Lektion 7: Die sieben echten Paulusbriefe

Der erste Thessalonicherbrief
Der erste Korintherbrief
Der zweite Korintherbrief
Der Galaterbrief
Der Philipperbrief
Der Philemonbrief
Der Römerbrief

Der Philemonbrief

Situation:

Paulus ist gefangen, aber in milder Haft: Mitarbeiter können bei ihm sein (Phlm 1.23), und er kann missionieren (Phlm 10).

Lokalisierung und Datierung:

Der Brief bietet weder genaue Zeit- noch genaue Ortsangaben, doch bestehen zwischen Philemonbrief und Kolosserbrief auffallende Gemeinsamkeiten hinsichtlich der am Schluß grüßenden Personen (Epaphras, Markus, der Vetter des Barnabas, Aristarchus, Demas, Lukas Phlm 23f.; Kol 4,10-14), teilweise auch der Gegrüßten (zu Archippos vgl. Phlm 1,2 mit Kol 4,17). Zwar stammt der Kolosserbrief wohl nicht von Paulus, doch ist Kol 4,7-18 nicht einfach eine Imitation des Philemonbriefes: Philemon wird nicht mehr erwähnt. Sollte der in Kol 4,9 erwähnte Onesimos mit dem Onesimos des Philemonbriefes identisch sein, wäre der Brief nach Kolossä gerichtet (ca. 193 km östlich von Ephesus im oberen Lykostal).
Der Brief wird aufgrund der Selbstbezeichnung des Paulus als „alter Mann“ nicht selten in die Gefangenschaft nach Rom datiert. Freilich wäre hier wiederum wie schon zu Phil 1 der Widerspruch zu den Spanien-Plänen gegeben. P. Stuhlmacher und M. Wolter datieren deshalb den Philemonbrief ähnlich wie den Philipperbrief in die Gefangenschaft in Ephesus (zwischen 53 und 55), ordnet sie allerdings verschiedenen Phasen zu: Nach Phil 1,26; 2,24 will Paulus im Fall der Freilassung nach Philippi, nach Phlm 22 zu Philemon. Diese Datierung hat auch den Vorteil einer relativen geographischen Nähe zu Kolossä. Zudem wurde diese Stadt i.J. 60 n. Chr. durch ein Erdbeben schwer getroffen. Danach hören wir von ihr nichts mehr, während Laodicea in der Johannesoffenbarung erwähnt ist.
Laut Phlm 2 beherbergt Philemon eine sog. Hausgemeinde. Der vor allem durch H.-J. Klauck in die Diskussion eingeführte Begriff bezeichnet die für die Anfänge des Christentums fundamentale Organisationsform der Gemeinde. t.t. der Hausgemeinden ist he kat’ oikon ekklesia (Phlm 2; 1 Kor 16,19; Röm 16,5; Kol 4,15. Hausgemeinden gab es im judenchristlichen (Jerusalem: Apg 1,13; 2,46; 5,42; 12,12) wie im heidenchristlichen Bereich.

Literatur zur Weiterarbeit: Klauck, H.-J., Hausgemeinde und Hauskirche im frühen Christentum, SBS 103,Stuttgart 1981.

Der Begriff „Haus“ (oikos, oikia, hebr.: BJT) ist dabei in der Doppelbedeutung „Gebäude“ und „Menschengemeinschaft“ aufgenommen:

Haus als Gebäude: Christliche Gottesdienste und Versammlungen fanden in Privathäusern statt; d.h. man war darauf angewiesen, dass man bald auch christliche Hausbesitzer in den Reihen der Gemeinde hatte, die in ihrem Privathaus solchen Versammlungen abhalten ließen. Christliche Kultgebäude sind erst für die Zeit um 200 n. Chr. literarisch belegt, aber nicht archäologisch. An der Wende zum 4. Jhdt. war der eigenständige christliche Sakralbau bereits selbstverständlich. Seit Kaiser Konstantin treten auch römische Kaiser und ihre Familienangehörigen als Stifter kirchlicher Baulichkeiten auf.

Haus als Menschgemeinschaft: Zu einem antiken Haushalt gehörten je nach Reichtum Eltern, Kinder, Sklaven, wirtschaftlich abhängige Verwandte, schließlich die Freigelassenen, die ja noch im Status des Klienten gegenüber ihrem Patron verblieben. Die genaue Zusammensetzung bleibt im Einzelfall unsicher; die Texte geben nicht exakt Auskunft.
Die Gewinnung einer Hausherrin oder eines Hausherrn für das Christentum mit anschließender Taufe zog häufig auch die Taufe des gesamten Hauses nach sich, vgl. Apg 11,14; 16,15.31; 18,8; 1 Kor 1,16; 16,15; Joh 4,53. Allerdings ist das nicht zwingend: Onesimos lebt als heidnischer Sklave in einem christlichen Haus. Philemon hatte ihn offenbar nicht zum Christentum bekehren können. Schwieriger ist es, wenn man als christlicher Sklave oder als christliche Frau in einem noch nicht christianisierten Haushalt lebt. Wie konnte man Christ werden in einem heidnischen Haus? Durch Botengänge für den Herrn, bei denen man außer Haus kam und mit Christen zusammenkam. Konflikte blieben nicht aus, wenn man als Heide aus dem Haus ging und als potentieller oder gar schon bekehrter Christ wieder zurückkam. Begründet ist dies mit dem Exklusivanspruch der jüdischen wie der christlichen Religion: Wenn sich ein Heide in irgendeine Mysteriengemeinschaft einweihen ließ, konnten die alten Bindungen bestehen bleiben, d.h. er nahm weiterhin z.B. an der Verehrung der Hausgötter teil. War jemand zum Judentum oder Christentum übergetreten, war dies für ihn nicht mehr möglich. Das schuf Konflikte.

Was ist der Anlaß des Briefes? Diskutiert werden i.w. zwei Möglichkeiten:
1. Philemon war seinem Herrn davon gelaufen, hatte zuvor – u.U. zur Finanzierung der Flucht – Geld gestohlen. Wenn er als fugitivus aufgegriffen wird, hat er mit schwerer Strafe zu rechnen (von Prügelstrafen bis hin zur Kreuzigung). Auf der Flucht trifft er zufällig Paulus, wird von diesem bekehrt, und Paulus macht sich zu dessen Fürsprecher. – Doch ist denn gerade eine Gefängniszelle ein sicherer Aufenthaltsort eines flüchtigen Sklaven? Denkbar ist auch ein anderer Vorgang:
2. Onesimos hat Paulus als Fürsprecher in einem häuslichen Konflikt aufgesucht, und er gilt dann nicht als fugitivus - mehrere juristische Texte unterscheiden genau zwischen einem Sklaven, das auf endgültige Flucht aus ist, und einem Sklaven, der einen Freund des Herrn aufsucht, damit er letztendlich wieder in das Haus des Herrn zurückkehren kann. Paulus bittet Philemon darum, Onesimos wieder aufzunehmen und ihn als inzwischen Bekehrten als Bruder im Herrn zu akzeptieren; am liebsten würde er ihn jedoch als missionarischen Mitarbeiter behalten (Vielleicht hat Philemon dieser Bitte wenigstens teilweise entsprochen, vgl. Kol 4,9).

Wie konnte man Sklave werden? Durch Geburt, Kriegsgefangenschaft, Aussetzung als Kind, Selbstverkauf, Entführung. Sklave blieb man zumeist die längste Zeit des Lebens. Ca. 25-50 % aller Menschen der Antike waren Sklaven. Rechtsstellung: Sie waren persönlicher Besitz des Herrn, der sie nach Belieben kaufen oder verkaufen konnte. Rechtsgültige Ehen konnten sie nicht schließen; sie konnten sich allerdings ein kleines Vermögen ansparen, mit dessen Hilfe sie sich freikaufen konnten. Doch auch als Freigelassener hatte man seinem ehemaligen Herrn gegenüber gewisse Pflichten: Aufwartung zu Repräsentationszwecken, Übernahme von Dienstleistungen.
Sklaven konnten in Bergwerken, auf großen landwirtschaftlichen Gütern oder in der handwerklichen Produktion beschäftigt sein, ebenso aber auch als persönliche Bedienstete in einem Haushalt eines reichen Menschen. Gerade hier konnte das Verhältnis zwischen Herrn und Sklaven ein recht humanes sein; einige Sklaven haben literarische Berühmtheit erlangt, so der Geschichtsschreiber Polybios und der Sekretär Ciceros, Tiro, auf den die Erfindung der Stenographie zurückgeht. Wie es einem Haussklaven allerdings auch ergehen konnte, davon gibt Seneca, ep. 47,2f.7f. ein Sittenbild, das mit den Worten schließt, so mancher Haussklave müsse die ganze Nacht durchwachen und sie zwischen der Trunkenheit bzw. der sexuellen Begehrlichkeit seines Herrn teilen.
Sklaverei gab es auch im Judentum. Nach Philo sollen die Therapeuten keine Sklaven gehabt haben; doch sind aus Qumran Vorschriften für den Umgang mit Sklaven bekannt.

Beurteilung der Sklaverei in der Antike
Einerseits hält Aristoteles die Sklaverei aus wirtschaftlichen Gründen für notwendig (Aristoeles, Politik 1252a-1253b), andererseits gibt es in der griechischen Dichtung und Philosophie Traditionen, die die Sklaverei aus dem Grund ablehnen, weil auch Sklaven Menschen sind (so der Komödiendichter Philemon, ca. 363-263 v. Chr.) frgm. 95). Als Beispiel für die Mahnung zum humanen Umgang mit Sklaven vgl. Seneca, ep. 47.
Der Philemonbrief ist wichtig für die Auffassung des Paulus zur antiken Sklaverei. Das Anliegen des Briefes: Bei gleichbleibendem Rechtsstatus soll Philemon den veränderten Sozialstatus des Onesimos akzeptieren, ihn als christlichen Bruder anerkennen. Den erwünschten Statusverzicht des Philemon vollzieht Paulus ur- und vorbildlich, indem er sich nur auf sein Alter als Autoritätsgrund beruft, nicht auf seinen Apostolat, obwohl er dazu durchaus das Recht hätte, weil er Philemon bekehrt hat (Phlm 19).

Aufgabe: Erarbeiten Sie die Feingliederung des Philemonbriefes

 

Last changes: 2002-11-15 Vogler