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Lektion 7: Die sieben echten Paulusbriefe
Der erste Thessalonicherbrief
Der erste Korintherbrief
Der zweite Korintherbrief
Der Galaterbrief
Der Philipperbrief
Der Philemonbrief
Der Römerbrief
Der Galaterbrief
Wer sind die Galater?
Es sind Kelten, ursprünglich als bewaffnete Wanderbewegung
von Gallien her kommend. In der ersten Hälfte des 3. Jhdt. v. Chr.
in der heutigen nördlichen Türkei angesiedelt, waren sie auch
weiterhin ein streitbares Volk, das wiederholt für fremde Herrscher
militärisch aktiv wurde. Im Jahr 25 v. Chr. hinterließ der
letzte Galaterkönig Amyntas sein Reich den Römern, diese machten
es zur Provinz Galatien mit der Hauptstadt Ankyra; die Provinz umfaßte
auch Gebiete im Süden der heutigen Türkei, u.a. Gebiete, die
Paulus während seiner 1. Missionsreise durchzo-gen hatte, z.B. Pisidien,
Teile von Lykaonien (u.a. Lystra und Ikonium, vgl. Apg 14) u.a. Die Ga-later
sind Heidenchristen (Gal 3,3; 4,3).
Ort und Zeit der Abfassung des Galaterbriefes
hängt zusammen mit der Frage nach den Adressaten. Zur Debatte stehen
folgende Positionen:
- Die sog. Landschaftshypothese oder auch nordgalatische Hypothese besagt,
daß Paulus nur die Bewohner des seit dem 3. Jhdt. angestammten Siedlungsgebietes
als Galater anredet. So kann der Brief erst während bzw. nach der
sog. zweiten Missionsreise (Apg 15,36 - 18,22) geschrieben worden sein.
Die ausgeführte Lehre von der Rechtfertigung nicht aus den Werken
des Gesetzes wäre erst das Produkt einer späten Entwicklung
im paulinischen Denken.
- Gemäß der sog. Provinzhypothese oder südgalatischen
Hypothese bezeichnet Paulus auch die im Bereich der heutigen südlichen
Türkei lebenden Christen als Galater. Diese Hypothese ermöglicht
(nicht: erzwingt!) eine Datierung des Galaterbriefes schon in die Zeit
nach der in Apg 13; 14 geschilderten Reise. Damit könnte die ausgeführte
Rechtfertigungslehre bereits als Produkt frühpaulinischer Theologie
zu stehen kommen.
- unabhängig davon wird der Galaterbrief neuerdings wieder als Spätwerk
des Paulus, geschrieben aus Rom, gewertet. Röm 9 - 11 wäre dann
nicht mehr das zeitlich letzte Wort des Paulus in der Frage nach dem Verhältnis
zu dem nicht an Jesus glaubenden Judentum. Unbeschadet dessen ist theologisch
für die Frage nach einer Neugestaltung des christlich-jüdischen
Verhältnisses zugunsten von Röm 9-11 und gegen Texte wie 1 Thess
2,14-16; Gal 4,21-31 u.v.a. als sachliche Basis zu votieren.
Die Situation in Galatien und die Gegner
Paulus sieht sein Werk durch die Gegner aufs äußerste
gefährdet, hofft aber, die Gemeinde doch noch zur Beibehaltung des
von ihm gepredigten Evangeliums zu bewegen. Doch wer sind diese Gegner:
Sind es Judenchristen, oder Judenchristen und daneben enthusiastische
Pneumatiker, judenchristliche Gnostiker, Juden, etwa Mitglieder der örtlichen
Synagoge?
Grobgliederung
1,1-5 Präskript
1,6-10 Verwunderung statt Danksagung
1,11-2,14 Die Legitimität des paulinischen Apostolats
2,15-21 Die Hauptthese von der Rechtfertigung aus Glauben
3,1-5,12 Beweise aus der Erfahrung und der Heiligen Schrift
5,13-6,10 Paränetischer Teil
6,11-6,18 Zusammenfassung
Feingliederung
1,1-5 Präskript
1,6-10 Verwunderung statt Danksagung
Daß angesichts der für Paulus gefährlichen Situation
in Galatien eine Danksagung üblichen Stils unterbleibt, haben schon
altkirchliche Ausleger wahrgenommen.
1,11-2,10 Die Selbständigkeit des paulinischen
Apostolates
Paulus stellt durch den Verweis auf seine eigene Biographie klar,
daß eine Mutmaßung, sein Evangelium sei dem der Jerusalemer
Apostel unterlegen, gar nicht richtig sein kann.
1,11-24 Die von Gott her gegebene Selbständigkeit
des paulinischen Apostolats
Paulus wurde von Gott zum Apostel der Heiden berufen und übte
seinen Dienst weitgehend unabhängig von Jerusalem aus. Der Bericht
über seine Berufung spielt auf Jer 1,15f. an.
2,1-10 Die von den anderen Aposteln anerkannte Selbständigkeit
Bei dem Jerusalemer Apostelkonzil wurde das Recht der beschneidungsfreien
Heidenmission von den Autoritäten der Gemeinde zu Jerusalem (Petrus,
der Herrenbruder Jakobus, der Zebedaide Johannes) vorbehaltlos anerkannt.
Indirekt ist damit auch den Gegnern des Paulus in Galatien der Boden entzogen,
sofern sie sich für ihre antipaulinische Agitation auf die Jerusalemer
Autoritäten berufen wollten.
2,11-14 Der antiochenische Zwischenfall
Judenchristliche Tischgemeinschaft mit den Heidenchristen bedeutet
die Anerkennung ihrer kultischen Reinheit, Aufhebung der Tischgemeinschaft
bedeutet die Zuweisung des Status der Unreinheit. Es gibt im AT noch kein
Verbot für Juden, mit Heiden gemeinsam am selben Tisch zu essen.
In Jub 22,16 (um 140 v. Chr.) heißt es dann: Trenne dich von
den Völkern und iß nicht mit ihnen und handle nicht nach ihrem
Werk und sei nicht ihr Gefährte! Ein allgemeines Verbot für
Juden, zusammen mit Heiden an einem Tisch zu essen, ist im rabbinischen
Judentum bekannt, aber es ist unsicher, seit wann das Verbot allgemein
anerkannt war.
Warum fürchtet Petrus die aus der Beschneidung? Abweichend
von Paulus kann man auch ihm ehrenwerte Motive zubilligen. Vielleicht
wollte er die Verkündigung des Evangeliums an Israel, zu der er berufen
war, nicht durch eine eigene falsche Praxis desavouieren.
Wahrheit des Evangeliums bedeutet hier, daß Gott nunmehr
auch die Heidenchristen unter Verzicht auf die Speisegebote zur Gemeinschaft
mit ihm berufen hat. Die Abschaffung der Thora für Judenchristen
steht nicht zur Debatte.
2,15-5,12 Das Evangelium der Rechtfertigung
2,15-21 Die These
Die Oppostion Rechtfertigung aus den Werken des Gesetzes versus
Rechtfertigung aus dem Glauben an Jesus Christus zielt nicht auf
den Gegensatz eigene Aktivität versus Widerfahrnis; Glauben
heißt für die heidenchristlichen Galater Anerkennung eines
vorgegebenen, ihnen bisher unbekannten Sachverhaltes, eben
daß der Gott Israels und Vater Jesu Christi sie durch das Kreuzesgeschehen
in die Gemeinschaft mit ihm hineinberufen hat. Für diesen Glaubensbegriff
(vgl. Röm 1,5: Gehorsam des Glaubens) vgl. Jona 3,5;
SapSal 12,2; Jdt 14,10; hier ist der Begriff im Zusammenhang der Bekehrung
von Heiden zum Judentum verwendet.
3,1-5 Die These entspricht der Erfahrung der Galater
Das Argument mit der eigenen Erfahrung ist auf unwiderlegliche Zustimmung
ausgerichtet. Paulus sieht den Geist vor allem in ekstatischen Phänomenen
und Wundertaten (V. 5) wirksam.
3,6-18 Die These entspricht der Schrift
Die Erfahrung der Galater wird ihnen durch das Schriftzeugnis als
wirkliche Erfahrung des Gottesglaubens erwiesen, als Erfüllung der
in Gen 12,3 angekündigten Segnung der Heidenvölker in Abraham
(Gal 3,14). Gal 3,6f. kann auf eine Argumentation der Gegner schließen
lassen, dergemäß Paulus den Galatern verschwiegen habe, daß
erst die Beschneidung ihnen die vollgültige Abrahmassohnschaft vermittle.
3,19-24 Herkunft und Funktion des Gesetzes
Das Gesetz soll Sünde als Sünde erkennbar machen (nicht:
sie provozieren; das von Paulus durchaus sachgerecht angewandte Bild des
Pädagogen schließt diese Deutung aus). Es ist durch
Engel angeordnet. Frühjüdische Tradition, erwachsen aus Dtn
33,2 LXX, soll die Würde der Thora betonen; die Erwähnung der
Engel in Gal 3,19 und Hebr 2,2 den inferioren Charakter: Die Autorität
der Engel ist geringer als die Gottes, deshalb ist die Thora gegenüber
der Verheißung von untergeordneter Autorität. Allerdings ist
in Gal 3,19 nicht gesagt, daß die Thora überhaupt nicht von
Gott herrühre. - Der Mittler (V. 20) ist nicht Christus, sondern
Mose.
3,25-4,7 Die Folgen des Christusereignisses: Die
Christen als die Erben
Zum Begriff Söhne Gottes in V. 26 vgl. Ps 8,7, dann,
auf Israel bezogen Ex 4,22; Dtn 14,1; Jes 43,6; Hos 11,1 sowie mit Kontrastierung
zu den Heidenvölkern Judit 9,13; 4Q504 III,3-7; auf den einzelnen
bezogen SapSal 2,18 sowie JosAs 19,8 (von den Proselyten).
Die partizipationistische Terminologie in Gal 3,27 bezeugt die (schon
in der altkirchlichen Auslegung betonte) Intensität der Christusbeziehung.
Die Taufe ist grundlegende und einschneidende Erfahrung: Sie ist (als
Erwachsenentaufe) Ausgliederung aus der bisherigen heidnischen = sündhaften
Lebenswelt der Täuflinge (vgl. 1 Thess 4,1-8) und Eingliederung in
die Gottes- und Christusgemeinschaft, die nach Gal 3,28 auch eine neue
Gemeinschaft der Christinnen und Christen untereinander zur Folge hat.
Die Christen sind tatsächlich gemäß der Verheißung
Erben; sie sind Empfänger des endzeitlichen Gottesgeistes (Gal 3,14)
und Anwärter der Rettung im Endgericht.
4,1-7 Die Gültigkeit des Heilsstandes
Die stoixeia tou kosmou sind wahrscheinlich die vier Weltelemente
Feuer, Wasser, Luft und Erde. Gal 4,4 bezeugt das Rechtfertigungsereignis
als heilsgeschichtliche Neusetzung. Paulus fragt nicht, woran die Fülle
der Zeit ablesbar gewesen sein soll, an der einheitlichen griechischen
Sprache oder an der politischen Einheit des Imperium Romanum; vielmehr:
Die Sendung des Sohnes bedeutet die Erfüllung der (alten) Zeit, die
zu ihrem Ziel und zu ihrem Ende kommt.
In V. 6 werden die Galater wiederum auf ihre eigene Geisterfahrung verwiesen,
die ihnen ihre Sohnschaft auch in ihrem jetzigen Zustand, ohne Beschneidung,
vergewissern soll.
4,8-11 Warnung vor Verlust dieser Erkenntnis
Gal 4,8-11 ist Situationsaufweis (ähnlich wie Gal 3,1f.) vor
den Argumenten aus der Erfahrung (4,12-20) und der Schrift (4,21-31).
Doch wie kann Paulus er die von den Galatern intendierte Unterstellung
unter die Thora als Unterwerfung unter die schwachen Weltelemente bezeichnen?
Die Thora ist doch nach jüdischem Verständnis weit vom Götzendienst
geschieden! Vielleicht will Paulus beide Existenzformen, das abgetane
Heidentum und die befürchtete Hinwendung zum Judentum, als douleuein
bezeichnen und als solches pejorativ werten.
4,12-20 Die Aufnahme des Paulus während des
Gründungsaufenthaltes
Topoi des Freundschaftsbriefes werden in Anschlag gebracht. Gal 4,15
hat zu Spekulationen über die Krankheit des Paulus Anstoß gegeben,
denen nicht selten zeitbedingte Motivationen unterliegen: Man wollte Paulus
als starken Helden sehen. Grundsätzlich gilt: wir wissen nichts.
4,21-31 Betonung der Konsequenzen aus der These:
Typologie Israel - Kirche
Der Begriff Allegorie bezeichnet eine Auslegung, dergemäß
der Wortlaut der Schrift in sich eine auf einer anderen Ebene liegende
Wahrheit enthält, die vom Ausleger zu entschlüsseln ist. Deren
Erfassung unterscheidet den verständigen vom unverständigen
Ausleger, deren Nachvollzug den verständigen vom unverständigen
Leser. Soziologisch betrachtet ist allegorische Auslegung ein Selbstunterscheidungs-
und Abgrenzungsverhalten einer geistig wie gesellschaftlich nach oben
strebenden Gruppe.
5,1-12 Zusammenfassung: An der in Christus geschenkten
Freiheit festhalten!
An sich ist Beschneidung kein vom Heil ausschließender Tatbestand
(vgl. Gal 5,6 sowie 1 Kor 7,18f.), und sie kann sogar im Sinne des Bundeszeichens
als Vorzug des Juden gelten (vgl. Röm 2,25; 3,1). Sie trennt aber
von Christus, wenn sie als heilsnotwendig deklariert wird.
5,13-6,10 Der paränetische Hauptteil des Briefes
Gliederung: Gal 5,13-15 grundsätzliche Mahnung, Gal 5,16-26
allgemeine, Gal 6,1-10 spezielle Paränese.
5,13-15 Die grundsätzliche Mahnung
Gal 5,13b nennt die theologische Grundsatzbestimmung, Gal 5,14 ihre
biblische Begründung. Das Schriftzitat aus Lev 19,18 ist (trotz möglicherweise
traditioneller Verwendung in ähnlichen Zusammenhängen) situationsbezogen
auszulegen: Wenn die Galater das Liebesgebot halten, dann sind sie gehorsam
gegenüber der Thora, und ihnen fehlt in dieser Hinsicht nichts.
5,16-26 Allgemeine Paränese.
Gal 5,16-18 enthält zunächst eine anthropologische Grundlegung.
Die Begierde (epithymia) ist nach griechisch-philosophischer Tradition
ebenso verpönt (vgl. Diogenes Laertios 7,110) wie nach der Thora
verboten (Ex 20,17 LXX). Das pneuma, in Gal 3,1-5 Gabe, ist hier Maßstab
der Forderung, auch die irdischen Lebensverhältnisse zu heiligen
(vgl. 1 Thess 4,1-8).
Der schwierige V. 17 besagt m.E.: Wer meint, im Christsein neben den Geist
auch die eigene fleischliche Sichtweise als leitend anerkennen zu können,
kann von vornherein nicht für eine stete Verwirklichung des Willens
Gottes garantieren.
Gal 5,19-21 ist ein Lasterkatalog. Der jesuanische Zentralbegriff Reich
Gottes taucht nur an wenigen Stellen bei Paulus auf, nicht selten
in ähnlichen ethischen, auch formgeschichtlich ähnlichen Kontexten
(z.B. 1 Kor 6,9f.) und mit dem Stichwort erben verbunden.
Gal 5,22-24 zeigt, daß die Frucht des Geistes nicht nur in ekstatischen
Phänomenen greifbar wird; diese sind deshalb auch nicht als zwingender
Beweis für den Geistbesitz eines Menschen anzunehmen. In dem Tugendkatalog
Gal 5,23f. fehlen Tugenden, die das menschliche Subjekt als in gesellschaftlich
überlegener Position handelnd begreifen.
6,1-10 Spezielle Paränese
Gemahnt wird zunächst dazu, im Geist der Sanftmut dem anderen
zurechtzuhelfen; gewarnt wird vor Überheblichkeit. Für beides
wird wiederum auf die eigenen Erfahrung verwiesen. Das Gesetz Christi
ist wohl nicht nur ein Jesuswort (daß Paulus Texte wie Mt 18,21-35*
etc. kannte, ist nicht nachweisbar!), sondern die sich in der Lebenshingabe
vollendende Existenz Jesu für uns, wie auch sonst Jesu
eigenes Verhalten bei Paulus urbildlich normierenden Charakter annimmt
(vgl. 2 Kor 8,9; Phil 2,6-8).
6,11-18 Abschließende Kampfansage an die Gegner
und Gnadenwunsch
Der Abschnitt hat die Funktion einer peroratio des ganzen Briefes:
Die für die affektive Beeinflussung der Leserinnen und Leser wichtigsten
Gesichtspunkte sollen abschließend in Erinnerung gerufen werden
und den Leserinnen und Lesern im Gedächtnis bleiben.
Last changes:
2002-11-15
Vogler
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