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Lektion 4: Das Lukasevangelium
Zur Person des Verfasser
Die Quellen des Lukasevangeliums
Wann wurde das lukanische Doppelwerk geschrieben?
Wo ist das lukanische Doppelwerk entstanden?
Die Adressatinnen und Adressaten des lk Doppelwerkes
Grobgliederung des Lukasevangeliums
Feingliederung des Lukasevangeliums
Zur Person des Verfassers
Irenäus (adversus Haereses 3,1,1, um 180 n. Chr.)
führt das Evangelium auf Lukas den Arzt und Reisebegleiter des Apostels
Paulus zurück, in Haer 3,14,1 mit Hinweis auf die "Wir"-Passagen
der Apostelgeschichte (Apg 16,10-17; 20,5-15; 21,1-18; 27,1-28,16). Der
canon Muratori um 200 weiß: "Dieser Arzt Lukas hat das Evangelium
nach der Himmelfahrt Christi, nachdem ihn Paulus als wissenschaftlich
gebildeten Mann mit sich genommen hatte, unter seinem eigenen Namen nach
den Anschauungen des Paulus geschrieben."
Dass Lukas Arzt gewesen sein soll, hat man gelegentlich mit der Nähe
zur medizinischen Fachterminologie der alten Welt finden wollen - Handbücher
der Medizin gab es auch schon in alter Zeit, u.a. von Hippokrates und
später von Galen. Doch ist die Nähe des Lukas zu solcher Terminologie
nicht größer als die Nähe zur Terminologie anderer Fachgebiete,
etwa zum Seefahrtswesen Apg 27; 28 oder zum Justizwesen Apg 21ff. und
ist Teil des Selbstverständnisses. Zu den Tugenden des antiken Historikers
gehörte es, in den Dingen, die er darstellen wollte, eigene Erfahrung
zu haben, sei es durch eigene Reisen, sei es durch Befragen von Experten.
Zu den Tugenden des antiken Historikers gehörte es ferner, jede Person
in der jeweiligen Situation in der passenden Sprache reden zu lassen -
deshalb redet Petrus in Jerusalem anders als Paulus in Athen. Zu den Tugenden
den Historikers gehört die Benutzung von Quellen - als Quellen hat
Lukas das Markusevangelium und die Logienquelle sowie umfangreiches Sondergut
aufgenommen; den Charakter einer Heiligen Schrift hat er diesen Quellen
nicht zuerkannt.
Aber auch gegen die Annahme, Lukas sei Paulus-Schüler gewesen, erheben
sich Bedenken:
"... der Verfasser der Apg ist in seiner Christologie vorpaulinisch,
in seiner natürlichen Theologie, Gesetzesauffassung und Eschatologie
nachpaulinisch. Es findet sich bei ihm kein einziger spezifisch paulinischer
Gedanke" (P. Vielhauer, Zum Paulinismus der Apostelgeschichte, 26).
Gegen einen Paulusschüler spricht darüber hinaus folgendes:
Lukas irrt in der Zahl der Jerusalemreisen des Paulus. Vor allem aber
bestehen Divergenzen in der Darstellung des Apostelkonzils in der Rolle
des Jakobus, in Apg 15 ist er Vermittler zwischen Paulus und konvertierten
Pharisäern, bei Paulus selbst Partei.
Lukas erwähnt nie, dass Paulus Briefe geschrieben habe. Zwar könnte
man einwenden, Lukas verschweige die Briefe aus dem Anliegen heraus, die
Spannungen innerhalb der christlichen Gemeinde möglichst zu nivellieren,
doch hätte Lukas z.B. den Ersten Thessalonicherbrief oder den Römerbrief
durchaus erwähnen können, ohne seinem harmonisierenden Bild
der Gemeinde Abbruch zu tun.
Es bestehen im lukanischen Doppelwerk nur schwache Anklänge an paulinische
Theologie. Was Paulus noch durchsetzen musste (die beschneidungsfreie
Heidenmission), setzt Lukas als längst bekannt voraus, ohne dass
er die Kämpfe darum sichtbar werden läßt.
Lukas verweigert Paulus bis auf Apg 14,4.14 den Aposteltitel! Das widerspricht
dem paulinischen Selbstverständnis durchaus.
Literatur: Vielhauer, P., Zum "Paulinismus"
der Apostelgeschichte, wiederabgedruckt in: ders., Aufsätze zum Neuen
Testament, TB 31, München 1965, 9-27.
Schnelle, U., Einleitung in das Neue Testament, UTB 1830, 3. Aufl. Göttingen
1999, 255-259.
Ist Lukas Heiden- oder Judenchrist?
Umstritten ist, ob Lukas vor seiner Hinwendung zum Christentum
Heide, Gottesfürchtiger oder Jude war. Für heidnische Herkunft
lassen sich die geringe geographische Kenntnis des Landes Israel, die
Vermeidung von Semitismen und das geringe Interesse an kultischen Fragen
anführen, das beschneidungsfreie Heidenchristentum stellt für
Lukas längst den Normalfall dar. Demgegenüber hat Jacob Jervell
für die Herkunft des Lukas aus dem Judentum u.a. auf das jüdisch
geprägte Messiasbild und den um den Begriff "Gottesvolk"
zentrierten Kirchenbegriff verwiesen; jüdische Wörter, Begriffe
und Bräuche erschienen von Lk 1 bis Apg 28 und würden nur zu
fünf Prozent erläutert; das Aposteldekret zeige, dass und wieweit
das Gesetz auch für Nichtjuden gilt. Doch wird man Aussagen wie Apg
13,38; 15,10 auch einem ehemaligen Juden nicht gerne zutrauen. In Apg
15,20.29 wird eine partielle Weitergeltung auch ritueller Teile der Thora
auch für die Heidenchristen anempfohlen, um den Judenchristen ein
Mindestmaß an kultischer Reinheit zu ermöglichen - Lukas hat
die Einheit der Kirche vor Augen, nicht die Begründung der empfohlenen
Praxis in der Thora. An seine Vorlagen trägt Lukas gelegentlich biblischen
Stil heran (vgl. z.B. Lk 5,12.17; 6,6.12; 8,22; 9,18.28.37), ohne dass
damit ein korrespondierender Zugewinn an expliziten theologischen Bezügen
zur Heiligen Schrift Israels gewonnen wäre. Ein für die sog.
Gottesfürchtigen typisches Interesse an jüdischem Monotheismus
und jüdischer Ethik ist bei Lukas nicht nachzuweisen, eher ein Interesse,
das den eigenen soteriologischen Status als im Einklang mit Gottes Willen
deklariert. So dürfte Lukas am ehesten als Heidenchrist zu bezeichnen
sein; Kenntnis und Wertschätzung des Judentums heben ihn allerdings
aus der sonstigen nichtjüdischen Literatur über das Judentum
zweifellos hinaus.
Literatur zur Weiterarbeit: Jervell, J., Die Apostelgeschichte
übersetzt und erklärt, KEK 3, Göttingen 1998.
Die Quellen des Lukasevangeliums
Lukas folgt im Großen dem Aufbau des Markusevangeliums,
von dem er auch einen großen Teil seines Stoffes bezieht. Zu beachten
ist jedoch die sog. lukanische Lücke: Es fehlt alles zwischen Mk
6,45 und 8,26. Mögliche Ursachen: 1. Lukas kannte ein Mk-Ev ohne
diese Texte 2. Lukas läßt diese Texte bewusst weg.
In den Markusstoff schiebt Lukas an zwei Stellen Stoff aus Q und Sondergut
ein: man spricht von der
- kleinen Einschaltung Lk 6,20-8,3 und von der
- großen Einschaltung Lk 9,51-18,14.
Diskutiert wird ferner, ob das Sondergut oder Teile daraus (zB. Kindheitsgeschichten;
Parabeln, Teile der Passionsgeschichte) einer durchlaufenden Quelle entstammen.
Zu einem Konsens hat die Forschung hierin noch nicht gefunden.
Wann wurde das lukanische Doppelwerk
geschrieben?
Früher wurde das lukanische Doppelwerk gelegentlich
auf die Zeit um 60 datiert, mit dem einfachen Argument, die Apostelgeschichte
erzähle nichts vom Tod des Paulus. Bei Theodor Zahn war dies verbunden
mit der Absage an die Zweiquellentheorie. Aber: Lukas setzt in Apg 20,18-38;
21,11.13 den Märtyrertod des Paulus voraus. Zudem lässt die
Zeitangabe von "zwei Jahren" in Apg 28,31 erkennen, dass der
Verfasser mehr wusste als er schrieb.
Hätte das Werk noch eine Fortsetzung haben sollen? Auffallend ist,
dass in Kap. 21-26 sehr ausführlich über den Prozess in Caesarea
berichtet wird, die Erwartung des Lesers aber, über den Prozess in
Rom ebenso ausführlich unterrichtet zu werden, sich dann nicht erfüllt.
Man kann allerdings theologisch begründen, dass der jetzige Buchschluss
in Apg 28,31 auch den geplanten Abschluss des Doppelwerkes bildet: Die
Ankunft des Paulus in der Welthauptstadt Rom ist Lukas wichtiger als das
persönliche Schicksal des Völkerapostels. Die Sache geht vor
der Person.
Gemäß dem wissenschaftlichen Konsens ist das Werk wohl doch
auf die Jahre 80-90 n. Chr. zu datieren. Markus und die Logienquelle sind
aufgenommen. Die Zerstörung Jerusalems ist vorausgesetzt und mehrfach
mit der Ablehnung Jesu in Beziehung gebracht (Lk 19,41-44; 23,27-31).
Ferner bearbeitet Lukas typische Probleme der dritten christlichen Generation,
nämlich die Kontinuitätssicherung zu den Ursprüngen angesichts
des Auftretens von Irrlehren (Apg 20,30) und das Problem des Reichtums,
das in mehreren spätneutestamentlichen Schriften verhandelt wird
(s.u.). Für eine spätere Zeit spricht des weiteren der fortgeschrittene
Zustand der Verfassung; es gibt Älteste (Apg 14,23; 20,17) und wohl
auch Diakone (Apg 6,1-6) in der Gemeinde als Organe.
Wo ist das lukanische Doppelwerk
entstanden?
Schon in der alten Kirche schwanken die Angaben zwischen
Achaia (römische Provinz mit Korinth als Hauptstadt), Rom und Antiochia
am Orontes (Syrien). Auch nach heutigem Kenntnisstand lassen sich keinerlei
gesicherte Angaben erheben. Gelegentlich favorisieren Indizien lokaler
Vertrautheit bestimmte Abfassungsorte, doch ist, so lange das Quellenproblem
für die Apostelgeschichte unlösbar bleibt, immer auch mit dem
Vorliegen einer Quelle oder mit der mündlichen Kenntnis von Ortstraditionen
zu rechnen, sodass die Ortskenntnis, die ein bestimmter Text verrät,
nicht ohne weiteres für den Evangelisten verbucht werden kann.
Die Adressatinnen und Adressaten
des lk Doppelwerkes
Hat Lukas für Nicht-Christen oder Christen geschrieben?
War Theophilus Christ oder war er Heide, sei es, dass Lukas ihn für
den Glauben gewinnen wollte, sei es, dass er ein hoher römischer
Beamter war, bei dem Lukas das Christentum gegenüber Verdächtigung
verteidigen oder gar vor Verfolgung schützen wollte?
Einerseits will Lukas das Christentum für Gebildete interessant machen.
Andererseits setzt er in seinem Evangelium kirchliche Binnensprache aus,
ohne sie eigens zu erklären, etwa Begriffe wie "Menschensohn",
"Buße" - eine in der paganen Antike philosophisch wenig
geschätzte, weil mangelnde vorhergegangene Reflexion offenbarende
Verhaltensweise. Lukas hat demnach vermutlich für christliche Leser
geschrieben.
Grobgliederung des Lukasevangeliums:
1,1-9,50 als Beschreibung der Identität Jesu
1,1-4 Prolog: Die schriftstellerische Absicht des Lukas
1,5 - 2,52 Vor- und Kindheitsgeschichten
3,1-4,15 Vorbereitung des öffentlichen Wirkens
Jesu
4,16-9,50 Jesu Wirken in Galiläa
9,51-19,27 Darstellung der Lehre Jesu für die nachösterliche
Zeit
Die Abgrenzung am Ende ist umstritten .
19,28-24,53 Bericht über Jesu letzten Lebenstage.
19,28-21,38 Die letzten Tage Jesu vor der Passion
22,1-24,53 Die lk Passions- und Ostergeschichte
Feingliederung des Lukasevangeliums
1,1-4 |
Prolog: Die schriftstellerische Absicht
des Lukas |
|
1,5 - 2,52 |
Vor- und Kindheitsgeschichten |
|
1,5-25 |
Ankündigung der Geburt des Täufers |
|
1,26-38 |
Ankündigung der Geburt Jesu |
|
1,39-56 |
Besuch der Maria bei Elisabeth |
|
1,41-45 |
Huldigung gegenüber dem noch
ungeborenen Jesuskind |
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1,46-55 |
Magnificat |
|
1,57-66 |
Geburt des Täufers |
|
1,67-80 |
Lobpreis des Zacharias |
|
1,68-79 |
Benedictus |
|
2,1-21 |
Geburt und Beschneidung |
|
2,22-40 |
Jesus im Tempel. Simeon und Hanna |
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2,29-32 |
Canticum Simeonis |
|
2,34f. |
Die zweite Prophetie Simeons, die
Reaktion Israels auf Jesus betreffend |
|
2,41-52 |
Der zwölfjährige Jesus im
Tempel |
|
Sinn der Vorgeschichten:
In Jesus erfüllt sich die Erwartung Israels, aber
Israel wird gespalten darauf reagieren (zweite Prophetie Simeons, die
durch den Gang der Ereignisse vor allem ab Lk 7,1 bestätigt wird).
Das Verhältnis zwischen Jesus und dem Täufer lässt sich
mit dem Begriff der überbietenden Kontinuität beschreiben: Einerseits
ist Jesus mehr als der Täufer (er ist vom Heiligen Geist gezeugt,
ihm wird schon vor seiner Geburt gehuldigt; seine Geburt wird im Himmel
besungen), andererseits ist der Täufer positives Glied in der Geschichte
Gottes mit seinem Volk.
Die römischen "Kaiser"
zwischen 30 v. Chr. und 138 n. Chr.
Die Bezeichnung "Kaiser" ist insofern unangemessen,
als das Kaisertum zu der hier interessierenden Zeit nie verfassungsmäßig
abgesichert war; in der althistorischen Forschung spricht man deshalb
eher vom princeps als vom Kaiser. Die Machtfülle des princeps beruhte
darauf, dass er mehrere wichtige Ämter aus der Zeit der römischen
Republik in seiner Person vereinigte. Lediglich aus Gründen der Konvention
wird i.f. die übliche Bezeichnung "Kaiser" beibehalten.
Die julisch-klaudische
Dynastie |
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Geschichte Israels
und der Kirche |
Augustus 30 v. Chr.-
14 n. Chr |
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Einführung
des Zensus 6 n. Chr.; Entstehung . der Partei der Zeloten |
Tiberius 14-37 n.
Chr. |
|
26-36 Pilatus Prokurator,
um 30 Tod Jesu
33(?) Berufung des Paulus |
Caligula 37-41 n.
Chr. |
|
Unruhen in Alexandria
und Jerusalem
41-44 n. Chr. Agrippa I. Israel und Juda sind letztmals politisch
selbständig von Roms Gnaden. Nach Agrippas Tod wieder Umwandlung
in eine Provinz |
Claudius 41-54 n.
Chr. |
|
vermutlich 49 Vertreibung
der Juden aus Rom (Unruhen aufgrund eines gewissen Chrestos)
Paulus beginnt ca. 49 seine Mission in Europa |
Nero 54-68 n. Chr.
|
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Seneca (erzwungener
Selbstmord 65)
Brand Roms, Christenverfolgung (u.a. Paulus Petrus)
ab 66 n. Chr. Jüdischer Krieg. |
Galba, Otho, Vitellius
68/69 n. Chr. |
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Die flavische
Dynastie |
Vespasian 69-79
n. Chr. |
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70 Zerstörung
Jerusalems durch den Feldherrn und nachmaligen Kaiser Titus |
Titus 79-81 n. Chr. |
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Domitian 81-96 n.
Chr. |
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Die sog. Adoptivkaiser
(Vorgänger adoptiert den designierten Nachfolger auch zum eigenen
Sohn) |
Nerva 96-98 n.
Chr. |
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Trajan 98-117 n.
Chr. |
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Hadrian 117-138
n. Chr. |
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erneuter jüdischer
Krieg 132-135 n. Chr., nochmalige Zerstörung Jerusalems |
Die politischen Verhältnisse in Israel zur Zeit
Jesu sind in Lk 3,1 richtig benannt: Zur Zeit der öffentlichen Wirksamkeit
Jesu gehörte Galiläa zum Herrschaftsgebiet des Herodes Antipas
(4 v. - 39 n. Chr.), eines Sohnes Herodes' d. Gr., Samaria und Judäa
hingegen waren (seit 6 n. Chr.) kaiserliche Provinz minderen Ranges (s.u.
zu Pontius Pilatus).
3,1-4,15 |
Vorbereitung des öffentlichen
Wirkens Jesu |
|
3,1-20 |
Verkündigung und Geschick des
Täufers |
Mk 1,2-8; Mt 3 |
Johannes der Täufer
Johannes der Täufer gehört zu den wenigen
Figuren der biblischen Geschichte, wo uns ein unmittelbarer Vergleich
biblischer und anderer zeitgenössischer Aussagen möglich ist.
Sie betreffen die für ihn typische Tätigkeit ebenso wie sein
gewaltsames Lebensende.
Nach dem, was wir aus der Bibel und aus Josephus, Antiquitates 18,116-119
über ihn wissen, hat er an freiwilligen Taufbewerbern die einmalige
rettende Reinigungstaufe zur Vergebung der Sünden angesichts des
kommenden Feuerrichters gespendet. Seine Tauftätigkeit war dasjenige,
wodurch er im Rahmen des damaligen Judentums auffiel, der Beiname "der
Täufer", vom Neuen Testament in Mk 6,25; Mt 11,11 sowie von
Josephus Ant 18,116 einmütig bezeugt, verweist darauf.
Bei Josephus, Antiquitates 18,116-119 wird Johannes der Täufer geschildert
als "ein edler Mann, der die Juden anhielt, nach Vollkommenheit zu
streben, indem er sie ermahnte, Gerechtigkeit gegeneinander und Frömmigkeit
gegen Gott zu üben und so zur Taufe zu kommen. Dann werde, verkündigte
er, die Taufe Gott angenehm sein, weil sie dieselbe nur zur Heiligung
des Leibes, nicht aber zur Sühne für ihre Sünden anwendeten;
die Seele nämlich sei dann ja schon vorher durch ein gerechtes Leben
entsündigt" (Antiquitates 18,117). Der Täufer übt
nach Josephus eine gewaltige Anziehungskraft auf das Volk aus; Herodes
Antipas sieht darin nur die Gefahr des Aufruhrs und lässt ihn auf
die Festung Machärus bringen und dort umbringen (Antiquitates 18,118f.);
die Niederlage des Antipas gegen den Araberkönig Aretas wird aber
von vielem im Volk als gerechte Strafe Gottes empfunden (Antiquitates
18,116).
So bestehen Gemeinsamkeiten zwischen Josephus und neutestamentlichen Texten:
- Der Beiname "der Täufer"
- Die Anziehungskraft auf
das Volk (vgl. Mk 1,5 parr. mit Josephus, Ant 18,116).
- Der generelle Zusammenhang
zwischen Taufe und Heiligtum des eigenen Lebens
- Die Tatsache des gewaltsamen
Todes
Doch bestehen auch Divergenzen zwischen Josephus und
den neutestamentlichen Texten:
- Die Taufe gilt nach Josephus
nicht als Sühne für die Sünden, sondern als Bekenntnisakt
der bereits vollzogenen ethischen Umkehr. Josephus dürfte hier
für griechische Leser den Sachverhalt pointiert dargestellt haben.
- Johannes wird nach Josephus
wegen seiner Anziehungskraft auf das Volk, nach Mk 6,14-29 parr. wegen
seiner Kritik an des Antipas illegitimer Ehe hingerichtet. Hierin dürfte
Josephus historisch richtig gesehen haben. - Auch die Ortsangaben harmonieren
nicht.
Das Verhältnis Johannes des Täufers und Jesu
von Nazareth
Dass sich Jesus von Johannes taufen ließ, dürfte historisch
zutreffen. Historisch richtig dürfte ebenfalls sein, dass Jesus zeitlebens
eine hohe Meinung von dem Täufer hatte. Historisch gesehen problematisch
ist hingegen der Versuch, den Täufer zu einem "Vorläufer"
Jesu zu machen, denn:
- Nach Lk 3,7-9 hat der Täufer
wohl Gott selbst als den kommenden Feuerrichter erwartet, nicht eine
von ihm unterschiedene Gestalt.
- Die Perikope Lk 7,18-23
parr. verweist auf Spannungen zwischen dem Täufer und Jesus.
Dennoch ist die Haltung der neutestamentlichen Schriftsteller,
den Täufer betreffend, mit dem Begriff des Vorläufers m.E. nur
unzureichend wiedergegeben. Einerseits überbietet Jesus den Täufer,
insofern er der endgültige, nicht der nur vorläufige Gottesbote
ist (deshalb wird der Täufer, nicht Jesus selbst mit dem wiederkommenden
Elia identifiziert; Mk 9,11-13), andererseits wird Jesu Verkündigung
auch als Weiterführung der Verkündigung des Täufers begriffen
(vgl. Mt 3,2 mit Mt 4,17): der Täufer fordert von Israel ebenso die
Frucht der Buße (Mt 3,8), wie die Jünger durch Jesu Verkündigung
zu solchem Tun des Willens Gottes gefordert sind (Mt 7,21-23); beide mahnen
zur Barmherzigkeit und warnen vor der Selbstsicherheit (vgl. Lk 3,11/6,37
sowie Lk 3,8/6,46). Die Täuferanfrage gibt nach Jesu Worten nicht
das Recht, die Sendung des Täufers in Frage zu stellen (Lk 7,24-35).
So gilt: Wer das Wirken des Täufers bejaht, kann Jesu Wirken nicht
ablehnen (Mk 11,28.30).
Theologisch lässt sich das Verhältnis zwischen Jesus und dem
Täufer nicht in der Weise simplifizieren, dass man den Täufer
als bloßen Gerichtsprediger, Jesus als den bloßen Prediger
des Heils bezeichnet. Jesus hat auch Gericht gepredigt. Gleichwohl zählt
die Frage nach dem Übergang des Täuferschülers Jesus von
Nazareth zu einer Predigt, die auch Heil verkündigt, hinsichtlich
Zeitpunkt und Motivation dieses Überganges zu den ungelösten
Fragen der Jesusforschung.
Die Johannestaufe und die spätere christliche Taufe
sind in mehrerlei Hinsicht vergleichbar:
- Die Johannestaufe ist mit
der Forderung der Umkehr verbunden (Mk 1,4; vgl. die allgemeine Charakterisierung
des Johannes als eines Bußpredigers Mt 3,7-10). Dieser Ruf zur
Umkehr verheißt Rettung vor dem endgültigen Zornesgericht
Gottes (Lk 3,9.17).
- Der Täufling taufte
sich nicht selbst; die Handlung wurde durch den Täufer vollzogen.
- Die Taufe wurde aufgrund
des freiwilligen Kommens der Taufbewerber vollzogen.
- Sie war ein einmaliger Ritus.
So hat die christliche Taufe ihre religionsgeschichtlichen
Wurzeln wohl in der Johannestaufe.
3,21f. |
Taufe Jesu |
Mk 1,9-11 |
3,23-38 |
Ahnenreihe Jesu |
vgl. Mt 1,1-17 (Differenzen) |
4,1-13 |
Versuchung Jesu |
Q, vgl. Mt 4,1-11 |
4,14f. |
Summarium |
|
Sinn dieser Kapitel: Die Verkündigung des Täufers
führt auf die Verkündigung des irdischen Jesus hin, die inhaltlich
in Kontinuität zu der des Täufers steht. Der Stammbaum hat sein
Ziel in den beiden Schlussgliedern: 1. Jesus ist Sohn Adams, von daher
mit allen Menschen verbunden; allen Menschen gilt das Heil; 2. Jesus ist
auch seinem Herkommen nach Sohn Gottes, wie die Heroen der griechischen
Umwelt physisch von den Göttern abstammen. Dass Gott eigentlich der
Schöpfer, nicht der Vater Adams ist, weiß Lukas (Apg 17,24.26.28f.),
doch kommt es ihm hier darauf nicht an.
4,16-9,50 |
Jesu Wirken in Galiläa |
|
4,16-6,49 |
Jesu Wirken vor dem noch ungeteilten
Israel |
|
4,16-30 |
Verwerfung in Nazareth |
Mk 6,1-6 (umgestellt!) |
4,31-37 |
Exorzismus |
Mk 1,21-28 |
4,38f. |
Heilung der Schwiegermutter des Petrus |
Mk 1,29-31 |
4,40f. |
Summarium |
Mk 1,32-34 |
4,42-44 |
Weiterzug nach Judäa |
Mk 1,35-38 |
5,1-11 |
Fischzug des Petrus |
Sondergut (= SoG) |
5,12-16 |
Heilung des Aussätzigen |
Mk 1,40-45 |
5,17-26 |
Heilung des Gelähmten |
Mk 2,1-12 |
5,27-32 |
Berufung des Levi und Zöllnergastmahl |
Mk 2,13-17 |
5,33-39 |
Fastenfrage |
Mk 2,18-22 |
6,1-5 |
Ährenraufen am Sabbat |
Mk 2,23-28 |
6,6-11 |
Heilung am Sabbat |
Mk 3,1-6 |
6,12-16 |
Berufung der zwölf Jünger |
Mk 3,13-19 |
6,17-19 |
Summarium |
Mk 3,7-9 |
6,20-49 |
Feldrede |
Q, vgl. Mt 5 - 7 |
6,20-23 |
Seligpreisungen |
Q, vgl. Mt 5,3-12 |
6,24-26 |
Weherufe |
SoG |
6,27-35 |
Feindesliebe |
Q, vgl. Mt 5,39-48 |
6,36-42 |
gegen das Richten |
Q, vgl. Mt 7,1-5 |
6,43-46 |
Vom Tun des göttlichen Willens |
Q, vgl. Mt 12,33-35 |
6,47-49 |
vom Haus auf dem Felsen |
Q, vgl. Mt 7,24-27 |
In Lk 4,16-6,49 folgt Lukas dem Aufbau des Markus, allerdings
mit folgender Änderung: Die Verwerfungsszene Mk 6,1-6a wird an den
Anfang des öffentlichen Wirkens Jesu gestellt, um in linearer geschichtlicher
Perspektive den Richtungssinn des Geschehens festzuhalten: Ein Großteil
Israels wird Jesus und die Verkündigung der Christen ablehnen.
Anders als bei Matthäus steht die Berufung der zwölf Jünger
vor der Feldrede. Die Apostel als die Augenzeugen = Garanten der Tradition
(Apg 1,21f.) sollen Jesu Lehre von Anfang an mitbekommen haben.
7,1-9,50
|
Spaltung
in Israel aufgrund des Wirkens Jesu |
|
7,1-10
|
Hauptmann
zu Kapernaum |
Q,
vgl. Mt 8,5-13 |
7,11-17
|
Jüngling
zu Nain (Totenerweckung) |
SoG |
7,18-35
|
Täuferanfrage und Jesu
Zeugnis über den Täufer |
Q,
vgl. Mt 11,2-24 |
7,36-50
|
Salbung
durch die Sünderin |
(Mk 14,3-9?) |
8,1-3
|
Nachfolgerinnen
Jesu |
SoG |
8,4-18
|
Gleichnisrede |
Mk 4
i.A. |
8,4-8
|
Gleichnis
vom Sämann |
Mk 4,3-9 |
8,9-10
|
Sinn
der Gleichnisse |
Mk 4,10-12 |
8,11-15
|
Deutung
des Sämannsgl. |
Mk 4,13-20 |
8,16-17 |
Gleichnis
vom Licht |
Mk 4,21-25 |
8,18 |
Mahnung
zum rechten Hören |
|
8,19-21
|
Jesu
wahre Verwandte |
Mk 3,32-35 |
8,22-25
|
Stillung
des Sturmes |
Mk 4,35-41 |
8,26-39
|
Heilung
des Geraseners |
Mk 5,1-20 |
8,40-56
|
Tochter
des Jairus/blutflüssige Frau |
Mk 5,21-43 |
9,1-6
|
Aussendung
der zwölf Jünger |
Mk 6,7-13 |
9,7-9
|
Herodes
und Jesus |
Mk 6,14-16 |
9,10-17
|
Speisung
der 5000 |
Mk 6,31-44 |
---
|
|
|
9,18-22
|
Petrusbekenntnis/erste
Leidensankündigung |
Mk 8,27-33 |
9,23-27
|
Leidensnachfolge |
Mk
8,34-38 |
9,27-43a
|
Heilung
des epileptischen Knaben |
Mk
9,14-29 |
9,43b-45
|
zweite
Leidensankündigung |
Mk
9,30-32 |
9,46-50
|
Rangstreit
der Jünger |
Mk
9,33-50 |
Tendenz dieses Abschnittes:
- Die Spaltung in Israel wird
in Lk 7 anhand einiger Erzählungen thematisiert, die den Prophetentitel
enthalten. Jesus ist nach Lukas auch ein Prophet, der u.a. die Zerstörung
Jerusalems ankündigt.
- Lukas kann in diesem Abschnitt
sachlich begründet in Lk 8,4-9,50 die Anordnung nach Markus (Mk
4,1-6,44; 8,27-9,50) beibehalten, weil schon diese Stücke größtenteils
eine besprochene bzw. erzählte negative Reaktion auf Jesus enthalten
bzw. voraussetzen.
- Zur Umstellung von Mk 6,1-6a
s.o. Die Erzählung von der wahren Verwandtschaft Jesu wird von
ihrem ursprünglichen Zusammenhang mit der Beelzebulkontroverse
getrennt und als Erläuterung des richtigen Hörens Lk 8,18
nach der Gleichnisrede eingeordnet.
- Ansonsten fallen stilistische
Verbesserungen (der See Genezareth wird als "See", nicht mehr
als "Meer" bezeichnet) und szenische Verknüpfungen (Lk
9,31 verbindet das Verklärungs- mit dem Passionsgeschehen) auf.
9,51-19,27 Der sog. Reisebericht
als Zurüstung der Gemeinde für die nachösterliche Zeit
Aufgrund der weitgehenden kompositorischen Bindung des
Lukas an seine Quellen wird die Frage nach der Feingliederung nicht im
Sinne eines logischen gedanklichen Fortschreitens zu beantworten sein.
Auch lässt sich von daher verstehen, dass thematisch verwandte Texte
wie Lk 16,19-31 und Lk 18,18-23 nicht zusammengeordnet wurden. Als Gliederungssignale
für die Grobgliederung gelten zumeist die lk Notizen, die daran erinnern,
dass sich Jesus auf Wanderschaft befindet, in Lk 13,22 und Lk 17,11.
Wichtiger ist die Frage, unter welchen Gesichtspunkten Lukas seine Stoffe
neu bearbeitet hat. Aufschluss darüber können geben:
- die möglichen Motive
der Integration von Sondergutstoffen und Q-Stoffen
- die aus dem Vergleich mit
Matthäus zu erhebenden lk Zusätze.
- Gelegentlich auch der Wechsel
der Anrede, d.h. der Übergang von der Belehrung der Gegner oder
des Volkes zur Belehrung der Jünger.
Dabei werden Unsicherheiten bleiben, denn
- ist eine Kürzung ganzer
Q-Texte durch Matthäus nicht auszuschließen, so dass einiges,
was wir heute dem Sondergut des Lukas zuschreiben, auch aus Q stammen
könnte,
- ist nicht immer zu erweisen,
dass innerhalb von Q-Texten lk Erweiterungen gegenüber den Matthäusparallelen
auf die lk Redaktionsarbeit zurückgehen müssen; es könnte
auch eine mt Kürzung oder eine Überarbeitung QLk für
die Divergenz verantwortlich sein.
- gelegentlich kennt auch
Lukas Umstellungen gegenüber Q, so z.B. zu Lk 11,49-51; 13,34f.;
hier dürfte Matthäus die ursprüngliche Reihenfolge bewahrt
haben (James Robinson).
- Auch der Wechsel der Adressaten
kann quellenbedingt sein.
Zwei Ebenen sind zu unterscheiden: Auf der Geschehensebene
ist neben der Belehrung der Jünger auch die Auseinandersetzung mit
(Teilen von) Israel von Bedeutung, auf der textexternen Ebene die Zurüstung
der Gemeinde für die nachösterliche Zeit, für die das Versagen
von Teilen Israels paränetisches Negativbeispiel ist.
9,51 |
Einleitung |
|
9,52-56 |
Verwerfung in Samaria |
SoG |
9,57-62 |
Nachfolgesprüche |
Q - Mt 8,19-22 |
10,1-12 |
Aussendung der Siebzig |
|
10,13-16 |
Weherufe über Bethsaida ... |
Q - Mt 11,20-24 |
10,17-24 |
Wiederkehr der Siebzig |
Q - Mt 11,25-27 |
|
Die Situation Lk 9,52-56 ist paradigmatisch
für die Situation der in 10,1-24 ausgesandten Jünger: Sie
erleben größtenteils nichts anderes als Jesus damals in
Samaria. |
|
10,25-37 |
Barmherziger Samariter |
SoG |
10,38-42 |
Maria und Martha |
SoG |
11,1-13 |
Jesus lehrt Beten
Jesus selbst wird als Beter vorgestellt: Lk 3,21; 5,16; 6,12; 9,18;
9,28f.; 11,1; 23,46 |
Q (Mt 7,7-11) und
SoG |
11,2-4 |
Vater Unser |
Q - Mt 6,9-13 |
11,14-28 |
Beelzebulkontroverse |
Q - Mt 12,22-37 |
11,29-36 |
Zeichenforderung |
Q - Mt 12,38-45 |
11,37-54 |
gegen die Pharisäer |
Q - Mt 23 |
12,1-12 |
Mahnung zum Bekennen |
Q - Mt 10,26-33 |
|
Tun des göttlichen Gebotes, Hören
des Wortes Jesu, Beten in der Gewissheit der Erhörung sind Kennzeichen
christlichen Lebens und immunisieren zugleich gegen die folgenden
Vorwürfe, denen gegenüber das Bekenntnis gilt. Nicht das
Christentum ist illegitim, sondern die Haltung der Pharisäer.
Lk 10,38-42 hat Lukas möglicherweise als Veranschaulichung der
ersten Hälfte des Liebesgebotes (Lk 10,27a) an dieser Stelle
eingeordnet. |
|
12,13-21 |
Der reiche Kornbauer |
SoG |
12,22-34 |
Vertrauen auf Gott |
Q - Mt 6,25-34.19-21 |
12,35-48 |
Seid bereit, Gott zu erwarten |
Q - Mt 24 |
12,49-53 |
Jesus bringt Kampf |
Q - Mt 10,34-36 |
12,54-59 |
"Zeichen der Zeit" |
Q - Mt 5,25f |
13,1-5 |
Unglück, Schicksal und Buße |
SoG |
13,6-9 |
Gleichnis vom Feigenbaum |
SoG |
Redaktionell ist die kompositionelle Integration der
Sonderguttexte am Anfang und am Schluss:
1. Der Gegensatz zu der den Jüngern anempfohlenen Haltung des Gottvertrauens
ist die Habsucht (Lk 12,13-21).
2. Die Mahnung, die Zeichen der Zeit zu erkennen (vgl. Mt 5,25f.), wird
durch die Integration der Bußmahnungen Lk 13,1-9 verstärkt.
13,10-17 |
Sabbatheilung |
SoG |
13,18-21 |
Senfkorn und Sauerteig |
Q - Mt 13,31-33 |
|
Die Sabbatheilung ist um des Stichwortes
"Lehren" in dem lk-redaktionellen Vers Lk 13,22 willen vor
diese Stelle gesetzt, die beiden Gleichnisse wollen die zu erwartende
Größe dessen veranschaulichen, was in Jesu Wirken begonnen
hat. Jesu heilvolles, die Gottesherrschaft heraufführendes Wirken
in Israel geht weiter |
|
13,22 |
Reisenotiz |
|
13,23-30 |
Ringt darum, selig zu werden! |
Q + Mk 10,31 |
13,31-33 |
Feindschaft des Herodes |
SoG |
13,34f. |
Klage über Jerusalem |
Q - Mt 23,37-39 |
|
Herodes und die Jerusalemer erscheinen
als Negativbeispiele |
|
14,1-6 |
Heilung des Wassersüchtigen am
Sabbat |
SoG |
14,7-11 |
Tischregel |
SoG |
14,12-14 |
Gästeregel |
SoG |
14,15-24 |
Das große Gastmahl |
Q - Mt 22,1-11 |
14,25-35 |
Bedenke die Konsequenzen |
Q - Mt 10,37f.;
SoG |
Das allgemeine Wissen um die Teilnahme Jesu an Gastmahlen
und die Vorlage hinter Q 14,15-24 veranlassten Lukas zur Integration des
Sondergutes:
- Die Heilung während
eines Mahles war wohl schon in der Tradition eine Heilung am Sabbat;
Lukas greift das Konfliktmotiv (V. 1.3) im weiteren Verlauf von Lk 14
nicht mehr auf.
- Die Tischregel Lk 14,7-11
mag als profane Klugheitsregel integriert worden sein, wobei allerdings
die Mahnung zur Demut dem Menschen auch sonst wohl ansteht.
- Die Gästeregel Lk 14,12-14
gewinnt durch V. 14 einen Bezug zum Thema von Lk 13,24.
- Lukas hat in Lk 14,25-35
Einzelworte kombiniert und als Gegenstück zu Lk 14,15-24 eingestellt:
So unbegrenzt der Heilswille Gottes ist, so wenig ist das Heil voraussetzungslos.
Zu Lk 14,25-35 vgl. Epiktet,
Diss III 15,8-12.
Mensch, prüfe zuerst, was das ist (scil. die
Philosophie, deren Lebensweise du dich zuwenden willst), dann auch deine
eigene Natur, was du tragen kannst. ... Du denkst, du könntest
genauso essen, genauso trinken, ähnlich zornig sein, ähnlich
unzufrieden sein (wie bisher)? Wachen muss man, Mühen ertragen,
gewisse Begierden besiegen, seine Hausgenossen verlassen, sich von einem
Jüngling verachten lassen, von denen, die einem begegnen, sich
auslachen lassen, in allem weniger haben, an Ehre, an Reichtum, an Recht
(vor Gericht). Wenn du dies geprüft hast, ob es dir gut scheint,
dann tritt herzu, wenn du dafür Leidenschaftslosigkeit, Freiheit,
Unerschütterlichkeit eintauschen willst. Wenn aber nicht, dann
tritt nicht herzu, damit du nicht wie die Kinder jetzt Philosoph, später
aber Steuereinnehmer, danach Redner, danach Verwalter des Kaisers sein
willst.
15,1-7 |
Verlorenes Schaf |
Q - Mt 18,12-14
|
15,8-10 |
Verlorener Groschen |
SoG |
15,11-32 |
Verlorener Sohn |
SoG |
|
Diese Gleichnistrilogie verteidigt
gegenüber Gegnern die von Jesus mit Wort und Tat (vgl. Lk 5,27-32)
zum Ausdruck gebrachte Haltung, dass auch "Zöllner und Sünder"
zu Israel bzw. zur Gemeinde gehören: Über ihre Buße
ist Freude angebracht (Lk 15,7.10.32). |
|
16,1-9 |
vom ungerechten Haushalter |
SoG |
16,10-13 |
von der Treue im Geringen |
SoG + Q - Mt 6,24 |
16,14f. |
Geldgier und Selbstgerechtigkeit der
Pharisäer |
|
16,16 |
Stürmerspruch |
Q - Mt 11,12 |
16,17 |
Geltung des Gesetzes |
Q - Mt 5,18 |
16,18 |
gegen die Ehescheidung |
vgl. Mk 10,9 |
16,19-31 |
armer Lazarus |
SoG^ |
17,1-4 |
Warnung vor Ärgernis; Mahnung
zur Vergebung |
Mk 9,42; Q - Mt
18,15 |
17,5f. |
Stärkung des Glaubens |
vgl. Mk 11,23 |
17,7-10 |
unnützer Knecht |
SoG |
In Lk 16 kommt zweifellos eines der lk Lieblingsthemen
zur Sprache, schwieriger ist es, die kompositorische Arbeit des Evangelisten
im nachhinein zu erkennen. Ersichtlich ist, dass Lk 16,9-13 aufgrund des
Stichwortes "Mammon" zusammenstehen; auch dürfte Lk 16,9
schon vorlk als (bereits die zweite?) sekundäre Deutung an das Gleichnis
Lk 16,1ff. angeschlossen worden sein. Das Stichwort Mammon veranlasste
Lukas zur Zusammenordnung der in Lk 16 genannten Stücke, die Polemik
gegen die Pharisäer eröffnet kompositorisch die Möglichkeit,
auch die Problematik des Reichtums von der Thora her zu beleuchten. Die
Thora und die Propheten gelten bis Johannes. Die dann verkündigte
Gottesherrschaft hebt die Thora nicht einfach auf (16,17), sondern kann
sie noch verschärfen, wie an Jesu Stellungnahme gegen die Ehescheidung
ersichtlich ist (Lk 16,18 vgl. als Gegenstück dazu Dtn 24,1-4!).
Die Geldgier der Pharisäer - und der Christen (!) - ist schon von
der Thora her verwerflich (Lk 16,19-31).
Die Haltung der Jünger ist als Gegenbild zu derjenigen der Pharisäer
gezeichnet: Sie sollen nicht Anstoß geben, dass jemand vom Glauben
abfällt, sie sollen vergeben (vgl. Lk 15,1f.), sie dürfen sich
des Beistandes Gottes gewiss sein, und sie sollen sich auf ihren Gehorsam
nichts zugute halten (vgl. Lk 16,15). Entsprechende Mahnungen gibt es
auch in der rabbinischen Tradition: R. Jochanan ben Zakkai (20-90 n. Chr.)
warnt: "Wenn du viel Thora gelernt hast, dann halte dir darauf nichts
zugute, denn dazu wurdest du geschaffen" (Abot II,8).
17,11 |
Reisenotiz |
|
17,11-19 |
Heilung der zehn Aussätzigen
SoG
Die Geschichte ist hier eingeordnet, weil sie das Miteinander von
Samaritanern und Nicht-Samaritanern enthält. Die Ortsangabe,
verglichen mit Lk 9,52 zeigt, dass dem Evangelisten die tatsächlichen
geographischen Verhältnisse, Samaria und Galiläa betreffend,
nicht vertraut waren |
|
17,20f. |
Wann kommt die Gottesherrschaft? |
|
17,22-37 |
Parusieverzögerung |
Mk 13 i.A. |
18,1-8 |
Die bittende Witwe |
SoG |
18,9-14 |
Pharisäer und Zöllner |
SoG |
Pharisäer
Der Begriff "Pharisäer", in seiner
griechischen Form nur im Neuen Testament und bei Josephus belegt, ist
ein Musterbeispiel dafür, wie kirchliche Tradition uns ein bestimmtes
historisch fragwürdiges Bild der Dinge vermittelt, bis in unseren
Sprachschatz hinein, das eine für das Judentum verheerende und
uns Christen beschämende Wirkungsgeschichte nach sich zog, indem
der Pharisäer, dem in kritikloser Übernahme der neutestamentlichen
Aussagen Heuchelei und Kleinlichkeit nachgesagt wurde, vor allem in
der frühen Neuzeit zum Bild des Juden schlechthin geworden ist.
Die Hauptprobleme der historischen Rekonstruktion sind: Die uns identifizierbaren
Quellen schreiben in gräzisierender Tendenz (Josephus) oder sind
zumeist polemisch gefärbt (NT), der Reichtum der uns erhaltenen
frühjüdischen Schriften außer Josephus, Philo, Sirach,
ist nur bedingt verwertbar, da diese Quellen meist keinen historisch
fassbaren Personen zugewiesen werden können und nie genau datiert
sind.
Die Geschichte der Pharisäer ist in der Frühzeit in manchem
spiegelbildlich zu der Geschichte der Sadduzäer zu schreiben. Unter
Joh Hyrkan I. kam es zu einem schweren Zerwürfnis zwischen dem
hasmonäischen Königshaus und Pharisäern; unter Alexander
Jannai (103-76 v. Chr.) spitzte sich das Verhältnis weiter zu,
vor allem, als dieser nach einer verlorenen Schlacht gegen den Seleukidenkönig
Demetrios mitten in Jerusalem 800 Kriegsgefangene vornehmlich aus den
Reihen der Pharisäer kreuzigen ließ (Josephus, BJ 1,97).
Unter seiner Gemahlin und Nachfolgerin Salome Alexandra ändert
sich das Bild; Pharisäer nehmen gewichtigen Einfluss auf ihre Regierung.
Ob sie auch zur Zeit Jesu solche politische Aktivität entfaltet
haben, ist ebenso umstritten wie die Frage nach ihrer Verbreitung im
Volk und ihrem Einfluss auf das Volk.
Pharisäer galten als verständige Thorainterpreten, wobei Interpretation
hier Exegese und Weiterentwicklung in gleichem Maße umgreift.
Dem Bestreben, ganz Israel zu der in der Thora intendierten kultischen
Reinheit des Gottesvolkes zu führen, verdankt sich die Übertragung
der ursprünglich auf Priester bezogenen Reinheitsvorschriften auch
auf den Alltag der Laien. Josephus und das Neue Testament schreiben
ihnen die Vorstellung der doppelten Auferweckung der Toten zu, der Guten
zum ewigen Leben, der Bösen zum Gericht.
Soziologisch läßt sich erkennen: 1. Die Pharisäer sind
keine Priester, sondern Laien; 2. sie entstammen nicht den wirtschaftlich
führenden Schichten des Landes; 3. sie sind, anders als die Sadduzäer
(s. zu Mk 12,18-27) nicht auf Jerusalem konzentriert, sondern begegnen
auch in Galiläa als Teil der dortigen Bevölkerung. Ob es auch
Pharisäer in der jüdischen Diaspora gegeben hat, ist historisch
umstritten.
Das Verhältnis der Pharisäer zur Jesusbewegung war nicht von
Anfang an so gespannt, wie es uns die Evangelien darstellen:
1. Jesus gehörte wie die Pharisäer nicht der Oberschicht an,
wie die Pharisäer hatte er den Anspruch, das ganze Volk Israel
zu sammeln. Unterscheidungspunkt war allerdings das jeweilige Reinheitsverständnis,
und entsprechende Konflikte sind uns durch das Markusevangelium (Mk
2,13-28) wie durch die Logienquelle (Lk 11,3951) bezeugt.
2. In der Bejahung der Totenauferweckung kommt Jesus prinzipiell mit
den Pharisäern überein (Mk 12,18-27).
3. Pharisäer werden in den ältesten Passionsberichten nicht
als Gegner Jesu erwähnt.
4. Lukas erwähnt christliche Pharisäer (Apg 15,5), deren Position
er nicht teilt, denen er aber auch nicht das Christsein abspricht.
5. Es sind vermutlich Pharisäer, die dagegen protestieren, als
der sadduzäische Hohepriester Ananus 62 n. Chr. den Herrenbruder
Jakobus steinigen läßt (JosAnt 20,200). Ananus stolpert über
diesen Fall.
Literatur zur Weiterarbeit: Stemberger, G., Pharisäer, Sadduzäer,
Essener, SBS 144, Stuttgart 1991.
18,15-17 |
Segnung der Kinder |
Mk 10,13-16 |
18,18-23 |
der reiche Obere |
Mk 10,17-22 |
18,24-30 |
Lohn der Nachfolge |
Mk 10,23-31 |
18,31-34 |
dritte Leidensankündigung |
Mk 10,32-34 |
18,35-43 |
Blindenheilung |
Mk 10,46-52 |
19,1-10 |
Zachäus |
SoG |
19,11-27 |
die anvertrauten Pfunde |
Q - Mt 25,14-30 |
Der Abschnitt ist durch die Frage nach dem Zeitpunkt
der Gottesherrschaft zusammengehalten; dass Lk 19,11-27 an dessen Ende
steht, ist damit begründet, dass Lukas vor einem Missverständnis
des Einzuges Jesu in Jerusalem warnen will, weswegen die Szene in relativer
geographischer Nähe spielen muss. Im Inneren des Abschnittes ist
die Reihenfolge durch die Markusvorlage vorgegeben; die Integration des
bekannten und wirkungsgeschichtlich problematischen Textes Lk 18,9-14
an die jetzige Stelle ist dadurch bedingt, dass in diesem Text wie in
Lk 18,15-17 analog zwei Haltungen als Kontrast gegenüber gestellt
werden. Die Einordnung der Zachäusperikope verdankt sich dem Ortsnamen
"Jericho".
Lk 9,51 - 18,14 bezeichnet literarkritisch die große
lukanische Einschaltung, d.h. in diesem Abschnitt werden vorzugsweise
Materialien aus Q und aus dem Sondergut integriert, bevor Lukas ab Lk
18,15 wieder der Markusvorlage folgt. Kompositionell ist aber der Übergang
von Lk 18,14 zu Lk 18,15 nicht wesentlich.
19,28-24,53 Jesus in Jerusalem
Lk 19,28-21,38 Die letzten Tage Jesu vor der Passion
19,29-40 |
Einzug in Jerusalem |
Mk 11,1-11 |
19,41-44 |
Klage über Jerusalem |
SoG |
19,45-48 |
Tempelreinigung |
Mk 11,15-19 |
20,1-8 |
Vollmachtsfrage |
Mk 11,27-33 |
20,9-19 |
Winzergleichnis |
Mk 12,1-12 |
20,20-26 |
Kaisersteuer |
Mk 12,13-17 |
20,27-40 |
Sadduzäerfrage nach Auferstehung |
Mk 12,18-27 |
20,41-44 |
Davidssohnfrage |
Mk 12,35-37 |
20,45-47 |
Warnung vor den Schriftgelehrten |
Mk 12,38-40 |
21,1-4 |
Scherflein der Witwe |
Mk 12,41-44 |
21,5-36 |
Endzeitrede |
Mk 13 |
21,37f. |
Jesus im Tempel |
|
Lukas folgt in Lk 19,28-24,12 dem Markusaufriss, integriert
jedoch zwei zusätzliche Texte, Lk 19,41-44; 23,27-31, nämlich
das erste (Lk 19,41-44) und das letzte (Lk 23,27-31) Wort Jesu über
Jerusalem. Beide Texte klagen über dessen selbstverschuldeten Untergang,
begründet in der Ablehnung Jesu. Daneben sind schon für Lk 19,28-21,37f.
einige Eingriffe in die Markusvorlage zu erwähnen:
- Beim Einzug Jesu nach Jerusalem
jubelt nicht das Volk, es jubeln die Jünger. Innerhalb des Einzuges
wird ein Bezug auf Worte der Weihnachtsgeschichte hergestellt. Die Verfluchung
des Feigenbaumes entfällt.
- Lukas gestaltet die letzten
Tage vor der Passion zu einer dem vorherigen Wirken Jesu in Israel gleichwertigen
Zeitspanne. Der Messias lehrt im Tempel das Gottesvolk (Lk 19,47f.).
- Lukas interpretiert die
Jerusalemer Streitgespräche neu, nämlich als Warnung vor der
kommenden Katastrophe Jerusalems, wie auch die große Endzeitrede
Lk 21,4-36 um der Thematik von Lk 21,20-24 willen (Zerstörung Jerusalems)
nicht mehr nur an die Jünger, sondern an das Volk gerichtet ist.
Eschatologie im Lukasevangelium
- Änderungen von Lk 21,5-36 gegenüber Mk 13:
- Lukas fragt nicht mehr nach
der eschatologischen Erfüllung, sondern nach innerweltlichem Geschehen.
- Die Ankündigung der
nahen Parusie wird in Lk 21,8f. als Missverständnis charakterisiert.
Die Tempelzerstörung soll aus dem eschatologischen Zusammenhang
herausgelöst werden (sie liegt ja auch schon 10 - 20 Jahre zurück).
- Bedrängnis und Verfolgung
der Gemeinde werden in Lk 21,12 vor die aus Mk übernommenen Schrecknisse
(Krieg der Völker, Hunger, Pest etc.) gestellt; damit werden die
Endereignisse nochmals hinausgeschoben.
- Lk 21,20-24 blickt auf
die geschehene Tempelzerstörung zurück. Es ist nicht vom "Greuel
der Verwüstung" die Rede.
- Die Parusie ist ein Ereignis
in unbestimmter Ferne. Das hat auch sonst Änderungen im Evangelium
zur Folge: Im Terminwort Lk 9,27 ist gegenüber Mk 9,1 die Wendung
"kommend in Kraft" gestrichen. Die Antwort an die Pharisäer
Lk 17,20f. ist mit den Stichworten "mitten unter euch" Hinweis
auf die Person Jesu; in der Jüngerbelehrung kommt als erste Problemanzeige
der Satz Jesu "es werden Tage kommen, da werdet ihr begehren, einen
der Tage des Menschensohnes zu sehen, und werdet sie nicht sehen".
Die Aussage der baldigen Wiederkunft des Menschensohnes in Mk 14,61f.
ist umgewandelt in eine Aussage über seine himmlische Existenz
Lk 22,69.
22,1-24,53 Die lk Passions- und Ostergeschichte
22,1f. |
Todesbeschluss |
Mk 14,1f. |
22,2-6 |
Verrat des Judas |
Mk 14,10f. |
22,7-13 |
Findung des Abendmahlssaales |
Mk 14,12-16 |
22,14-20 |
Einsetzung des Abendmahles |
Mk 14,22-25 |
22,21-23 |
Ankündigung des Verrates |
Mk 14,17-21 |
22,24-38 |
Gespräche mit den Jüngern |
Mk 10,41-45 |
22,39-46 |
Gethsemane |
Mk 14,32-42 |
22,47-53 |
Verhaftung |
Mk 14,43-52 |
22,54-62 |
Verleugnung |
Mk 14,53f.66-72 |
22,63-71 |
Sanhedrinverhör |
Mk 15,55-65 |
23,1-25 |
Jesus vor Pilatus und Herodes Antipas |
Mk 15,1-15 |
23,26-31 |
Auf dem Weg zum Kreuz |
|
23,32-38 |
Kreuzigung und Verspottung |
Mk 15,20b-32 |
23,39-43 |
die beiden Schächer |
Mk 15,32b |
23,44-46 |
Jesu Tod |
Mk 15,33-38 |
23,47-49 |
Zeugen des Todes Jesu |
Mk 15,39-41 |
23,50-56 |
Grablegung |
Mk 15,42-47 |
|
|
|
24,1-12 |
Auferstehung |
Mk 16,1-8 |
24,13-35 |
Emmaus |
SoG |
24,36-49 |
Erscheinung vor den Elf |
SoG |
24,50-53 |
Himmelfahrt am Ostersonntag Abend
vgl. Apg 1,4-11 Himmelfahrt erst nach 40 Tagen |
SoG |
Für die lukanische
Passionsgeschichte wird gelegentlich neben der Markusvorlage auch eine
eigene Sonderquelle vermutet, m.E. nicht zu Recht. An Änderungen
gegenüber der Markusvorlage ist zu vermerken:
- Lukas gestaltet die Szene
im Abendmahlssaal zu einer weiteren "Gastmahl"-Szene aus.
- Neu eingebracht wird die
Beschuldigung, Jesus habe zur Steuerverweigerung aufgerufen (Lk 23,2).
Diese Beschuldigung ist falsch, wie der Leser aus Lk 20,20-26 weiß.
- Herodes Antipas wird als
Zeuge der Unschuld Jesu benannt (Lk 23,6-12), der Schuldanteil des Pilatus
reduziert: Er fungiert dreimal als Zeuge der Unschuld Jesu (Lk 23,4.14.22).
Die Verspottung Jesu durch die römischen Soldaten (Mk 15,16-20a)
entfällt; Juden sind als Subjekte der Kreuzigung gedacht (Lk 23,25.33).
- Zu Lk 23,27-31 s.o.
- Das Verhalten des einen
Schächers wird als Bekehrung angesichts des Sterbens Jesu, dieser
damit als ein weiser Mann gezeichnet, die christliche Religion damit
als eine auch für Gebildete nicht zu verachtende Bewegung.
- Die Ostererzählungen
sind im Lukasevangelium in und bei Jerusalem lokalisiert, nicht in Galiläa.
In Lk 24,1-12 wird dementsprechend die Ankündigung des Engels am
Grabe abgeändert (Lk 24,6f.), ferner ist von der Verkündigung
der Frauen an die Jünger (diff Mk 16,8) und von deren Unglauben
die Rede. Lk 24,13-35 hilft den Jüngern und den Lesern die Passion
als notwendigen, weil schriftgemäßen Durchgang zur Herrlichkeit
des Auferstandenen verstehen, Lk 23,36-49 korrigiert Missverständnisse
der Auferweckung Jesu, Lk 24,50-53 beschließt mit der Aufnahme
Jesu in den Himmel und dem Lobpreis Gottes durch die Jünger das
Lukasevangelium, "sie lobten Gott" sind dessen letzte Worte.
Pontius Pilatus
Pilatus gehörte dem römischen Ritterstand
an, dem nächsthöheren Stand nach dem princeps und den Senatoren,
und war Parteigänger des judenfeindlichen Sejan, des Präfekten
der Prätorianergarde, der allerdings seinerseits nach einem Versuch
der Verschwörung i. J. 31 n. Chr. hingerichtet wurde. Pilatus
trug, wie eine 1961 in Caesarea gefundene lateinische Inschrift zeigt,
den Titel "praefectus Iudaeae".
Um die uns erkennbare Karriere des Pilatus und deren Ende zu verstehen,
ist ein kurzer Blick auf das System römischer Provinzialverwaltung
notwendig. Man unterscheidet zwischen kaiserlichen und senatorischen
Provinzen sowie Provinzen niederen Ranges:
* kaiserliche Provinzen werden durch einen legatus Augusti pro praetore
oft über mehrere Jahre hinweg verwaltet, in ihnen dürfen
Truppen stationiert sein, über die der Kaiser oberster Befehlshaber
ist. Der Kaiser entscheidet, wer legatus Augusti wird.
* senatorische Provinzen werden durch einen Prokonsul verwaltet, der
jeweils nur ein Jahr im Amt bleibt und von den Senatoren in Rom bestimmt
wird. In ihnen dürfen keine Truppen stationiert sein (deren oberster
Befehlshaber ist ja der Imperator, der "Kaiser").
* Kaiserliche Provinzen minderen Ranges werden durch einen Praefekten
bzw. Prokurator verwaltet, der wiederum dem Prokonsul oder Legaten
einer benachbarten Provinz unterstand. Diesen Status hatte die Provinz
Judäa seit 6 n. Chr.; er wird für das Ende des Pilatus folgenreich.
Die Berichte über den Pilatusprozess in den
Evangelien tendieren dazu, ihn auf Kosten der jüdischen Handlungsträger
weitmöglichst von aller Schuld am Tod Jesu zu entlasten - in
der äthiopischen Kirche ist Pilatus deshalb sogar heilig gesprochen
worden. Eine Konfrontation mit der geschichtlichen Wirklichkeit wird
für uns am ehesten möglich durch das erste Vorkommnis, das
Josephus von ihm berichtet: "Einst nun ließ er eine Anzahl
verhüllter Bildnisse des Caesars, welche die Römer signa,
Feldzeichen, nennen, zur Nachtzeit nach Jerusalem bringen. Kaum aber
graute der Tag, als eine hochgradige Aufregung sich der Stadt bemächtigte.
... Alle machten sich auf den Weg nach Caesarea zu Pilatus, den sie
flehentlich baten, die Bildnisse aus Jerusalem entfernen und an ihren
althergebrachten religiösen Satzungen nicht rütteln zu wollen.
Da Pilatus aber die Bitte abschlug, warfen sie sich zu Boden und blieben
fünf Tage und ebenso viele Nächte liegen, ohne sich zu rühren.
3. Am folgenden sechsten Tage nahm Pilatus in der großen Rennbahn
auf einer Tribüne Platz und ließ das Volk herbeirufen,
als wolle er ihm Bescheid erteilen, gab aber dann den Soldaten, die
vorher verständigt waren, ein Zeichen, die Juden mit den Waffen
in der Hand zu umzingeln. So von einer dreifachen Reihe Bewaffneter
eingeschlossen, gerieten die Juden über den unerwarteten Anblick
zunächst in gewaltige Bestürzung. Als aber Pilatus drohte,
er werde sie niedermetzeln lassen, wenn sie die Bildnisse des Kaisers
nicht bei sich aufnähmen, und den Soldaten einen Wink gab, ihre
Schwerter zu entblößen, fielen die Juden wie auf Verabredung
sämtlich nieder, boten den Nacken dar und erklärten mit
lauter Stimme, sie wollten sich lieber umbringen lassen als das Gesetz
übertreten. Über dieses heldenmütige Eintreten des
Volkes für seine Religion erstaunte Pilatus und gab Befehl, die
Feldzeichen sofort aus Jerusalem wegzubringen" (Josephus, BJ
2,169-171).
Später rief Pilatus neue Unruhen hervor, als er einen Teil des
Tempelschatzes für den Bau einer Wasserleitung verwendete. Als
er eines Tages nach Jerusalem kam, umdrängte das Volk schreiend
und schimpfend seinen Richterstuhl. "Er aber hatte von dem beabsichtigten
Auflauf zuvor Kunde erhalten und bewaffnete Soldaten in bürgerlicher
Kleidung heimlich unter der Menge verteilt mit dem Befehl gegen die
Schreier nicht das Schwert zu gebrauchen, aber mit Knitteln auf sie
einzuhauen. Als er nun vom Richterstuhl herab das Zeichen gab, kamen
viele Juden teils unter den Schlägen der Soldaten, teils dadurch
um, dass sie von ihren eigenen Landsleuten auf der Flucht zertreten
wurden. Den Schrecken über das traurige Schicksal der Getöteten
aber brachte das Volk alsbald zum Stillschweigen" (Josephus,
BJ 2,175-177).
Auch Philo charakterisiert ihn als "unerbittlich und rücksichtslos"
(Leg. 301), und Lk 13,1 klingt nicht viel besser, wenngleich wir dieses
Ereignis historisch nicht anderweitig nachweisen und deshalb auch
nicht im einzelnen rekonstruieren können.
Ein Übergriff des Pilatus gegen die Samaritaner führte im
Winter 36/37 zu seiner Absetzung durch den Statthalter Syriens. Einer,
der sich selbst als Messias ausgab, hatte die Samaritaner aufgefordert,
mit ihm auf den Berg Garizim zu steigen, dort wollte er dem Volk die
von Mose dort vergrabenen Kultgeräte zeigen. Als das Volk bewaffnet
auf den Berg ziehen wollte, besetzte Pilatus den Weg zur Höhe
mit Reiterei und Fußvolk. Dabei hatte er den Fanatismus des
Volkes unterschätzt. Es kam zu einer Auseinandersetzung zwischen
den aufgeputschten Frommen und den kaiserlichen Truppen, die einige
der Aufständischen niederschlugen und die Mehrzahl der Anführer
in die Flucht trieben. Pilatus aber ließ die 'Vornehmsten und
Einflussreichsten' inhaftieren und hinrichten. Einflussreiche Samaritaner,
die als Abgeordnete des Hohen Rats ihres Volkes bei Lucius Vitellius,
dem vorgesetzten Statthalter von Syrien, vorstellig wurden, verklagten
ihn, so dass sich Pontius Pilatus in Rom verantworten musste, möglicherweise
unter der Anschuldigung der Amtsanmaßung, der ungerechtfertigten
Kriegführung. In Rom ist er nach Euseb zum Selbstmord gezwungen
worden. Sein Nachfolger als praefectus Iudaeae wird Marcellus, von
dem es solche Dinge nicht zu berichten gab.
Theologische Grundgedanken des lukanischen Doppelwerkes
1. Die Frage nach der Geschichte
- Durch das Zurücktreten der Naherwartung
ist die Frage nach dem Sinn der weiterlaufenden Geschichte gestellt.
Mögliche Antwort: Das Evangelium soll erst aller Welt verkündigt
werden, vor allem in der Reichshauptstadt Rom.
- Angesichts der zeitlichen
Entfernung vom Beginn des Geschehens stellt sich die Frage, wie die
Kontinuität zur Anfangszeit gewahrt werden kann. Wahrung der Kontinuität
bedeutete Wahrung der Identität.
So zeigt Lukas: Die Geschichte der Kirche ist eine von
Gott gewollte und eine von Gott gewirkte Geschichte.
Conzelmann unterschied für die Geschichtsdarstellung
im lukanischen Doppelwerk drei Perioden: die Zeit vor Jesus, die Zeit
Jesu, die Zeit der Geschichte. Die Zeit vor Jesus ist die auf Jesus hinführende
Zeit des fordernden und verheißenden Gotteswillens; die Zeit nach
Jesus ist die Zeit der Sammlung der Kirche und der Trennung von dem nicht
an Jesus glaubenden Judentum, dem allerdings die Tür zu Jesus offenbleibt.
Zwischen den ersten beiden Phasen wird die Zäsur durch Lk 16,16 gebildet,
zwischen der zweiten und der dritten Phase durch Apg 1,11.12.
Conzelmanns Unterscheidung zwischen der Zeit Jesu und der Zeit der Kirche
(H. Conzelmann, Mitte der Zeit, 158) ist mit dem Hinweis auf das in der
Zeit der Kirche weiterlaufende Erfüllungsgeschehen kritisiert worden.
Doch empfängt die Zeit der Kirche von der Jesuszeit ihre Fundierung
und Normierung: Der Begriff "heute" (vgl. Lk 4,21) wird im Evangelium
anders verwendet als in Apg, nämlich theologisch gefüllt; die
Apostel dagegen tun ihre Wunder im Namen Jesu; die vita christiana wird
i. w. im Evangelium entfaltet; die Predigt der Apostel nach Apg bringt
hierin nichts wesentlich Neues mehr hinzu.
Literatur zur Weiterarbeit:
Conzelmann, H., Die Mitte der Zeit. Studien zur Theologie des Lukas, BHTh
17, 4. Aufl. Tübingen 1962.
2. Lehre von der Kirche und Israel
Die Anschauung von der Kirche (die Ekklesiologie) hat
Lukas früher (bis 1970) den Vorwurf des Frühkatholizismus eingetragen:
Er ersetze die Naherwartung durch Heilsgeschichte und schaue auf das Leben
Jesu als eine vergangene Epoche zurück (Conzelmann), habe damit aber
den ursprünglichen Charakter des Kerygma preisgegeben (Bultmann),
wie auch die Vorstellung des Sühnetodes nicht entfaltet sei. Apostel
seien Traditionsgaranten, der Geist werde an das Amt gebunden; es gelte
nicht mehr: Jeder Christ ist ein Charismatiker (Käsemann).
Es hat sich jedoch ein Mehrfaches gezeigt: 1. Die Heilsgeschichte ist
keine Erfindung des Lukas, sondern entstammt breiter urchristlicher Tradition;
2. Wohl stehen die Apostel als Augenzeugen der irdischen vita Jesu für
die Richtigkeit der überlieferten kirchlichen Tradition gerade -
Paulus ist kein Apostel, weil er kein Augenzeuge ist - aber der Gedanke
der apostolischen Sukzession fehlt völlig; Lukas wollte die Kontinuität
der Kirche auf ihrem weiteren Weg durch die Geschichte nicht durch Bindung
an Ämter und Institutionen sichern. Gott selbst würde dafür
sorgen, Apg 20,32. Ferner 3. Der Geist wirkt durch das Wort. 4. Der Glaube
ist nicht durch die Geschichte verifizierbar, sondern auch Lukas berichtet
die Geschichte Jesu mit dem Ziel der Verkündigung.
Freilich haben sich aufgrund der Rückbesinnung auf die jüdischen
Wurzeln des Christentums neue schwierige Fragen gestellt. Statt des lukanischen
Geschichtsverständnis und seiner Ekklesiologie steht nunmehr lukanische
Israeltheologie zur Debatte, eine Israeltheologie freilich, die Rückwirkungen
auf die Ekklesiologie hat.
Die Spannbreite der Beschreibungen lukanischer Israeltheologie reicht
von dem Antisemitismus-Verdikt bei S. Sandmel und J. T. Sanders bis hin
zur Vorstellung von J. Jervell, die heilsgeschichtliche Kontinuität
liege nicht nur im Handeln Gottes, sondern auch in dem Gottesvolk, an
dessen Verheißungen die Heidenchristen partizipierten, und ist in
dem Nebeneinander positiver wie negativer Aussagen zum Verhalten Israels
begründet.
Lukanische Israeltheologie ist untrennbar mit der lk Konzeption der Heilsgeschichte
und dem lukanischen Verständnis der Heiligen Schrift Israels verknüpft.
Grundlegend für Lukas ist die zugleich christologische und soteriologische
Bedeutung der Aufweckung Jesu von den Toten: Jesus wird zum Herrn und
Christus gemacht (Apg 2,36) und damit als das Zeichen Gottes bestätigt;
doch zugleich verbürgt das "Faktum" der geschehenen Auferweckung,
dass Gott jetzt Heil verwirklichen will (Apg 26,6-8).
Das Heil gilt Israel (Lk 1,54.68.78) in allen seinen Gliedern: die kranke
Frau und der Zöllner Zachäus bekommen Heilung "denn auch
sie sind Kinder Abrahms". Es gilt zuerst Israel (Lk 2,32; Apg 3,26;
13,46), und so beginnt Paulus bei seinen Reisen mit der Verkündigungsarbeit
grundsätzlich in den Synagogen. Den Heiden gilt das Heil in Ausweitung
des Israel geltenden Heiles gemäß der biblischen Verheißung
des Gottesknechtes i.S. v. Jes 42,6; 49,6 und des Völkerwallfahrtsmotives
i.S. v. Jes 2,1-4 (Lk 2,29-32).
Jes 42,6 Ich der Herr, habe dich, den Knecht Gottes, gerufen in Gerechtigkeit
und halte dich bei der Hand und behüte dich und mache dich zum Bund
für das Volk, zum Licht der Heiden, dass du die Augen der Blinden
öffnen sollst und die Gefangenen aus dem Gefängnis führen
und die, die da sitzen in der Finsternis, aus dem Kerker.
Jes 49,6 Es ist mir zuwenig, dass du mein Knecht bist, die Stämme
Jakobs aufzurichten und die Zerstreuten Israels wiederzubringen, sondern
ich habe idhc auch zum Licht der Heiden gemacht, dass du seist mein Heil
bis an die Enden der Erde.
Jes 2: Es wird zur letzten Zeit der Berg, da des Herrn Haus ist, fest
stehen, höher als alle Berge und über alle Hügel erhaben,
und alle Heiden werden herzulaufen, und viele Völker werden hingehen
und sagen: Kommt, lasst uns auf den Berg des Herrn gehen, zum Hause des
Gottes Jakobs, dass er uns lehre seine Wege und wir wandeln auf seinen
Steigen. Denn von Zion wird Weisung ausgehen und des Herrn Wort von Jerusalem.
Der auferweckte Jesus ist Ur-Repräsentant des Gottes Israels gegenüber
seinem Volk und unter den Heiden. Durch ihn kann jeder, der glaubt, unbeschadet
seiner Herkunft aus Israel oder aus den Völkern die Vergebung der
Sünden erlangen; auch den Heiden wird die selbe Gabe des Heiligen
Geistes als Erfüllung der Weissagung Joel 3,1-6 gegeben (Apg 10,47;
11,15). Von daher kann der Auftrag zur Heidenmission auf den auferstandenen
Christus zurückgeführt werden (Lk 24,47; Apg 1,8; 9,15). Israel
als Ganzes wird durch die Verkündigung des Petrus gerufen, Zeuge
Gottes gegenüber den Heiden zu sein (Apg 3,25f.). Wichtig ist für
Lukas zweierlei:
1. In all diesen Schritten gilt Gott als Subjekt dieser Geschichte;
2. Alle wesentlichen Momente dieser Geschichte sind durch die Heilige
Schrift Israels angekündigt.
Das Verhalten des rechten Israeliten i.S. des Lukas besteht darin, im
richtigen Verständnis der Schrift die Kontinuität zwischen dem
Glauben an Christus und der alttestamentlichen Botschaft wahrzunehmen
und damit anzuerkennen, dass Gott nunmehr Neues in der Geschichte Israels
beschlossen hat, nämlich den Einbezug der Heiden. An dieser Aufgabe
müssen auch die Jünger erst lernen (Apg 11,18), und an ihr droht
der sich verschließende Teil Israels zu scheitern; deshalb wird
er gemahnt, sich nicht von sich aus gegen Gott zu stellen (Apg 4,19; 5,34-39),
sich nicht mit den Ungehorsamen der Geschichte Israels gleichzustellen
(Apg 7,35.39.51) und sich so als verstockt zu erweisen wie die Väter
(Apg 28,26f.).
Ein Teil der Israeliten kommt zum Glauben - nur bei Israeliten berichtet
Lukas anfänglich von Massenbekehrungen (Apg 2,41; 4,4), nicht bei
Heiden -, ein anderer Teil verweigert sich. Das bekannte Nebeneinander
der unterschiedlichen Verhaltensweisen der Volksmenge Israels ist wohl
am ehesten im Sinne des kirchengeschichtlichen Nacheinander zu deuten:
die anfangs keineswegs erfolglose Israelmission, verstanden als endzeitliche
Sammlung Israels, wurde zunehmend von jüdischer Seite aus behindert,
und diese Verhärtung der Fronten bewirkt, dass von der lk Gemeinde
aus die Bekehrung ganz Israels nicht mehr erwartet und deshalb wohl auch
keine planmäßige Israelmission mehr betrieben wird. Das lukanische
Doppelwerk wäre der Versuch, die Kontinuität der Kirche zu Israel
angesichts des Scheiterns der Israelmission heilsgeschichtlich zu definieren
und so den jetzigen Status der überwiegend aus ehemaligen Heiden
bestehenden Kirche als gottgewollt zu legitimieren. Aus diesem eigenen
Gegenwartserleben läßt sich die Härte der lukanischen
israelkritischen Aussagen insgesamt durchaus erklären. Aber von einer
bleibenden Verwerfung des nicht an Jesus gläubigen Israel spricht
Lukas nicht!
Literatur zur Weiterarbeit
Käsemann, E., Amt und Gemeinde im Neuen Testament, wiederabgedruckt
in: ders., Exegetische Versuche und Besinnungen I, Göttingen 1960,
109-134.
Kümmel, W. G., Lukas in der Anklage der heutigen Theologie, in: W.
G. K., Heilsgeschehen und Geschichte Bd. 2, Gesammelte Aufsätze 1965-1977,
hg. v. E. Gräßer und O. Merk, MThSt 3, Marburg 1978, 87-100.
Sanders, J. T., The Jews in Luke-Acts, London 1987.
Sandmel, S., Anti-Semitism in the New Testament?, Philadelphia 1978.
Jervell, J., , Luke and the People of God. A New Look at Luke-Acts, Minneapolis
1972.
Jervell, J., Gottes Treue zum untreuen Volk, in: C. Bussmann, W. Radl
(Hg.), Der Treue Gottes trauen. Beiträge zum Werk des Lukas, FS G.
Schneider, Freiburg, Basel, Wien 1991, 15-27.
Roloff, J., Die Kirche im Neuen Testament, GNT 10, Göttingen 1993.
3. Das Christentum als neue religiöse Elite
Bei Lukas herrscht stärker als bei Markus oder
Matthäus das Bemühen vor, die Christen in der Hinsicht zuzurüsten,
dass sie ihre Religion auch einem gebildeten Heiden als Anstoß und
Alternative empfehlen können. Diesen Ziel sind mehrere Aspekte dienstbar
gemacht: 1. die politische Apologetik, 2. die Zeichnung Jesu und des Heidenapostels
Paulus als Weisen 3. das lukanische Menschenbild sowie 4. die Unterscheidung
der christlichen Lebenshaltung von einer unreflektierten Lebensweise.
1. Jesus Christus stirbt politisch unschuldig. Es ist nicht richtig, wie
seine Gegner ihm gemäß Lk 23,2 unterstellen, dass er zur Steuerverweigerung
aufgerufen habe. Die anderslautende Antwort Jesu Lk 20,26 ist vor den
Ohren des Volkes ergangen. Er hat nicht zur Steuerverweigerung aufgerufen,
wie ihm nach Lk 23,2 unterstellt wird; die Unruhe im römischen Reich
ist vielmehr durch die Gegner gekommen. Auch Paulus ist kein Aufrührer.
Vielmehr sind es seine Gegner, denen Lukas die Tendenz zum Aufruhr und
damit die Gefährdung der Pax Romana vorhält Entsprechend wohlwollend
verhalten sich die römischen Behörden; Pilatus will Jesus freilassen,
die späteren Statthalter bewahren Paulus mehrfach vor Übergriffen
seiner jüdischen Gegner. Die kritischen Äußerungen u.a.
über Gallio (Apg 18,12-17) und Antonius Felix (Apg 24,22-27) trüben
dieses Bild nur bedingt, zeigen aber: Es gibt das Neben- und Nacheinander
von korrekten und korrupten Inhabern staatlicher Gewalt. So wenig Christen
von sich aus das Recht zur Auflehnung gegen Obrigkeiten haben, so sehr
müssen sie auch mit deren Fehlverhalten rechnen.
2. Jesus wird als der vorbildliche Weise geschildert. Er lässt sich
nicht von dem Erfolg bei der Masse hinreißen, sondern sucht die
Stille im Gebet (Lk 5,15f.). Vor allem sein Sterben ist das Sterben eines
Weisen: Anders als bei den Seitenreferenten kommt bei Lukas einer der
Schächer zur Einsicht in die eigene Verfehlung. An Jesu Sterben geht
dem Menschen die Erkenntnis seiner eigenen Situation auf. Der gebildete
Leser, der von der momentanen Situation des Schächers abstrahieren
kann, merkt: an Jesus ist wirklich die Erkenntnis zu gewinnen, die zu
einem neuen, dem Guten hingewandten Leben zu führen vermag. Die Reaktion
des Hauptmanns, dieser sei ein Gerechter, ein Frommer gewesen, und das
Verhalten des Volkes weisen ebenfalls in diese Richtung, zusätzlich
die Vergebungsbitte, die, wenn textkritisch sekundär, doch mit gutem
Empfinden an die Stelle Lk 23,34 gesetzt worden ist. Hierher gehören
Jesu und des Paulus Begegnungen mit der politischen, intellektuellen oder
auch religiösen Elite - berühmt natürlich Apg 17, wo der
lukanische Paulus den Stoikern und Epikureern begegnet und den Stoiker
Aratos, Phaiomena 5,5 zitiert: wir sind seines Geschlechtes.
3. Lukanische Anthropologie.
Der Mensch ist nach Lukas nicht einer, der gerettet, sondern einer, der
korrigiert werden muss, kein salvandus, sondern ein corrigendus. Der Mensch
ist nicht von einer transsubjektiven Sündenmacht bestimmt, sondern
kommt in den Blick als sein Leben individuell gestaltendes, verantwortliches
Wesen. Bei der Bekehrung werden die Kräfte, das Wollen und die Entscheidung
des Menschen angesprochen. Bekehrung zum Christentum und Bewährung
des Christseins ist Vollzug des dem Menschen als Menschen eignenden Vermögens
zur rechten Erkenntnis und sind zugleich Bewährung wahren, reflektierten
Menschseins. Zentral für Lukas ist der Gedanke, dass dem Menschen
nur einmal das Heil angeboten wird, dass er nur einmal Gelegenheit zur
Umkehr bekommt, und dass sich an seiner Stellungnahme in dieser Situation
sein eschatologisches Geschick entscheidet. Das gilt für Juden und
Heiden (Apg 17,30) und ist auch für den Christen eine ernste Mahnung
(Lk 14,15-24). Das Verhalten der Jerusalemer Juden gegenüber dem
irdischen Jesus wird mit dem Unwissenheitsmotiv entschuldigt (Apg 3,17);
später wird diese Unwissenheit nicht mehr zugestanden. Aber auch
von den heidnischen Städten wird jeweils nur einmal von der missionarischen
Verkündigung berichtet (Vgl. Apg 14,21f.; 15,36; 18,23; 20,2: Nirgends
wird von einer erneuten missionarischen Wendung nach außen gesprochen.
Die einzige Ausnahme ist Ephesus, vgl. Apg 18,19f.; Apg 19,2-40). Dieser
Zug will die Ernsthaftigkeit der christlichen Heilsverkündigung unterstreichen.
Literatur zur Weiterarbeit: J.-W. Taeger, Der Mensch und sein Heil. Studien
zum Bild des Menschen und zur Sicht der Bekehrung bei Lukas, StNT 14,
Gütersloh 1982.
4. Das Christentum wird von der unreflektierten Lebensweise der unverständigen
Masse unterschieden. Es gilt, nicht nur äußerlich Jesus zu
bewundern, sondern sein Wort zu hören und zu bewahren (Lk 11,27f.),
es gilt, sich zuvor die Konsequenzen einer Bekehrung zum Christentum zu
verdeutlichen (Lk 14,25-33); die Habsucht des reichen Kornbauern, der
seine eigene Endlichkeit vergisst, kennzeichnet ihn als Toren (Lk 12,13-21),
wie der lukanische Jesus auch andernorts vor dem Vergessen der Endlichkeit
(Lk 12,54-13,9) und vor falscher Sicherheit (Lk 13,22-30) warnen muss.
4. Arm und Reich
Umstritten ist, ob Lukas zum freiwilligen Almosen ermahnt
(Horn) oder einen geregelten innergemeindlichen Besitzausgleich zwischen
arm und reich erstrebt (W. Schottroff, W. Stegemann, Jesus von Nazareth,
150). Nach F. W. Horn wendet sich Lukas vornehmlich an Besitzende und
sucht sie zu Almosen zu motivieren und will sie vor der "Ungerechtigkeit"
warnen, die im eigennützigen Umgang mit Besitz beschlossen liegt:
Mitgliedschaft in der Gemeinde oder gar Evangeliumsverkündigung und
eigennützige finanzielle Interessen kollidieren miteinander (vgl.
Apg 8,20-23). Habsucht lässt die eigene Vergänglichkeit vergessen
(Lk 12,16-21); die Verachtung des Armen rächt sich im Gericht Lk
16,19-31). Positives Vorbild sind der Besitzverzicht der Jünger und
die freiwillige Liebesgemeinschaft der Urgemeinde Apg 2,42-47; 4,32. Horn
kommt es auf die Freiwilligkeit der Gabe an (Apg 5,4).
Literatur zur Weiterarbeit:
Horn, F. W., Glaube und Handeln in der Theologie des Lukas, GTA 26, Göttingen
1983.
Schottroff, L., Stegemann, W., Jesus von Nazareth - Hoffnung der Armen,
3. Aufl. Stuttgart 1990.
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