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Lektion 12: Die Offenbarung des Johannes Vorbemerkungen Verfasserfrage Um die Identität des Verfassers der Johannesoffenbarung gab es Diskussionen schon in der alten Kirche unter der Frage, ob der Verfasser des Johannesevangeliums auch als Verfasser der Johannesoffenbarung in Frage kommt. Der Horizont dieser Diskussion ist letztlich die vor allem aus Apk 20,1-6 resultierende Frage, ob die Johannesoffenbarung kanonisch sein kann. Hielt Justin (gest. vermutlich 167) „Johannes, einen der Apostel Jesu“ für den Verfasser der Offenbarung (Justin, dial. 81,4) und identifizierte Origenes den Verfasser der Offenbarung mit dem des Evangeliums (nach Euseb, h.e. VI 25,9), so meldet Dionysios von Alexandria, ein Schüler des Origenes, Bedenken an: »Daß der Verfasser des Johannesoffenbarung den Namen Johannes trägt und diese Schrift von »Johannes« ist, will ich nicht bestreiten. Ich erkenne an, daß sie von einem heiligen und vom Geiste Gottes erfüllten Manne stammt. Dagegen möchte ich nicht leichthin zugeben, daß dieser der Apostel sei, der Zebedaide, der Bruder des Jakobus, von dem das nach Johannes benannte Evangelium und der katholische Brief (gemeint ist der erste Johannesbrief) stammen. Denn ich schließe aus dem Charakter beider Schriften und aus dem Stil und der gesamten Anlage des Buches, daß der Verfasser nicht derselbe sei. Denn der Evangelist setzt seinen Namen niemals hinzu und bezeichnet sich selbst nicht, weder im Evangelium noch im Briefe. Johannes erwähnt seinen Namen nirgends, weder in erster noch in dritter Person. Der Verfasser des Offenbarung aber setzt gleich im Anfang seinen Namen an die Spitze: »Offenbarung Jesu Christi, die ihm Gott gegeben hat, seinen Knechten zu zeigen, was in Bälde geschehen soll .... Johannes an die sieben Gemeinden ... -- er fängt in 1,9 sogar zum zweiten Mal an. ... Daß es nun ein Johannes ist, der das schreibt, wird man seinem Worte glauben müssen. Aber was für ein Johannes, ist unklar. Denn er hat nicht gesagt, wie oftmals im Evangelium, er sei der vom Herrn geliebte Jünger oder der an seiner Brust lag oder der Bruder des Jakobus oder der Augen- und Ohrenzeuge des Herrn gewesen. Die eine oder andere dieser Wendungen hätte er wohl gebraucht, wenn er sich unzweideutig hätte bezeichnen wollen. Aber nichts davon. Vielmehr nannte er sich unseren Bruder und Genossen und Jesu Zeugen und einen, der selig ist, weil er die Offenbarung sah und hörte«. ... Johannesevangelium und Johannesbrief haben vieles an Wortschatz gemeinsam. Der aufmerksame Leser wird in beiden Schriften oft die Begriffe Leben, Licht, Abkehr von der Finsternis finden, dann immer wieder die Begriffe Wahrheit, Gnade, Freude, Fleisch und Blut des Herrn, Gericht, Vergebung der Sünden; Gottes Liebe zu uns .... Völlig andersartig und fremd steht daneben die Offenbarung, ohne die geringste nachbarliche Berührung mit alledem, ja man möchte sagen, ohne mit jenen Schriften auch nur eine Silbe gemein zu haben. ... Endlich aber ist auch noch durch den Stil der Unterschied von Evangelium und Brief gegenüber der Offenbarung aufzuzeigen. Jene nämlich sind nicht nur in korrektem Griechisch geschrieben, sondern sie sind gewandt im Ausdruck, in der Gedankenbewegung und in der Satzfügung; schwerlich wird man einen barbarischen Laut oder Fehler oder überhaupt irgendeinen unfeinen Ausdruck darin finden. Denn der Verfasser besaß offenbar beide Gaben, die beider der Herr ihm verliehen hatte, die der Erkenntnis und die des gewandten Ausdrucks. Diesem dagegen werde ich gewiß nicht bestreiten, daß er Offenbarungen geschaut und prophetische Erkenntnis empfangen habe. Ich sehe aber, daß er kein gutes Griechisch spricht. Vielmehr gebraucht er unkultivierte und barbarische Ausdrücke, ja läßt sich grobe Fehler zuschulden kommen. Es ist aber nicht erforderlich, das jetzt zusammenzustellen. Denn ich sage dies ja nicht, das möge niemand denken, in spöttischer Absicht, sondern nur um die Ungleichartigkeit dieser Schriften darzutun« (nach Euseb, h.e. VII 25,7-27; Übersetzung durch W. G. Kümmel, Das Neue Testament. Geschichte der Erforschung seiner Probleme. Orbis Academicus III/3, 2. Aufl. Freiburg/München 1970, 6-9). Heute werden der Evangelist und der Verfasser der Johannesoffenbarung nicht mehr miteinander identifiziert; die wesentlichen Gründe sind bei Dionysios von Alexandria genannt; auch zählt sich der Verfasser, wie Apk 18,20; 21,14 zeigen, gerade nicht zu den Aposteln. Einzelne, nur in diesen Schriften begegnende Motive („Wort“, vgl. Joh 1,14 mit Apk 19,13; „Lebenswasser“, vgl. Apk 21,6 mit Joh 7,37) könnten auf mögliche traditionsgeschichtliche Berührungen verweisen. Davon auszunehmen ist die Christusbezeichnung „Lamm“, weil in Joh 1,29.36 und in der Johannesoffenbarung verschiedene griechische Vokabeln verwendet sind. Der Seher schweigt von Amtsträgern in den Gemeinden. Er beansprucht Autorität als Prophet, durch den der erhöhte Christus unmittelbar zu den Gemeinden reden will. Möglicherweise gehörte er einem Typ von Wanderpredigern an, wie sie ähnlich in Syrien durch das Matthäusevangelium und die Didache bezeugt sind. Die Johannesoffenbarung ist in einem in der Syntax (nicht im Vokabular!) stark semitisierenden Griechisch (vgl. etwa die Syntax von Apk 1,4.8; 11,18; 17,6; 20,4 u.ö.) abgefasst. Der vorhin genannte ständige implizite Schriftbezug legt auch nahe, daß diese Sprachgestalt nicht von dem Unvermögen des Verfassers hinsichtlich der Beherrschung des Griechischen zeugt, sondern von einer bewußt intendierten Nachahmung biblischer Sprache. Auch eine Kulturkritik des „Barbaren“ und Asketen (vgl. zu 18,9-19) mag eingewirkt haben.
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