor dem Statthalter Felix
Tertullus erwartet eine Verurteilung des Paulus aufgrund der staseis,
die den römischen Prokurator zum Handeln veranlassen müßten.
Paulus beteuert die gewollte Kontinuität zu Israel (V. 9-15) und
begründet seine Lauterkeit (24,16) und Unschuld (24,17-21).
24,22-27 Verschleppung des Prozesses
Felix Geldgier zeigt, daß Christen bei den Vertretern
der römischen Staatsmacht nicht immer mit dem u.a. in Apg 23,23-35
geschilderten Wohlwollen rechnen können.
25,1-12 Verhandlung vor Festus
Wieder erscheinen Juden als die eigentlichen Gegenspieler
(K.-M. Bull, Bibelkunde, 57) des Paulus. Inhaltlich neu (und für
den weiteren Gang der Darstellung bestimmend) ist die in Aussicht genommene
Überstellung des Angeklagten nach Rom, bei Personen mit römischen
Bürgerrecht möglich.
25,13-27 König Agrippa bei
Festus
Die Szene soll die Bedeutung des Falles des Paulus genauso wie
seine Unschuld hervorheben, zugleich Porcius Festus als einen mit Bedacht
handelnden Prokurator schildern, der sich um die Zuziehung eines Sachverständigen
bemüht.
26,1-32 Paulus vor Agrippa und
Festus
Wiederum wird betont, daß der an Jesus glaubende Jude Paulus
das wahre Verständnis der an Israel gerichteten Verheißungen
verkörpert, während sich das nicht an Jesus glaubende Judentum
nach Lukas selbst um die Kontinuität mit dem von Gott gewollten Israel
bringt.
27-28 Die Überstellung des
Paulus nach Rom
Literatur zur Weiterarbeit: Labahn, Michael, Paulus - ein homo
honestus et iustus. Das lukanische Paulusportrait von Act 27-28 im Lichte
ausgewählter antiker Parallelen, in: F. W. Horn (Hg.), Das Ende des
Paulus (s.o.), 75-106.
27,1-12 Abreise nach Rom
27,13-44 Seesturm
Die mehrmals betonte (in ihrer Entfaltungsmöglichkeit eher
unhistorische) Überlegenheit des Paulus auf dem Schiff soll die Übereinstimmung
seines Denkens mit dem Plan Gottes unterstreichen, ihn unversehrt nach
Rom zu bringen (27,24). Dem können die Naturgewalten genausowenig
entgegensetzen wie diejenigen, die Paulus vorher umbringen wollten.
28,1-10 Auf der Insel Malta
Apg 28,1-6 ist Unschuldsaufweis zugunsten des Paulus. Aufgenommen
ist die Nemesis-Vorstellung: Rachegeister verfolgen den Täter, der
bisher für seine Untat nicht auf angemessene Weise gestraft worden
war.
28,11-16 Abreise von Malta
28,17-31 Paulus in Rom
Statt von missionarischen Aktivitäten des Paulus in Rom wird
von einer Auseinandersetzung mit den Juden der Hauptstadt berichtet
auch sie lassen sich nicht zur Gänze überzeugen. Das (in der
Interpretation des Schlußteiles von V. 27 umstrittene) Wort Apg
28,25-28 dürfte die Erfahrung der Zeit des Lukas widerspiegeln, in
der Israelmission weitgehend zu scheitern, darf jedenfalls heute unser
theologisches Urteil über das nicht an Jesus glaubende Israel nicht
mehr bestimmen.
Ob Lukas über das Schicksal des Paulus in Rom noch mehr wusste, als
er schrieb, ist umstritten.
Literatur zur Weiterarbeit: Omerzu, Heike, Das Schweigen
des Lukas. Überlegungen zum offenen Ende der Apostelgeschichte, in:
F. W. Horn (Hg.), Das Ende desPaulus (s.o.), 127-156.
Der
Quellenwert der Apostelgeschichte
Daß Lukas auch in der Apostelgeschichte auf schriftliche
Quellen zurückgreift, ist möglich, aber insofern nicht zwingend
zu beweisen, als bei ihm (abgesehen von dem Fall der Bibelzitate) keinerlei
Textsignal auf die beginnende oder endende Zitation von Quellen verweist.
So haben bisherige Forschungen (Quellen für einzelne, an einer Person
orientierte oder thematisch oder geographisch zusammengehaltene Abschnitte,
Quellen in den sog. Wir-Stücken der Apg: Apg 16,10-17;
20,5-15; 21,1-18; 27,1-28,16; ein Itinerar, d.h. eine Zusammenstellung
von Reiserouten und wichtigen Ereignissen an einzelnen Stationen) nicht
zu einem Konsens geführt, so sehr man sich im Grundsatz darüber
einig ist, daß Lukas das, was er erzählt, im allgemeinen nicht
völlig frei erfindet. Für die Benutzung schriftlicher Vorlagen
werden gerne der ansonsten von Lukas nicht weiter aufgegriffene Aposteltitel
für Paulus in Apg 14,4.14 sowie die in Apg 21,10 erfolgende Einführung
des Agabus als einer unbekannten Person (vgl. nämlich Apg 11,28)
angeführt; auch dürfte Apg 10,1-11,18 wegen seiner Indifferenz
gegenüber Lk 24,44-47 ebenfalls nicht nur im Handlungsablauf traditionell
sein. Doch ist eine wortwörtliche Rekonstruktion dieser Quellen auch
auf der Grundlage dieser Argumente kaum zu leisten. Daß Lukas eine
Vielzahl mündlicher Traditionen benutzt, ist eher konsensfähig.
Die Apg kann als Quelle zur Rekonstruktion der Geschichte des Urchristentums
nicht unkritisch herangezogen werden. Dieser Schluß ergibt sich
vor allem aus den Divergenzen zwischen Apg 6,1-7 (Stephanus als Diakon)
und Apg 6,8-15 (Stephanus als Verkündiger, dessen Verkündigung
zu einer Verfolgung führt, die aber nur den Kreis um ihn, die sog.
Hellenisten betrifft), zwischen Apg 15 und Gal 2,1-10 (dazu s.u.), zwischen
Apg 15,36-41 und Gal 2,11-14 sowie aus Differenzen in der Zeichnung des
Paulus zu dessen Selbstaussagen wie zum Thema Paulus und seine Gemeinden:
Von den Konflikten in Korinth und Galatien wird bei Lukas überhaupt
nichts berichtet, die Kollekte, die Paulus ein solches Anliegen war (vgl.
1 Kor 16,1-4; 2 Kor 8; 2 Kor 9; Gal 2,10; Röm 15,25-32) erwähnt
er nur in einem Halbsatz (Apg 24,17). Lukas ist bemüht, die Anfangszeit
das Kirche als weitgehend frei von auf Dauer ungelösten Konflikten
zu zeichnen; deswegen werden Konflikte entweder übergangen (vgl.
Apg 18,1-17 mit der korinthischen Korrespondenz) oder in der Begründung
verharmlost (vgl. Gal 2,11-14 mit Apg 15,36-41).
Gleichwohl bleibt die Apostelgeschichte für uns als Geschichtsquelle
von Bedeutung: Die Erwähnung des Statthalters Gallio in Apg 18,12-17
liefert zusammen mit Gal 1,18; 2,1 und Lk 3,1f. die Eckdaten für
die absolute Chronologie; die Reisenotizen, kritisch verglichen mit den
Angaben des Paulus, sind hilfreich für die zeitliche Einordnung des
paulinischen Wirkens und Schreibens. Darüber hinaus ist die Apostelgeschichte
als Quelle für ein mögliches Selbstverständnis des
Christentums zur Zeit des Lukas aufschlußreich.
Theologische
Grundgedanken
Geschichte als Heilsgeschichte
Das lk Doppelwerk ist der Versuch, die Kontinuität der mittlerweile
überwiegend aus ehemaligen Heiden bestehenden Kirche zu Israel angesichts
des weitgehenden Scheiterns der Israelmission in der Gegenwart heilsgeschichtlich
zu definieren und so den jetzigen Status der Kirche als gottgewollt zu
legitimieren.
Die Geschichte der Kirche ist das Ergebnis göttlicher Führung.
Gott hat Israel erwählt und durch seine Geschichte hindurch geleitet
(für beides ist die Heilige Schrift Israels Zeuge, vgl. vor allem
Apg 7; Apg 13) und durch den Täufer auf das Kommen Jesu vorbereitet.
Nachösterlich wird Israel in der Gemeinde der Apostel gesammelt (vgl.
Apg 2,1-5,42, aber auch Apg 17,10-12; 18,8; 21,20), die sich als mit dem
endzeitlichen Gottesgeist begnadet weiß (vgl. Apg 2,17-21), und
nunmehr werden auch die Heiden in Gottes Heilsratschluß einbezogen
(für all dies wie auch für Einzelheiten des Lebensweges Jesu
incl. seiner Auferstehung ist die Heilige Schrift Israels prophetische
Vorankündigung), und zwar durch die Verkündigung seitens der
christlichen Gemeinde in der Mission bis an die Enden der
Erde besteht ihr Auftrag (Apg 1,8). Der Einbezug von Nichtjuden
in das Gottesvolk kann durch den Verweis auf die Heilige Schrift (Am 9,12
= Apg 15,17 u.a.) genauso gerechtfertigt werden wie durch ein Wort des
Auferstandenen (Lk 24,44-47) wie durch unmittelbare göttliche Weisung
(Apg 10,15) und durch die Erfahrung der von Gott bewirkten Bußfertigkeit
der Heiden (Apg 11,18). Israel wird nachösterlich genauso wie die
anderen Völker zur Buße gerufen; erst die Selbstverweigerung
gegenüber der nachösterlichen Christusverkündigung führt
zum momentanen (!) Selbstausschluß des ungläubigen Teiles Israels
aus dem Gottesvolk. Jedoch ist auch für die Heiden die Annahme der
Christusbotschaft die Voraussetzung für die Bewahrung im kommenden
Gericht (vgl. Apg 17,30f.).
Die Judenchristen halten wahrscheinlich die Thora weiterhin auch in den
nichtethischen Bezügen ein. Die Begründungen für die Abrogation
weitgehender Teile der Reinheitsthora durch die Heidenchristen variieren
(vgl. den Verweis auf die Himmelsstimme Apg 10,15 einerseits, die historisch
gesehen unjüdische Begründung des Petrus Apg 15,10 andererseits).
Ein Mindestmaß an kultischer Reinheit der Heidenchristen soll nach
Apg 15,20.29 die Gemeinschaft zwischen ihnen und den Judenchristen ermöglichen.
Nicht zur Diskussion steht allerdings die Geltung der ethischen biblischen
Weisungen für alle Christen, unabhängig von ihrer Herkunft aus
Juden- oder Heidentum.
Die Christen und ihre heidnische Umgebung
Ist das Christentum wie das Judentum eine exklusiv monotheistische
Religion, so sind für den Alltag der Christen in der Antike sozial
u.U. einschneidende Erfahrungen der religiös begründeten Differenz
zu ihrer Umwelt vorprogrammiert.
Lukas unterscheidet durchaus zwischen den verschiedenen Erscheinungsformen
pagan-antiker Religiosität: Gegenüber der Theologie der Dichter
bezeugt Lukas den biblischen monotheistischen Schöpfungsglauben (Apg
14,15-17), die Theologie der Philosophen behaftet er bei ihrer Erkenntnis
der Gottesverwandtschaft des Menschen, um daran die Immaterialität
und Bildlosigkeit christlicher Gottesverehrung anzuschließen (Apg
17,22-31), gegenüber der politischen Theologie wird die Andersartigkeit,
zugleich aber die politische Harmlosigkeit der Christusverkündigung
betont. Im Gegenüber zu einer an Magie und Zauberei orientierten
Frömmigkeit gilt: Zeugnis für den höchsten Gott aus unrechter
Quelle sowie illegitime Berufung auf den Namen Jesu werden gleichermaßen
sanktioniert (Apg 16,16-22; 19,13-17).
Politisch verhalten sich die Christen loyal; von ihnen geht keine Gefahr
für die römische Herrschaft aus. Sie sind darin von den sog.
Zeloten unterschieden (Apg 5,36f.; 21,38f.). Anderslautende Vorwürfe
sind Verleumdung, gegen die die Christen auch Widerspruch einlegen können:
Sie beteuern ihr gutes Gewissen (Apg 23,1; 24,16) und ihre Unschuld (Apg
25,8.10; vgl. 26,22); sie stellen die gegnerische Anklage als unbeweisbar
hin (Apg 24,13); sie pochen auf ihr Recht (Apg 16,35-40; 22,25; 25,10f.).
Vorausgesetzt ist dabei die Gewißheit der Christen, daß Gott
der Herr der Geschichte ist, auch in Verfolgungszeiten (Apg 4,25-29),
der widerständige Autoritäten bezwingen (Apg 9) oder strafen
kann (Apg 12,21-23), so daß die Feinde des Christentums diesem nicht
wirklich etwas anhaben können.
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