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Lektion 10: Katholische
Briefe
Katholische Briefe
Der erste Petrusbrief
Der Judasbrief
Der zweite Petrusbrief
Der Jakobusbrief
Der erste Johannesbrief
Der zweite Johannesbrief
Der dritte Johannesbrief
Der Judasbrief
Verfasserfrage
Jud 1 gibt vor, von dem Bruder des Jakobus und damit
vom Herrenbruder Judas zu stammen. Es bleiben Bedenken: 1. Judas nennt
sich nicht unmittelbar »Bruder Jesu« und verweist auch nirgends
auf Worte oder das Verhalten Jesu von Nazareth. 2. Der Traditionsbegriff
in Jud 3.20, die Auseinandersetzung zwischen Häresie und Orthodoxie
sowie der Topos des Auftretens von Irrlehrern in der Endzeit (1 Tim 4,1-3;
2 Tim 4,3f.; 1 Joh 2,18; 4,1-3; Did 16,3) weisen auf die nachapostolische
Zeit, ebenso die Rückschau auf die Epoche der Apostel als die glaubensgründende
Zeit (Jud 17f.).
Über Ort und Zeit der Abfassung läßt sich nichts Sicheres
ermitteln. Die Rückschau V. 17 widerrät einer Frühdatierung.
Versucht man, unabhängig von der pseudepigraphen Zuweisung des Briefes
an „Judas“ das religionsgeschichtliche Profil des Verfassers
zu zeichnen, so legt die intensive Benutzung alttestamentlicher und frühjüdischer
Literatur seine Herkunft aus dem (hellenistischen?) Judenchristentum nahe.
Rezeption
Der Judasbrief wurde einige Zeit nach seiner Entstehung
im zweiten Petrusbrief rezipiert; für das zweite Jahrhundert fehlen
hingegen jegliche Belege. Die Rezeptionsgeschichte setzt wieder ein mit
Klemens von Alexandrien und Tertullian: Klemens rechnet den Judasbrief,
die übrigen katholischen Briefe, den Brief des Barnabas und die sog.
Petrusapokalypse zu den bestrittenen Schriften, die er gleichwohl kommentiert
(bei Euseb, h.e. VI 14,1); Tertullian kommt im Kontext seines Verweises
auf Henoch auch auf den Judasbrief zu sprechen (de cultu feminarum 1,3),
ebenso Judas in seiner Kommentierung zu Mt 13,55 (Origenes, in Matthaeum
X 17). Euseb, h.e. III 25,3, zählt den Judasbrief neben dem Jakobusbrief,
dem zweiten Petrusbrief und den beiden kleinen Johannesbriefen zu den
bestrittenen, aber bei den meisten in Ansehen stehenden Schriften.
Situation
Der Vf. sieht die von ihm angesprochenen Christen durch
das Wirken von Gegnern charakterisiert, die offenbar in Sachen Engel eine
andere Auffassung vertreten als er selbst (V. 8). Der Vf. kennzeichnet
diese Gegner als Pseudopropheten (V. 8), die den Geist nicht haben (V.
19); nicht in gleicher Weise ist zu sichern, daß die Bezeichnung
„Psychiker“ ein Schlagwort der Gegner gegen sie selbst kehrt,
das diese anderen Christen vorgehalten hatten. Daß sie sich in seinen
Augen einer unmoralischen Lebenspraxis zugewandt haben (V. 4.8.10.16.18)
und selbstsüchtig (V. 4.12) sowie habsüchtig und geldgierig
(V. 11.16) handeln, kann bloße Polemik sein. In der Forschung werden
die Gegner teils als Vertreter einer frühen Gnosis, teils als Leugner
urchristlicher Eschatologie (A. Vögtle, Der Judasbrief, der zweite
Petrusbrief, EKK 22, Solothurn, Düsseldorf, Neukirchen 1994, 57)
teils als christliche Pneumatiker mit pagan-skeptischem Hintergrund bezeichnet
(letzteres R. Heiligenthal, Zwischen Henoch und Paulus. Studien zum theologiegeschichtlichen
Ort des Judasbriefes, TANZ 6, Tübingen, Basel 1992).
Grobgliederung
1-2 Präskript
3-4 der Anlaß des Schreibens
5-16 Das Gericht über die Irrlehrer und dessen Begründung
17-23 Erinnerung an die Apostel und Mahnung zur Bewährung
24-25 Schluß
Feingliederung
1-2 Präskript
Der die christliche Existenz insgesamt bezeichnende Begriff
„Berufung“ impliziert Erwählung durch Gott und Verpflichtung
zum Gehorsam ihm gegenüber. Bewahrung erscheint hier in V. 1 als
Werk Gottes, in V. 21 als Werk des Menschen. Dies ist durch den je verschiedenen
Kontext begründet: In V. 1 steht die Basis des zwischen Vf. und Adressaten
gemeinsamen Heils vor Augen, in V. 21 die Notwendigkeit, aus dem Heilsbereich
nicht herauszufallen.
3-4 Der Anlaß des Schreibens
Der Judasbrief will die Adressaten dazu mahnen, angesichts von
Gegnern an dem Glauben festzuhalten, der ihnen ein für alle Mal übergeben
wurde: Was gemeint ist, wissen sie.
5-16 Das Gericht über die Irrlehrer und dessen Begründung
5-7 Beispiele für das Gerichtshandeln Gottes
Angespielt wird auf Num 14,35; äthHen 10,12; Gen 19,1.4-11;
ähnlich werden die drei Beispiele auch in TestNapht 3,4f. sowie,
in der biblisch richtigen Reihenfolge, auch in Sir 16,7-10; CD 2,17-3,12;
3 Makk 2,4-7 genannt. Der vor allem die in V. 5f. genannten Beispiele
gültige Gegensatz zwischen „einmal“ und „ein zweites
Mal“ bezeichnet auch die Situation der Christen zwischen ihrer irdischen
Berufung und der endgültigen Rettung im Jüngsten Gericht (V.
24).
8-13 Der Unverstand der Gegner
Die Beschimpfung „Träumer“ will die Gegner
als falsche Propheten abqualifizieren (vgl. Jer 23,25-28; 29,8; Jes 56,10;
Dtn 13,1.3.5). V. 9 ist möglicherweise Zitat aus dem verlorenen Schluß
der Assumptio Mosis. - Von Bileam ist nicht das in Num 22 – 24 im
einzelnen referierte Verhalten (Num 24,17 war einer der wesentlichen messianischen
Texte im frühen Judentum!) ausschlaggebend, sondern die schon in
Num 31,16 vollzogene und im frühjüdischer Literatur wieder begegnende
(Philo, VitMos I 295; Josephus, Ant IV 130) Kombination der Traditionen
aus Num 22 – 24 und Num 25, dergemäß Israels Versündigung
(Num 25) aufgrund des Ratschlages Bileams an den Moabiterkönig Balak
erfolgt, die Töchter der Moabiter den Israeliten zu Frauen zu geben.
14-16 Ankündigung durch Henoch
In V. 14 wird aus „Henoch“ ein der Textfassung von
äthHen 1,9 nahe verwandter Text zitiert. Dies war eine der Ursachen
dafür, daß Tertullian (de cultu feminarum I 3) und die äthiopische
Kirche das Henochbuch als kanonisch beurteilten. Umgekehrt galt der Judasbrief
eben aufgrund seiner Benutzung „apokrypher“ Henochliteratur
bei manchen altkirchlichen Autoren als verdächtig (vgl. Hieronymus,
de viris inlustribus 4).
17-23 Erinnerung an die Apostel und Mahnung zur Bewährung
17-19 Erinnerung an die Voraussage durch die Apostel
Daß die in V. 4.12f.16 benannte Situation schon längst
von den Aposteln vorausgesagt war, soll bei den Leser des Briefes jeglicher
Beunruhigung über vermeintlich unerklärliche Phänomene
ihrer Gegenwart wehren.
20-23 Mahnung zur Bewährung und zur Rettung der Zweifelnden
Die Gemeinde soll sich auch dem „hochheiligen Glauben“
auferbauen (in 1 Kor 3,11 ist Jesus Christus selbst das Fundament!) und
„im Heiligen Geist“ beten, sich beim Beten vom Heiligen Geist
leiten lassen. Der textkritisch schwierige Unterabschnitt V. 22f. mahnt
(ähnlich wie Ignatius von Antiochia in IgnSmyrn 4,1) die Gemeinde
zur Stärkung der Unentschlossenen und zur Bemühung um die Rettung
der Gegner, gleichzeitig aber auch zur Abgrenzung ihnen gegenüber:
Die geforderte Bemühung muß im Bewusstsein der Richtigkeit
der eigenen Position (der Position des Verfassers des Judasbriefes) erfolgen;
keinesfalls darf man sich durch Lehre oder Verhalten der Gegner in dieser
Überzeugung schwankend machen lassen.
24-25 Lobpreis
In V. 24 wird noch einmal der Stand der Christen zwischen ihrer
irdischen Berufung und der endgültigen Rettung im Jüngsten Gericht
angesprochen; nach der Forderung der Bewahrung wird wiederum die Verheißung
göttlicher Bewahrung betont.
Theologische Grundgedanken
Einer näheren Beschreibung der Theologie des Judasbriefes
steht auf den ersten Blick die Schwierigkeit entgegen, daß V. 3.20
das Wissen der Leser darum voraussetzen, was in der beschriebenen Situation
als der ihnen ein für alle Mal überlieferte Glaube zu aktualisieren
ist. Nicht zum geringsten dürfte sich die hier vorgestellte „apostolische
Tradition“ durch intensive Vermittlung von Inhalten der Heiligen
Schrift Israels auszeichnen; der Verfasser rechnet wie selbstverständlich
mit der Fähigkeit der Gemeinde zur richtigen (vgl. den Hinweis auf
die in Num 31,16 begründete Tradition, Bileam betreffend) Zuordnung
seiner Verweise.
Erkennbar ist das Grundmodell Berufung (V. 1) – Bewährung (V.
20) und Bewahrung (V. 1.24) – Hoffnung auf das ewige Leben (V. 21).
Erkennbar ist ferner ein gewisser Schwerpunkt auf einer Terminologie der
Reinheit: Die Gemeinde soll vor Gott als heilig und untadelig dastehen
(V. 23), während die Gegner – nach der Darstellung des Verfassers
(!) - ihr Fleisch (V. 8) beflecken, ein vom Fleisch beflecktes Gewand
haben (V. 23), d.h. in Ausschweifung (V. 4) und Begierde (V. 16.18) leben.
Der Abscheu des Verfassers vor einer „Lästerung der Engelsmächte“
läßt nach dem positiven Hintergrund der eigenen Engelvorstellung
fragen. Denkbar ist in Analogie zu Vorstellungen aus Qumran, daß
sich die christliche Gemeinde als in Gemeinschaft mit den Dienstengeln
vor Gottes Thron wusste und deren angenommene Heiligkeit zum Maßstab
ihrer eigenen Heiligkeit erhob. In der Engellehre standen sich der Vf.
des Judasbriefes und die Gegner des Kolosserbriefes möglicherweise
nahe (so R. Heiligenthal, Zwischen Henoch und Paulus, 124).
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