Lektion 12: Die Offenbarung des Johannes

Vorbemerkungen
Verfasserfrage
Die Rezeption der Johannesoffenbarung
Die Adressaten
Situation
Datierung und Lokalisierung
Gattung
Theologische Voraussetzungen
Literarische Gemeinsamkeiten
Theologische Gemeinsamkeiten
Grobgliederung
Feingliederung
Exkurs: Chiliasmus
Theologische Grundgedanken

Exkurs: Chiliasmus

Die Erwartung eines tausendjährigen Reiches Christi wird auf der Grundlage des griechischen Wortes für „tausend“ auch Chiliasmus genannt. Dogmatisch ist darunter ein messianisches Zwischenreich zwischen der Parusie Christi und der allgemeinen Totenauferstehung zu verstehen. Wegen dieser chiliastischen Vorstellung fand die Johannesoffenbarung erst spät Eingang in den neutestamentlichen Kanon. Als Vergleichstexte sind 4 Esr 7,26-33 und syrBar 29f. zu nennen, zwei ebenfalls zur Zeit der Johannesoffenbarung entstandene frühjüdische Apokalypsen, die das Geschick der Katastrophe Jerusalems (70 n.Chr.) zu bewältigen versuchen. Anders als in der Johannesoffenbarung sind als Teilnehmer die beim Kommen des Messias noch lebenden Gerechten gedacht; von einer „ersten Auferstehung“ ist in 4 Esr und syrBar nicht die Rede. Im Chiliasmus ist die alte davidische Heilserwartung, die auf eine Erfüllung der Verheißungen und auf eine Vollendung hier auf Erden hoffte, verschmolzen mit der Vorstellung, die Endvollendung liege erst jenseits der irdischen Geschichte.

In altkirchlicher Zeit fand der Chiliasmus in Papias von Hierapolis, bei Justin (gestützt auf Jes 65,17-25; Ez 37,12-14) sowie im Umkreis des Montanismus bei Irenäus, Tertullian und Hippolyt seine bedeutendsten Vertreter, während er da bekämpft wurde, „wo griechische Philosophie mit ihrer idealistischen Geistigkeit die christliche Theologie bestimmte und den irdischen Realismus der Eschatologie verwarf“ (Müller, 341, mit Verweis auf Clemens von Alexandrien und Origenes). Ticonius deutet die 1000 Jahre als Epoche zwischen der Erscheinung und der Wiederkunft Christi, Augustin (354-430) bezieht die erste Auferstehung auf die Auferweckung aus dem Tod der Sünde, die Herrschaft der Gläubigen auf ihre geistige Herrschaft mit Christus im Bereich der Kirche. Diese Deutung von Apk 20 auf die Kirche wurde der Nährboden für die Reichsideologie der mittelalterlichen Kaiser wie für den weltlichen Herrschaftsanspruch des Papstes. Auch die um 1000 n. Chr. verbreitete panische Weltuntergangsstimmung geht darauf zurück. Bei Joachim von Fiore (1130-1202) begegnet der Chiliasmus wieder im ursprünglichen Sinn als Erwartung eines tausendjährigen „dritten Reiches“ des Heiligen Geistes, das eine Friedenszeit sein sollte. Bei dem radikalen Flügel der Hussiten, den Taboriten, verbanden sich mit den religiösen Vorstellungen soziale Ziele: Es sollte keine irdischen Herrscher mehr geben, ebensowenig Abgaben und Steuern, und alle sollten gleiche Brüder und Schwestern sein. Eine ähnliche Verbindung zwischen religiösen Vorstellungen und sozialen Zielen ist bei Thomas Müntzer festzustellen. In Abgrenzung zu den auch mit seinem Namen verbundenen Täuferbewegungen verwarfen reformatorische Bekenntnisse (Confessio Augustana 17; Confessio Helvetica posterior 11) den Chiliasmus schroff als Irrlehre. Erneut lebendig wurde der Chiliasmus im 17. Jahrhundert bei verfolgten Gemeinden in England und den Niederlanden, sodann in pietistischen Kreisen. Spener verstand Apk 20 wieder als Weissagung für die Zukunft der Kirche, doch haben die 1000 Jahre noch nicht angefangen.