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Lektion 9: Die Deuteropaulinen
Nicht
von Paulus und doch von Paulus?
Der zweite Thessalonicherbrief
Der Kolosserbrief
Der Epheserbrief
Die Pastoralbriefe
Exkurs: Gnosis
Der Epheserbrief
Verfasserfrage, Zeit und Ort:
Der Epheserbrief gibt sich als ein Schreiben des Apostels
Paulus aus, stammt aber wahrscheinlich nicht von ihm. Schon der spätneutestamentliche
Wortschatz und die außergewöhnlich langen Satzgebilde mit Häufung
substantivischer Kettenbildungen sprechen gegen Paulus als Verfasser,
vor allem aber theologische Abweichungen: Es finden sich nur mehr schwache
Anklänge an die Rechtfertigungslehre von Röm 3, vor allem aber
an die Gesetzesthematik, die Kreuzestheologie tritt zurück zugunsten
einer Theologie, die um Auferweckung, Erhöhung und himmlische Inthronisation
Christi kreist; in der Eschatologie treten zeitliche zugunsten räumlicher
Kategorien zurück, die „Kirche“ wird nur mehr als Gesamtkirche
thematisiert, nicht mehr als Einzelgemeinde; das Bild des „Leibes
Christi“ verliert seine paulinische paränetische Funktion.
Vor allem wird nunmehr das Apostolat des Paulus selbst als Fundament verstanden
(Eph 2,20; anders 1 Kor 3,11); vergessen ist die Auseinandersetzung des
Paulus um seine Anerkennung als Apostel in Gal 2,1-10; seine Position
ist bereits ein kirchengeschichtliches, theologisch bedeutsames Faktum.
Datiert wird der Brief zumeist auf die Jahre um 80-90 n. Chr. Der Ort
der Entstehung ist unbekannt.
Literarkritische Fragen:
Der Brief wird literarkritisch (mit Ausnahme von möglichen
Glossen in Eph 2,5.8.9) als Einheit beurteilt. Er ist vermutlich in partieller
Abhängigkeit vom Kolosserbrief entstanden. Vgl. Eph 1,7 mit Kol 1,14;
Eph 1,13 mit Kol 1,5; Eph 1,15 mit Kol 1,4; Eph 1,19f. mit Kol 2,12, Eph
3,1-13 mit Kol. 1,23-28, Eph 4,16 mit Kol 2,19, Eph 6,21f. mit Kol 4,7.
Auch die „Haustafel“ Eph 5,22-6,9 setzt Kol 3,18-4,1 voraus.
Doch gibt es auch wichtige Elemente des Kolosserbriefes, die der Epheserbrief
nicht enthält, u.a. das Motiv aus Kol 1,24, daß die Leiden
des Apostels ergänzen, was an den Leiden Christi noch fehlt, sodann
die Auseinandersetzung um die sog. kolossische Philosophie (Einzelne Elemente
in Eph 1,19f.; 2,1 zeigen jedoch, daß der Verfasser des Epheserbriefes
auch dieses Stück des Kolosserbriefes kannte) sowie die an Gal 3,28
erinnernde Liste Kol 3,11. Ferner tritt gegenüber dem Kolosserbrief
die Missionsterminologie zurück; Mission und Kirche treten auseinander.
Literatur zur Weiterarbeit: F. Hahn, Das Verständnis der Mission
im Neuen Testament, WMANT 13, Neukirchen 1963, 2. Aufl. 1965.
Wahrscheinlich waren dem Verfasser des Epheserbriefes auch einige echte
Paulusbriefe bekannt (1 Kor, möglicherweise auch 2 Kor und Röm).
Über andere hinter einzelnen Textstücken (z.B. hinter Eph 1,3-14;
1,20-23; 2,14-16) vermutete Vorlagen hat sich kein Konsens gebildet.
Religionsgeschichtliche Fragen:
Vor allem Christologie und Ekklesiologie und ihre Begrifflichkeit
wurden nicht selten auf gnostischem Hintergrund gedeutet. Begriffe wie
pleroma (Eph 3,19; 4,13; in Eph 1,23 für die Kirche gebraucht) u.a.
laden dazu ein, ebenso die Vorstellung des Leibes Christi als himmlischer
Bau oder die präsentische Eschatologie (Eph 1,20-23; 2,6.8; 5,14).
Zu beachten sind aber ebenso Parallelen aus dem hellenistischen Judentum
(zu den kosmologischen Aussagen vgl. die bei U. Schnelle, Einleitung,
359 genannten Parallelen aus Philo) und aus Qumran (vgl. hier vor allem
zu Eph 2,19-22), wie die Aufnahme einzelner Motive aus den Paulusbriefen
sowie aus dem Kolosserbrief.
Grobgliederung
1,1f. Präskript
1,3-14 Eulogie
1,15-23 Danksagung
2,1-3,21 Die Heilswirklichkeit
4,1-6,20 Die in der Heilswirklichkeit gründende Ermahnung
6,21-24 Mitteilungen und Schlußgrüße
Feingliederung
1,1f. Präskript
Textkritisch umstritten ist, ob das Präskript die Angabe
„in Ephesus“ enthalten hat. Die Angabe fehlt in wichtigen
alten Zeugen; Marcion bzw. seine Überlieferung kennt den Brief als
Brief an die Laodicener (vgl. Kol 4,16 - diese Stelle hat später
tatsächlich zu einem vom Epheserbrief unterschiedenen Laodicenerbrief
geführt). Vielleicht war der Brief tatsächlich ein Schreiben
an mehrere Gemeinden, die sich in paulinischer Tradition stehend wußten,
aber nicht an eine Einzelgemeinde. Von daher wäre auch erklärbar,
daß ein unmittelbarer Situationsbezug (abgesehen von 2,11-22) kaum
sichtbar wird.
Das Präskript ist kurz gehalten, intoniert aber schon Wesentliches:
Paulus ist Apostel nach dem Willen Gottes; seiner Verkündigung des
Heilsmysteriums (vgl. Eph 3,1-13) kommt von daher Autorität zu; die
Adressaten werden als „Heilige“ angesprochen (vgl. 1 Kor 1,2;
Eph 2,21), was einen Gott wohlgefälligen Lebenswandel nach sich ziehen
soll (Eph 5,3). Als Absender fungiert Paulus allein (wie später in
den Pastoralbriefen), nicht mehr wie in Kol 1,1 zusätzlich Timotheus.
1,3-14 Eulogie
Die Eulogie, traditionell Lobpreis Gottes für eigenes Erleben,
benennt zentrale theologische Motive des Briefes: Erwählung schon
vor Anbeginn der Welt zur Heiligkeit (1,4; vgl. Eph 2,21; 5,3), Vorherbestimmung
zur Sohnschaft um Christi willen, Vergebung unserer Sünden (1,7,
vgl. Eph 2,1-7), Erkenntnis seines Mysteriums (1,9, vgl. Eph 3,1-7) und
seiner Macht der Selbstdurchsetzung (1,10, vgl. Eph 1,20-22), gottgewollte
Zweckbestimmung der Gemeinde, ihn zu verherrlichen (1,11f.; vgl. für
die Engel in Qumran 4Q400-403). Schließlich wird den Angeredeten
gesagt, daß in ihrer Hinwendung zum Christentum Gottes erlösende
Heilsmacht auch an ihnen wirksam geworden ist (1,13f.).
1,15-23 Danksagung und Fürbitte
Die Danksagung und Fürbitte, traditionell der Versuch,
die Empfänger durch Lob und Bitte für das Anliegen des Briefschreibers
empfänglich zu machen, gibt der Hoffnung Ausdruck, daß auch
die Angeredeten ihr Sein als Christen unter den in der vorangegangenen
Eulogie explizierten Kategorien begreifen, daß es ihnen von Gott
gegeben werde, zu erkennen, was die Hoffnung ist, die aus dem Ruf Gottes
entspringt, was der Reichtum der Herrlichkeit seines Erbes unter den Heiligen
ist, woran sie jetzt schon partizipieren (vgl. Eph 2,4-7), nämlich
der ungehinderte Zugang zum Vater (Eph 2,18) und die Erbschaft im Reich
Christi und Gottes (Eph 5,5), und was die Kraft Gottes an ihnen und gegenüber
den Mächten der Welt ist, nämlich die Macht zur Durchsetzung
seines Willens, sich seine Gemeinde zu schaffen und Christus über
die Weltmächte zu erhöhen (Eph 1,22, vgl. schon Eph 1,10). Er
ist das Haupt der Kirche, sie ist sein Leib.
Das Weltbild des Epheserbriefes kennt nicht die übliche Dreiergliederung
Himmel - Erde - Unterwelt, sondern eine Gliederung Oberer Himmel als Raum
Gottes - unterer Luftraum als Raum der widergöttlichen Mächte
- Erde als Ort des von diesen Mächten angegriffenen Menschen (- Unterwelt?).
Die Ansiedlung der widergöttlichen Mächte in den unteren Luftraum
soll wohl ihre Gefährlichkeit für den Menschen demonstrieren,
während von dem Hades als dem Ort der gespenster- und schattenhaften
Seelen keine wirkliche Gefahr für den Menschen auf der Erde ausgeht.
2,1-10 Der Heilsstand der Epheser ist durch Gottes Gnade gegründet
Der Heilsstand der Epheser wird zunächst hinsichtlich der
Bedeutsamkeit der Lebenswende für den einzelnen beschrieben. Die
Gegenüberstellung von einst und jetzt erinnert die Leser an ihre
Taufe (Erwachsenentaufe!). Das bisherige Sein der Angeredeten im Heidentum
wird als Sein unter der Herrschaft der widergöttlichen Mächte
des unteren Luftraumes vorgestellt (2,2), die in der Herrschaft der Begierden
über den Menschen konkret erfahrbar wird (daß der Mensch sich
von den Begierden beherrschen läßt, war allerdings auch nach
griechisch-philosophischer Anschauung verpönt).
Der eschatologische Vorbehalt von Röm 6,8 scheint in Eph 2,5f. reduziert.
V. 6 sagt bereits für die Gegenwart die Auferweckung mit Christus
zu (vgl. Kol 3,1). Die Deutung von Eph 2,7 ist umstritten.
Die Heilsverwirklichung an uns zielt auf unseren Wandel in guten Werken
(2,10, vgl. dann 4,1; 5,2.15, als Abgrenzung von den heidnischen Werken
Eph 4,17), die Gott zuvor bereitet, d.h. zu deren Verwirklichung er uns
mit dem Heiligen Geist ausgerüstet hat.
2,11-22 Die neue Gemeinschaft
Die Vergangenheit der Adressaten kommt hinsichtlich des Abstandes
der Heiden zu der Geschichte Gottes mit seinem Volk Israel in den Blick.
Dieser positive Verweis auf Gottes Geschichte mit Israel kann sich dem
Anliegen verdanken, jeglicher Form der Überheblichkeit der Heidenchristen
gegenüber den Judenchristen den Boden zu entziehen.
Gottes Heilstat in Christi Kreuzestod beseitigt den genannten Abstand;
Ergebnis ist die eine Kirche aus Juden- und Heidenchristen. Die Deutung
der niedergerissenen Scheidewand ist strittig: Diskutiert werden u.a.
die Schranke zwischen Himmel und Erde (Lindemann für die s.E. hinter
Eph 2,14-16 stehende Vorlage, unter Verweis auf gnostische Parallelen),
aber auch die Thora als Schranke zwischen Juden und Heiden (so die meisten).
Der unterschiedslos gleiche Zugang zum Vater (V. 18) wird in V. 19 in
einem auch für Heiden eingängigen Bild beschrieben: Fremde und
Beisassen hatten nicht das volle Bürgerrecht in dem jeweiligen Gemeinwesen.
Die Apostel und die (wohl christlichen, nicht alttestamentlichen) Propheten
sind Fundament (Eph 2,20); ihre Verkündigung wird zur Norm auch für
spätere Generationen, auch für die eigene Zeit, auch für
die Verkündigung des Verfassers des Epheserbriefes. Das Bild des
Ecksteins, des wichtigsten Steines im Fundament, stammt wohl aus Jes 28,16.
Parallelen zu der Vorstellung, die Gemeinde sei der eschatologische Tempel,
finden sich vornehmlich in Qumran: 1QH 8,4-10 (dort auch die Bilder vom
Eckstein und von den Fundamenten); 1QS 9,5bf.. Die Bilder vom Bauen und
Wachsen durchdringen sich gegenseitig auch in 1 Kor 3,9-15.16f.; 1 Pt
2,1-10.
3,1-13 Das Mysterium
Der Text nimmt paulinische Selbstaussagen teilweise variierend
auf (zum Motiv der Offenbarung vgl. Gal 1,15; zum Motiv des Dienstes des
Paulus an den Heiden vgl. Gal 1,16; Röm 15,16; zum Motiv des Geringsten
unter den Heiligen vgl. 1 Kor 15,9) und begreift das Wirken des Apostels
als Teil göttlichen Handelns, durch das Revelationsschema (vgl. Kol
1,26-28; Röm 16,25f.; vgl. daneben 1 Kor 2,6-10, 2 Tim 1,9f.; Tit
1,2f.; 1 Pt 1,20) in Worte gefaßt: Vor Grundlegung der Welt hat
Gott beschlossen, ab einem bestimmten Zeitpunkt in Christus Jesus durch
die Verkündigung des Evangeliums auch die Heiden in das Heil einzubeziehen;
dieses Geheimnis, früheren Generationen verborgen, wird nunmehr offenbart
und auch den Adressaten der jeweiligen Schrift kundgemacht. Vom Geheimnis
(vgl. Dan 2,19.44; äthHen 13,8; 4 Esr 14,3.5) sprach auch Paulus:
Das Geheimnis ist in Röm 11 die endliche Errettung Israels, in Eph
2 der Einbezug der Heidenchristen. Warum der Verfasser des Epheserbriefes
nicht auf Jes 42,6; 49,6 o,ä. rekurriert (vgl. Lk 2,32 u.ö.),
mag man fragen.
Durch die Kirche erfahren auch die widergöttlichen Mächte und
Gewalten von der Weisheit Gottes; sie verlieren ihre Herrschaft über
die Heiden, die zu Christus finden.
3,14-23 Fürbittgebet des Verfassers
Zur Metapher vom Inneren Menschen vgl. Röm 7,22. Das Bild
der Einwohnung Christi in den Herzen der Menschen bezeichnet das völlige
Bestimmtsein ihres Handelns durch die Heilswirklichkeit.
Die Wendung „Breite und Länge und Höhe und Tiefe“
(V. 18) greift eine wohl kosmologische Formel aus, die sich auf die Ausdehnung
des Weltalls bezieht und u.a. in Zaubertexten begegnet; sie soll hier
die Erkenntnis der in Christus geschenkten Heilswirklichkeit bezeichnen.
Die Gewißheit der Gebetserhörung (V. 20) leitet die Doxologie
am Ende des Gebetes ein (V. 21). Die Doppelung „in der Kirche und
in Christus Jesus“ hat schon den alten Abschreibern Kopfzerbrechen
bereitet. Vielleicht liegt lediglich eine Häufung liturgischer Formeln
vor.
4,1-6,20 Die in der Heilswirklichkeit gründende Ermahnung
4 ,1-6 Die geforderte Einheit der Gemeinde
Zum Thema „Wandel, welcher der Berufung würdig ist“,
vgl. schon 1 Thess 2,12; zum Stichwort „Berufung“ vgl. Eph
1,18 sowie ausführlich Eph 2,1-22. So sind die Aussagen von Eph 4,1-6,20
in den Aussagen über das Heilshandeln Gottes (und in den Gebeten)
verankert. Allein die durch gemeinschaftsförderndes Verhalten wie
Demut, Geduld, Liebe etc. zu wahrende Einheit der Gemeinde entspricht
ihrer vorgegebenen Einheit des Geistes, der Einheit Gottes, des Glaubens,
der Taufe. Die Forderung der Demut ist uns als christliche Tugend selbstverständlich;
in der Pagangräzität konnte man diese vornehmlich an Sklaven
gerichtete Forderung (Euripides, Andr 164f.; Aristoteles, Pol 1295b) als
Zumutung empfinden.
4,7-16 Die Funktion der Ämter in der Kirche, bezogen auf
das Globalziel kirchlichen Lebens
Ps 68,29 paßt dem Verfasser des Epheserbriefes als Schriftzitat,
weil es die Erhöhung Christi (vgl. Eph 1,20) und die Mitteilung der
Gaben (Eph 4,11) in sich bereits verbunden hat. Eph 4,10 wird in der neueren
Forschung nicht mehr auf das Motiv der Höllenfahrt Christi gedeutet
(zu dem Motiv vgl. 1 Pt 3,18f.), sondern meint die Erniedrigung Christi
während seines Erdenweges. Nach diesem Exkurs konkretisiert der Verfasser
die in Eph 4,7 angesprochene Mitteilung der Gaben. Im Vergleich zu Paulus
ist eine Konzentration auf die wortbezogenen Ämter sichtbar, vielleicht
im Hinblick auf die in Eph 4,14 angesprochene Problematik zu begründen.
Diese Ämter sind von Christus der Kirche gegeben, und ihnen eignet
insofern göttliche Dignität, sie haben aber ihr Daseinsrecht
nur im Bezug auf den Dienst an den Heiligen: damit sie „zugerüstet
würden zum Werk des Dienstes, zur Erbauung des Leibes Christi“.
Ein funktionales Amtsverständnis ist auch für Eph 4,7-12 prägend.
Als Gesamtziel der Kirche gilt in Eph 4,13-16 das Wachsen hin auf Christus.
Der bilderreiche Abschnitt wird in V. 13f. konkret: Die Problematik geistlicher
Unreife, d.h. mangelnder Urteilsfähigkeit ist angedeutet, ebenso
die Gefahr einer Verwirrung durch falsche Lehren; konkrete antihäretische
Polemik fehlt allerdings, anders als in Kol 2,8-23. Das Wachstum jedes
einzelnen ist wohl als Fortschreiten in der die Fragen praktischer Lebensführung
einschließenden (!; vgl. Eph 4,17-6,17) Erkenntnis zu denken.
4,17-24 Der alte und der neue Mensch
In Eph 4,17-19 wird der geforderte christliche generell vom
heidnischen Lebenswandel abgegrenzt (vgl. 1 Thess 4,1-8): Vergeblichkeit
des Sinnes, Verfinsterung der Gedanken, Unkenntnis Gottes, Ausschweifung
und Unreinheit sind dessen Hauptkennzeichen. Daß der Mensch auch
durch heidnische Philosophen in ähnlicher Weise vor einer verkehrten
Lebenshaltung gewarnt wird, bleibt außer Betracht. Insofern ist
der Stil dieser Verse für uns heute nicht nachzuahmen.
Eph 4,20-24 zeigt die gewichtige ethische Komponente in der „Belehrung
über Christus“, sei es in der (organisatorisch für uns
nicht näher faßbaren) Unterweisung der Taufbewerber, sei es
in der Annahme der Missionspredigt. Die Forderung den alten Menschen aus-
und den neuen anzuziehen, ist von Kol 3,9f. übernommen. Jesus ist
weniger als Vorbild, wohl aber als begründende Norm angesehen. Die
Einweisung in die christliche, dem Heidentum entgegengesetzte Lebensführung
wird nicht als allgemeine, sondern als christlich begründete Ethik
begriffen. Die Ebenbildlichkeit des Menschen fungiert nicht als Voraussetzung
des Menschseins schlechthin, sondern als dessen nur im Bereich der Kirche
Christi zu erfüllende Zielvorgabe.
4,25-5,20 einzelne Mahnungen
Die Anordnung ist im Groben gesehen gegenüber Kol 3,5-15
umgestellt: Standen dort die negativen Beispiele voran, so hier die Mahnungen
zum rechten Verhalten gegeneinander (Eph 4,25-32).
Die Schriftzitate in Eph 4,25.26 sind gegenüber Kol 3,8f. neu. In
Eph 4,32 gilt Gottes Heilstat in Christus als Vorbild (vgl. schon Kol
3,13b), ähnlich im folgenden Text Eph 5,1f. Zu Eph 5,5 vgl. 1 Kor
6,9-11. Die Gleichsetzung Heidentum = Torheit (Eph 5,15; vgl. Eph 4,17-19)
galt schon im frühen Judentum (EpArist 139-142) und bei Paulus (1
Thess 4,3f.; Röm 1,18-32). Daß die Christen, einer geistigen
Elite vergleichbar, als Weise wandeln, ist hier noch Forderung an die
Christen (Eph 5,15), noch nicht Selbstaussage gegenüber den Heiden
(Diogn 6,1).
5,21-6,9 die sog. Haustafel
5,21-33 Mahnung an die Frauen und die Männer
5,21-24 Die Unterordnung der Frau
Eph 5,23f. sind Zusatz gegenüber Kol 3,18 und vergleichen
unter modifizierendem Rückgriff auf 1 Kor 11,3 die Unterordnung der
Frau unter den Mann mit der Unterordnung der Kirche unter Christus.
5,25-33 Die liebende Selbsthingabe des Mannes
Begnügt sich Kol 3,19 mit der Forderung der agape des Mannes
gegenüber seiner Frau, so veranlaßt dieses Stichwort den Verfasser
des Epheserbriefes zu einer weit ausgreifenden Begründung dieser
Forderung in dem Vorbild der Selbstaufopferung Christi. V. 26f. gibt die
Zweckbestimmung seines Handelns an: die Heiligung der Gemeinde, wodurch
sie allererst liebenswert wird, wie eine strahlend reine und schöne
Braut. Die geforderte Liebe des Mannes ist somit die ganz auf das Heil
und das Wohl der Frau bedachte Hingabe. In V. 28a ist der Schluß
Sinnbild für das Höchstmaß der vom Mann geforderten Liebe.
28b ist, wie aus 29b hervorgeht, nicht nur reine Nützlichkeitserwägung.
In V. 29 ist der Begriff „Fleisch“ schon im Hinblick auf das
Genesis-Zitat gewählt und steht hier für „sich selbst“.
V. 30: Christliche Eheleute sind auch als Eheleute in den Heilsbereich
einbezogen. Das Bestimmtsein durch die Heilstat Christi ergibt Konsequenzen
bis in die Eheführung hinein. Gen 2,24 ist auf das Verhältnis
Christus – Kirche anwendbar, weil die Ehe das Verhältnis Christus
- Kirche abbildlich darstellt, das als Urbild und Vorbild einer vollkommenen
Ehe begriffen wird.
6,1f. Mahnung an die Kinder
Die Mahnung wird (neu gegenüber Kol 3,20) mit dem einschlägigen
Gebot aus dem Dekalog begründet.
6,4 Mahnung an die Väter
Die Mahnung ist nicht nur im Christentum verbreitet, vgl. Plutarch,
de liberis educandis 12.
6,5-8 Mahnung an die Sklaven
Neu gegenüber Kol 3,1 ist der unmittelbare Vergleich: der
Sklave soll dem seinem irdischen Herrn wie Christus gehorchen.
6,9 Mahnung an die Herren
Die Mahnung wird zweifach begründet: 1. Der eigentliche
Herr über die Sklaven, aber auch über die irdischen Herren ist
Gott im Himmel; 2. (im jetzigen Kontext neu gegenüber Kol 4,1, von
Kol 3,25 übernommen) vor ihm gibt es kein Ansehen der Person.
6,10-17 Warnung davor, die Gefahr der Versuchung zu unterschätzen
Die Wahl der militärischen Metaphorik sowie die Mythifizierung
der Gegner in Eph 6,12 (vgl. schon Eph 2,2) soll die Gefährlichkeit
des Kampfes für den Christen dartun.
6,18-20 Mahnung zum Gebet und zur Fürbitte für „Paulus“
6,21f. Die Sendung des Tychikus
6,23f. Schlußgruß
Theologische Grundgedanken des Epheserbriefes:
Der Epheserbrief will den Adressaten die Großartigkeit
und existenzbestimmende Bedeutsamkeit ihres Heilsstandes vor Augen führen
und sie zu einem ihrer Berufung entsprechenden Verhalten ermahnen (Eph
1,18f.; 3,17-19). Die theologischen Grundgedanken des Epheserbriefes sollen
angesichts der Bedeutung des Themas „Kirche“ in dem Dreischritt
Soteriologie – Eschatologie – Ethik zusammengefasst werden.
Soteriologie
Heil heißt, zum Gott der Christen zu finden.
Was dem einzelnen Heidenchristen als individuelle Lebenswende vor Augen
steht, deutet ihm der Epheserbrief als Einbezogensein in einen Plan Gottes,
der eben diese Einbeziehung schon von Anbeginn der Welt an vorsah, der
aber früheren Generationen unbekannt blieb und erst jetzt durch die
Apostel und christlichen Propheten verkündigt wurde (Eph 3,1-6).
Gnade ist es, daß dem Menschen eine Abkehr von der heidnischen Unreinheit
überhaupt möglich ist.
Ekklesiologie
Unter Voraussetzung der Adresse „in Ephesus“
hatte schon Hieronymus (PL 26, 470 C – 472 A) auf die machtvolle
Allgegenwart heidnischer Religiosität in der Metropole der Provinz
Asia als Hintergrund für den Epheserbrief verwiesen. Die Aussagen
des Epheserbriefes, die Kirche betreffend, wirken dann noch überschwänglicher,
wenn man sich vor Augen hält, daß sich die Christen nicht in
prächtigen Kirchenbauten, sondern nur in dem kleinen bis mittelgroßen
triclinium eines antiken Hauses versammeln konnten <Abbildung eines
entsprechenden tricliniums von Ephesus>.
Während Paulus den Begriff ekklesia sowohl auf die eine „Kirche
Gottes“ (Gal 1,13; 1 Kor 15,9) als auch auf die einzelnen „Kirchen“
in Galatien (Gal 1,2), in der Provinz Asia (1Kor 16,19) und in Makedonien
(2 Kor 8,1) anwandte, bezeichnet der Begriff im Epheserbrief nie eine
einzelne Gemeinde, sondern stets die weltweite Kirche (Eph 1,22; 3,10.21;
5,23-33). Sie ist der Leib Christi (Eph 1,23; 4,12.15f.; 5,30), Christus
ist ihr Haupt. (Eph 1,22; 4,15; 5,22); beide gehören unzertrennlich
zusammen. Kirche ist der den Machtbereich der widergöttlichen Mächte
schon jetzt einschränkende Wirkungsraum Gottes und seines Heiles
inmitten dieser Welt.
An Ämtern benennt Eph 4,11 Evangelisten, Hirten, Lehrer als Größen
der Gegenwart. Die Apostel sind zusammen mit den Propheten als Größen
der Vergangenheit (Eph 4,11) Traditionsnorm (Eph 2,20; Paulus selbst hatte
Christus als Fundament bezeichnet 1 Kor 3,11).
Die christliche Ethik
Das Leben des Christen soll der Heilstat Gottes an
ihm entsprechen, nämlich der Berufung in die Gemeinde der „Heiligen“
(Eph 4,1 in Verbindung mit Eph 1,4.11.18); so sind die Aussagen von Eph
4,1-6,20 in den Aussagen über das Heilshandeln Gottes verankert.
Aber auch im einzelnen wird die ethische Mahnung im Heilshandeln Gottes
und Christi (5,2) oder in der in ihm gesetzten Norm (4,20f.) oder in seinem
Vorbild (4,32; 5,1; 5,25-33!) begründet und in den Horizont des göttlichen
Gerichtes gestellt (5,6f.; 6,8f.) und somit als spezifisch christliche
Ethik begriffen. Das undifferenzierte Bild des Heidentums u.a. als unvernünftige
Selbstauslieferung an die Begierden gerade im sexuellen Bereich (Eph 2,1-3;
4,17-19; vgl. schon bei Paulus 1 Thess 4,3-5; Röm 1,18-32, aber auch,
ohne Bezug auf heidnisches Sexualverhalten Phil 4,8) ist typisch für
die sog. postbaptismale Paränese, für die Mahnung, die an die
in der Taufe erfolgte entscheidende Lebenswende erinnern und die Christen
auf ihr neues Leben ansprechen soll, führt aber zugleich frühjüdische
Abgrenzungsstrategien weiter.
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